Tales of Snowcat 12: New Home, New Contacts (S3/E10)

TALES OF SNOWCAT (12)

PERIOD6: Magician

ERA6: Light Baroque

AGENDA12: Boston Lockdown

DATE1:  07/15 - 07/25/ 2076

BROADCAST6: Unter „SatHS in Danger“ wird Material als Dokumentation der Situation in Boston gedreht. Episode S3/E10 wird ab 09/04/2076 als Stream zu Verfügung gestellt.

PRODUCTION: Spinrad Media

APPEARANCE2 : AveRage, Doc, Eden, Fang, Fierce, Foggy, Liam, Mash, Mr. Tea, Shark Finn, Sinister, Snowcat, Tiernan;

SPECIAL APPEARANCE2;7: Alba13, Dana15, Dave, Sionn, Tango; Smedley Pembranton III.

SPOILER ALERT: Die Episode enthält massive Spoiler auf Boston Lockdown von Catalyst Game Labs.

WARNING: Diese Trideoserie ist für Zuschauer unter 17 Jahren nicht geeignet. Sexualität, Gewalt, Magie, Tod, Kraftausdrücke und Drogenkonsum können vorkommen. Mitglieder der Howling Shadows sind in Waffen- und Magiegebrauch ausgebildet und sind sich der tödlichen Gefahr bewusst, mit der sie es während des Drehs zu tun haben. Zuschauer werden gebeten, diese Dinge nicht nachzumachen, es sei denn, es wird in einem Nachspannclip ausdrücklich erlaubt. Ferner ist absolut davon abzuraten, sich auf eigene Faust mit den gezeigten oder ähnlichen magischen Gefahren, Geistern und/oder Crittern anzulegen.

WAS BISHER GESCHAH:

Snowcat erfährt aus Matrixquellen frühzeitig von den Ereignissen in Boston. Als klar ist, dass der gesamte Sprawl wegen einer mysteriösen Krankheit, offiziell eine Version von Enzephalitis, abgeriegelt wird, beschließt Snowcat, nach Boston zu gehen, um nach Tango und Dave, zwei eingeschlossenen Freunden, zu sehen. Snowcat ruft das Team zusammen.

Alle UCler erklären sich sofort bereit, sich an der Mission zu beteiligen. Ein Teil bezieht in einem Lager außerhalb des Lockdown Stellung. Die Gruppe um Snowcat lässt sich nicht mal eine Woche nach dem Ereignis in Boston abwerfen. (Tag 1) Sie kapern Versorgungsdrohnen für ihre Reise in den abgeriegelten Sprawl. In Boston angekommen haben die Howling Shadows gleich den ersten Kontakt mit Shamblern, der wahren Bedrohung, die die Ursache für den Lockdown ist. Man kehrt schließlich bei Tango, dem Fechtlehrer von Snowcat, ein und baut dort das Basislager auf. Die Runner kommen schnell zu dem Schluss, dass es sich bei der ausgebrochenen Krankheit um eine veränderte Form von CFD handelt. Außerdem vermutet man, dass Experimente und Forschung von NeoNET sowie der Große Drache Celedyr und Cerberus für den Ausbruch verantwortlich sind. Das Team möchte unbedingt herausbekommen, was es mit all dem auf sich hat.

Innerhalb der nächsten Tage retten Snowcat und die Howling Shadows Dave (Tag 2) und den Hub-Blogger14 (Tag 4), letzteren aus der HCZ. Außerdem befestigen sie ihr Lager und bauen es aus.

Ein gewisser DJ, ein Elf und vornehmlich Detective bei Knight Errant, erfährt von diesem Einsatz in der HCZ. Er nimmt Kontakt zu Snowcat (Tag 5) auf und beauftragt sie, in die schlimmste Zone von Boston, die MCZ, zu gehen. Dort sollen die Runner neun Metamenschen rausholen. Bei dieser Mission wird den Runnern bewusst, wie viele Shambler und Rager es offenbar geben muss.

Kurz nach diesem Run meldet sich Zoh Rothberg, die Stimme des großen Drachen Celedyr, bei Snowcat. Sie hat gehört, dass unter dieser Nummer fähige Runner verfügbar sein sollen. Zoh beauftragt Snowcat, in das magische Labor Nummer 15 einzudringen und dort die Situation zu dokumentieren (Tag 7). Auf dem Weg zum Labor rettet man - quasi im Vorbeigehen - Max14 und Caroline. Auch dieser Job gelingt. Allerdings bringt er gleich zwei unschöne Erkenntnisse mit sich: Die Shambler können regenerieren, und AveRage ist schon seit längerem mit CFD infiziert. Er infizierte sich bereits, als er vor Jahren in einem NeoNET-Labor in Albuquerque gefangen gehalten wurde.

Da Tangos Studio nun schon 19 Metamenschen beherbergt, beschließt man, Wohnmobile zu besorgen, um mehr Schlafplätze, WCs und Betten zur Verfügung zu haben (Tag 9). Auch diese Mission wird erfolgreich abgeschlossen, verläuft aber ohne die Führung von Snowcat, Liam oder Doc chaotisch.

Eines schönes Morgens wird Eden auf ihrem Wachposten auf dem Dach via Matrix angegriffen, weitere Commlinks spielen verrückt (Tag 17). Als man den Angreifer stellt, entpuppt er sich als Sionn, ein Elf aus dem O’Niall-Clan, der ebenfalls in Boston gestrandet ist. Sionn bleibt. Als O’Niall genießt er einen Vertrauensbonus. Es ist klar, dass er zukünftig mit auf Missionen gehen wird.

Während der nächsten Mission möchte Snowcat herausbekommen, was es mit dem Technomancer in der MCZ auf sich hat, der offenbar eine Armee aus Shamblern kontrollieren kann (Tag 19). Man findet heraus, dass er mit einem anderem CFD-Stamm infiziert ist und dass es sich bei ihm um einen „Manipulator“ handelt. Vor dem Durchgang in die Zone trifft man auf die Reporterin Alba Garcia Ruiz, die man später ebenso mit in Tangos Studio nimmt wie die überraschend aus dem Haus befreite Hexe Dana Flynn, Edens Freundin aus Kindertagen. Für die sechs weiteren geretteten Metamenschen erhält Snowcat sechs Paar Schuhe, da DJ inzwischen bereit ist, für jeden aus der Zone Befreiten ein Paar Schuhe zu bezahlen und die Personen danach unterzubringen.

Um das Leben in Boston für die Gruppe angenehmer und sicherer zu gestalten, und damit man nicht immer zu Fuß unterwegs sein muss, beschließt man, zwei Limousinen zu organisieren (Tag 21). Auf dem Weg zum Zielort bemerkt AveRage, dass seine Schuhe ihm Probleme bereiten. Neue Schuhe werden in einer Mall besorgt. Währenddessen trennt Columbo sich von der Gruppe, wird von einem Shambler angegriffen und stirbt, noch bevor die anderen zu seiner Hilfe eilen können. Die Mission wird dennoch fortgesetzt. Man verbrennt Columbo auf einem Baseballfeld und nimmt seine Asche in einer Ares-Munitionskiste mit. Der Zielort erweist sich als ehemalige Knight-Errant-Polizeiwache, die inzwischen von Wolverine Security betrieben wird. Im Host finden sich Informationen, dass dies nicht die ganze Wahrheit ist. 17 menschliche Wachmänner halten 18 Personen anderer Rassen gefangen, vergewaltigen die Frauen und zeichnen das auf. Das Team ändert den ursprünglichen Plan und arbeitet an der Befreiung der Gefangenen. Am frühen Abend tauchen Mitglieder der Knights of the Red Branch auf. Spontan beschließt die kleine Gruppe Howling Shadows, sofort zuzuschlagen. Während der Aktion setzt man den Anführer der Red Branch und dessen Bodyguard fest, befreit die Gefangenen und entkommt mit den Limousinen. Sieben Gefangene haben keinen Ort, an den sie gehen können, darum nimmt man sie in Tangos Studio mit.

Nach der Rückkehr ins Studio halten die Howling Shadows und ihre neuen Gäste eine irische Wake für Columbo ab. Da das Haus langsam zu voll wird, plant man einen Umzug. Alba schlägt das Gelände der Clairmont Academy, Boston Elite vor. Eine Privatschule mit Internat, auf der Alba selbst gewesen ist. Da sich das große Gelände bestens eignet, startet der Umzug nach einem Balladenabend. Gut zwei Wochen später werden die Einzugsarbeiten durch einen Anruf von einem aztlanischen Johnson namens Sandellero unterbrochen, der einen Auftrag für die Runner hat. Sie sollen eine Datei in einen Host in der MCZ spielen. Die Adresse entpuppt sich als Backup-Station einer Knight-Errant-Polizeiwache, in der Shambler lernen, sich wie Metamenschen zu benehmen. Das Team spielt die Daten - eine Namensliste von Teilnehmern verschiedener Projekte, die letztendlich alle zum Ereignis des Boston-Lockdowns führten - trotzdem ein, verändert die Liste jedoch leicht. Auf dem Weg zum Grenzzaun bemerken die Runner eine Sprachnachricht, die in den Äther geblasen wird. Erneut wird ein Team für die MCZ gesucht. Zunächst informiert Snowcat sowohl Sergeant McNamara als auch DJ über die bedrohlichen Neuigkeiten über die Shambler. Zurück in der Academy probiert Snowcat noch vor dem Debriefing die Nummer des unbekannten Auftraggebers aus. Penelope Anne Xavier wirkt freundlich und ungeübt, als sie die Runnern damit beauftragt, einige Universitätsrechner, die in der MCZ stehen, wieder anzuschalten und ans Grid anzuschließen, damit ihre sechsköpfige Projektgruppe die Daten retten kann. Erst beim anschließenden Debriefing und gleichzeitiger Auftragsbesprechung wird den Runnern dank Eden klar, dass es sich bei dieser Auftraggeberin um die berüchtigte Technomancerin Pax handelt.

Nach einem Kriegsrat zieht noch in der selben Nacht, ein kleines Team los, um die Server zu sprengen, damit die weiteren Pläne von Pax nicht umgesetzt werden können (Tag 36). An einem der Server entdeckt die Gruppe wieder eine FlySpy-Drohne. Als man sich nach erfolgreicher Verdrahtung der einzelnen Parts auf den Rückweg macht, entdeckt man einen einzelnen Shambler, der immer wieder "Hallo" ruft. Snowcat, weiterhin verschleiert, sprich über ihren Geist mit dem Shambler. Als der Geist antwortet, kehrt Intelligenz in den Shambler ein. Cereus steuert den Shambler. Er hat einen Auftrag für das Team. Er braucht saubere Naniten-Flüssigkeit und die Blutprobe eines funktionierenden mit Boston-CFD Infizierten, um sich einen angemessenen Shambler erschaffen zu können. Snowcat verspricht, zu überprüfen, ob sie den Job erledigen können. Sie sagt aber nur zu, da sie nicht sicher ist, ob man den Kontakt zu Cereus irgendwann mal gebrauchen kann, und sei es auch nur, um ihn zu fangen.

Anmerkungen:

1. Der Zeitstempel wird an unsere Zeitlinie angepasst und ist maximal an die offizielle Timeline angelehnt.

2. Die Episode wurde am 13.04. und 09.05.18 erspielt. Neben mir und dem GM, waren am ersten Termin der Spieler von Eden/Mr. Tea und der Spieler von AveRage/Dana anwesend. Beim 2. Termin kam zudem noch die Spielerin von Alba dazu. Wegen den Widrigkeiten und Schönheiten des RL können nur selten alle Spieler am Spielabend teilnehmen. Deshalb können Charaktere ohne weitere Erklärung auftauchen oder verschwinden. Darüber, welche Charaktere mit auf einen Run gehen, entscheiden die Spieler nach eigenem Gefallen. Das muss nicht immer die logistische Entscheidung sein. Manchmal ist ein Charakter mit auf einem Run, obwohl sein Spieler abwesend ist. In diesen Fällen wird der Charakter zwar mitgeführt, sein Handeln gerät, wenn möglich, aber in den Hintergrund. Der Spotlight soll auf Charakteren stehen, deren Spieler anwesend sind. Gegebenenfalls hinterlassen Spieler beim GM Regieanweisungen. 

Eine Beschreibung aller Charaktere und Marks findest du hier [LINK].

Eine Übersicht von Cast und Crew von SatHS findest Du hier [LINK].

