Tales of Snowcat 33: Neighbourhood Watch (Run 80)

TALES OF SNOWCAT (33)

PERIOD4: Magician

ERA4: Modern Baroque

AGENDA8: Hooding

TIMESTAMP1: 04/ 08 & 09/2077

RUN NO: 80

ON THE RUN: Dawante, Medaron, Phoenix, Snowcat;

APPEARANCE2: Liam

SPECIAL APPEARANCE2;5: Sato 

SPOILER ALERT: Diese Episode enthält keinerlei relevante Spoiler. Gemeinsamkeiten mit Kaufprodukten sind reiner Zufall. Eventuell wurde die Inspiration aus einem gekauften Produkt gezogen.

WARNING: Dieser Text ist für Leser unter 17 Jahren nicht geeignet. Sexualität, Gewalt, Magie, Tod, Kraftausdrücke, Folter, Rassismus, Alkohol- und Drogenkonsum können vorkommen. 

DAS GESCHAH ZULETZT: 

Anfang Februar erhält Blackstone eine Einladung zu einem Meeting für einen Run über seinen Liebessekretär 3.0. Das Team erhält fünf Einladungen für den Club ‚Raucherzimmer‘ in Manhattan. Obwohl man nur 5 Einladungen hat, fliegt Snowcat mit sieben Runnern nach New York. Im Raucherzimmer treffen fünf der Runner auf die Großinquisitorin Basima Oriol Diasruiz, die für S-K CFD-Headcases aufspürt. Sie beauftragt die Runner damit, Haley Talbot zu überprüfen. Das Team beginnt mit der Überwachung und stellt fest, dass Haley tatsächlich mit CFD infiziert ist. Auch die vermutliche Infektionsquelle können sie ausmachen: Jerome Evans. Als sie Grand Inquisitor Diasruiz informieren, erhält das Team neue Runparameter. Talbot soll gefangen und Evans überprüft werden. 

Die Runner bringen noch in der selben Nacht einen Stealth-TAG bei Evans an, dann verführen sie Talbot dazu, freiwillig mit ihnen zu kommen. Ihr Auftrag wird erweitert, sie sollen nun auch Evans extrahieren. Ein Auftrag, den sie innerhalb von zwei weiteren Tagen erledigen. Evans wurde von einem sogenannten Crackhaus infiziert, der offenbar ein Blackops-Team übernommen oder ausgeschaltet hat. Die Großinquisitorin erweitert den Auftrag abermals. Nun sollen die Runner den Crackhaus aufspüren und festsetzen. 

Man überprüft das Safehouse und Tarngeschäft eines S-K-Blackops-Teams in Battery Park, das sich seit einiger Zeit nicht mehr gemeldet hat. Als Snowcat, Blackstone und Phoenix sich in dem Geschäft umsehen, werden sie unweigerlich erkannt. Mr. Lecroix und sein Bodyguard Hagen sperren die drei Runner im Geschäft ein und versuchen dann, zu entkommen. Trotz diverser Hindernisse, die den Runnern von UC in den Weg gestellt werden, gelingt es letztendlich, Lecroix zu fangen. Wie vermutet handelt es sich bei ihm um den gesuchten Crackhaus. 

Anmerkungen:

1. Der Zeitstempel wird an unsere Zeitlinie angepasst und ist maximal an die offizielle Timeline angelehnt.

2. Die Episode wurde am 19.04.19 erspielt. Neben mir und dem GM waren der Spieler von Medaron und die Spielerin von Phoenix anwesend. Da wir eine große Gruppe von 8 Spielern sind, nimmt jeder Spieler meist nur einen Charakter mit auf den Run. (Unter Umständen kann ein weiterer Charakter für den Run notwendig sein.) So sollen zu viele gleichzeitige Handlungsstränge vermieden werden. Nur in der ausgespielten Downtime kann ein Spieler alle seine aktiven Charaktere ausspielen. Wegen den Widrigkeiten und Schönheiten des RL können nur selten alle Spieler am Spielabend teilnehmen. Deshalb können Charaktere in einer Episoden ohne weitere Erklärung auftauchen, verschwinden oder nicht weiter erwähnt werden. Darüber, welche Charaktere mit auf einen Run gehen, entscheiden die Spieler nach eigenem Gefallen. Das muss nicht immer die logischste Entscheidung sein, und entspricht in keinem Fall nur Snowcats Willen, auch wenn es in der Geschichte anders zu lesen ist. Manchmal ist ein Charakter mit auf einem Run, obwohl sein Spieler abwesend ist. In diesen Fällen wird der Charakter zwar mitgeführt, sein Handeln gerät, wenn möglich, aber in den Hintergrund. Das Spotlight soll auf Charakteren liegen, deren Spieler anwesend sind. Gegebenenfalls hinterlassen Spieler beim GM Regieanweisungen. 

Eine Beschreibung aller Charaktere findest du hier [LINK].

3. Die verlinkten Songs sollen lediglich zu Stimmung beitragen und enthalten keine versteckten Hinweise. Jedenfalls meistens nicht :). Übrigens kaufen wir jeden in den Episoden verwendeten Song, sollte er sich nicht schon vorher in unserem Besitz befunden haben. Nicht nur, damit wir die Songs jeder Zeit auf all unseren Geräten abspielen können, sondern auch, weil wir damit den jeweiligen Künstler unterstützen möchten. Eine Liste mit dem kompletten Soundtrack findest du hier [LINK]. Eine YouTube Playlist zur aktuellen Season findest du hier [LINK].

4. In den ‚Tales of Snowcat’ erzählt Snowcat einem imaginären, nicht näher definierten Zuhörer die Ereignisse aus ihrer ganz persönlichen Sicht. Seit dem Weggang von Katze führt Snowcat auch Tagebuch. Was ihr zunehmend wichtiger wird, da ihr die Dialoge mit Katze fehlen. Man kann ToS demnach auch als Tagebuchauszug betrachten. ‚Period‘ beschreibt dabei den Lebensabschnitt auf dem sich Snowcat befindet. ‚Era' beschreibt das Thema, unter das Snowcat in dieser Zeit den Inhalt ihres Kleiderschranks gestellt hat. ‚Broadcast‘ fasst zusammen, was von dem per Drohne gedrehten Material dem Trideo-Zuschauer der Serie Snowcat and the Howling Shadows zur Verfügung gestellt wird und wann es gestreamt wird.

5. Einige der Namen, die in der Geschichte auftauchen, sind auch in der offiziellen Shadowrun-Welt ein Begriff. Ähnlichkeiten sind beabsichtig. Allerdings kann das hier dargestellte Bild auch deutlich von dem Bild im SR-Kanon abweichen, da es unserer Spielwelt angepasst wurde.

6. Teilweise stehen Dialoge in diesen » « Textzeichen. Die gesprochenen Worte werden dann vornehmlich via Teamnetzwerk oder Commlink verbreitet und sind für Wesen, die keine Mitglieder im Teamnetzwerk sind, nicht oder nur schwer zu hören. Ferner stehen in <> schriftliche Nachrichten und in ‹ › stehen Dialoge via Geistesverbindung, wie zum Beispiel die mit einem Geist unter Kontrolle, Gespräche via Mindnet oder Dragonspeech. Wird zusätzlich eine andere Schriftart verwendet, handelt es sich um unausgesprochene Gedanken oder extra-persönliche Anmerkungen von Snowcat.

7. Snowcat sieht die Geister, die einen Element zugeordnet sind als klassische Elementarwesen:  Luftgeister sind Sylphen, Erdgeister Gnome (früher Brownies), Feuergeister Salamander und Wassergeister sind Undinen. Jeder Geist, den sie beschwört, hat für sie zudem einen eigenen Namen. Guidance Spirits sieht Snowcat als weise Paten, die sie mit Godfather und Godmother betitelt. Guardian Spirits sind für sie Warden, also Krieger verschiedenen metamenschlichen Rassen. Die Warden tragen als Hommage an meine Lieblingsbuchsreihe den ‚Dresden Files‘ von Jim Butcher, die Namen von den Warden des White Council. Spirits of Man sind für sie Leprechauns (Kobolde) und Task Spirits sind Brownies. Beast Spirits bekommen den Titel Master und Plant Spirits den Titel Mother (z.B. Master Wolf oder Mother Oak). 

8. Schlagwort(e), Überschrift(en) unter denen die Episode steht.

• Weitere Begriffserklärungen findest Du dort: [LINK]. 

