Teil 2

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Pünktlich bestiegen sie die Maschinen. Snowcat fuhr heute nicht selbst, sondern hinten bei Nightmare mit. Fast fünfzig Ancients machten sich auf den Weg. Zahlreiche Lichtfinger peitschten nun über die nächtlichen Strassen Tarislars. In dieser Gegend musste die Gang niemals auf die Geschwindigkeit achten. Das war ihr Gebiet, ihr Herrschaftsbereich.

Noch bevor sie Tarislar verließen, teilten sie sich in Gruppen auf. Auf unterschiedlichen Wegen fuhren sie an ihren Zielort. Dabei nutzten sie nicht die I5. Noch nicht. Jeder Lieutenant kannte seinen Weg genau. 

Nach etwa 80 Minuten hatte auch das Team um Blackheart seinen Bestimmungsort erreicht. Pier 56 im Hafen von Tacoma. Sie schalteten die Motoren aus. 

Snowcat stieg ab, sie blickte auf ihr Commlink, eine Karte der Umgebung wurde auf AR eingeblendet. Ein Zeitfenster öffnete sich automatisch. Die Position der sechs Elfen ihrer Gruppe wurde durch grüne Punkte markiert, Blackhearts Punkt zierte ein A. Ihr eigener Punkt hatte einen roten Innenkreis. Alle waren durchnummeriert. Diese Gruppe trug die Nummer eins.

Blackhearts Stimme erklang in Snowcats Kopfhörer: „Team eins hat Zielort erreicht. Warten auf Informationen von Team zwei und drei.“

„Hier Team zwei.“, antwortete die Stimme von Lady Bonnie augenblicklich, „Sind ebenfalls in Position. Haben vier Orks vor Zielobjekt gesichtet. Ferner Patrouille aus zwei Menschen plus einen Hund, wahrscheinlich ein Barguest. Aufklärung erbrachte keine erkennbaren Gegner im Objekt. Aktualisieren Karte.“ Sieben rote Punkte mit Markierungen leuchteten über AR auf einer Karte auf. 

Snowcat wusste, das diese Punkte anfangen würden zu blinken, wenn sie sich ihr auf mehr als 20 m näherten. Bei 10 m würde ein Alarmsignal hinzukommen.

„Hier Team drei. Position bezogen. Aktualisieren Beobachtungsergebnisse.“, tönte eine Männerstimme. Snowcat kannte das hierzu gehörende Gesicht nicht besonders gut, aber sie wusste, dass der Name des Lieutenants Craven war. Sie rief sich seine Silhouette in Erinnerung. Er genoss einen ausgezeichneten Ruf. Innerhalb und außerhalb der Gang. Was sie von ihm gesehen hatte, gefiel ihr gut. Manchmal fand sie es schade, dass sie es sich selbst zum Prinzip gemacht hatte, nie was mit Lieutenants anzufangen.

Weitere Objekte erschienen auf der Karte. Vier Menschen, zwei Autos und ein Ork in einem Wachhäuschen. „Team drei bereit, warten auf Start!“ 

„Team eins bereit. Alles clear.“ Blackheart nickte Snowcat zu. Sie antwortete mit einem Lächeln und machte sich auf den Weg: „ Eins Punkt Eins startet jetzt.“, sagte sie und setzte die Uhr in Bewegung.

„Team eins: Copy.“

„Team zwei: Copy.“ 

„Team drei: Copy.“

Alle beobachteten über AR, wie ein kleiner grüner Punkt über die Karte huschte.

Schnell und nahezu lautlos bewegte sich Snowcat am Pier entlang. Bei Lagerhaus 22 kletterte sie behände über den Zaun und schlich geduckt an das Gebäude heran und passierte es in seinem Schatten bis zum Wasser.

Dort angelangt zog sie eine Kletterpistole aus der Halterung und hakte das Seil ein. Dann schoss sie den Haken auf das Dach und kletterte, nachdem sie sich von dessen Halt überzeugt hatte, auf das Lagerhaus. So leise wie möglich überquerte sie das Dach und sprang auf das nahe gelegene Dach gegenüber. Wiederum huschte Snowcat hinüber. Nun hatte sie Lagerhaus 24 vor sich, ihr Ziel.