3. Die verlinkten Songs sollen lediglich zu Stimmung beitragen und enthalten keine versteckten Hinweise. Jedenfalls meistens nicht :). Übrigens kaufen wir jeden in den Episoden verwendeten Song, sollte er sich nicht schon vorher in unserem Besitz befunden haben. Nicht nur, damit wir die Songs jeder Zeit auf all unseren Geräten abspielen können, sondern auch, weil wir damit den jeweiligen Künstler unterstützen möchten. Eine Liste mit dem kompletten SatHS Soundtrack findest du hier [LINK]. Eine YouTube Playlist zur aktuellen Season findest du hier [LINK].

4.Die Truppe mit der Captain America (Marvel) im zweiten Weltkrieg gegen Hydra ins Feld zieht, heißt „Captain America and the Howling Commandos". Daran angelehnt, entstammt die Titelidee eigentlich. Abgesehen davon, ist „Howling Shadows“ der Titel des aktuellen Shadowrun® -Critter Quellenbuchs von Catalyst. Wir fanden die Doppeldeutigkeit gerade bei der Zusammensetzung des Teams passend. 

5. Eine Übersicht des Steampunk- Journals findest Du hier [LINK].

6. In den ‚Tales of Snowcat’ erzählt Snowcat einem imaginären, nicht näher definierten Zuhörer die Ereignisse aus ihrer ganz persönlichen Sicht. ‚Period' beschreibt dabei den Lebensabschnitt auf dem sich Snowcat befindet. ‚Era' beschreibt das Farbthema, unter das Snowcat in dieser Zeit den Inhalt ihres Kleiderschranks gestellt hat. ‚Broadcast‘ fasst zusammen, was von dem per Drohne gedrehten Material dem Trideo-Zuschauer der Serie Snowcat and the Howling Shadows zur Verfügung gestellt wird und wann es gestreamt wird.

7. Einige der Namen, die in der Geschichte auftauchen, sind auch in der offiziellen Shadowrun-Welt ein Begriff. Ähnlichkeiten sind beabsichtig. Allerdings kann das hier dargestellte Bild auch deutlich von dem Bild im SR-Kanon abweichen, da es unserer Spielwelt angepasst wurde.

8. KE, kurz für Knight Errant, ein Sicherheitskonzern und Tochter von Ares Marcotechnologies.

9. Teilweise stehen Dialoge in diesen « » Textzeichen. Die gesprochenen Worte werden dann vornehmlich via Teamnetzwerk oder Commlink verbreitet und sind für Wesen, die keine Mitglieder im Teamnetzwerk sind, nicht oder nur schwer zu hören. Ferner stehen in < > schriftliche Nachrichten und in ‹ › stehen Dialoge via Geistesverbindung, wie zum Beispiel die mit einem Geist unter Kontrolle, Gespräche via Mindnet oder Dragonspeech. Wird zusätzlich eine andere Schriftart verwendet, handelt es sich um unausgesprochene Gedanken.

10. „AveRage“ hat seine Drohnen-Kamera-Einheiten, die je aus drei CU^3 bestehen, nach berühmten Kameramännern benannt.

11. Snowcat sieht die Geister, die einen Element zugeordnet sind als klassische Elementarwesen:  Luftgeister sind Sylphen, Erdgeister Gnome (früher Brownies), Feuergeister Salamander und Wassergeister sind Undinen. Jeder Geist, den sie beschwört, hat für sie zudem einen eigenen Namen. Guidance Spirits sieht Snowcat als weise Paten, die sie mit Godfather und Godmother betitelt. Guardian Spirits sind für sie Warden, also Krieger verschiedenen metamenschlichen Rassen. Die Warden tragen als Hommage an meine Lieblingsbuchsreihe den ‚Dresden Files‘ von Jim Butcher, die Namen von den Warden des White Council. Spirits of Man sind für sie Leprechauns (Kobolde) und Task Spirits sind Brownies. Beast Spirits bekommen den Titel Master und Plant Spirits den Titel Mother (z.B. Master Wolf oder Mother Oak). 

12. Schlagwort(e), Überschrift(en) unter dem die Episode steht.

13. Alba wird von der Spielerin T. geführt. Sie ist neu in der Gruppe und ein RPG-Frischling.

14. NPC, der in Boston gerettet wurde und für den Verlauf der Geschichte keine namhafte Rolle spielt. Max und Caroline sind eine Hommage an die Serie Two Broke Girls.

15. Nach dem Tod von Columbo übernimmt Spieler I. die Charakterführung von Dana, die ursprünglich als NPC gedacht war.

16. Eine eigentliche "Nacht des Kometen" gibt es im Shadowrun nicht. Es ist vielmehr ein Jahr des Kometen, in dem es zu zahlreichen Veränderungen kam. Örtlich gab es jedoch einige Nächte, in denen SURGE besonders oft vorkam, eine solche Nacht meint Snowcat.

POSTED BY SNOWCAT

[Song 1: Boyce Avenue feat Megan Davies - Time after Time3] Nach unserer Rückkehr aus der MCZ war ich erschöpft und müde ins Bett gefallen. Der Tag graute bereits, doch da ich die Jalousien in meiner Wohnung hatte runterfahren können, störte es mich nicht weiter. 

In meiner Wohnung? 

Nein, das stimmte bei weitem nicht. Ja, ich hatte eine der größten Wohnungen in der Academy für mich beansprucht und sie bereits vor einigen Tagen bezogen. Doch hier war so gar nichts wirklich mein, außer, dass ich nun darin lebte. Bis auf wenige Kleidungstücke, meine Badezimmerartikel und einige persönliche Dinge, war dies nicht mehr ‚mein‘ als alles in irgendeinem Hotelzimmer. Genau genommen hatte ich auch nicht die Absicht, das in Zukunft zu ändern. 

Sicher, ich wollte hier in Boston etwas aufbauen. Eine Zuflucht für zumindest ein paar der Metamenschen, die hier im Lockdown eingeschlossen waren. Aber ich selbst wollte hier nicht ewig bleiben. 

Selbstverständlich drückte ich meiner Umgebung dennoch meinen Stempel auf. Ich hatte mir aus einem Klassenraum für bildende Kunst eine Staffelei, Papier und Farben besorgt. Einige Instrumente standen nun ebenfalls dort.

Hier verging die Zeit anders als draußen. Das durfte ich nicht vergessen. Man gewöhnte sich so leicht an den neuen Alltag. 

Nachdem im Rest der Welt die ersten beiden Episoden unserer dritten Staffel gelaufen waren, befanden wir uns endgültig in aller Munde. Die Allgemeinheit fragte sich, was von dem, was wir zeigten, wahr war. Es gab sogar Verschwörungstheorien. Hauptsächlich wurde behauptet, wir würden alles nur im Studio drehen. Andere Konzerne, das FBI und die Schatten fragten sich hingegen, was wir noch so wussten und wie in aller Welt wir es schafften, die Informationen aus Boston raus zu bringen. 

Der Hype um unsere Storys hatte unser Außenteam dazu veranlasst, sein Lager zu verlassen und sich auf ein Gelände von Spinrad Industries zurückzuziehen. Sie würden erst wieder in die Nähe der NEMAQZ zurückkehren wenn wir beabsichtigten, die Zone zu verlassen. 

Ich hatte diverse Berichte für Insider verfasst - und so fragten sich auch einige der Empfänger immer noch, wie wir unser Zeug raus bekamen, aber sie fragten sich kaum mehr, was wir sonst noch wussten. In einen Bericht an Ehran hatte ich so gut wie alle Fakten gepackt. Unser Außenteam konnte sich die Daten ebenfalls ansehen, wenn sie denn wollten. Butch hatte einen medizinischen Bericht erhalten, den Mash für sie angefertigt hatte. Ich hatte Bull ein Update für den JackPoint mitgeschickt und selbstverständlich hatte /dev/grrl die Aufzeichnung des Gespräches mit ihren Eltern bekommen. Sie alle würden Bescheid wissen, noch bevor die Folge laufen würde, in der wir für Zoh Rothberg den Run ins Labor unternahmen. Man würde Zoh im Trideo eh nicht erkennen, und ihren Namen hatten wir ebenfalls geändert. Aber ja, wir zeigten, dass wir hier in Boston Aufträge als Runner übernahmen. Wenn wir bei dem blieben, was wir bisher zusammengeschnitten hatten, würde Ares uns wahrscheinlich bei unserer Rückkehr einen Orden verleihen, so gut kamen ihre Sicherheitsleute in unseren Episoden weg.

Die von mir als Insider betitelten Personen waren jedenfalls ganz aus dem Häuschen geraten. Allen voran /dev/grrl7, die sich bedankte und mich bei meiner Rückkehr aus Boston unbedingt treffen wollte, um gemeinsam mit mir und den anderen Howling Shadows Party zu machen. Bull war erneut von uns beeindruckt. Er versprach, alles Relevante im JackPoint zu veröffentlichen und bat mich persönlich, gesund wiederzukommen. Ich erhielt außerdem noch eine Nachricht von dem berüchtigten Piraten Kane7, der ausdrücklich betonte, dass ich nun ‚was gut bei ihm habe‘. 

Ich konnte es schlechter treffen. Butch7 bedankte sich ebenfalls, schickte aber sogleich eine Liste mit Tests mit, die wir für sie machen sollten. 

Ich gähnte. 

Zumindest hatten wir hier in der Academy die Möglichkeit, uns jede Menge Labore einzurichten.

Johnny Spinrad war von unserer neuen Staffel einfach nur begeistert. Er rief uns ein fröhliches ‚weiter so‘ zu. Erst im Anschluss erkundigte er sich nach unserem Befinden. Man muss eben Prioritäten setzen.

In meiner Küche klapperte es. Das kleine Dach-Kätzchen aus Tangos Studio war mit uns umgezogen und offenbar gerade von seinem Ausflug auf dem Gelände zurückgekehrt. Nun gönnte es sich ein Frühstück oder Nachtmahl, je nachdem, wie man es betrachten wollte.

Obwohl ich eigentlich müde war, kreisten meine Gedanken um die Ereignisse der vergangenen Tage. Allein die Namen, die mit den Ereignissen verwoben waren, konnten mich schwindlig machen. Cerberus, Deus, Pax, Cereus und nicht zu vergessen, Celedyr. Das Bild dessen, was geschehen war, wurde langsam klarer. Das stillte meine Neugier, doch es brachte nichts für die Zukunft. Der Boston Sprawl hatte bereits seine Narben davon getragen und würde nie wieder derselbe sein. Doch wie konnte Boston wieder repariert werden? Was konnte die CFD-Infizierten heilen? Was konnte AveRage heilen? Egal, wie sehr ich plante, bis Halloween den Lockdown verlassen zu haben, ich würde nicht gehen, bevor ich nicht eine Heilung für AveRage kannte.

Ich griff nach der wunderschönen Schneekugel unter meinem Kopfkissen, zog sie hervor und schüttelte sie. Harlequin und ich tauchten darin auf. Nahe des Chateau D’if auf dem Wasser, umgeben von einer Delfinschule. Güldener Glitzer regnete auf uns herab und imitierte goldenes Sonnenlicht, welches auf dem Meer tanzte. Ich lächelte verträumt bei der Erinnerung.  

Dann seufzte ich. Dieses Bett würde sowieso nie wirklich meines werden, weil ich darin mit ziemlicher Sicherheit nie Sex haben würde. 

Bei aller Müdigkeit wäre das jetzt ein verdammt guter Zeitpunkt für verdammt guten Sex.

Ich lächelte kurz und schloss dann die Augen. Das mit dem Sex war ein selbst gemachtes Problem, würde Katze jetzt sagen. 

Es mochte nicht mein Bett sein, aber es war überaus kuschlig. Mit der Hand auf der Schneekugel schlief ich irgendwann ein. 

❄️❄️

Ich hatte Tiernan gebeten, den Brunch im Lehrerzimmer aufzubauen, damit wir das Essen mit einer Teambesprechung kombinieren konnten. Mit "wir" meinte ich in diesem Fall alle Howling Shadows, und zunächst nur Dana. Im ersten Teil der Besprechung würde es um unseren Ausflug gestern Nacht gehen. Themen wie Celedyr, Deus und Cerberus konnten zur Sprache kommen. Das war nicht für die Ohren von Tango, Dave oder gar Alba bestimmt. Eden hatte mich gebeten, Dana15 mit einzubeziehen. Ihre Freundin war zwar kein Shadowrunner, aber eine erfahrene Hexe aus Salem. Wenn wir sie ließen, konnten wir sie beinahe als vollwertigen Howling Shadow in unsere Planung mit einbeziehen. Wenn sie denn mit der schwierigen Moral unserer Entscheidungen klarkommen würde. Sie konnte uns stärken. Besonders, da wir Columbo als Vollmagier verloren hatten. Eden hatte für ihre Freundin die Hand ins Feuer gelegt, und ich traute in diesem Fall dem Urteil von Eden. 