POSTED BY SNOWCAT

[Song 1: Solas - Tell God and the Devil3] Manche Runs bringen einem Shadowrunner kaum einen finanziellen Gewinn. Trotzdem ist es gut, sie zu machen, denn einige Runs sind gut für Karma und Reputation. Auch wenn es manchmal nicht so scheinen mag, es zahlt sich aus, wenn man auf eigene Kosten für die arbeitet, die sich das nicht leisten können. Man nimmt den Reichen etwas weg, um es den Armen zu geben, oder sorgt für Gerechtigkeit, wenn jemand das alleine nicht kann. Auch wenn man um Hilfe gebeten wird, sollte man das nicht ablehnen. Wie unbedeutend jemand im einzelnen erscheinen mag: Man weiß nie, ob man dessen Hilfe nicht auch einmal brauchen könnte. Wer glaubt, der Obdachlose an der Ecke könne nie was für einen tun, hat keine Ahnung, dass Obdachlose ihre Augen und Ohren überall haben und so wertvolle Informanten sein können. Wer dem Verkäufer am Soynudelstand die kalte Schulter zeigt, hatte noch nie in seinem Leben richtigen Hunger und weiß nicht, dass eine kostenlose Portion Nudeln einen vor dem Hungertod retten kann. Denen zu helfen, die das nicht selber können, und die Welt so ein bisschen gerechter zu machen, lohnt sich! 

Karma vergisst nicht. 

Solche Tätigkeiten nennt man 'Hooding', frei nach - ihr ahnt es sicher - Robin Hood. 

Da ich selbst auf der Straße groß geworden bin, weiß ich nur allzu gut, wie wichtig Hooding ist.

❄️

Ich saß am 08. April 2077, einem schönem Donnerstagvormittag, mit Phoenix auf dem Dach des O’Niall-Centers, wie ich das ehemalige Einkaufszentrum inzwischen getauft hatte. Der Großteil des Objekts gehörte zwar mir, aber Snowcat-Center war weder passend noch war es ein schön klingender Name. 

Im Moment regnete es gerade nicht, und ich hatte der Deckerin den Zutritt zum Dachgarten gewährt. Wir tranken Kaffee und aßen saftige Schokoladen-Dattel-Brownies aus dem Haunted Mug und Zimtschnecken, die Hausgeist Henry frisch gebacken hatte.

Softpaw sprang auf meinen Schoß und kuschelte sich zurecht. Seit wir hier lebten, hatte sie mich nicht ein einziges Mal um Futter angebettelt. Nicht mal, wenn es wie heute Zimtschnecken gab. Ich ging fest davon aus, dass sie hier von Gästen des Haunted Mug ausreichend mit allem gefüttert wurde, was sie begehrte. Softpaw fand es großartig hier, und dass sie nicht fett wurde, lag einzig und allein daran, dass sie sich die Zeit damit vertrieb, die Mäuse und Ratten zu jagen, die es in der Umgebung haufenweise gab und die sie uns regelmäßig vor den Durchgang zu den Mülltonnen legte. 

Vielleicht sollte ich die Kadaver sammeln und an Hamaka übergeben, statt sie in unserem Multiofen in saubere Energie umzuwandeln, schoss es mir in den Sinn.  

Die frische Aprilsonne kitzelte auf meiner Haut. Der Wind trug die frische Luft aus den Cascade Mountains bis nach Seattle, wie meine feine Nase feststellte. Für einen Moment drifteten meine Gedanken zu den vergangenen Tagen hinüber, die ich mit meinem Liebsten in meiner neuen Blockhütte in den Cascades verbracht hatte. Er fehlte mir ein bisschen, so wie immer. Zweifelsohne war es meine Schuld, dass wir nur wenige Wochen dort gewesen waren. Es gab eben noch einiges zu tun, was die Eröffnung des ersten physischen ‚Centers of Beauty and Art‘ anging, die inzwischen für Mai diesen Jahres geplant war. Manchmal ertappte ich mich dabei, wie ich davon träumte, mit meinem Liebsten gemeinsam auf Abenteurer zu gehen, mit ihm Geheimnisse zu lüften und Gefahren zu überwinden. Jedes Mal, wenn er eine seiner fantastischen Geschichten erzählte, die alle in der Vergangenheit spielten, malte ich mir aus, dabei gewesen zu sein. Die Vergangenheit war vergangen, da ließ sich nichts mehr machen, aber die Zukunft hielt noch einiges für uns bereit. Und wer weiß, vielleicht stießen wir ja mal auf einen garstigen Magier der Black Lodge, auf einen besonders mächtigen Schattengeist oder einen Hive von Insektengeistern, denen wir gemeinsam den Garaus machen konnten? Das wäre doch ein Abenteuer, selbst wenn ich dann kein bodenlanges Kleid und kein maßgeschneidertes Korsett tragen würde - obwohl, wenn ich wollte, konnte ich das sogar. 

Bis die Zukunft mir solcherlei Abenteuer bescherte, begnügte ich mich einfach mit unseren wundervollen Reisen und intimer Zweisamkeit. 

Um dem Abenteuerdrang in mir gerecht zu werden, hatte ich ja mein Leben als Shadowrunner. 

❄️

Gerade eben war es übrigens auch ganz nett, in meinem eigenen Dachgarten mit der feurigen Phoenix zu sitzen und darüber zu plaudern, wie es mit ihr und Fang so lief. 

Während ich hier also plaudernd saß, bemerkte ich zwei Trolle, einen Mann und eine Frau, die schon zum zweiten Mal die Straße vor dem Center entlangliefen. Wenn mich nicht alles täuschte, dann suchten die beiden großen Gestalten etwas. Sie hatten, man höre und staune, einen Zettel in der Hand. Keinen virtuellen Zettel, sondern etwas, was aussah wie ein Stück Pappe oder Papier. 

Phoenix hatte die beiden auch bemerkt. Wir sahen uns an, nickten uns zu und dann gingen wir gemeinsam hinunter.

❄️

Die beiden Trolle waren zweifelsohne schon seit Jahren ein Paar. Das spiegelte sich in jedem ihrer Blicke wieder, die sie einander zuwarfen. Der Anzug des Mannes saß gut und war sauber, hatte aber sicher so einiges an Jahren hinter sich gebracht. Die Trollin trug ein Kleid, welches ihr ausgesprochen gut stand. Die Farben waren verblasst, was ihr etwas Nostalgisches verlieh. Es sah ganz so aus, als hätten die beiden sich in ihre ‚Sonntagskleidung‘ geworfen, sprich, in das Beste, was ihr Kleiderschank hergab und das sie nur zu besonderen Anlässen trugen. 

Irgendwie fand ich das rührend.

Ich sprach die beiden an und fragte, ob ich ihnen helfen könne.  

❄️

Es stellte sich heraus, dass Samantha und Dean Remington uns, oder besser gesagt UC, suchten. Sie hatten die Adresse des Centers als eine erhalten, an der man ein Büro von Universal Consultants finden können sollten. Wer auch immer diese Adresse an die beiden gegeben hatte, er konnte ein paar Daten zusammensetzten oder hatte zumindest Zugriff auf das Firmenregister, in dem wir Foggys Büro als Mitarbeiter von UC registriert hatten. 

Ein richtiges Büro von UC gab es hier zwar nicht, aber es gab das Haunted Mug, und in das bat ich die beiden.

❄️

Als wir das Haunted Mug betraten, fanden wir Dawante an der Bar vor, wo er gerade mit Mac angeregt plauderte, was im Fall von Mac bedeutete, dass dieser nickte und zuhörte. Interessiert zuhörte, wie ich ein wenig überrascht feststellte.

Ich nickte Dawante zu und deutete mit dem Kopf am Familientisch vorbei in Richtung Hinterzimmer. 

Dawante verstand sofort, schnappte sich zwei der Stühle für Trolle, als wögen sie kaum etwas und trug sie nach hinten. Das azurblaue Shirt zog sich straff über die Muskeln des Elfs und brachte sie vortrefflich zur Geltung, und sein Hintern in der schwarzen Lederhose sah zum Anbeißen aus. Vielleicht sollte ich irgendwann eine lebensgroße Skulptur von Dawante anfertigen. Dawantes Körper in Stein gemeißelt würde sich doch gut als Figur in meinem Dachgarten machen. 

Die beiden Trolle waren bescheiden und schüchtern und bewegten sich mit der Vorsicht von großen Wesen, für die die Welt zu klein und oft zu zerbrechlich war. 

Das Haunted Mug, mit seiner ganzen Reihe von metaangepassten gepolsterten Stühlen und den Toiletten in je drei Metavarianten, war für die beiden eine positive Überraschung. 

Als wir hinten ankamen, hatte Dawante bereits zwei Sessel für Norms gegen die für Trolle ausgetuscht. 

Wir setzten uns. 

„Kann ich Ihnen etwas anbieten? Einen Kaffee oder irgendetwas anderes?“, fragte ich die Remingtons.

Die beiden zögerten und warfen sich gegenseitig einen fragenden Blick zu. Ich konnte sehen, wie Samantha mit sich rang. Sie wollte nicht ablehnen, hatte aber Sorge, dass der Kaffee hier ihr Budget übersteigen könnte. Vorsichtig sagte sie: „Bitte je eine Tasse Soycaf, schwarz. Danke!“

Ich lächelte. „Keine Sorge, Getränke sind in der für Sie kostenfreien Erstbesprechung inbegriffen“, erklärte ich.

Ich gab bei Dawante einen Karamell-Latte in Auftrag, Phoenix machte beim schwarzen Kaffee mit.

„Womit kann UC Ihnen helfen?“, kam ich ohne Smalltalk zum Punkt.