Der folgende Sprung war schwieriger, als der zuvor. Die Distanz erhöhte sich um zwei Meter, damit kam Snowcat an die Grenze ihrer Möglichkeiten. Doch das war nicht das eigentliche Problem. Der gesamte Komplex von Lagerhaus 24 war hell erleuchtet und somit war die Gefahr groß, von den unten stehenden Wachen entdeckt zu werden. Nun kam gleich Team 3 als Ablenkung ins Spiel.

Zunächst überprüfte Snowcat die Position der Patrouille. Die drei roten Punkte waren orange umkreist. Das hieß, dass es sich hierbei um eine angenommene Position handelte und die Wächter sich nicht in direktem Sichtkontakt zu einem der Teams befanden.

„Hey, Elfenmädchen, wenn deine Informationen richtig sind, dann kommt das Hundeviech bald wieder vorbei und das könnte dann eventuell deinen lieblichen Duft wittern. Du solltest vorher loslegen.“, meldete sich Katze zu Wort.

„Gut, danke Katze!“

„Eins Punkt Eins an Team drei: Go!“

„Team drei: Copy. - Viel Spaß, Süße!“

Craven und sein Team starteten nun die Motoren und ließen sie aufheulen. Sie täuschten einen direkten Angriff auf das Lagerhaus vor und gingen zuerst lautstark auf die Wache im Wachhäuschen los, um dann das Feuer auf die Sicherheitsleute vor dem Lagerhaus zu eröffnen. Ab jetzt musste alles schnell gehen. Die Uhren wurden zurückgesetzt. Ein Countdown startete.

Snowcat wartete, bis die Wachen an der Frontseite der Lagerhalle ihre Aufmerksamkeit dem Geschehen auf der Strasse zuwandten und dort Stellung bezogen. Dann atmete sie tief durch und sprang.

Sicher landete sie auf dem Dach von Nummer 24. Alles in allem hatten sie für die gesamte Aktion noch fünf Minuten Zeit, nachdem der erste Schuss gefallen war. Dann würde erfahrungsgemäß die Verstärkung der „Sicherheit“ auftauchen. Außerdem würde sich ab diesem Zeitpunkt Lone Star einschalten und den ersten Späher schicken. 

Geschwind, aber auf Deckung achtend, bewegte sich Snowcat über das Dach. Genau dort, wo es laut AR Karte sein sollte, befand sich das Gitter des Lüftungsschachts. Snowcat nahm einen Schraubendreher aus ihrer Weste und löste die vier Schrauben. Dafür benötigte sie ungefähr 12 Sekunden. Das Gitter klemmte zwar ein wenig, aber es gelang ihr dennoch es rauszureißen.

Snowcat war wegen ihrer außergewöhnlichen Gelenkigkeit für diesen Teil des Einsatzes ausgewählt worden. Schnell quetschte sie sich durch den schmalen Schacht. Sie nahm den ersten Abzweig nach links und bewegte sich mit Hilfe des GPS genau 6 Meter in die angegebene Richtung. Hier angekommen sollte sie sich nun genau über der Mitte der Lagerhalle befinden.

Nun zog sie eine Sprühdose aus ihrer Weste und sprühte den ätzenden Schaum auf dem Schachtboden vor sich. Den Atem anhaltend, wand sie sich ab und zählte langsam bis vier. Eine warme Welle schwappte kurz über sie hinweg. Danach musste sie nur noch heftig gegen die Stelle treten und ein Stück der Schachtwand fiel zu Boden.

Tatsächlich befand Snowcat sich in der Mitte des Lagerhauses und unter ihr standen vier beladene Trucks und etwa ein Dutzend weitere Container.

„Achtung Team eins und zwei. Bereithalten! Bin drin!“ „Copy!“ Erklang es zweimal. Snowcat atmete aus, das Starten der Motoren wurde mit Sicherheit durch das Knattern der Automatischen Waffen vor dem Gelände übertönt.