Eden und Dana betraten den Konferenzraum in der Begleitung von Mr. Tea. Selbstverständlich hielt der Gentleman den Ladys die Tür auf. Im Vorbeigehen fragte er Dana lächelnd: „Bist du die neue Lehrerin in Verteidigung gegen die dunklen Künste?“ 

Dana konnte mit der Frage nichts anfangen. Ich schon, da die Kinderbücher aus der letzten Jahrtausendwende mit auf meiner Leseliste von Meister Ehran gestanden hatten. Ich grinste kurz und hoffte sehr, dass Dana das nicht war. Schließlich war den Lehrern in diesem Fach stets etwas zugestoßen. Dann wurde mein Grinsen noch breiter. Mr. Tea hatte sonst immer die Frage gestellt, ob jemand rote Shirts trage. Gerade hatte ich entschlüsselt, dass er seinem Konzept treu geblieben war. 

Dana hatte in einem Gespräch verraten, dass in der Schulzeit alle Jungs Eden hinterher gesehen hatten, wenn diese auf Highheels gelaufen war. 

Sionn betrachtete Edens Beine nun genau, als diese hereinkam. „Tolles Fahrgestell, Eden!“, lobte er. „Das kann ich auch ohne Highheels erkennen. Mit Highheels kämen deine Beine sicher noch mal besser.“

Eden wurde rot.

Dana lachte. „Ja, du solltest öfter Highheels tragen!“ 

„Stimmt, ich habe während der Zeit bei den SEALs modisch nachgelassen. Wenn wir aus Boston raus sind, werde ich mich von Moxi beraten lassen“, gestand Eden.

Dana fragte: „Wer ist Moxi?“

Ich hob überrascht eine meiner perfekt geschwungenen Augenbrauen.

Finn grinste kurz. „Ja, Dana hat unsere Serie nie gesehen, darum weiß sie nicht mal, wer Moxi ist.“

Das überraschte mich wirklich. Nicht, dass jeder die Serie gesehen haben musste, doch ich hatte damit gerechnet, dass man etwas im Trideo ansah, wenn eine gute Freundin aus Kindertagen darin mitwirkte.  

„Moxi ist unsere Visagistin und hat echt was drauf!“, erklärte Shark Finn nun.

Dana sah Finn nun ihrerseits an. „Bis Eden Boston verlässt, kann sie ja mich um Rat fragen.“ Dana deutete auf den Kopf des Fomori. „Ich könnte dir auch ein Öl für deine Hörner herstellen, damit sie weiter so schön glänzen. Sogar mit einer magischen Komponente. Das pflegt.“

„Magie fällt aus“, erwiderte Finn. „Pflegeöl würde ich aber nehmen. Das macht sich grad bei den gefrästen Mustern gut.“ 

Dana lächelte. „Möchtest du einen besonderen Duft? Du solltest nämlich auf die Pflege deiner schönen Hörner achten!“

„Wenn es nach Meer duftet, wäre das schön!“, meinte der Fomori.

Eden sah Dana mit gespielter Entrüstung an. „Sag mal, baggerst du Shark Finn an, oder was?“ Dana schüttelte den Kopf. „Nein, ich spreche nur freundlich!“

Nun mischte Sionn sich ein: „Wie? Warum machst du Shark Finn nicht an? Er ist doch ein stattlicher Kerl und sieht übergut aus! Stört es dich vielleicht, dass er ein Troll ist? Bist du vielleicht ein kleines bisschen Rassist?“

Dana schüttelte irritiert den Kopf. „Nein, das wollte ich nicht sagen.“ 

Sionn grinste.

[Song 2: Barns Courtney - Glitter and Gold3] Ich beendete jede weitere Diskussion zu diesem Thema, indem ich mit dem Meeting begann und um Aufmerksamkeit bat. 

Ich startete mit unserer Aktion von gestern Nacht [s. New Kid on the Block] und der Tatsache, dass  wir am Ende auf den neu geborenen Cereus getroffen waren. 

Eden sah zu Sionn, der neben ihr saß und fragte halblaut: „Gehts dir gut?“

Sinister verdrehte die Augen. 

„Klar! Ist ja nichts passiert!“, antwortete Sionn. „Bin maximal ein bisschen müde.“

Eden lächelte. „Dann ist gut“

„Sionn hat echt auch ganz viel geleistet!“, verkündete AveRage plötzlich.

„Was genau hat er denn geleistet?“, fragte Tiernan.

Liam meinte im sarkastischen Ton: „Ja genau, AveRage, erzähl mal!“

AveRage ließ sich nicht beirren. „Na, er hat ja den ganzen Matrix-Part allein gemacht. Das war schon ziemlich gefährlich.“

„Und, hat er sich dabei verletzt?“, fragte Liam nun mit einem Grinsen im Gesicht.

Sionn winkte ab. „Nein, nein. Alles gut!“

Mash meinte dazu völlig überzeugend: „Spiel das nicht runter. Das kann eine ernsthafte Angelegenheit sein.“

Sionn winkte abermals ab. „Ach was, ist nur ein Kratzer!“

Ich unterdrückte ein Schmunzeln.

Eden sah lächelnd drein und meinte sanft: „Du Armer, soll ich mal nachsehen?“ 

Sionn nickte erfreut. „Ja, gerne. Aber später!“

❄️

Im Anschluss berichtete ich, welches Aufsehen die Ausstrahlung unserer ersten Folgen draußen erzielt hatte. „Darum hat sich unser Außenteam auch aus seinem Lager auf ein Gelände von Spinrad Industries zurück gezogen“, beendete ich meine Ausführungen.

„Krass!“, meinte Fierce.

Tiernan lachte. „Ja, auf einer Yacht haben sie es sicher total blöd jetzt!“

„Nein, ich meinte, dass das FBI die Howling Shadows befragen wollte. - Ey, Moment mal, die sind auf 'ner Yacht???“, fiel Fierce erst jetzt auf.

Eden blieb ernst. „Wie sieht es denn damit aus, können wir dann später überhaupt aus dem Sprawl raus? Oder laufen wir Gefahr, dann verhaftet zu werden?“

„Keine Sorge!“, beruhigte Doc. „Dafür müssten sie uns ja beweisen, dass wir wirklich hier waren. Vorher müssten sie uns anklagen. Ich denke, darauf haben sie keine Lust. Das gäbe keine gute Presse. Wo keine Anklage ist, ist auch keine Verhaftung.“

Foggy fügte hinzu: „Das sehe ich auch so. Abgesehen davon gibt es bisher nicht einmal ein Gesetz, das verbietet, die NEMAQZ zu verlassen. Das müsste erst noch verabschiedet werden. Bisher haben die Truppen nur das Recht, jemanden zurückzuschicken oder abzuweisen, der es versucht. Wenn wir es also raus schaffen, dann haben wir kein Gesetz übertreten.“

Eden nickte erleichtert.

❄️

Als nächsten Punkt auf der Tagesordnung führte ich den Besiedlung unseres neuen Geländes an. Wenn wir wollten, dass das hier lief, brauchten wir mehr Leute, die wir ausbilden konnten. Wir konnten nicht Aufträge erledigen, Kram besorgen und die Überwachung samt Sicherheit übernehmen. 

Wir waren uns im Nullkommanix einig, die Metamenschen aus dem Community Center aus Daves Nachbarschaft zu uns umziehen zu lassen, wenn sie denn noch da waren. Immerhin hatten sie auch Security Guards, zwei Ärzte, von denen zumindest einer einer erfahrener Doktor war, vier Schwestern, zwei Pfleger und medizinisches Equipment zu bieten. Das konnten wir gut gebrauchen. Mit dem Platz und der Ausstattung hier würden sie sich im Gegenzug ihrerseits deutlich verbessern. 

Mein Gefühl sagte mir, dass die Metamenschen im Community Center noch da waren, doch egal, ob dem so war oder nicht, es gab hier noch mehr zu tun. Da wir den SatHS-Teil mit seinen Geheimnissen hinter uns gelassen hatten, bat ich Dave, Tango und Alba zum Meeting dazu. 

❄️

Die erste Liste mit den Dingen, die es zu organisieren galt, füllte sich schnell. 

Baudrohnen, um Umbauten am Gelände und den Sicherungsanlagen vornehmen zu können; Dragonfly-Drohnen als Abwehr gehen spionierende ‚Fliegen‘; weitere Maschinenpistolen und/oder Pistolen, plus passende Munition, damit unsere Bewohner sich gegen Angriffe verteidigen konnten; Drogen wie die Kampfdroge Jazz, Stimmungsaufheller, die Dana vorgeschlagen hatte; Hundewelpen …

Ja, Hundewelpen oder auch nur Hunde. Irgendwann beim Füllen der Liste kam Sionn plötzlich auf die Idee, dass Hunde in der Academy doch gut wären. Tiernan fügte hinzu, dass sich das auch gut für die Kinder machen würde, Liam bestätigte, dass sie dadurch lernten, Verantwortung zu übernehmen, Fierce fiel ein, dass sich in den Pet-Shops sicher niemand mehr um die Tiere kümmerte - und schon standen Hundewelpen oder allgemein Hunde auf unserer Liste.

Last but not least musste dann natürlich noch trinkbarer Alkohol auf besagte Liste. 

Völlig ernst stellte Sionn fest: „Ich habe unsere Bestände gecheckt, und sie reichen noch für fünf Tage, sieben, wenn Shark Finn nicht mittrinkt!“

„Hey!“, protestierte Finn. „Das kommt gar nicht in Frage!“

„Weiß ich doch!“, beschwichtigte Sionn. „Also fünf Tage, wenn wir nicht aasen und den anderen aus den Wohnheimen nichts abgeben.“ Sionn sah zu Tiernan, „Oder kannst du was brauen?“

Tiernan grinste. „Na klar kann ich. Übrigens noch was, was für die Anschaffung von Hunden spricht! Eine paar Hundehaare machen sich beim Brauen gut.“

Fierce machte große Augen. „Du kannst aus Hundehaaren irgendwas Trinkbares brauen?“

„Klar, nennt sich Aqua Vitae!“, meinte Tiernan stolz. 

„Und ich nenne dich ab sofort göttlich!“, freute Fierce sich.

Also setzte Sionn alles auf die Liste, was Tiernan benötigte, um aus einem Teil des Treibhauses ein Brauhaus zu machen. 

„Vielleicht noch eine Gulaschkanone?“, schlug AveRage vor.

Tiernans Augen begangen zu leuchten. „Nein, lieber einen Foodtruck.“ Er sah zu Sionn. „Stell dir das mal vor, es ist kalt, der Pool ist zugefroren, und nach der Schneeballschlacht gebe ich heiße Suppe aus dem Foodtruck aus.“

Sionn nickte. „Au ja, das machen wir!“

Und schwupps stand ein Food-Truck auf die Liste der Dinge, die besorgt werden mussten.

„Dann brauchen wir aber auch noch einen Eiswagen für den Sommer!“, meinte Sionn nun. „Und Skateboards, damit wir damit auf der Halfpipe rumfahren können.“

Tiernan runzelte die Stirn. „Wie willst du denn 'ne Halfpipe bauen?“

Sionn grinste. „Na, das ist ganz leicht. Ich besorge einen Betonmischer, schalte den ein, kippe den Beton aus und du zauberst eine Halfpipe draus!“

„Ich wusste, dass die Arbeit wieder an mir kleben bleiben würde“, beschwerte sich Tiernan, nickte dann aber. 

Die Schlagworte Eiswagen, Skateboards und Betonmischer, in Klammern Halfpipe, wurden der Liste hinzugefügt.

Ich legte den Kopf leicht schief.

Liam sah zu mir. „Ich habs dir gesagt, Snowcat! So ist das jetzt jedes Mal!“

Ich zwinkerte Liam zu. „Solange es weiter nichts ist!“

Liam zuckte mit den Schultern, wohl wissend, dass Sionn und Tiernan nicht ruhen würden, bis diese Pläne in die Tat umgesetzt waren. 