„Ich bin mir nicht sicher, ob Sie uns überhaupt helfen können“, eröffnete Samantha. Sie holte einen DIN-A4-Ordner hervor, der in ihrer Hand wie ein kleines Notizbuch wirkte. Sie legte den Ordner vor sich auf dem Tisch ab und faltete verlegen die Hände darüber. „Man hat uns Ihre Adresse gegeben und auf der Notiz stand nur, dass wir es hier versuchen sollen.“

Dawante kam mit einem Tablett voll mit Kaffeetassen und eine Kuchenplatte zurück. Die Augen der Remigstons weiteten sich, als er die riesigen, trollgerechten Kaffeepötte vor ihnen abstellte. 

Ich lächelte sie warmherzig an. „Keine Sorge, wie ich bereits sagte, geht das aufs Haus.“

Dawante setzte sich, nachdem er Tassen und Teller verteilt hatte.

„Erzählen Sie bitte einfach, worum es geht“, bat ich.

[Song 2: Depeche Mode - Wrong3] Dean Remington hatte sich die ganze Zeit zurückgehalten. Nun schlug er mit der Faust auf den Tisch. „Es geht um Gerechtigkeit!“ Das Geschirr erzitterte und klirrte leise.

Samantha legte ihrem Mann beschwichtigend die Hand auf den Arm. Dann trank sie, immer noch ein wenig verlegen, einen Schluck von dem Kaffee. 

Ich deutete auf die Kuchenplatte und meinte: „Bitte, nehmen Sie sich auch etwas Kuchen. Die Brownies kann ich besonders empfehlen.“

Um als Vorbild zu fungieren und mit der Selbstverständlichkeit eines Menschen, dem es in seiner Kindheit niemals an Essen gemangelt hatte, nahm Phoenix sich zwei Stück Kuchen von der Platte auf ihren Teller.

Doch die Remingtons wagten es nicht, sich ebenfalls etwas zu nehmen. Eventuell schlug ihnen auch ihr Problem auf den Magen, darum drängte ich sie nicht weiter. „Erzählen Sie einfach, was passiert ist. Gerechtigkeit liegt uns ebenfalls am Herzen.“ 

Samantha räusperte sich, dann erzählte sie: „Vor drei Tagen wurde unser Sohn Morgan, er ist jetzt zwölf, brutal von einer Gruppe menschlicher Kinder angegriffen!“

Phoenix riss entsetzt die Augen auf und meinte impulsiv: „Oh nein, wie furchtbar. Warum machen die denn so was?“

Wieder einmal fiel mir auf, wie behütet Phoenix doch aufgewachsen sein musste. Natürlich war der jungen Frau klar, dass es Rassismus gab, darum war ihre Frage auch mehr rhetorisch gewesen. Doch die Heftigkeit ihrer Reaktion machte klar, dass sie solche Dinge in ihrem Leben bisher nicht oft zu sehen bekommen hatte. Dort, wo sie gelebt hatte, zeigte sich der Rassismus wahrscheinlich viel subtiler als in einem direkten Angriff. Außerdem muss man Bekannte haben, die Orks oder Trolle sind, um so etwas überhaupt miterleben zu können.

Samantha lächelte kurz in Richtung von Phoenix, dann fuhr sie fort: „Das kommt öfter vor. Sie beschimpfen ihn und schlagen oder treten ihn. Manchmal sind es nur vier Jugendliche, manchmal acht. Diesmal waren sie zu sechst. Normalerweise hälst du das als Troll einfach aus und gehst weiter. Morgan würde sich nie wehren, weil er viel größer ist. Da würde er die anderen nur verletzen.“

Was überaus löblich von ihm war. Tatsächlich würde das alles sowieso nur schlimmer machen und er würde am Ende noch ins Gefängnis kommen, weil er sich verteidigt hatte. 

„Auch zur Polizei zu gehen, lohnt nicht, da niemand sich um einen Troll kümmert“, erklärte Samantha weiter. „Bei der Polizei sind ja auch überwiegend Menschen.“ 

Phoenix hatte inzwischen die Kuchengabel verbogen und beiseite getan, nun legte sie die Hände in den Schoß, damit man ihre Anspannung nicht sehen konnte. 

Mr. Remington brauste auf: „Diesmal sind sie zu weit gegangen!“

Samantha nickte und schluckte schwer. Ihre Stimme klang brüchig, als sie erzählte: „Sie haben ihn mit einem Betäubungspfeil außer Gefecht gesetzt. Und dann …“ Mrs. Remington kämpfte mit den Tränen, „… haben sie ihm seine Hörnern abgeschnitten.“ 

Phoenix hatte so heftig auf ihrer Unterlippe gekaut, dass diese nun blutete. 

Auch mir lief es kalt den Rücken hinab. Ich sah die beiden Trolle mitfühlend an. „Das war sehr grausam. Es tut mir leid.“

Samantha nickte. „Er … er ist nun verstümmelt. Fürs sein ganzes Leben. Wir … wir waren bei Knight Errant und haben Anzeige erstattet, aber man hat uns mitgeteilt, dass man da wohl kaum etwas tun könne. Als wir dann gegangen sind, da lag dieser Ordner“, … sie schob den Ordner unter ihren Händen zu mir rüber, „ … auf dem Beifahrersitz unseres Autos. Außerdem war da diese Notiz mit dieser Adresse hier und der Anmerkung, dass wir vielleicht hier Hilfe finden könnten.“

Ich klappte den Ordner auf. Offenbar handelte es sich um eine Akte, die Knight Errant angelegt hatte. Tatsächlich galt der Fall schon als abgeschlossen, aber irgendwer hatte zumindest versucht, etwas herauszubekommen. Ein Name war markiert: Joseph Kriszinski, 19 Jahre alt, mitsamt einer Adresse in Renton. Ich gab die geöffnete Akte an Phoenix weiter. 

Sie verstand, was ich wollte und tauchte in die Matrix ab, froh, etwas tun zu können.

„Leben Sie ebenfalls in Renton?“, fragte ich die Remingtons. 

„Nein, in Auburn. Wir haben dort ein kleines Bed and Breakfast Hotel, das Remington Inn“, antwortete Samantha.

„Sie haben vorhin von Kindern gesprochen. Wie alt waren denn die angreifenden Jungen Ihrer Einschätzung nach?“, wollte ich noch wissen.

Samantha überlegte einen Moment. „Ich schätze, sie waren zwischen 17 und 20 Jahren alt.“

Also doch Teenager. Kinder waren das in meinen Augen keine mehr, aber ich war auch kein Troll. 

„Gut“, begann ich, „wir werden herausfinden wer das getan hat und uns dann darum kümmern.“

Mrs. Remington räusperte sich. „Verstehen Sie uns bitte nicht falsch, wir möchten nicht, dass Sie denen was tun. Wir möchten Gerechtigkeit und dass sie angeklagt werden.“

Eine Gruppe von Menschen sollte angeklagt werden, weil sie einem Troll die Hörner abgesägt hatten? Sicher, ich besaß die richtigen Kontakte, die das vielleicht in die Weg leiten konnten. Aber mit Gerechtigkeit würde das nichts zu tun haben. Vielleicht würden die jungen Männer tatsächlich angeklagt und sogar verurteilt, aber die Strafe für eine solche Körperverletzung würde nicht einmal ansatzweise aufwiegen, was der Verlust seiner Hörner für den jungen Troll bedeutete. Sozialarbeit, denn mehr würde es kaum werden, konnte die Schmach nie aufwiegen. Gerechtigkeit konnte ich den Remingtons wahrscheinlich nicht bieten. Aber ich konnte dafür Sorge tragen, dass die Täter so etwas nie wieder versuchten, dass sie sich entschuldigten. Und ich konnte dafür sorgen, dass Morgan wieder Hörner bekam. Es würde nicht dasselbe sein wie nie seiner Hörner verloren zu haben, aber wir konnten etwas daraus machen. 

„Ich verstehe! Lassen Sie uns erstmal die Täter finden. Danach kennen wir unsere Optionen und sehen weiter“, erklärte ich nun und war mir sicher, die beiden später von jeder Lösung überzeugen zu können, die mir in den Sinn kam.

Was die Hörner anging, brauchte ich den Rat eines Profis. Ich wusste nicht, ob man welche nachwachsen lassen konnte, ob es möglich war, sie irgendwie wieder anzubringen oder was Cyberhörner kosten würden. Obwohl Geld sicher das geringste Problem sein würde. 

Geld. Als wenn Mr. Remington meinen Gedanken gehört hätte, meinte er: „Was wird das denn ungefähr kosten? Wir haben etwas gespart, können Ihnen aber nur…“

Ich hob die Hand, um seinen Worten Einhalt zu gebieten. Er verstummte sofort. Ich lächelte und erklärte: „Sie haben ein Inn, haben Sie gesagt?“

Dean Remington nickte. 