Snowcat sprang ins Lagerhaus und lief zum Tor. Craven meldete sich: „Team drei hier. Die Orks haben endlich unseren Köder geschluckt. Das Viech ist tot und seine beiden Herrchen sind in einen Van gesprungen und verfolgen uns ebenfalls. Weiter nach Plan. Team drei: Out!“ 

Die Karte aktualisierte sich umgehend.

Snowcat hatte inzwischen die Steuereinheit des Tors erreicht und begann damit, die Verkleidung abzuschrauben: „Eins Punkt Eins an den Geist. Bin soweit.“

Sie zog einen kleinen Kasten aus der Weste. „Hier Geist“, meldete sich die Stimme von Ghostfinger in Snowcats Comlink,  „bin bei dir. Halt den Kasten etwas höher. Zieh den roten Draht aus der Steuerung und warte!“ Sie folgte seinen Anweisungen. Es vergingen nur wenige Sekunden, fast augenblicklich sagte er: „Okey, erledigt.“

Das Lämpchen an der Konsole sprang auf grün. Snowcat drückte den Open Button und das Tor fuhr klappernd nach oben.

„Team eins und zwei: GO!“ 

Das Licht in der Lagerhalle ging gleichzeitig an. Erst jetzt blickte Snowcat zum Tor und sah, dass es dort zusätzlich ein verkleidetes Gittertor gab, welches mit einer schweren Eisenkette verschlossen war. „Oh, Shit!“

„Eins Punkt Eins hier. An Team eins und zwei: Wartet noch! Hier ist noch nen Tor. Mechanisch durch ne Kette verschlossen, das heißt, ihr könnt nicht rein!“

„Hier A eins, wiederholen bitte! Was ist los?“

„Ihr könnt nicht rein, weil hier noch so ‘n beschissenes Gittertor ist und ich muss jetzt nen Bolzenschneider oder so was finden, um die verdammte Kette durch zu kriegen.“ Sie sah auf die Uhr: 2:33. Die Zeit wurde knapp.

„Hier Geist, Eins Punkt Eins: du hast ungefähr 30 Sekunden, um das Tor aufzukriegen. Sonst musst du auf demselben Weg zurück, oder die Bürotür knacken und die als Ausgang benutzen. Soll heißen, dann brechen wir ab.“

„Hey, A Eins hier. Lass uns übers Büro rein, dann können wir dir helfen.“

„Quatsch, Lieutenant, dazu reicht die Zeit doch auch nicht.“ Snowcat sah sich um. Wie konnte sie nur das Tor öffnen?

„Wartet mal, ich hab ne Idee.“

Sie sprintete zu einem der Trucks. Er war offen. Sie hatte darauf gehofft, dass diese Info stimmte. Sie stieg ein. Im Training hatte sie mehrfach geübt Fahrzeuge zu knacken, doch sie war nicht besonders gut darin.

„Geist, ich bin in nem Truck, zum Starten musst du mich durchquatschen!“

„Geist hier, geht klar. Copy!“

Blackheart meldete sich: „Hey, was hast du vor? Eins Punkt Eins?“

„Augenblick, Lieutenant!“

21 Sekunden später brummte der Motor des Trucks. Snowcat sprach ins Commlink: „So Teams, weg vom Tor, ich komm raus.“

„Niemand steht direkt vorm Tor. Was hast du vor?“, fragte Blackheart erneut.

Snowcat setzte die riesige Karre zurück so weit es ging, legte die Handbremse an und schaltete auf Vollgas. Das brachte die Reifen zum Rauchen. „Warnung!“; meldete sich die freundliche Stimme des Autopiloten, „Mehrere Systeme gefährdet. Folgen sie bitte…“

 Snowcat ignorierte die Stimme und sagte stattdessen: „Was ich vorhab? Na, ich komm raus!“ 

Dann löste sie die Handbremse und brauste mit aller Macht durchs Tor.