Einige Minuten später waren noch ein Doc-Wagon-Wagen für eine bessere medizinische Versorgung, die gegebenenfalls sogar außerhalb des Geländes stattfinden konnte, weitere Microtransceiver und Bauteile für Jammer auf der Liste gelandet. Letzteres diente der Netzwerksicherheit. Verzichtete man auf die Wireless-Funktionen beim Transceiver, konnte man auf dem Gelände ungehindert kommunizieren. Mit einem Jammergürtel in eigen Metern um unser Gelände herum würden wir Außenstehenden das Kommunizieren schwieriger machen, Noise erhöhen und so auch die Shambler stören. Selbstverständlich sollte dieser Gürtel dann ein- und wieder auszuschalten sein. 

Wir ließen unsere Shoppingliste offen und legten eine neue Liste an, mit den Dingen, die noch zu tun waren.

Zunächst einmal würden wir das komplette Gebäude in Front zum Haupteingang zu einer Quarantänestation umbauen. Getrennte Schlaf- und Wohnbereiche, in denen sich alle Neuankömmlinge für einige Tage aufhalten mussten. Nur so konnten wir eine Infektion unserer Anlage vermeiden. Dazu musste dann die Schulkrankenstation umziehen und ausgebaut werden. Weitere Baumaßnahmen kamen hinzu.

Neben den Umbauten plante ich ein Ausbildungsprogramm zu entwickeln. Die Bewohner der Academy sollten irgendwann selbst in der Lage sein, sich zu verteidigen und neue Güter zu besorgen. Außerdem sollten die Kinder möglichst normalen Schulunterricht bekommen. Dafür war ein Schulgelände natürlich ideal. 

„Aber ich nutze gar kein Deck!“, stellte Sionn irgendwann fest.

„Ich auch nicht!“, bestätigte AveRage, „Wie sollen wir denen da beibringen, zu hacken?“

„Die brauchen dann ja auch ein Deck!“, fügte Sionn hinzu.

Liam verdrehte die Augen. „Na, wie ich eben sagte. Es geht um die Entwicklung des Vorgehens und die Begleitung. Habt ihr 'ne kurze Aufmerksamkeitspanne, oder habt ihr nur nicht zugehört?“

„Was hat er gesagt?“, wunderte sich AveRage und grinste.

Sionn lachte.

AveRage meinte mit einem Seitenblick zu Eden: „Sionn macht das sicher alles schon. So viel, wie der immer drauf hat!“

Liam schüttelte missbilligend den Kopf. „AveRage, du bist so durchsichtig wie ein billiges Nachthemd!“

Ich grinste kurz. „Was unser Ausbildungsprogramm angeht, sollten wir unsere Trideo-Erfahrung und unseren Starstatus nutzen und so etwas wie Tutorials und Begrüßungstrideos drehen, damit die Metamenschen sich auch noch an unsere Vorgaben halten, wenn wir hier weg sind.“

„Das finde ich nicht!“, warf Dana ein. „Wir müssen ihnen doch keine weiteren Vorschriften machen. Sie können selbst demokratisch entscheiden, was sie tun wollen.“

Ich sah Dana für einen Moment ruhig an und erwiderte: „Nein, das können sie leider nicht. Es muss ein Angriffs-, ein Notfall- und ein Quarantäneprotokoll geben. Und wenn eines dieser Protokolle eintritt, darf sich niemand fragen, wer dann das Kommando hat. Es darf auch nicht in Frage gestellt werden, ob sich jemand daran hält. Gegebenenfalls müssen Entscheidungen auch gegen den Willen einiger durchgesetzt werden.“

„Ich verstehe deine Punkte durchaus. Aber die Leute, die hier leben, sollten zumindest ihren Anführer demokratisch wählen können. Das ist auch besser für die Moral“, argumentierte Dana.

Ich lächelte fein. Ich war mir sogar sicher, dass man mich wählen würde, wenn ich wollte. Doch darum ging es mir ebenso wenig wie um die Situation in der Zeit, in der wir noch hier waren. Es ging mir vielmehr um alles, was nach uns hier geschah. „Ich bin ein Freund von Demokratie. Und ich bin wie du dafür, dass die Metamenschen entscheiden, wer sie anführt. Das ändert nichts daran, dass sie bestimmte Dinge nicht tun dürfen, wenn sie in einer Stresssituation überleben wollen. Also werden wir ein Sicherheitsprotokoll erstellen, das sie nicht aussetzen dürfen, egal, wen sie auch immer zum Bürgermeister wählen mögen. Ich denke, Trideos die wir drehen, helfen bei der Durchsetzung dieser Regel.“ Ich gönnte mir ein Lächeln. „Aber ob sie unsere Trideos dann wirklich ansehen, das können sie dann selber entscheiden.“

Dana zuckte mit den Schultern und nickte zögerlich. Sie war nicht komplett überzeugt, fügte sich aber. Was blieb ihr auch anderes übrig. 

„Wie wäre es mit Dave als Bürgermeister?“, schlug Shark Finn vor.

Die Wangen von Dave röteten sich vor Verlegenheit.

Ich zögerte einen Moment mit meiner Antwort. Ich war unter anderem hierher gekommen, um Dave zu retten. Schon jetzt klar war, dass er bis zum Ende des Lockdowns in der Stadt bleiben wollte. Ich wollte irgendwann nach Hause. Es war ein schmerzhafter Gedanke, ihn hier zurückzulassen. Doch Dave würde einen guten Bürgermeister abgeben. Er würde alles in meinem Sinne führen und er hatte jedes Recht, seine Heimat zu verteidigen. Also nickte ich. „Das ist eine gute Idee.“ Ich sah zu meinem liebsten Studienfreund. „Allerdings solltest du Unterricht bei Doc bekommen, damit du auch in schwierigen Situationen standhaft bleibst.“ 

Dave nickte stumm. 

Ich sah zu Doc. „Wärst du bereit, Dave zu schulen?“ 

„Gerne doch!“, erklärte Doc.

„Des weiteren müssen wir damit anfangen, Kontakte zu knüpfen!“, begann ich mit einem weiteren wichtigen Punkt. „Neben den notwendigen Dingen…“, ich grinste kurz, „… wie einem Food-Truck, müssen wir Ausrüstung besorgen, die man nicht irgendwo findet. Ich meine damit Dinge wie Waffen, Kampfdrogen, Medizin, Drohnen und Munition.“

„Und Verhütungsmittel! Jedenfalls, wenn hier Teenager leben sollen“, warf Dana ins Feld.

Ich widersprach. „Ich denke nicht, dass wir für Verhütungsmittel Kontakte knüpfen müssen. Dafür können wir einen Supermarkt oder Drugstore bemühen. Für den ersten Schub wird Mash das substituieren können.“

Mash nickte.

„Wo willst du denn Kontakte knüpfen?“, wollte Eden wissen.

Ich überlegte einen Moment. „Mal sehen, wer da in Frage kommt. Die Mafia oder die Ancients bieten sich an, da ich bei ihnen weiß, wo sie sich finden lassen.“

Dana hob überrascht beide Augenbrauen. „Mafia? Du bist aber mutig!“

Liam grinste wölfisch. „Mutig ist Snowcats zweiter Vorname!“

Ich lächelte. „Man muss nicht mutig sein. Man muss nur etwas zum Tauschen haben. Alle werden hier Geschäfte machen wollen.“ Ich warf einen Blick auf Sionn. Bei dem Wort "Ancients" war er auf seinem Stuhl unruhig hin und her gerutscht. Meine Idee, nur mit ihm und Sinister zu den Ancients zu gehen, verabschiedete sich gerade aus meiner Vorstellung. „Vielleicht versuchen wir noch, Kontakt zum Untergrund zu bekommen. Da kenne ich allerdings nicht mal den Zugang.“

„Ancients finde ich gut!“, bemerkte AveRage. „Es sieht bestimmt toll aus, wenn du dich mit dem örtlichen Boss der Ancients triffst!“ 

Damit hatte AveRage sicherlich Recht. Ein Schmunzeln huschte über mein Gesicht. Ich war schön genug für sämtliche Teilnehmer eines jeden Treffen zusammen. Wenn Lucky Liam mit in Boston eingeschlossen worden war, hatte ich vielleicht sogar Gelegenheit, auf einen weiteren Colonel zu treffen. Ich sah zu Liam. „Wenn der Colonel des Nordosten hier ist und wir ihn treffen, befürchte ich, es könnte zu einem Zeit-Raum-Paradox kommen.“ Ich zwinkerte Liam zu. Er verzog das Gesicht. Ich bleckte die Zähne, natürlich nur gedanklich. Auch über Liams Teilnahme an einem Treffen mit den Ancients würde ich noch einmal nachdenken müssen. 

Liam konnte die Ancients nicht leiden, und er würde ein rassistisches Verhalten noch weniger von jemandem akzeptieren, wenn der seinen Namen trug. Von einem besitzergreifenden Benehmen mir gegenüber ganz zu schweigen.

„Wieso?“, fragte Dana.

„Der Cononel heißt Lucky Liam, und ich weiß nicht, was das Universum davon hält, wenn sich zwei dickköpfige Liams an einem Ort befinden.“ Ja, jetzt wo ich es ausgesprochen hatte, war klar, dass es keine gute Idee wäre, Liam bei einem Treffen mit den Ancients dabeizuhaben.

Dana verstand nicht ganz - wie sollte sie auch? - sagte aber nichts weiter. 

„Ah, der Boss hier ist ein Kerl?“, fragte AveRage nach. 

Ich nickte. „Zumindest der Colonel, und der hat das Sagen, wenn er in der Stadt ist.“

AveRage war eine Spur enttäuscht. Er war wohl von einem weiblichen Boss ausgegangen, wie es in L.A. der Fall war. Dann freute er sich wieder: „Sieht bestimmt trotzdem gut aus. Dürfen wir das drehen? Die gefährlich Elfenganger treffen sich mit der schönen Snowcat. Das macht sich sicher gut.“

„Wenn es zu einem Treffen kommt, drehen wir einfach und entscheiden später, was wir senden“, erwiderte ich. „Aber vielleicht finden wir ja auch eine weniger brisante Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen“, schloss ich diesen Punkt auf der Tagesordnung.

„Bevor wir mit all den Dingen auf den Todo-Listen loslegen, sollten wir heute Abend eine kleine Einweihungsparty feiern“, schlug ich vor. „Dabei sollten wir das Gelände zu unserem machen und umbenennen. Solange Lockdown ist, handelt es sich hierbei ja um keine Schule mehr. Habt ihr Vorschläge für einen neuen Namen?“

„Ganz simpel New Haven!“, schlug Eden vor.

AveRage schüttelte den Kopf. „Nee! Das erinnert mich an Brackhaven.“

„Dann Snow Haven!“, warf Sionn ein.

Was schnell einstimmig angenommen wurde. Liam schlug dann auch gleich noch ‚Snowcat Manor’ fürs Haupthaus vor. Ich hatte ursprünglich an etwas mit Howling Shadows gedacht, aber so gefiel es mir auch. Dafür war ich selbstverliebt genug. Im Hauthaus würden natürlich nur Howling Shadows und deren direkter Anhang untergebracht werden. Zum direkten Anhang zählten bisher Alba, Dana, Dave und Tango. Wir Howling Shadows hatten Wohnungen der Seniorlehrer. Unser Anhang bekam eines der etwas kleineren Lehrerapartments. Dana bildete sofort die erste Ausnahme von dieser Regel, denn sie zog mit Eden zusammen in Edens Wohnung.

„Damit wären zwei Namen geklärt. Bei den anderen Gebäuden sollten wir es erstmal bei den alten Namen belassen, bis auf eine Ausnahme.“ Ich ließ meinen Blick über die imposante Runde schweifen. „Ich möchte das ehemalige Wohnheim für Jungen, in dem wir die ‚normalen‘ Bewohner von Snow Haven unterbringen werden, zu Columbos Gedenken in das Columbo-Wohnheim umbenennen.“

Damit waren natürlich alle mehr als nur einverstanden. 

❄️

[Song 3: Bishop Briggs -White Flag3] Ich saß barfuß, in weißen Shorts und Spitzenpullover in creme, auf meinem Kirschblütenthron auf dem Dach von Snowcat Manor, zog die Beine an und blickte durch das Blätterdach hinauf in den Sternenhimmel. Das Lärmen meiner Howling Shadows und der von bisher uns Geretteten drang zu mir hinauf. 

Die Gediegeneren unter ihnen, wie Mr. Tea, Mash, Doc und - wovon ich nicht gleich ausgegangen wäre - Alba, spielten Poker an einem weißen Gartentisch. Alba durchbrach die Gediegenheit natürlich mit dem Charme einer jungen, hübschen Frau. Offenbar pokerte sie einfach gern. Gegen Doc waren sie im Pokern zwar alle chancenlos, doch das tat dem Spaß keinen Abbruch. 