„Anstelle von Geld würde ich es bevorzugen, wenn ich Ihnen stattdessen zukünftig jemanden schicken kann, der eine vertrauenswürdige Unterkunft braucht - und einen Betreiber, der keine Fragen stellt. Damit meine ich nicht, dass derjenige dann nicht bezahlt. Nur, dass er vorbeikommt, mich als Referenz nennt und Sie ihm dann mit einer Unterkunft weiterhelfen.“

Es dauerte einen Moment, bis die beiden antworteten. 

Gut, sie dachten also darüber nach, was ich gesagt hatte. Das begrüßte ich. Dumme Metamenschen oder welche, die aus Prinzip ja sagen, helfen einem in einer Notsituation nicht wirklich weiter. 

Das Trollpaar sah sich kurz an, dann meinte Samantha: „Selbstverständlich. Einverstanden.“

Ich sandte eine Nachricht an Liam und fragte ihn, ob er mal eben Zeit hätte, eine medizinische Frage zu beantworten. 

>Klar, bin gleich hinten<, lautete die Antwort. >Medaron sitzt übrigens an der Bar.<

>Prima, dann bring ihn gleich mal mit<, erwiderte ich. Immerhin brauchte Medaron noch eine Möglichkeit, sich endgültig zu beweisen, obwohl er seine Sache in Manhattan schon ganz gut gemacht hatte.

„Wir werden damit anfangen, dass wir uns den Tatort ansehen“, erzählte ich. „Ist es vielleicht auch möglich, mit Ihrem Sohn zu sprechen?“

Mrs. Remington zögerte. „Ja, sicher, nur - er kann sich nicht an viel erinnern. Er war ja bewusstlos. Und er verlässt eigentlich auch nicht mehr sein Zimmer.“

Ich nickte. „Das verstehe ich. Manchmal weiß man aber doch noch etwas. Vielleicht fragen Sie ihn einfach, ob er bereit ist, mit mir zu sprechen. Und vielleicht gibt es da etwas, was wir bezüglich der Hörner tun können.“

Wie aufs Stichwort betrat Liam das Hinterzimmer, Medaron im Schlepptau. Da Phoenix gerade aus der Matrix aufgetaucht war, konnte sie unseren Rigger über alles ins Bild setzen.

Ich erhob mich, um zu Liam zu gehen, deutete aber noch auf den Kuchenteller. „Bitte, bedienen Sie sich.“ 

Sie zögerten noch.

„Bitte, Sie müssen unbedingt etwas davon probieren!“, versuchte ich es erneut. „Ich bekomme sonst Ärger mit dem Bäcker. Er hat keinerlei Verständnis dafür, wenn seine Werke nicht probiert werden. Es sei denn natürlich Sie haben irgendwelche Allergien?“

Samantha und Dean schüttelten den Kopf. „Nein, haben wir nicht“, dann nahmen sie sich etwas.

Während ich die paar Schritte zu Liam rüber ging, begann Dawante, mit den beiden Trollen zu quatschen.

Ich grinste Liam an. Ich konnte einfach nicht anders. Was war er doch für ein attraktiver Mann, besonders, seit er wieder aussah wie Anfang 20. Das Beste daran war: Er sah nicht nur so aus, er war auch wieder jung. 

Ein dreifaches Hoch auf Léonisation!

❄️

„Sie haben ihm die Hörner abgeschnitten!“, schloss ich meine Ausführungen flüsternd - und hätte mich jetzt eigentlich auch wieder hinsetzen und nichts mehr tun können. 

Liams Blick sprach Bände. Er würde die Verantwortlichen finden. Irgendwann würden sie dann einen schrecklichen Unfall erleiden. Jeder von ihnen. Die eine oder andere Explosion würde dabei auch eine Rolle spielen. 

Doch die Remingtons hatten gesagt, den Männern sollte nichts passieren. Also sah ich Liam ernst an und setzte ihn über die Wünsche der Auftraggeber in Kenntnis, obwohl es mir selber anders lieber gewesen wäre. „Ich möchte dafür sorgen, dass der Junge wieder Hörner hat, und würde gerne wissen, was dazu nötig ist.“

„Zunächst mal brauchen wir die Hörner zurück!“, meinte Liam.

Ich nickte. „Wir besorgen sie, wenn das noch möglich ist.“

Liam bleckte kurz die Zähne. „Ich erkundige mich und spreche mit Tiernan. Mit Orichalkum oder so wird irgendwas gehen.“

Ich lächelte Liam an. „Hör dich um und besorg, was du brauchst. Ich übernehme die Rechnung.“

„Geht klar!“, bestätigte er.

„Liam!“, meinte ich ernst. „Sie möchten es so haben. Also unternimm bitte nichts gegen die Täter!“

Liam verdrehte die Augen. „Was denn, Prinzessin? Ich hab nichts gegen die Ancients unternommen und mich auch sonst immer dran gehalten, was du sagst. Und wenn denen irgendwann mal ein Unfall passiert, dann kann ich da auch nichts dafür!“

Ich grinste und küsste Liam zart auf die Wange. 

Liam verschwand nach draußen. Ein wenig überrascht stellte ich fest, dass Medaron und Phoenix Liam zwar gegrüßt hatten, aber sein junges Aussehen sie offenbar kein bisschen verwundert hatte. 

Nun, vielleicht hatten sie es ja nicht bemerkt.

❄️

Phoenix hatte aus den sozialen Netzwerken von Krisinski eine Liste mit gut 20 Namen zusammengestellt, mit denen er sich im engeren Kontakt befand. Sie waren in der letzten Zeit öfter im Murdered Mime gewesen, einem Club mit einer großzügigen Auswahl an Bier, einer Bühne für Live-Musik und zwei Dance-Floors. 

Was Phoenix nicht sagte, war, dass das Murdered Mime ein von der Yakuza geführter Club war. Allerdings würde diese Information wohl kaum in ihrem öffentlichen Matrixauftritt zu finden sein.  

Seit drei Wochen hing Kriszinski zudem des öfteren mit ein paar Freunden im ‚Covington Rent and Rest Hotel‘ in Auburn rum. Hier beschränkte sich die Zusammensetzung der Gruppe auf fünf bis sieben junge Männer. Ich vermutete, dass dies auch die Gruppe war, mit der wir uns bald näher beschäftigen würden.

❄️

Den Bauch voll mit Kaffee und Kuchen folgten Medaron, Phoenix, Dawante und ich auf unseren Motorrädern dem alten Ford Americar der Familie Remington zu ihrem Inn, wo sie selbst in einer separat zugänglichen Wohnung lebten. 

Morgan war bereit, mit mir zu sprechen. 

Mit einer Mischung aus Neugier, Scham und Hoffnung beäugte er mich und begann schüchtern zu erzählen, was ihm geschehen war. Nicht mehr lange, dann würde der Troll erwachsen und ausgewachsen sein. Eigentlich sollte er vor Energie und Selbstbewusstsein nur so strotzen, doch wenn er das je getan hatte, hatten sie ihm das mit seinen Hörnern abgesägt. Die Beschreibung, die er mir geben konnte, war kaum hilfreich. Da ich keinen Zauber beherrschte, der in seinem Unterbewusstsein nach Bildern suchen konnte, mussten wir auf Kamerabilder und die Fähigkeiten von Phoenix setzen - was sowieso die angemessenere Methode war. Die wenigsten Metamenschen standen darauf, sich in ihrem Kopf rumpfuschen zu lassen. Jeder hat etwas zu verbergen und meist eine Menge Dinge, die er nur für sich behalten möchte - und wahrscheinlich auch sollte. 

Ich persönlich sehe die Fähigkeit, permanent die Gedanken anderer Lebewesen lesen zu können, als einen der schlimmsten Flüche überhaupt an. Was nicht heißt, dass ich den Zauber, mit dem man in den Gedanken suchen kann, nicht trotzdem lernen würde.

Morgan war, wie viele junge Männer in seinem Alter, Fan diverser Sportteams, wie ich den Postern an seinen Wänden entnehmen konnte. Poster von ‚Ivan, dem Schrecklichen’, dem Troll-Goalie der Tacoma Timberwolves, waren dabei besonders präsent. Bloody Guts verehrte den Mann ebenfalls. Mir kam die Idee, meinen aktuellen SatHS-Ruhm zu nutzen und Karten für eines der nächsten Spiele zu besorgen. Wenn ich das Ganze noch mit einem ‚Meet and Greet‘ mit Ivan verbinden konnte, dann wäre das sowohl für Bloody Guts als auch für Morgan ein Event, welches sie nicht so schnell vergessen würden. Ich hatte zwar keine direkten Kontakte zu den Timberwolves, aber Moxi war außerordentlich talentiert und zudem unerbittlich, wenn es darum ging, auf meinen Wunsch hin etwas zu arrangieren.

Die Idee behielt ich selbstverständlich erstmal für mich. Darum auch nur die geistige Notiz. 

Ich improvisierte aufbauende Worte und versprach Morgan im Anschluss, dass er bald wieder Hörner tragen würde. 

Der junge Troll glaubte mir - wie sollte er auch nicht? Er stand auf um zum ersten Mal seit Tagen sein Zimmer zu verlassen.  