 Gleich darauf trat sie voll auf die Bremse und öffnete grinsend die Fahrertür. Zwei Ancients aus ihrem Team stiegen johlend zu. Sechs weitere aus Team zwei stürmten ins Lagerhaus, um die drei anderen Trucks zu knacken.

Unterdessen verließ Snowcat die Kanzel und setzte sich zu Blackheart aufs Motorrad. Er lächelte sie breit an. „Gut gemacht und nicht mal nen Sprung gekriegt.“

„Nö, aber noch sind wir nicht fertig.“ Sie lächelte ebenfalls. Ihre Wangen waren leicht gerötet und sie strahlte vollkommene Zufriedenheit aus.

„Ja, aber jetzt kann ich wieder besser auf dich aufpassen!“, fügte Blackheart hinzu

Als aus dem vierten Truck das „Ready to Go!“ kam, setzte sich der gesamte Trupp in Bewegung. Der Countdown stand bei vier Minuten und 26 Sekunden. Sie waren noch genau im Zeitplan. 

Blackheart und Lady Bonnie fuhren voraus, die restlichen Ancients flankierten auf ihren Bikes die vier Trucks. Sie fuhren auf direktem Weg zur I5. Heimlichkeit spielte keine Rolle mehr. Ein solcher Trupp würde immer auffallen. Sie setzten darauf, dass ihnen weder die Aufpasser, noch der Star über die nächtliche Kampfzone der I5 folgen würden.

Eigentlich sollte der Star eh bald kein Problem mehr darstellen, die Güter in den Containern waren wahrscheinlich so illegal, dass sich der Vorbesitzer hüten würde, Lone Star zu alarmieren. Die Cops würden wegen der Schießerei zwar einen Späher schicken, aber da es keinen Notruf geben würde und der Schusswechsel bereits beendet war, würde damit der Sicherheit dieser Gegend genüge getan sein.

Natürlich mussten die Ancients damit rechnen auf der I5 die Spikes zu treffen. Sie hofften sogar darauf. Aber auch wenn es zu keiner Straßenschlacht kommen sollte, war es ihnen eine besondere Freude ihre Beute direkt durch das Gelände zu fahren, dass die Spikes fälschlicher Weise für sich beanspruchten. Die Ancients proklamierten stets die ganze Stadt zu ihrem Gebiet. Natürlich konnte niemand überall sein und so duldete man andere Gangs großzügig. Die Spikes gehörten als alte Erzfeinde nun mal aber nicht zu den „Geduldeten“.

An der Auffahrt zur Interstate Five warteten Team vier und fünf, die zur Kampfkraftverstärkung bei eventuellem Feindkontakt dienen sollten. 

Lady Bonnie funkte die bereits Wartenden an, dann rief sie Craven und sein Team: „Team drei, hier A2, wir stehen am Treffpunkt Alpha und haben das Zeug. Und wie ist euer Status?“

„Haben die Jungs locker abgehängt. ETA 3 Minuten.“

„Copy. Wir warten auf euch.“

Noch bevor die drei Minuten vollständig abgelaufen waren, brausten 48 Ancients auf 40 Motorrädern und in vier mit Container beladenen Trucks über die I5. Zu ihrem Leidwesen ließen sich in dieser Nacht keine Spikes blicken. Die Truppe überlegte kurz, bis nach Fort Lewis auf der Fünf zu bleiben, doch lachend wurde diese Idee verworfen. Für eine solche Heldentat würde an einem anderen Tag Zeit sein. Heute hatten sie einen Job zu beenden. 

In Tarislar gesellten sich Green Lucifer und Ghostfinger zu ihnen, die von vier weiteren Ancients begleitet wurden. Zusammen fuhren sie zu einem Gelände am Rande der Stadt. Dort übergab der First Lieutenant die Trucks an einen Kontakt. Keiner von ihnen interessierte sich dafür was in den Trucks war oder für den Vor- und Nachbesitzer der Container.

Eine Stunde nach der Übergabe erreichten sie das Hauptquartier. 

„Hey Katze, Partytime!“

„Ja Elfenmädchen. Wo war gleich noch mal die Sahne?  -  Na gut, Milch tut’s auch!“

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*