Andere wie Sionn, Sinister, Fang, Max14 und Fierce hatten sich Frisbees und Wasserbomben geschnappt und tollten damit im Garten umher. 

Alle hatten ihren Spaß, die Namensgebungs-Schrägstrich-Einweihungsparty für Snow Haven war immer noch in vollem Gange. 

Nachdem Sionn, Tiernan und ich zur Freude aller ein bisschen musiziert hatten, hatte ich mich mit dem fantastischen Cocktail, den Tiernan mir gemixt hatte, auf das Dach zurück gezogen. Ich brauchte solche Momente für mich mehr denn je. Jetzt, wo Katze nicht mehr da war.

Ich atmete tief durch. Dieses von uns akquirierte Stück Land war tatsächlich so etwas wie ein Hafen der Ruhe und Normalität. Ganz so ruhig würde es hier nicht mehr sein, wenn wir erstmal die Leute aus dem Community Center hierher geholt hatten. Dafür würde sich dieser Ort mit mehr Leben füllen. Wir würden alles dafür tun, dass man sich hier sicher und wohl fühlen konnte. Dieses Leben würde sich positiv auf die Aura von Snow Haven auswirken, was wiederum gut für die Stimmung hier sein würde. 

Doch wie schön Snow Haven auch immer werden würde, ich beabsichtigte immer noch, zu Halloween den Lockdown verlassen zu haben. 

In den letzten Tagen hatte ich immer wieder Geister beschworen, die mir, die uns, halfen. Es war unglaublich, welche Auswahl mir hierbei seit meinem Magiewechsel zur Verfügung stand. Ich konnte es noch gar nicht richtig fassen. Auch, wenn ich immer noch kein großer Freund von der Möglichkeit war, Geister für eine längere Zeit an mich zu binden, würde ich dies in den nächsten Tagen tun, um unsere Sicherheit zu erhöhen. Bald würden hier Kinder leben, die wir schützen mussten. Unsere Todo-Liste hatte sich heute gut gefüllt - und so viel wir auch vermochten, selbst wir mussten mal schlafen. Es galt genau auszuwählen, von welcher Art ein gebundener Geist sein sollte. Je mehr Auswahl man hatte, desto genauer musste man überlegen.

War es wirklich erst Wochen her, dass ich mich von Katze verabschiedet hatte? Meine Magie hatte sich erneut beinahe grundlegend verändert. Oder besser gesagt: Meine Sicht darauf. Denn natürlich hatte meine Sicht auf die Magie keinen Einfluss auf die Magie an sich. Ich zapfte weiterhin dieselbe Quelle an. Ich formte sie nur auf andere Art und hatte Zugriff auf ein höheres Potenzial. Wie die Magie selbst sich seit dem Erwachen verändert hatte, so veränderte auch ich mich stetig. Ich veränderte mich in einem Tempo, das ich kaum glauben konnte. Manchmal war es, als würde sich in mir eine Tür öffnen, hinter der neue Einblicke und Erkenntnisse verborgen waren, die sich dann über mich ergossen. Ich konnte immer sofort darin schwimmen, aber ich brauche stets etwas Gewöhnung, bevor ich alles nutzen konnte, und noch länger, bis ich aus dem vollen Potenzial darin schöpfen konnte. Seit ich denken kann, war bei all diesen Veränderung Katze an meiner Seite gewesen. Nun musste ich allein mit der Macht klar kommen, die sich hinter der letzten Tür verborgen hatte. 

Sie anzunehmen, war kein Problem. Ich wusste, dass das, was sich hinter dieser Tür befunden hatte, zu mir gehörte und richtig war. Ich fragte mich nur jedes Mal, ob das nun alles gewesen war. War ich an der letzten Tür angekommen? Oder steckten noch weitere verborgene Türen in mir?

Ich habe nicht sonderlich viele klare Erinnerungen an meine Kindheit. Dass ich 2061 nach der Nacht des Kometen wie so einige andere bewusstlos und mit Gedächtnislücken erwacht war, war hierbei nicht gerade förderlich. 

Das war keine Beschwerde. Im Gegenteil. 

Meine Haut und meine Augen hatten in dieser Nacht ihre extravagante Farbe erhalten, mein Haar war heller und voller geworden, meine Ohrspitzen hatten sich in die Länge gezogen, mein Gesicht und mein Körper hatten ihre Proportionen verändert. 

Nach dieser Nacht haben mich meine Mit-Metamenschen durchweg freundlicher behandelt. Darum war mir egal gewesen, dass ich mich kaum zu erinnern vermocht hatte, wo ich meine Besitztümer gelagert hatte. Katze hatte es gewusst, und wir hatten alles wiedergefunden.

Nicht zu vergessen: Nach dieser Nacht hatten sich die ersten Adeptenkräfte in mir gezeigt.

Genau genommen begann mein Leben erst in jener Nacht. 

Was davor gewesen war, war nicht mehr als ein schwacher Schatten eines Lebens, das ich mir zusammengereimt habe. Leben war sogar zuviel gesagt. Das war nur eine Existenz. 

Übrig war nicht mehr als eine Handvoll Gegenstände, die zu vermeintlichen Erinnerungen passten. Wenn ich darüber nachdenke, könnte ich die Gegenstände auch gefunden und mir die Erinnerungen dazu ausgedacht haben. 

Es ist mir auch egal, denn die Zeit vor dem Kometen hat wahrscheinlich wenig, woran es sich zu erinnern lohnt. 

Dafür kann ich mich an alles nach dem Kometen sehr gut erinnern. 

Einige Jahre später war der Drake in mir erwacht, noch später war aus dem Adepten ein Mystischer Adept geworden - und vor einigen Wochen hatte ich den Zugang zur Drachenmagie erhalten. Eine unglaubliche Ehre und ein Machtgewinn, den ich nicht ganz fassen konnte. So viel Macht, dass es danach doch kaum eine weitere Tür geben konnte. Ich würde in der nächsten Zeit genug damit zu tun haben, all das zu handhaben. 

Ich war wissbegieriger denn je. Und der Machthunger und das Selbstbewusstsein, welches damit einhergingen, ängstigten mich zuweilen.

Selbstverständlich hatte mich der erwachsene Drache Rainwalker ganz hervorragend auf den Weg gebracht. Sicher hätte sie mir inzwischen noch viel mehr beigebracht, wenn nicht der Boston Lockdown dazwischen gekommen wäre. 

Nachdem Ehran zu meinem Mentor geworden war, hatte er mir viel über das Rad des Lebens erzählt und die fünf Pfade, die ein Elf in seiner Lebensdauer geht. Ich hatte diese Sicht für mich angenommen. Meine Zeit bei den Ancients hatte ich dem ‚Path of the Warrior‘ zugeordnet  und meine Studienzeit dem ‚Path of the Scholar‘. Als ich dann mit SatHS begonnen hatte, hatte ich geglaubt, mich sicher und stetig auf dem ‚Path of the Traveler‘ zu befinden. Alles hatte einen Sinn ergeben. Alles schien genau darauf hingearbeitet zu haben. Normalerweise läuft ein Elf jeden Pfad mehrere Jahrzehnte. Doch der Glaube ist alt und stammt aus einer Zeit, in der die Magie schon lange existierte und - zeitgeschichtlich gesehen - nicht eben erst erwacht war. 

Doch nun hatte sich für mich wieder etwas verändert und ich fragte mich, wo ich nun stand? 

Wandelte ich die Pfade im Schnelldurchlauf und befand mich nun bereits auf dem 4. Pfad, dem ‚Path of the Sage‘? Oder war ich bisher keinen der Pfade gegangen und hatte erst jetzt meinen ersten Pfad erreicht? Das war theoretisch möglich. Da die Magie erst jüngst erwacht war, würden einige Elfen zwangsweise mit anderen Pfaden als dem des Kriegers beginnen. Mal abgesehen davon, dass die meisten Elfen nicht einmal wussten, dass es solche Pfade überhaupt gab. Das Rad des Lebens ist eine Angelegenheit des Glaubens, und nur wenige bekommen diesen Glauben überhaupt gelehrt.

Doch was konnte ich diesbezüglich noch glauben?

War ich als Drake überhaupt in der Lage, diese Pfade zu gehen? Behinderte die draconische Sicht das Vollenden des Rades?

Ich würde wohl erst mit Ehran darüber sprechen müssen, um Klarheit zu erlangen. 

Ehran betrachtete sich trotz des Paradigmenwechsels und der Tatsache, dass wir nun keine magische Gruppe mehr bildeten, weiter als mein Mentor, und ich sah und respektierte ihn weiter in dieser Funktion. Darüber hinaus achtete und liebte ich ihn, wie man seinen Vater liebt und achtet. Oder zumindest so, wie ich mir vorstellte, dass man das tut. 

Harlequin stand mir auf seine eigene Art immer mit Rat und Tat zur Seite. Sein Rat bestand mehr aus seiner Gegenwart und daraus, dass er mir spezifische Dinge beibrachte. Er spürte, wenn mich Fragen beschäftigten, und je nach seiner Laune brachte er mich auf andere Gedanken oder fragte nach und hörte dann zu. Kam ich dabei auf keine Lösung, verwies er mich an ‚den alten Schwätzer’, wie er Ehran oft nannte. 

Auch auf diese beiden Ratgeber konnte ich im Moment nicht zurückgreifen.

So lief es, wie es in meinem Leben immer mal wieder gelaufen war: Ich lernte damit umzugehen, während ich es tat. Die Gedankenspirale drumherum drückte ich möglichst beiseite.

Auch das war keine Beschwerde, sondern eine Feststellung. 

Ich betrachte es als eine meine besten Eigenschaften, mit dem umgehen zu können, was ist. Meine neue Selbstbestimmtheit und mein forscheres Vorgehen hatten mich in den letzten Wochen immer mal wieder selbst überrascht. Manchmal fällt es mir auch noch schwer, offen den Ton anzugeben, zu bestimmen und den anderen zu sagen, was sie jetzt tun sollen. Nicht, dass ich das während eines Einsatzes und in Kampfsituationen nicht schon oft getan hatte, doch eigentlich ließ ich die Howling Shadows viel lieber selbst entscheiden, was sie tun wollten. Jetzt war da etwas in mir, was die Führung übernehmen wollte. 

Gegen die Learning-by-Doing-Methode ist nichts einzuwenden. Ich hatte in den letzten Tagen verdammt viel dazugelernt. Über Geister und über das ganze Shambler-Problem. Auch bei letzterem hatte ich einige Fragen. Was die ganze Geschichte mit Pax, Cereus und Cerberus anging, brauchte ich Rat. Doch zum Glück hatte ich die Howling Shadows. Über alles, was mit Boston zu tun hat, konnte ich mit ihnen sprechen. Ich lächelte zufrieden. So einige davon waren mehr als nur Kameraden. Sie waren Familie.

Eine wunderbare Familie zu haben, sorgte mehr denn je dafür, dass mich meine genetischen Erzeuger und die Frage, warum sie mich verlassen hatten, nicht im mindesten interessierten. 

Obwohl, das stimmte nicht ganz. Eine Frage interessierte mich inzwischen brennend. 

Drakes waren ursprünglich erschaffen worden, indem ein Großer Drache ein Ritual vollführte und dabei etwas von seiner eigenen magischen Lebenskraft abgegeben hatte. Diese Magie wurde irgendwann dann doch genetisch weitergegeben. So ist jeder Drake in seiner Blutlinie einem bestimmten Drachen zugeordnet. Ich möchte unglaublich gerne wissen, welcher Große Drache meine Linie initialisiert hat. 

Auch die Suche nach dieser Antwort würde wohl noch warten müssen, denn Boston würde dieses Geheimnis wohl kaum in sich bergen. 

Ich streckte mich. Andererseits… weiß man ja nie.

Heute war immer noch der 15. Juli 2076, und damit unser 36. Tag im Boston Lockdown. Erst der 36. Tag. Es kam mir deutlich länger vor. Die Wahrnehmung von Zeit ist eben relativ.  

Apropos Zeit, jetzt war es erstmal an der Zeit, Fierce feierlich und offiziell zur ersten und wahrscheinlich einzigen meiner Walküren zu ernennen. Sie war deshalb schon ganz aufgeregt.

Ich zog meine Highheels an und bewegte mich an den Rand des Daches. 

Ich seufzte. Ich hätte mehr von meinen Schuhen einpacken sollen. Und Schmuck und …

Gelächter drang zu mir nach oben. Ich warf einen astralen Blick auf die Metamenschen unten vor dem Haus. 