❄️

[Song 3: Eva Simons - Policemen3] Als nächstes stand dann wirklich die Besichtigung des Tatorts an. Das alles war jetzt zwar schon drei Tage her, aber irgendwas konnte sich immer finden lassen, selbst wenn es nur die Position der Kameras war, die den Tatort im Blick hatten.

Wir stellten also unsere Bikes neben der Straße ab und sahen uns um. 

Erwartungsweise gab es nicht sonderlich viel zu entdecken. Aber immerhin gab es zwei potentielle Kameras, die uns die Täter zeigen könnten. Ja, dafür musste sich Phoenix über die Kameras bei Knight Errant einhacken, aber sie und ihr Deck waren gut genug, um an ein paar Kameraaufzeichnungen kommen zu können. Dessen war ich sicher. 

Es gab ein paar Spritzer getrockneten Blutes auf dem Asphalt. Sämtliche Hornreste, die möglicherweise beim Absägen entstanden waren, hatte inzwischen der Wind hinweggetragen. 

Eingeklemmt in einem Stück Rinnstein entdeckten wir dann aber doch noch etwas: eine Papierserviette des „Filthy Dragon“. Das war ein alter Laden nicht allzu weit von hier, den ich ebenfalls der Yakuza zuordnete. Ich glaubte dennoch nicht, dass die Yakuza etwas damit zu tun hatte. Auch wenn viele Yakuza Metahasser waren, war der Angriff auf einen jungen Troll in Seattle nicht so ihr Ding. 

Phoenix wollte sich gerade in einen verlassenen Türeingang hocken, um über die Kameras Zugang zu Knight Errant zu bekommen und dort nach den Videos der Tatnacht zu suchen, als ein Knight-Errant-Streifenwagen langsam die Straße hinuntergefahren kam.

Sie bremsten, als sie kurz vor unserer Höhe waren. 

Sieh mal einer an. Wir suchten hier eine Weile rum und schon kamen die Cops vorbei, um nach dem Rechten zu sehen? Dass dies nicht passiert war, als man Morgan malträtiert hatte, sprach Bände. 

Man ließ die Fenster runter und sprach uns aus dem Auto heraus an: „Was machen Sie da?“

Ich lächelte in Richtung des Beifahrers. „Wir suchen etwas.“

„Was denn?“, fragte der Officer nun.

Mir lag ,ein paar Hörner’ auf der Zunge, aber da ich lieber nicht offenbaren wollte, worum es ging, erklärte ich zuckersüß: „Ein Commlink. Ein Freund von uns hat es hier irgendwo verloren. Leider war es ausgeschaltet, darum können wir es nicht anrufen.“

Die Officers fanden meine schöne Geschichte nicht überzeugend. Immerhin waren wir drei Elfen und ein Mensch, die auf Motorrädern gekommen waren. Da musste man sehr vorsichtig sein, wir konnten sehr gefährlich sein. - Okay, was wir zugegeben auch waren, aber das konnten die Polizisten ja nicht wissen, und weil sie mir nicht glaubten, bekamen sie schon mal Punktabzug.

Jedenfalls stiegen sie nun aus.

„Ihre Bikes stehen im Weg!“, meinte der Fahrer des Streifenwagens in einem herablassenden Ton. Sie hatten die Hände zwar nicht gerade an den Waffen, behielten aber zumindest die beiden Jungs im Auge. Und dass sie angespannt waren, konnte ich sehen, ohne in ihre Auren zu blicken. Ihren unausgesprochenen Rassismus hätten wir sicher stärker zu spüren bekommen, wäre ich nicht dabei gewesen oder wären wir gar Trolle oder Orks. 

„Können wir mal Ihre SINs sehen …“, es folgte eine lange Pause, „bitte!“ 

„Selbstverständlich!“, erwiderte ich freundlich. Ich fingerte an meinem Commlink rum und rief meine SIN auf. 

Ich ließ den beiden einen Moment. Da sie aber nicht darauf reagierten, dass ich die Snowcat von SatHS war, und ich keinen Bock hatte, mir noch mehr von den beiden Männern gefallen zu lassen, meinte ich: „Bitte wundern Sie sich nicht. Bevor ich irgendwelche weiteren Fragen beantworte, muss ich meinen Anwalt anrufen“. 

Der ältere der beiden, der gerade die SIN von Phoenix am Wickel hatte, sah zu mir. „Wie bitte?“, meinte er scharf. „Was soll das?“

Für den Ton gehörte er eigentlich auf die Knie gezwungen, verlangte der Drake in mir. Die Drachenmagie hatte den Part ganz schön vorlaut werden lassen. 

Übertrieben lächelnd winkte ich ab. „Ach, das weiß ich auch nicht. Das ist Vorschrift. Hat irgendwas mit unseren Verträgen zu tun.“ Foggys Comm-ID hatte ich da schon längst eingegeben - und zum Glück ging er auch gleich ran.

Für alle hörbar und verständlich erklärte ich, was gerade geschehen war. 

Foggy ließ sich auf ‚laut‘ stellen, verlangte Dienstnummer und Namen der Cops und forderte sie auf, jegliche Drangsalierung seiner Klienten sofort zu unterlassen.

Sergent Clarke und Officier Voychek vergaßen über den Schreck sogar, sich noch die SIN von Dawante zeigen zu lassen, was mich freute, da ich nicht wusste, wie gut seine gefälschte SIN eigentlich war. Deutlich höflicher als zuvor forderten die beiden uns auf, unsere Bikes aus dem Weg zu fahren, da sie dort nicht stehen durften. Dann stiegen sie in ihren Wagen und fuhren davon.

Was für Fragger!

Ich bedankte mich bei Foggy.

Die Kameras hackte Phoenix dann doch lieber vom Frühstücksraum des Remington Inn aus, welches nicht allzu weit entfernt war. Immerhin war Morgan auf dem Weg von der Haltestelle nach Hause überfallen worden.

❄️

Mit einigen Daten im Gepäck fuhren wir beim Filthy Dragon vorbei.

Interessanterweise befand sich das ‚Covington Rent and Rest Hotel‘ direkt daneben. Die Angebote, die uns via AR zugeworfen wurden, machten klar, dass es sich dabei um ein Stundenhotel handelte, in das man die Bunraku aus dem - aus der Nähe ziemlich schmuddelig aussehenden -  Filthy Dragon ‚ausführen‘ konnte. 

Als wir auf unseren Bikes vor dem Hotel standen, meinte Medaron scherzend zu Phoenix und mir: „Na, wie wäre es mit einer von euch und mir und dem Hotel?“ 

›Er wagt es, uns in einem Zug zu nennen und uns so auf eine Stufe zu stellen?‹, schoss es mir durch den Kopf. 

Ich grinste. „Nein Danke. Ich kann mir dich nicht leisten!“, erklärte ich.

Medaron lachte. „Ach, ich würde dich einladen.“

Ich tat, als überlegte ich einen Moment, dann meinte ich: „Ich glaube, dass Haus ist dann doch unter meinem Niveau. Die einzigen Informationen die es da für uns gibt, dürften auch nur sein, dass die Männer da regelmäßig sind. - Lasst uns einfach ins Haunted Mug fahren.“

Was wir dann auch machten. 

❄️

Phoenix hatte gute Arbeit geleistet und so einiges herausbekommen. 

Zunächst einmal hatten die beiden beflissen Officers in der Tatnacht keinen Dienst in der Gegend gehabt und hatten auch nach Analyse der Daten nichts mit dem Fall zu tun. Zur Zeit des Geschehens waren sie bei ‚Stuck's Carnival‘ gewesen, einem Jahrmarkt für Erwachsene mit Casino und jeder Menge Spaß, wenn man denn volljährig genug war. Genau genommen gehörte Stucks Carnival nicht einmal zu Seattle. Der Besitzer hatte eine Gesetzeslücke genutzt, um sich seine eigene kleine Stadt in der Stadt zu errichten, aber das nur so nebenbei. 

In den letzten sechs Monaten hatte es in der Gegend offenbar knapp ein halbes Dutzend solcher Fälle von abgeschnittenen Hörnern gegeben. Jedes Mal hatte Knight Errant das Ganze schnell zu den Akten gelegt, ohne groß Nachforschungen anzustellen. Jetzt war klar, dass wir diese Mistkerle aufhalten mussten. Vielleicht gab es dort einen Cop, der das nicht weiter mit ansehen wollte und der den Remingtons darum unsere Adresse gegeben hatte. Damit war klar, dass sie niemand anderer stoppen würde.

Doch bevor wir uns die Kerle schnappen konnten, mussten wir sie identifizieren, also sahen wir uns die Videos an.

❄️

Ich bin wirklich hart im Nehmen, bin auf der Straße aufgewachsen und habe schon einiges gesehen. Dennoch war es auch für mich schwer, den Überfall anzusehen. Zumindest konnte ich es nicht, ohne einen Hass auf die Männer zu entwickeln und sie umgehend töten zu wollen. Der Eisatem kratzte schon in meiner Kehle. Mit dem Problem, ihn zurückzuhalten, musste ich mich ja zum Glück erst beschäftigen, wenn wir auf sie trafen - oder ich verwandle sie einfach alle in Eiswürfel.

Sechs Typen waren aus dem Wagen gestiegen. Ich erspare jetzt hier allen weitere Einzelheiten. 

Noch bevor eine halbe Stunde vergangen war, hatte Phoenix fünf der sechs Kerle via Bildvergleich aus den sozialen Netzwerken identifiziert.

Joseph Kriszinski, Marcus Candle, Davon Brinner, Peter Klusky und Alec Jefferson. Der sechste Täter hatte sein Gesicht immer geschickt aus den Kameras gehalten.

Natürlich hatten sie ihre Tat mit diversen Commlinks gefilmt. Die Videos hatten sie zwar nicht online gestellt, aber ich könnte eine Million darauf wetten, dass sie die Filme noch auf ihren Commlinks hatten, um immer wieder damit prahlen zu können. Fanden wir die Commlinks, hatten wir einen Beweis.

An fünf von sieben Abenden waren zumindest einige der Männer im Murdered Mime gewesen, da standen die Chancen für heute Abend doch ziemlich gut.

Also machten wir uns noch hübscher und fuhren in den Club.

❄️❄️

[Song 4: Does It Offend You, Yeah? - With A Heavy Heart3] Ich war zuvor noch nie im Murdered Mime gewesen. Der Club spielte weder die von mir bevorzugte Musik, noch gehörte er zu den Top-Clubs der Stadt. 

Jedenfalls war letzteres bisher so gewesen. 

Der langen Schlange vor dem Eingang nach zu urteilen war der Club ziemlich angesagt. 

Der Anteil an Menschen war überdurchschnittlich groß und ich würde sagen, dass sich unter den Gästen mehr Asiaten befanden, als es dem ethnischen Durchschnitt in Seattle entsprach. Im Gegenzug gab es nur wenig Orks und Trolle. Was natürlich kein bisschen verwunderlich war, wenn man bedachte, in welchem Bezirk von Seattle wir hier waren und wem der Club zugeordnet war.

Leider wusste ich nicht, wem genau der Club gehörte. Yakuza gab es viele. 

Wie auch immer, wir hatten keine Probleme, hinein zu kommen. Darum wollte ich bei unserem Aussehen aber auch gebeten haben.

Diesmal machte sich Medaron nicht gleich davon, sondern blieb bei uns am Tisch. Er konnte also zwischen Job und Freizeit unterscheiden - das war doch schon mal was. 

Dawante suchte und fand für uns einen Tisch, wir bestellten Drinks und sahen uns um.  

Es dauerte nicht lange, da machte Phoenix über die Matrix Joseph und Alec aus, die auf der anderen Seite des Clubs saßen. 

Medaron startete eine unserer CU^3-Drohnen und flog sie über deren Tisch. 

Es brauchte nicht viel Wahrnehmung um festzustellen, dass die beiden jungen Männer Vorurteile gegen sämtliche Metamenschen, also alle Nicht-Menschen, hatten. Bevorzugtes Beuteschema waren demnach leichtbekleidete menschliche Frauen, wenn sie dazu ein bisschen dumm waren, umso besser.

Dennoch wollte ich mit Dawante eine Runde an ihrem Tisch vorbeitanzen. Hingucken würden sie schon, und selbst wenn nicht, konnte ich so wenigstens ihre Auren ansehen. 

„Ich gehe mal eben aufs Klo, färbe meine Haare blond, und dann mach ich die Jungs so richtig an“, erklärte Phoenix. 

Ich lächelte freundlich. „Ich bin sicher, sie springen auf dich an. Aber was ist das Ziel dieser Aktion?“

„Anmachen, fallen lassen und vielleicht noch mehr rausbekommen!“, erklärte sie.

„Verstehe. Dann kannst du dich aber nicht gleichzeitig und unauffällig in ihre Commlinks hacken!“, gab ich zu bedenken. „Wenn sie dich anglotzen und du in die Matrix abtauchst, werden sie das merken.“

„Oh Mann, daran hab ich gar nicht gedacht. Nee, dann hacke ich sie lieber erst. Wäre aber cool, wenn wir näher rangehen!“, erklärte Phoenix nun. 

Also tranken wir alle aus und tanzten gemeinsam näher. 

Phoenix wusste ja schon, wie das mit der Tarnung ging. Dawante suchte uns einen Tisch dicht bei den anderen, Medaron setzte sich, Phoenix nahm auf Medarons Schoß Platz, kuschelte sich an -und ab ging es in die Matrix. 

Über das Mikrofon der Drohne konnte ich hören, wie die beiden Männer sich gerade über die ‚Neighborhood Watch‘ unterhielten, bei der sie wohl regelmäßig Dienst taten. Dort schützen sie dann also ihr schönes rassistisches Viertel und all seine rassistischen Menschen vor dem, was die Sechste Welt an Vielfalt hervorgebracht hatte. 

Ihre Auren gaben nichts außergewöhnliches her - bis auf die Tatsache, dass ihnen ihr Rassismus auch dort hinein geschrieben stand. 

Wenn ich jetzt einfach meinen Eisatem auf den Tisch rotzen würde, hätte sich die Sache erledigt. Ich seufzte. 

Die Hörner von Morgan hätten wir dann allerdings immer noch nicht zurück und genau genommen war eine Eiszerbröselung auch ein viel zu schnelles Ende für die beiden.

Phoenix hatte sich unterdessen wie versprochen in die Commlinks gehackt. 

Alec besaß tatsächlich Videos auf seinem Commlink, die sie sicherte. Wenn er das Video jetzt plötzlich löschen wollen würde, würde er es stattdessen kopieren und auf eine von uns ausgesuchte Plattform hochladen. Zu den Videos hatte Phoenix auch noch die Identität des sechsten Mannes ausgemacht. Sein Name war Colin Forbes. Er war ein paar Jahre älter als die anderen und hatte bereits studiert. 

Nach ihrer Untat waren sie zu Joseph nach Hause gefahren. Das könnte also ein guter Ort sein, um nach den Hörner zu suchen.

Auch, wenn die Jungs nicht unbedingt auf Elfinnen standen, war ich ihnen natürlich dennoch aufgefallen, als ich an ihnen vorbeigetanzt war. Wir beschlossen, mal alle vier gemeinsam an ihren Tisch zu treten und zu sehen, was dann geschah.

Ich wollte gerade aufstehen, als ich mich plötzlich im Schatten von gleich drei Männern befand. Zwei waren groß und breitschultrig, besonders breitschultrig sogar, wenn ich berücksichtigte, dass sie Asiaten waren. Der dritte war ein ganzes Stück kleiner, aber dennoch trainiert und deutlich besser angezogen als die beiden Hünen. Außerdem kannte ich ihn. Das war Sato.

Der Laden gehörte einem Yakuza. Sato war ein Yakuza, also war ihn hier zu treffen naheliegend, wenn auch nicht zwingend. Dass ich ausgerechnet heute mit genau der Truppe unterwegs war, mit der ich bei unserer ersten Begegnung im Heels’n’Wheels gewesen war, war ein pikanter Zufall. 

Auf einmal versprach der Abend, eine interessante Wendung zu nehmen.

Zum Glück sah ich in den Kleid fantastisch aus.

Ich blickte mit großen Augen zu Sato auf und schenkte ihm mein schönstes Lächeln. „Guten Abend Sato-san. Was für eine schöne Überraschung!“

Satos Augen blitzen kurz. Was ihm wohl missfallen hatte? Das Wort ‚schön‘ oder ‚Überraschung‘?

Ich stand auf und verbeugte mich angemessen und selbstverständlich nicht allzu tief.

Sato verbeugte sich ebenfalls. „Guten Abend, Snowcat, darf ich dich an meinen Tisch einladen?“

Da konnte ich natürlich nicht nein sagen. Doch ehe es wieder nicht damit klappte, stelle ich unsere kleine Gruppe schnell offiziell vor.

Im Anschluss folgten wir Sato und seinen beiden Bodyguards, die Sato mir übrigens nicht namentlich vorgestellt hatte.

Medarons Drohne hing immer noch über dem Tisch von Joseph und Alec. Alex meinte aufgeregt: „Guck mal, die von nebenan geht mit Sato-san mit!“

Joseph schnaubte. „Sato-san? Hör doch mal auf mit Sato-san! Ist doch nur so ein scheiß Japse.“ Joseph war als Kind offenbar in den Tank mit dem Megarassismus gefallen.

„Ja, aber er ist mächtig und hat was zu sagen“, rechtfertigte Alec sich. „Außerdem könnte die doch zu ihm gehören, das ist doch interessant!“

Wir gingen weiter nach hinten und ein paar Stufen hoch zu einem abgrenzten Bereich, vor dem zwei weitere japanische Männer in Anzügen standen. Von hier aus konnte man den gesamten Club überblicken. Sato bat uns an einen großen Tisch aus Echtholz und ließ Champagner für mich bringen. Meinen Begleitern bot man keine Getränke an, dafür blendeten via AR Getränkekarten ohne Preise vor ihnen auf.