Ich grinste wölfisch. Es sah ganz danach aus, als ob heute Nacht noch einige mit einander Sex haben würden. 

In meinem Bauch kribbelte es. Ich seufzte abermals. Ich hätte Harlequin bitten sollen, mich nach Boston zu begleiten.

Ich drückte das Kribbeln beiseite und sprang.

❄️❄️

[Song 4: Cloudeater - Hollow3] Am Vormittag des nächsten Tages galt es erst einmal, Pax, offiziell für uns immer noch unsere Auftraggeberin Penelope Anne Xavier, anzurufen. Ich musste Zeit gewinnen. Also sagte ich, dass der Zielort voller Shambler gewesen war, und dass wir ihn nicht hatten erreichen können. Als Beweis sandte ich ihr Bildmaterial zu. Pax zeigte nur den Hauch von Ungeduld, gab sich äußerst verständnisvoll und sogar erfreut, als ich ihr versprach, dass wir nach einem Weg suchen würden, trotzdem hinein zu kommen 

Ich war ziemlich sicher, dass sie weitere Teams beauftragen würde, wenn sie denn welche fand. Doch davon war ich vorher auch schon ausgegangen. 

❄️

Eigentlich hatte ich vorgehabt, mich gleich nach dem Frühstück um die Kontaktaufnahme mit den Leuten vom Community Center zu kümmern, damit deren Umzug so bald wir möglich in Angriff genommen werden konnte. Ein Commcall von DJ änderte meine Absichten. Er wollte uns beauftragen, die B-Station von KE8, die inzwischen von den Shamblern als Ausbildungsstelle für falsche Polizisten genutzt wurde, zu zerstören. Er bot uns 30.000 Nu¥. Ich wollte stattdessen lieber in DragonFly- oder Ares-Sparrowhawk-Drohnen bezahlt werden und eröffnete die Verhandlungen bei 16 Stück. Wären wir bei dem Job erfolgreich, würden wir mit dem Erhalt der Drohnen gleich einen Punkt auf der Beschaffungsliste abhaken können. Wir einigten uns kurz darauf auf 10 Stück und ausreichend C4, um die Station in die Luft zu jagen. Nicht, dass Liam nicht Sprengstoff dabei gehabt hätte, aber auch seine Vorräte waren nicht unendlich, und vorsorglicher Nachschub stellte sicher, dass er uns nicht ausging.

Ein Sprengjob klang mir nach eine eindeutigen Angelegenheit für den O’Niall-Clan, und so hielten wir die Besprechung in der Bar von Snowcat Manor ab. 

❄️

Eine halbe Stunde und eine Flasche Whisky später stand der grobe Plan für die Durchführung der Aktion. Doch bevor wir loslegten, wollte ich noch auf die Dragon-Line, um dort Geister zu beschwören und zu binden.

Boston ließ mir aktuell nicht sonderlich viel Zeit für Ruhe. 

Ich machte mich unter dem Schutz von Shark Finn, Fierce und Eden an einen Ort auf der Dragon-Line auf, der überwiegend ungenutzt und frei von Shamblern war und möglichst nah an Snow Haven lag. Wir ließen uns von AveRage fahren.

Liam hatte ursprünglich auch mitkommen wollen, aber nun hatte er mit dem Bau von passenden Sprengladungen zu tun. 

❄️

Den Leprechaun11 zu rufen, ging mir leicht von der Hand. Doch als ich Tok diverse Stunden später für längere Zeit an mich binden wollte, zierte er sich. Harte, kräftezehrende Verhandlungen begannen. Fast wäre er mir entglitten, doch dann konnte ich ihn doch noch überzeugen, mir länger zu Diensten zu sein. Übrig blieb für mich zudem ein Kopfschmerz.

❄️

Nach einer kurzen Nachmittagspause machte ich mich dennoch gleich daran, den nächsten Geist zu rufen. Diesmal sollte es eine Sylphe sein.

Ich wollte mich gerade an das mehrstündige Ritual des Bindens machen, als es über den Platz hallte: „Mann, gönn dir doch ein wenig Pause!“

Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Ich hatte gerade erst eine Pause gehabt. Doch dann besann ich mich. Wir waren hier auf ungesichertem Gebiet. Also stoppte ich den Vorgang, bevor er begonnen hatte, und wandte mich dem Rufer zu.

Einige Meter entfernt stand ein Mensch, genauer gesagt ein Mann, mit feuerroten Haaren und einem solch entwaffnenden Lächeln, dass zumindest Eden und Fierce ihre Waffen gleich wieder sinken ließen. 

Shark Finn war da anderer Meinung und trat dicht hinter mich. Er war nun jederzeit bereit, mich in Sicherheit zu bringen. Zum Beispiel in die Limousine zu AveRage, den er dann augenblicklich zwingen würde, loszufahren.

Der Neuankömmling war Mitte 1,80 groß und in vernünftige Klamotten gekleidet. Er trug einen auffälligen weißen Trenchcoat aus Leder. Aus echtem Leder, wie mir meine Nase mitteilte.

Ich nahm astral wahr. Wegen der Dragon-Line war die Sicht hier nicht besonders klar, aber ich war mir dennoch ziemlich sicher, einen Magier in unserem Besucher zu erkennen. Ein Magier, der sich freiwillig in einem Gebiet aufhielt, das in einem so hohen Maß der Drachenmagie zugeordnet war? Entweder hatte er sich an die Hintergrundstrahlung gewöhnt oder er war willensstark genug, mit dem unangenehmen Gefühl klarzukommen. Natürlich könnte er auch ein Drache oder Drake sein, dessen Aura wie die eines ‚normalen‘ Magiers aussah. 

Wie auch immer dem war, ich hielt ihn für ungefährlich genug, um ihn näherkommen zu lassen. Nah genug, dass wir nicht brüllen mussten, um uns zu unterhalten. 

Ash - wie er sich vorstellte - war Runner aus Boston und trieb sich gerade alleine im Sprawl herum, um Informationen zu beschaffen. Seine Affinität zu Feuer war nicht schwer zu bemerken. Er trug weiß, weil Feuer alles zu weißer Asche verbrenne. Er machte auch keinen Hehl daraus. Nach ein wenig Smalltalk tauschten wir Comm-IDs aus. Vielleicht war Ash ein Runner-Kandidat für Snow Haven. Wenn er denn die Quarantäneprozedur und die Einschätzung durch Doc über sich ergehen lassen und bestehen würde.

So wie ich das Lächeln von Fierce und Eden einschätzte, würden sich die Damen über Ash als Bewohner von Snow Haven freuen.

❄️❄️

Am folgenden Tag suchte ich den Dragon-Line-Platz noch ein weiteres Mal auf, um einen dritten und letzten Geist an mich zu binden. 

Ich konnte mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal drei Geister gleichzeitig an mich gebunden hatte. Mein Wunsch, Snow Haven und unsere Runs besser abzusichern, überwog das schlechte Gefühl ob der Geister-Sklaverei. Wie auch immer das alles hier in den nächsten Tagen laufen würde, spätestens nach einem Monat und einem Tag würde ich die Geister aus ihren Diensten entlassen. 

In der Nacht zum 18. Juli 2076 machen wir uns schließlich auf den Weg, um die B-Station zu sprengen. Wir, das waren in diesem Fall die sechs O’Nialls: Fierce, Liam, Tiernan, Sionn, Shark Finn und ich.

Liam hatte noch versucht, mich davon zu überzeugen, während des Einsatzes in Snow Haven zu bleiben. Erneut siegte das Argument, dass ich mit dem Mindnet-Zauber einen gesicherten Weg zur Kommunikation besaß. 

Abgesehen davon hatten wir mit einem von mir herbeigerufenem Brownie11 gleich noch ein weiteres Wesen dabei, welches sich auf die Nutzung von Sprengstoff verstand. Sollte die Zeit knapp werden, konnte der Brownie Sionn und Liam helfen. So etwas wie Sprengstoff nutzte man nicht, ohne gelernt zu haben, damit umzugehen.

❄️

Extrem gut ausgerüstet bewegten wir uns durch die dunkle MCZ, nachdem sich das Tor des Grenzstreifens hinter uns geschlossen hatte.

Wie immer ließ ich uns verschleiern, nachdem wir nur wenige Meter um die nächste Ecke herum außer Sichtweite der Gardisten waren. 

Die Kakophonie aus schmatzenden Ghoulen, schreienden Metamenschen, murmelnden Shamblern und entfernten Schüssen war mir fast schon so vertraut wie das Zirpen von Grillen auf einer Wiese in einer lauen Sommernacht. Man gewöhnte sich einfach so schnell.

Wir kannten den Weg zur Station ja noch von unserer ersten Tour dorthin. Das Bild, welches sich uns bot, unterschied sich nur unmerklich von dem von vor vier Tagen. Die Station lag ruhig da. Zwei Shambler-Gardisten in dunklen Knight-Errant-Uniformen samt Ledermantel und Helm standen davor. Ihr Training zahlte sich bereist aus. Die beiden menschlichen Männer wackelten zwischendurch, bewegten sich von einem Fuß auf den anderen oder stockten, während sie sich umsahen. Sie wirkten deutlich metamenschlicher als einige Tage zuvor. 

Ich war froh, dass wir diese Veranstaltung gleich schließen würden. Allerdings bedeutete das nicht, dass andere Shambler nicht irgendwann und irgendwo auf eine ähnliche Idee kommen würden. 

Dieser gesamte CFD-Vorfall nahm immer größere Ausmaße an. Dabei waren wir bisher nicht einmal auf die Spur des ausgebrochenen Drachen gestoßen. Besäße ich Aktien von NeoNET würde ich sie nun vorsichtshalber verkaufen. Egal wie abgeschirmt Boston im Moment noch war, die Gefahr, dass sich das alles rumsprach und Celedyr nebst NeoNET dafür verantwortlich gemacht wurde, bestand durchaus. 

Wir hatten vor, die Station gut eine Stunde zu beobachten, um sicher zu gehen, dass es keine losen Enden gab. Also holte ich ein Stück Plane aus meiner Tasche, um mich und meinen weißen Catsuit vor Dreck zu schützen, und machte es mir auf dem Boden gemütlich.

❄️

Nur mit den O’Nialls unterwegs zu sein besaß ein ganz eigenes Flair. Die Atmosphäre innerhalb der Gruppe konnte ich nur als gelassen familiär bezeichnen. Verbale Sticheleien und Anekdoten wurden ausgetauscht. Dabei wurden die Eigenheiten einer jeden Person liebevoll ärgernd in den Vordergrund gestellt. Hier nahm man kein Blatt vor dem Mund, denn man traute einander.

Gut eine Viertelstunde vor Ablauf der Beobachtungszeit tat sich an der Station etwas.

Vier menschliche Männer in den Uniformen von Knight Errant kamen auf die Wache zu. In ihrer Mitte bewegten sich ebenfalls zwei menschliche Männer in Zivilkleidung. Es sah aus, als würden die beiden in den Mitte von den vier geschützt werden. 

Ich nahm astral wahr. Mein Wissen erweiterte sich. Die beiden Zivilisten waren müde, hungrig, aber für die Verhältnisse hier in der MCZ noch ziemlich fit, gesund und nicht infiziert. Die vier KEs hingehen waren Shambler.

Ich gab weiter, was ich festgestellt hatte.

‹Dann müssen wir uns vor der Sprengung drinnen noch genauer umsehen›8, stellte Sionn ruhig fest.

‹Ja!›, bestätigte Liam. ‹Das ist sicher nicht ihr erster Nachschub.›

Fierce freute sich. ‹Cool! Vielleicht können wir ja noch welche retten.› Sie sah zu mir. ‹Das machen wir doch, oder, Prinzessin? Selbst, wenn es diesmal keine Schuhe dafür gibt.›

Ich lächelte fein. ‹Natürlich machen wir das!›, versprach ich.

❄️❄️

Nicht einmal zwei Stunden später betrat ich den Zellenbereich der Wachstation durch ein Loch in der Wand, welches Tiernan gerade hineingezaubert hatte. Wie aufs Stichwort und ohne dass ich eines genannt hatte öffneten sich die Zellentüren. 

Dann meldete Sionn: ‹’Garbage in, Garbage out’ läuft ab jetzt!› Was bedeutete: Immer, wenn jemand in der Station eine Tür öffnen wollte, verschloss sie sich stattdessen.

Wir hatten die Wachposten vor dem Gebäude per Beeinflussungskraft eines meiner Geister dazu gebracht, hineinzugehen.