„Wie gefällt dir denn mein Club?“, fragte er etwas steif.

Upps, ich hätte mich wohl doch darüber informieren sollen, welcher Person der Club gehört. Nicht, dass das jetzt ein Problem darstellte, aber hätte ich es gewusst, hätte ich mich anders verhalten und zumindest gefragt, ob Sato da sei und ihm von allein meine Aufwartung gemacht.

Nun, nichts, was ich nicht mit einer gehörigen Portion Charme ausmerzen konnte. „Oh, das ist dein Club! Dann gratuliere ich dir zu deinem außergewöhnlich guten Geschmack. Ich bin heute zum ersten Mal hier …“ Ich fügte eine Menge weitere Komplimente an, die Sato freuten, aber seine Bedenken nicht völlig ausmerzen konnten. 

„Wie begegnen uns zum zweiten Mal innerhalb so kurzer Zeit. Du kommst mit drei Gaijins …“ - Immerhin war ich also kein Gaijin, das war doch schon mal was. - „ … her. Da kann ich gar nicht glauben, dass das Zufall ist“, gab er schließlich zu.

.„Ich versichere dir, dass dem wirklich so ist“, sagte ich wahrheitsgemäß.

Nun konnte Sato nicht anders als mir zu glauben, und diese Tatsache gefiel ihm nicht. „Wie lösen wir das Problem, dass noch zwischen uns steht?“, fragte er nun und deutete mit dem Kopf in Richtung von Medaron. 

„Ich habe auch schon darüber nachgedacht, bin aber noch nicht auf eine Lösung gekommen“, meinte ich und bewegte mich damit ein wenig um den heißen Brei.

Sato nickte einem seiner Männer zu, und der brachte daraufhin ein schwarzlackiertes Brett mit einem scharfen Messer und einer weißen Stoffserviette darauf und stellte sie neben Medaron ab.

Jetzt wurde es richtig interessant. In doppelter Hinsicht. Ich hatte keine Ahnung, wie das hier ausgehen würde.

Kani fehlte übrigens inzwischen auch ein kleiner Finger, den er höchstwahrscheinlich einfach freiwillig abgeschnitten hatte, um seiner eigenen Schande der Renn-Niederlage gegen Medaron gerecht zu werden. 

Medarons Blick zeigte, dass er wusste, wozu die Sachen gebracht worden waren. Das war ja schon mal was.  

Ich lächelte Sato zart an. „Eine durchaus ehrenhafte Lösung, die ich nicht von meinem Leuten verlange werde. Die Entscheidung liegt also bei Medaron.“

Medaron überlegte offensichtlich.

Sato lächelte mich an. „Wollen wir vielleicht tanzen gehen?“, fragte er und verschaffte uns damit Bedenkzeit, ohne das jemand sein Gesicht verlor. 

Natürlich wollte ich das. 

Bevor Sato mich zur Tanzfläche führte, trank ich noch einen Schluck Champagner und flüsterte ins Teamnetzwerk:  »Die Entscheidung liegt wirklich bei dir. Solltest du den Finger abschneiden, dann können wir ihn heilen oder ersetzen. Wenn du nicht willst, finde ich eine andere Lösung bei Sato!«

Sato war ein guter Tänzer. Er genoss es, mit mir zu tanzen und mit mir gesehen zu werden. „Bist du geschäftlich hier?“, fragte er irgendwann.

„Tatsächlich bin ich das!“, erwiderte ich. „Es geht um einen deiner Gäste. Einen unbedeutenden Gast, nehme ich an. Wir sind zur Informationsbeschaffung hier.“

Es folgte ein wenig Smalltalk, von dem dank der Musik nicht sonderlich viel nötig war.

Genau ein Song war offenbar genug Bedenkzeit, denn Sato führte mich danach sofort zurück an den Tisch. 

Als Medaron uns zurückkehren sah, traf eine Nachricht im Teamnetzwerk ein: >Ich hab das eingebrockt also … <.  Er ließ das so offen stehen.

Nachdem wir uns gesetzt hatten, zog Medaron den Teller vor sich.

Dawante stand auf, schnappte sich die Stoffserviette, faltete sie geschickt und zog sie sowas von fest um den kleinen Finger der linken Hand, den Medaron aufs Brett gelegt hatte, dass dieser überrascht die Luft einzog. Dabei sah Dawante auch noch aus, als wüsste er, was er tat und sei ein ehrenvoller Adjutant.

Medaron sammelt sich kurz, nahm dann das Messer, atmete noch mal durch und trennte sich dann ansatzlos das obere Glied seines kleinen Fingers ab. 

Dawante stand bereit, nahm sofort Medarons Hand in seine und schlug die Serviette um, die er tatsächlich so gefaltet hatte, dass er sie jetzt als Verband nutzen konnte, noch bevor ein Tropfen Blut geflossen war.

Sato war beeindruckt. Solch ehrenhaftes Verhalten sah man außerhalb des japanischen Kulturkreises nicht so oft.

Ich war ebenso beeindruckt, aber vor allem war ich zufrieden, denn nun sah es perfekt danach aus, als wenn wir auf diesen Moment vorbereitet gewesen wären. 

Selbstverständlich hatte ich noch einen Backup-Plan in meinem hübschen Köpfchen zu liegen, nur für den Fall, dass Medaron nicht bereit gewesen wäre, seinen Finger aufzugeben.

Nachdem der Ehre nun genüge getan war, entspannte sich Sato sichtlich, soweit Japaner sich denn im Angesicht eines nicht loyalen Gegenüber entspannen können.

Spontan entschied ich mich dazu, Sato zu sagen, wen wir hier verfolgt hatten. Ich sah darin gleich noch einen Versuchsballon, was Satos Meinung zu anderen Rassen anging. Natürlich sind Japaner viel schwieriger zu lesen als viele andere, da sie es von klein auf gewohnt sind, ihre Gefühle nicht zu zeigen. Jedenfalls, wenn sie traditionell aufgewachsen sind. Es würde mir sicher dennoch gelingen, ihn zu lesen.

Sato hörte mir aufmerksam zu. „Danke für dein Vertrauen!“, meinte er, nachdem ich geendet hatte. „Die Untaten der Neighborhood Watch sind mir bereits zu Ohren gekommen. Sie sind schlecht fürs Geschäft!“ Es folgte eine längere Pause. „Es wäre jedoch auch schlecht fürs Geschäft, wenn einem meiner Gäste in meinem Club etwas passieren würde. So müsste ich einschreiten lassen, sollte es einen Angriff geben.“

Ich lächelte fein. „Selbstverständlich müsstest du das. Sollte ein solches Eingreifen nötig sein, werden wir nicht die sein, die es verursacht haben!“

Sato verbeugte sich.

❄️

Wir blieben noch eine halbe Stunde und verließen den Club dann in aller Gelassenheit.

Bevor wir unsere Bikes erreichten, nahm ich Dawante kurz beiseite. „Woher wusstest und konntest du das mit der Serviette?“, fragte ich leise. 

Wie immer zögerte Dawante nicht mit seiner Antwort: „Ich hab das auf YouTrid gesehen!“

Ich hob eine meiner wohlgeschwungenen Augenbrauen. „Okay? Da kann man so etwas ansehen?“

„Auf YouTrid gibt es so gut wie alles!“, freute sich Dawante.

„Und wie bist du auf die Idee gekommen?“, hakte ich nach.

„Ich habe im Februar, also nach dem Heels’n’Wheels, mal mit Doc über die Yakuza gesprochen. Er hat mir diese Videos vorgeschlagen“, erwiderte Dawante. „Außerdem hat er mir erklärt, dass Sato wahrscheinlich davon ausgehen wird, dass das alles absichtlich für ihn inszeniert wurde. Am Anfang wird er noch nicht gewusst haben, ob es eine Herausforderung war. Aber jetzt wird er beeindruckt und geschmeichelt sein. Weil du eine Beziehung zu ihm aufgebaut hast und ihm gezeigt hast, dass du kein Gaijin bist.“ Stolz fügte Dawante hinzu: „Jetzt seid ihr euch auf Augenhöhe begegnet und könnt zukünftig auch beide so agieren, was eine gute Handlungsbasis ist. Habe ich doch richtig verstanden?“

„Ja, das hast du! Und es war auch sehr clever von dir, dich zu informieren.“

Dawante war in meiner Anerkennung gestiegen. 

Ich konnte zwar nicht immer planen oder auch nur voraussehen, was meine Leute so veranstalteten, aber ich wurde immer besser darin, Geschehenes zu meinem Vorteil zu nutzen.

❄️

Auf dem Nachhauseweg machten wir einen Abstecher in die Nachbarschaft von Alec und Joseph. Drei Elfen und ein Mensch auf Motorrädern, klar würde das in einer Gegend mit Nachbarschaftswache auffallen. Darum beschränkten wir uns auf eine Durchfahrt, um uns ein Bild von der Lage zu machen.

Sofort war klar: Was immer wir unternehmen würden, wir konnten da nicht so einfach hereinspazieren. Noch bevor wir um die Ecke gefahren waren, würden gut ein Dutzend Anrufe bei Knight Errant eingegangen sein.