Während ich, begleitet von Shark Finn und Tiernan, in meiner vollen Schönheit die 13 Gefangenen davon überzeugte, uns durch das Loch nach draußen zu folgen, legte Liam vorne die letzte Sprengladung. Sionn und Fierce kamen vom Dach herunter und gesellten sich zu ihm. 

Dann begannen wir alle, die ausgemachten Fluchtrouten entlangzulaufen. Da wir nun sichtbar waren, hatten wir uns einen Weg mit möglichst wenig Shamblern zurechtgelegt. 

Kaum, dass wir uns einige Meter entfernt hatten, erklang ein sattes WUMP. Bald darauf war von der Station nur noch ein Haufen Schutt übrig. Höchstwahrscheinlich hatten einige der Shambler das dennoch überlebt, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals wieder unter dem Schutthaufen hervorkommen würden, war gering. 

Wir kamen zum Stehen. Bevor ich irgendetwas mit unseren Befreiten diskutierte oder sie gar an einen von uns heranließ, damit sie uns zum Dank umarmen konnten, nahm ich astral wahr. 

Ich seufzte. Eine der beiden Frauen war infiziert. Sie musste mehr als nur ein normaler Shambler sein, denn ihr Verhalten war absolut unauffällig. Sie gehörte sogar zu denen, die Angst gezeigt hatte und nun am meisten Dankbarkeit an den Tag oder besser gesagt, an die Nacht legten. Ich informierte die anderen. 

Liam und Sionn hatten ihre Infektion ebenfalls bemerkt. Sie standen schon mit gezückten Waffen bereit. 

Ich befahl der Frau mit magisch unterstützer Stimme, von den andern Geretteten Abstand zu nehmen. Ihr entsetzter, ängstlicher Gesichtsausdruck erzielte zumindest bei ihren ehemaligen Mitgefangenen eine Wirkung. Während Liam und Sionn sie mit vorgehaltenen Waffen in Schach hielten, erklärte ich den anderen mit Engelszungen, dass es sich bei dieser Frau um eine Erkrankte handelte. Dass ein Großteil der Männer mich aus dem Trideo kannte, unterstützte meine Glaubwürdigkeit. Dennoch opferte ich schließlich einen weiteren Dienst eines meiner Geister, um die CFD-Erkrankte mit Beeinflussung unter Kontrolle zu bringen. So konnte ich in jedem Fall eine Szene vermeiden. Eine hysterisch kreischende Frau, die um Gnade flehte, konnte ich nicht gebrauchen. 

Die Jungs betäubten sie mit Stick'n'Schock-Munition, bis sie nicht mehr regenerierte. Vorsichtshalber verabreichte ich ihr noch ein Portion Pixie-Dust. Die Droge lässt einen die letzten Minuten vor der Einnahme vergessen. Ich wusste weder, ob das bei Shamblern etwas nützte, noch ob die Frau irgendwann später wieder aufwachen würde. 

Es war mir auch egal.

❄️

Sergeant MacNamara war sichtlich erleichtert, als wir zurückkehrten. In der Nacht zuvor hatte irgendetwas die Shambler aufgeschreckt, und seitdem waren sie unruhig.

Sechs der Männer hatte nicht gewusst wohin, womit sie dann die ersten neuen Bewohner von Snow Haven wurden, denn wir nahmen sie mit zu uns. Die Frauen, die wir aus den Fängen der Knights of the Red Branch befreit hatten, würde das freuen. Dass ein Ork unter den Männern war, freute Fierce bereits. Sie unterhielten sich angeregt. Jensen war sogar Combat-Biker-Fan und ‚kannte‘ Fierce noch aus ihrer Zeit bei den St. Petersburg Rasputins, weil er mehr als nur die Spiele der UCAS-Teams verfolgt hatte.

Die Funktionstüchtigkeit unserer Quarantänestation konnten wir so jedenfalls auch gleich testen.

❄️❄️

Am Vormittag des nächsten Tages setzte ich mich auf meinen Kirschblütenthron und schrieb in dessen kühlem Schatten einen langen Brief an Harlequin. Heute vor drei Jahren hatte der große Drache Ghostwalker den Rift von DeeCee geschlossen. Dabei war Harlequins alte Freundin Aina gestorben. Oder zumindest verschwunden. Harlequin war sich jedenfalls sicher, dass sie tot war. Bei diesem Ritual hatte sich meine Magie verändert. Zuvor war meine Magie auf die Erweiterung meiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten beschränkt gewesen. Seit jenem Tag konnte ich zaubern und beschwören. Ausgerechnet Aina war es gewesen, die mir schon davor ein Beschwörungsritual beigebracht hatte. Sie war es gewesen, die gesagt hatte, ich solle nicht an dem festhalten, was ich für mich kannte, sondern offen für eine Erweiterung meiner Magie sein. Sie hatte als erste und einzige überhaupt darauf bestanden, dass mein magisches Potenzial noch nicht völlig erschlossen sei. Ich seufzte bei der Erinnerung daran. Ich hätte diese außergewöhnliche Frau gerne besser und näher kennengelernt.

Ainas Tod hatte in meinem Liebsten einen Zorn und eine Trauer entfacht, die ich manchmal beinahe hatte schmecken können. Allerdings nur in Momenten, in denen ich Harlequin aus einiger Entfernung beobachtet hatte. Bei meinem Anblick und in meiner Nähe waren diese Emotionen so schnell zerfasert, dass ich mir nicht einmal mehr hatte sicher sein können, dass der Zorn überhaupt dagewesen war. 

Gerade darum schmerzte es mich, heute nicht bei Harlequin sein zu können. Ich versprach in meinem Brief, heute nach Sonnenuntergang eine Kerze für Aina anzuzünden und eine illusionäre Himmelslaterne für sie steigen zu lassen. Ich würde dann ganz fest an Harlequin denken. Wenn er zu dieser Zeit das Gleiche tat, wäre es, als gedachten wir Aina gemeinsam. 

Dann begann ich, Snow Haven zu zeichnen. Die Zeichnungen scannte ich und fügte sie dem Brief bei. Die Papiervariante legte ich wie alle meine bisherigen Boston-Briefe an meinen Liebsten in mein handschriftlich geführtes Tagebuch. Ich führte es erst seit ein paar Wochen. 

Das in weiches Leder gebundene Buch aus wunderschönem Papier war ein Geschenk von meinem Mentor Ehran. Ich zeichnete und schrieb beinah täglich hinein. Das schulte meine Handschrift, trainierte meine Zeichenkunst und half, meine Gedanken zu sortieren. Das war gerade jetzt wichtig, wo Katze nicht mehr bei mir war. Abgesehen davon führte ich nun nicht mehr jeden Tag bei Sonnenaufgang mein Morgenritual durch, welches mir zuvor von meinem Pfad auferlegt gewesen war. Nun wieder ausschlafen zu können, gefiel mir gut. Ein angenehmer Nebeneffekt sozusagen. Dennoch war es wichtig, sich einmal am Tag auf sich und die Ereignisse zu fokussieren. Da kam mir das Aufschreiben gerade recht. Am Liebsten machte ich das aktuell bei Sonnenuntergang

Meine generelle Sehnsucht war an einem Tag wie heute besonders groß. Mehrere Seiten an Harlequin zu schreiben, hatte geholfen.

Da das Schreiben so gut getan hatte, verfasste ich einen Brief an Bloody Guts, denn die besondere Verbindung, die zwischen uns seit der Schließung des Rifts bestand, hatte heute ebenfalls Jahrestag. Selbstverständlich gab es keinen Grund, diesen Brief in irgendeiner anderen Form als elektronisch festzuhalten. So kam ich schnell voran. 

Im Anschluss wählte ich rosa AR-Briefpapier mit Schuhen, Perlen und Lippenstift aus und schrieb einen Brief an Moxi. Hier gingen die Worte beschwingt von den Fingern. Ich berichtete meiner Freundin, was ich so an teaminternen Klatsch und Tratsch zu bieten hatte. Nach Fertigstellung grinste ich breit. Moxi würde sicher genauso grinsen. Wie gut, dass ich Liam hatte, der die Briefe gleich versenden konnte.  

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[Song 5: Walk the Moon - Kamikaze3] Während der nächsten Tage startete dann endlich unsere Aktion mit dem Community Center. Die Kontaktaufnahme war kein Problem. Inzwischen war die Zahl der Metamenschen dort auf 120 Personen gestiegen. Dr. Madison hatte immer noch die Leitung. Unser Vorschlag zum Umzug freute ihn sehr. Auch die Zustimmung durch die Leute dort erfolgte schnell. Schon zwei Tage nach unserer Anfrage begannen wir, die Metamenschen mithilfe unserer beiden Schulbusse umzuquartieren. 

Derweil hatten ‚Snowcat und die Howling Shadows’ sich schon ordentlich eingelebt. Snowcat Manor war einfach zu schön, um wahr zu sein. Bar und Gemeinschaftsküche, Kino und Billardsalon, das alles machte unsere Freizeit mehr als nur erträglich. Dazu kamen dann noch Garten und Pool - ja wir hätten es deutlich schlechter treffen können.

Fang trainierte Alba regelmäßig, und wenn er einmal nicht selbst daran dachte, forderte BF Fierce ihn dazu auf.

Tiernan und Dana widmeten sich dem Garten. Sie pflanzten an, was man später würde ernten und essen können. 

Sionn fand großen Gefallen am Sportplatz. So oft er Zeit fand, holte er den Basketball raus, um zu spielen. Meist gesellte sich Shark Finn dazu, manchmal auch Sinister. Andere, wie Dana und Eden, sahen lieber zu. Beim Spiel eins gegen eins war der Elf dem Troll hoffnungslos unterlegen. Doch das störte ihn nicht. Einmal versuchte er, Shark Finn im Sprung zu überwinden. Der Fomori nahm den Arm hoch und ließ seinen Clankameraden förmlich abprallen. Schon im Sturz begann Sionn schallend zu lachen. Nachdem er sich aufgerappelt hatte, meinte er weiter lachend: „Ich wusste schon im Flug, dass das 'ne Scheiß Landung werden würde. Jetzt muss ich aber mal zu Mash, ich glaub, ich hab mir den Arm gebrochen.“

Dem war dann tatsächlich so. 

Später beim Abendessen musste Sionn den bereits magisch geheilten Arm noch in einer Schlinge tragen. Eden kümmerte sich fürsorglich und mit einem Augenzwinkern um Sionn. Sie bot ihm an, sein Fleisch zu schneiden. Sionn überlegte kurz, grinste dann und nahm das Angebot unter dem Gelächter seiner Familie an.

Fierce hatte eine passende Geschichte dazu parat. Sie erzählte temperamentvoll, wie sich Sionn mal drei Rippen und ein Bein bei einem Sturz nach einem misslungenen Sprung gebrochen hatte. Damals hatte er auch gelacht. Tiernan und Shark Finn hatten ein paar ähnliche Storys parat. Da Sionn viel riskierte, passierte ihm offenbar öfter mal etwas. Der Elf lachte dazu und kommentierte das mit den Worten: „Aber wenn es geklappt hätte, dann wäre es genial gewesen.“

Shark Finn gab letztendlich zu, dass man mit den gelungenen Moves mehrere Action-Trideos füllen könnte, wenn die meisten Situationen nicht so illegal gewesen wären.

Liam schwieg dazu und meinte am Ende, dass Sionn schon was drauf habe, solange man ihn nicht in ein Chemielabor lasse.

Natürlich ließen wir uns auch die Geschichte dazu erzählen. Sie war relativ kurz, aber extrem aufschlussreich. Liam und Sionn waren zusammen auf die Highschool gegangen und hatte in ihrer Zeit dort das Chemielabor in die Luft gejagt.

„Aber nur, weil du gesagt hast, die Scheiben fliegen nicht raus!“, erklärte Sionn.

Liam griente. „Das hab ich nicht gesagt. Ich habe gesagt ich bin mir nicht sicher.“

„Ja, stimmt! Darum habe ich die Flüssigkeiten zusammengekippt. Nun sind wir uns beide sicher, dass die Scheiben alle rausfliegen und dadurch die Struktur des Gebäudes beschädigt wird. Ich habe also etwas für unsere Weiterbildung getan.“

„Hatte das Konsequenzen für euch?“, wollte Alba wissen.

Ein Schatten huschte über das Gesicht von Sionn. Er zuckte mit den Schultern und meinte fröhlich: „Nix Schlimmes. Wir sind am Ende beide von der Schule geflogen.“

Kater Brutus, der genau genommen das Familiar von Dana und somit ein Geist war, kam ins Zimmer geschlendert. 