❄️

Zurück im Haunted Mug starteten wir mir einem Bier zur Feier der Nacht. Ich hatte Medaron die Teammitgliedschaft bei UC angeboten, die dieser nur allzu gern angenommen hatte. 

Ich würde bei einem Elf wie ihm wahrscheinlich auch in Zukunft mit unbedachtem Verhalten und Schwierigkeiten rechnen müssen, aber er hatte gezeigt, dass er dazu in der Lage war, für seine Taten einzustehen, und er war bereit, mehr dafür zu bezahlen, als es viele andere an seiner Stelle gewesen wären. 

Medaron lehnte übrigens ab, sich den Finger ersetzen zu lassen. Vielleicht war der fehlende Finger Mahnung an ihn selbst, vielleicht war er einfach nur stolz, das durchgezogen zu haben.

Obwohl der neue Tag bereits vor Stunden begonnen hatte, machten wir uns noch an die Beantwortung der Frage, was als nächstes zu tun sei und wie wir vorgehen wollten.

❄️❄️

[Song 5: K.Flay - Run For Your Life3] Unser nächstes Treffen fand bereits am Vormittag im Bootshaus statt. Jetzt, wo Medaron im Team war, konnten wir endlich in unser Clubhaus gehen.

Phoenix hatte herausgefunden, dass der Vater von Drahtzieher Joseph in einer Anwaltskanzlei arbeitete und Captain besagter rassistischer Neighborhood Watch war. 

Die Idee, die jungen Männer vor Gericht zu bringen, hatten wir damit endgültig verworfen. Ein Anwalt würde nur alles umdrehen und das Beste für seinen Sohn herausholen. 

Dank der Beweisvideos würden wir die klassische ‚Einschüchtern-und-erpressen‘-Methode nutzen.  

Joseph erhielt eine ‚Wir wissen, was ihr getan habt‘-Nachricht auf sein Commlink. Auszüge der von Alec gedrehten Videos inbegriffen. 

Wir waren fest davon überzeugt, dass dies die Gruppe dazu bringen würde, sich zu treffen. 

Da Phoenix mitlesen konnten, wie Joseph kommunizierte, erfuhren wir nur wenige Minuten später, dass wir tatsächlich Besorgnis ausgelöst hatten. Sie wollten sich noch heute Abend im Haus von Josephs Eltern treffen. 

Hervorragend, denn genau dann konnten wir zuschlagen.

❄️❄️

Wir parkten in der Nähe der Wohnanlage auf dem Parkplatz einer Mall. Diesmal hatten wir einen Teamwagen genommen. 

Locker plaudernd hielten wir zunächst auf einen Nebengang der Mall zu, um dann in den in der Nähe liegenden Park abzudrehen. Hinter ein paar Bäumen bat ich meine Sylphe7 Aravilar, unsere Anwesenheit vor den Augen und jeglichen Sensoren zu verschleiern.

Dann zogen wir unsere ballistischen Masken aus den Taschen und setzten sie auf. 

Sie sahen gruselig aus, dafür hatten wie sie am Nachmittag noch ganz besonders fratzenhaft verziert. 

Es war jetzt 21.30 Uhr.

Wir schlichen durch die Nachbarschaft mit ihren hübschen Häusern, ordentlichen Gärten und grünen Hecken. Zäune brauchte man hier nicht. Man hatte ja die Nachbarschaftswache. 

Gegen meine mächtige Magie und eine Gruppe talentierter Runner waren sie jedoch nicht gewappnet. 

Innerhalb von Sekunden hackte Phoenix das Sicherheitssystem des Hauses und brachte es unter ihre Kontrolle.

Durch die Küchentür huschten wir ins Haus, dabei zogen wir unsere automatischen Waffen, die wir diesmal danach ausgewählt hatten, wie beeindruckend sie aussahen. Allerdings waren wir bei einer Schrotflinte und Maschinenpistolen geblieben.

Medaron ließ ein kleine Drohne so über dem Haus hovern, dass wir jederzeit ein Auge auf die Straße werfen konnten. 

Laut ihrer Commlinks befanden sich alle sechs Täter im Keller. 

Die Eltern hingegen genossen den Aprilabend auf der Terrasse. 

Wir konnten nicht zuschlagen, wenn die Eltern oben saßen. Also würden wir sie einfach mitnehmen.

Aravilar ließ die Verschleierung auf meine Anweisung hin fallen. Dann bezog Dawante Position neben der Terrassentür und stieß breit grinsend eine Vase um, die scheppernd zu Boden fiel und zerbrach.

Selbstverständlich war es Mrs. Emma Kriszinski, die beflissen gucken kam, was dort geschehen war. 

Sie erstarrte bei unserem Anblick. 

Dawante nutzte den Moment um sie zu packen, ihr die Hand vor den Mund zu legen und sie ein Stück zur Seite zu ziehen. 

Medaron nahm ihr das Commlink ab und übergab es an Phoenix.

„Wenn wir Ihren Mund freigeben, rufen Sie Ihren Mann herein!“, wies ich mit tiefer Stimme an. „Wenn Sie das hier überleben wollen, machen Sie keine Dummheiten! Tun Sie, was wir Ihnen sagen, sonst töten wir Sie alle!“

❄️

Ich will jetzt nicht weiter ausschmücken, was genau wir taten.

Psychische Gewalt ist nicht besser, als physische und nichts, womit man sich brüsten sollte. Obwohl ich zugeben muss, dass es mir zunächst eine gewisse Befriedigung verschaffte, diese Menschen in Todesangst zu sehen.

Mrs. Kriszinski rief nach ihrem Mann, er kam, drohte uns kurz, was wir ihm Keim erstickten. Auch sein Geld nahmen wir nicht. 

Wir brachten die beiden gefesselt nach unten zu der Brut, die darauf stand, Hörner abzusägen. Ich bin gut mit Worten, und unsere Präsenz und die Gegenwart von Waffen tat ihr übriges. 

Sie versuchten gar nicht erst, sich uns entgegenzustellen. 

Wir konfrontierten sie mit den Videobeweisen. Wie zu erwarten gewesen war, war niemand schockiert. Nicht mal Mrs. Kriszinski. Mr. Kriszinski war allenfalls zornig, dass sie sich hatten erwischen lassen.

Als ich zur Demonstration unserer Macht meinen Geist die Angst-Kraft gegen Joseph, Alec, Mr. Kriszinski und Colin Forbes, also den Mann, der es geschafft hatte, sich aus dem Kameras zu halten, einsetzten ließ, machte sich die überlegenen weißen Herren in die Hose.

Die sechs Paar Troll-Hörner lagerten sie nebenan und sie übergaben sie uns ohne zu zögern. 

Schließlich kam das Geständnis und die Entschuldigung bei den Betroffenen. Letzteres mussten wir mehrmals drehen, bis es glaubwürdig klang. 

Wir drohten, wiederzukommen, sollten solche Vorfälle in der Gegend noch mal vorkommen. „Wir werden jeden einzelnen um sein Leben rennen lassen und ihn im Anschluss zu Tode ängstigen!“, versprach ich.

Was eine glatte Lüge war.

Ich würde nicht wiederkommen. 

Sie waren es nicht wert - und sie zu ängstigen hatte dann doch nur wenig Spaß gemacht.

Dass sie jetzt Angst hatten, würde nämlich nichts an ihrem Rassismus ändern.

Wir würden im unregelmäßigen Abstand ein paar Erinnerungsnachrichten auf ihre Commlinks senden. 

Doch wenn das irgendwann nicht reichte, um sie abzuschrecken, dann würde ich die Sache einfach an Liam übergeben.

❄️

Wichtiger war, dass Morgan seine Hörner wiederbekam. 

Leider konnte man sie nicht einfach wieder anheilen. Aber mit den coolen Runen, die Tiernan in Zusammenarbeit mit Morgan entworfen hatte - und mit etwas Magie, Medizin und Orichalkum -, befanden die Hörner sich schließlich wieder da, wo sie hingehörten. 

Soweit möglich würden wir die anderen Hörner ebenfalls an ihre Besitzer zurückgeben.


Ende der heutigen Geschichte. 


❄️❄️❄️


Ob es den Runnern gelingt, die Hörner an ihre Besitzer zu verteilen, ob Kriszinski noch mal eine Rolle spielt und wie Medaron sich bei UC macht, wird demnächst hier zu lesen sein. 


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Wir freuen uns, dass du uns während dieser Geschichte begleitest hast, danken dir für’s Lesen und verbleiben bis zum nächsten Mal:

Snowcat und die Runner von UC.

An dieser Stelle bedanken sich die Spieler unserer Runde bei allen, die an der Entwicklung und Verarbeitung der Shadowrun®-Produkte mitgewirkt haben. Ohne ihre Arbeit wäre unser Spiel nicht möglich! 

We would like to thank the authors, artists and all others who are involved in the development of the Shadowrun® rules, adventures and stories. Without them, our game would not be possible.

Vielen Dank auch an @Vin für das Korrekturlesen. ;*

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*