Sionn grinste wölfisch. „Bei mir brauchst du es gar nicht erst zu versuchen. Ich geb’ dir nix,“ erklärte er.

Brutus warf Sionn einen abfälligen Blick zu. In Gegenwart von Dana hätte er wahrscheinlich auch nicht versucht, Sionn zu manipulieren. Merkwürdigerweise hielt sich der Geist gerne in der Nähe von Essen auf und versuchte die Metamenschen mit seiner Influence-Power dazu zu bringen, ihn zu füttern. Dabei brauchte Brutus gar keine stoffliche Nahrung. Offenbar hatte er einfach Spaß daran, zu fressen. Das Essen verschwand jedenfalls in ihm, wenn Brust fraß - und das sah völlig natürlich aus.

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Der 24. Juni 2076 - und somit unser 45. Tag im Boston Lockdown - versprach ein heißer Tag zu werden. Darum traf ich mich, für meine Verhältnisse relativ früh am Morgen, mit Shark Finn, um im Pool zu schwimmen. 

Zu diesem Zeitpunkt waren Eden und Alba schon eine ganze Zeit zum Frühsport unterwegs. Da zum Gelände auch eine Parkfläche gehörte, war sogar Lauftraining möglich. Alba hatte sich zusätzlich zu ihrem Pensum bei Fang einfach an unsere SEAL gehängt. 

Leider hatte ich nicht dran gedacht, einen Badeanzug mit nach Boston zu nehmen. Wie hätte ich auch ahnen können, dass wir Zugang zu einem Pool bekommen würden? Kurzes Multifunktions-Sportzeug tat es zum Glück auch. So konnte ich mit Finn schwimmen und tauchen, was ich inzwischen wirklich gerne tat. Der surfbesessene Fomori hatte aus dem wasserscheuen Kätzchen eine richtige Wasserratte gemacht. Moment - das Wort Ratte passte nun wirklich nicht zu mir. Dann hatte Finn wohl doch lieber einen Tiger aus mir gemacht. Tiger lieben Wasser und gehen gerne schwimmen. Ja, das gefiel mir.

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Als ich nach gut einer Stunde Wassersport das Schwimmbecken verließ, wollte Shark Finn noch ein bisschen im Pool bleiben. Er zwinkerte mir zu und tauchte unter. 

Ich trocknete mich ab, nahm meine Tasche und kletterte auf einen großen Baum in der Nähe des Pools, um dort in einem Buch zu lesen, welches ich aus der Bibliothek mitgenommen hatte. ‚Harper Lee, wer die Nachtigall stört‘, war eines von tausend Büchern, die ich laut Ehran gelesen haben sollte.

Es war nett, mal in einem Buch aus Papier zu lesen. Bei meinem durch eine Adeptenfähigkeit erhöhten Lesetempo war ich allerdings ganz schön mit dem Umblättern beschäftigt.

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Eden und Alba, die sich offenbar nach dem Sport im Pool erfrischen wollten, kamen mit Sionn den Weg entlang. Sie blieben am Rand des Beckens stehen, um sich darüber zu unterhalten, worin man wohl am Besten ohne Badekleidung im Pool badete. 

Plötzlich - also für die anderem plötzlich - ich hatte so etwas bereits geahnt - tauchte ein riesiger Schatten aus dem Pool auf, packte Sionn am Kilt und zog ihn ins Wasser. 

Alba lachte und sprang dann in Sport-Shorts und Shirt in den Pool. Eden brauchte einen Moment, bis sie ihre Anspannung wegen eines vermeintlichen Angriffes abgeschüttelt hatte, lachte dann ebenfalls und hüpfte ins Wasser. 

Das Gespräch der anderen wieder aufnehmend meinte Shark Finn: „Na, Alba, wie wäre es mit einem Tauchwettbewerb? Wer zuerst auftaucht, zieht was aus.“

Die hübsche, junge Reporterin strahlte. „Wenn alle mitmachen, bin ich dabei!“

Sionn meinte fröhlich: „Aber ich bin schon im Nachteil, was den Einsatz angeht. Ich habe nur ein Teil an.“ Dann warf er einen Blick auf Alba und Eden, zuckte mit den Schultern und meinte grinsend: "Aber klar, ich bin auch dabei.“

Ich steckte mein Buch ein, kletterte auf einem Ast ein Stück vor und legte mich bäuchlings darauf, um einen besseren Blick von oben auf das Wasser zu haben. Ich war neugierig, was jetzt geschehen würde. Soweit ich wusste, besaßen sowohl Eden als auch Shark Finn einen internen Lufttank. Sie spielten also nicht ganz fair.

Eden zählte bis drei, dann tauchten alle ab.

Unter Wasser winkte Eden Sionn zu sich. Sie bot ihm Atemluft aus ihrer Reserve an. Nicht etwa per externem Mundstück, welches sie höchstwahrscheinlich ebenfalls besaß, aber nicht unbedingt dabei hatte, sondern via Mund-zu-Mund-Übergabe. Die Chance ließ sich Sionn selbstverständlich nicht entgehen. Da er eh schon in ihrer Nähe getaucht war, wandte er sich zu ihr und drückte seinen Mund auf ihren. 

Für einen Moment schien klar, dass Alba die sichere Verliererin sein müsse. Doch wie bereits erwähnt besaß auch Shark Finn einen internen Lufttank. Und was Eden konnte, konnte Finn schon lange. 

Ich lachte leise und zog mich wieder auf meine Leseposition tief in den Baum zurück. Bei Shark Finn reichte die Luft für Stunden, das konnte also eine sehr lange Mund-zu-Mund-Beatmung unter Wasser werden. Ich ging fest davon aus, dass Sionn und Eden daran Gefallen fanden. Selbst, wenn Alba jetzt nicht total darauf abfuhr, ihre Lippen auf die des extrem attraktiven Fomori zu drücken, schätzte ich Alba als überaus ehrgeizig ein, was das Gewinnen anging. Schon deshalb würde sie nicht einfach auftauchen wollen. Würde ich auf eines der Paare wetten müssen, ich würde auf Shark Finn und Alba setzen, da Sionn die reine Luftübergabe irgendwann zu langweilig werden konnte.

Letztendlich sollte ich das aber nie erfahren, denn einige Minuten später kam Liam an den Pool geschlendert. Er griff in seine Umhängetasche, zog etwas daraus hervor, ohne weiter zu suchen, hantierte daran herum, grinste wirklich böse und ließ den Gegenstand dann in den Pool fallen.

Sionn und Shark Finn reagierten sofort.

Shark Finn flog förmlich mit Alba an die Wasseroberfläche. 

Sionn gab Eden das Zeichen, aufzutauchen. Da sie nicht fragte, sondern reagierte, waren die beiden kaum langsamer. 

Von meiner Position aus betrachtet war der Kopf des Fomori zuerst an der Luft erschienen. Er warf Alba praktisch auf die Wiese und stemmte sich dann triefend hinterher. 

Eden war schneller an den Rand geschwommen als Sionn und reichte ihm eine Hand. Nach dem Verlierer dieses Spiels fragte keiner mehr, als die Unterwasserbombe von Liam explodierte. 

Alba bekam einen gehörigen Schreck, Eden schüttelte den Kopf und Sionn ließ sich lachend ins Grass fallen.

Liam klatschte. „Gut reagiert, Jungs!“, freute er sich sichtlich.

❄️❄️

[Song 6: Placebo - Meds3] Für den Abend stand das Knüpfen neuer Kontakte auf dem Programm. Es wurde Zeit, dass wir damit begannen, unser Netzwerk aufzubauen. 

Als Alba, AveRage, Dana, Eden, Fang, Fierce, Sionn, Tiernan und ich in die Limousine stiegen, trug ich endlich mal nicht meinen üblichen Catsuit. Stattdessen hatte ich eine weiße, gepanzerte Hose, eine weiße, blütenbestickte, ebenfalls gepanzerte Korsage und weiße Highheels an. Um den Look barocker wirken zu lassen, trug ich eine Kragen aus Rüschen aus weißer Spitze um den Hals. Mein Haar hatte ich hochgesteckt und mit blütenbesetzten Haarspangen fixiert, die zur Korsage passten. Mein Make-up war tadellos und nahezu perfekt. Moxi hätte sicherlich noch mehr herausholen können, doch ich war mit dem Ergebnis des Zaubers durchaus zufrieden. 

Dass jeder Minuten vor der Abfahrt einen Healthy-Glow-Zauber erhalten hatte, ließ uns alle reiner und makelloser wirken. Das würde beim Knüpfen von sozialen Kontakten hilfreich sein.

Alle hatten sich trotz der geringen Auswahl an Kleidung in Schale geworfen. Eden trug eine schwarze Hose und eine schwarzes Satin-Tanktop. Sie zeigte, wie man auch mit wenigen Kleidungsstücken eine tolle Figur abgeben konnte.

Schon allein, weil es Alba aktuell nur im Dreierpack mit Fang und Fierce gab, waren wir zu neunt. Zum Glück beabsichtigten wir nicht, in die Containment-Zone zu gehen, so konnte ich auf das Sprechen eines Mindnet-Zaubers sorglos verzichten. Einen zusätzlichen Leprechaun beschwor ich dennoch. Es war immer gut, ausreichend geschützt zu sein.

Wir machten uns in Richtung Cambridge auf. 

Auf unserer Karte hatten wir Gegenden markiert, in denen man die Mafia treffen konnte. Wenn wir dort nicht fündig werden würden, konnte ich immer noch nach den Ancients Ausschau halten. Doch zunächst einmal stand als erstes Ziel der Nachtclub mit dem Namen Avalon auf dem Programm. Der Club gehörte Smedley Pembrenton III. Einem vercyberten Troll und ehemaligen Shadowrunner, der jetzt nebenbei als Schieber arbeitete. Außerdem hatte ‚Boom‘, so wie er sich früher genannt hatte, mal zu den sogenannten Watchern des großen Drachen Dunkelzahn gehört. Bei Smedley handelte es sich also durchaus um eine interessante Persönlichkeit und Straßenlegende. 

„Soll ich eine Waffe mitnehmen?“, hatte Dana vor unserer Abfahrt Shark Finn gefragt. 

„Also da, wo ich herkomme, killt man die ohne Waffe immer zuerst!“, hatte dessen Antwort gelautet. Worauf Dana sich eine Pistole hatte geben lassen, mit der sie nach eigener Aussage auch umgehen konnte.

Selbstverständlich waren alle von uns bewaffnet. Ich sogar mit Fubuki, Black-Tooth-Dagger und meiner weißen Betäubungspeitsche. Da ich in den letzten Tagen viel Zeit für Kampftraining bei Meister Tango gehabt hatte, würde ich nun wieder regelmäßiger mit Peitsche unterwegs sein. 

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Wir parkten in der Nähe des Simmons College. AveRage blieb im Wagen, um uns notfalls abholen zu können und um gleichzeitig auf das Fahrzeug aufzupassen. 

Es gab hier abgegrenzte Bereiche, die einigermaßen sicher wirkten. Überall dazwischen standen hier und dort kleine Shambler-Gruppen herum.

Natürlich hatte man die Eingänge des College abgesichert, so gut es eben ging. Stacheldraht, Seile und ähnliches waren angebracht worden, um Shamblern den Zugang zu erschweren.

Trotzdem machte die Umgebung einen normaleren Eindruck als alles, was wir in den letzten Wochen in den Bezirken von Boston gesehen hatten. 

Hinter den Barrikaden vor einem College-Gebäude saßen und standen junge Metamenschen beisammen, unterhielten sich, tranken Bier und lachten sogar.

Eine der kleinen Studentengruppen - sie stand am dichtesten an einer Absperrung, bestehend aus zwei jungen Frauen, unter ihnen eine Zwergin, und drei jungen Männern, von denen einer ein Elf war - wurde auf uns aufmerksam. Sie starrten uns ein wenig fassungslos an.  

Die Zwergin war in Hotpants, Lederjacke und Simmons-College-Tanktop gekleidet. Sie fing sich als erstes und kam zu uns rüber.

„Hallo, ich bin Kathy!“

Ich reichte ihr meine behandschuhte Hand.

„Wow!“, meinte sie. „Ich wusste gar nicht, dass ihr, dass du in der Stadt bist. Kommt ihr, um uns zu retten?“

Ich schmunzelte kurz. „Seid ihr denn in akuter Gefahr?“ fragte ich lächelnd.

„Was? Nein, äh. Das nicht! Aber ihr seid die Howling Shadows. Ich hatte gehofft, ihr beendet die ganze Scheiße mit den Kranken einfach.“

Ich wusste nicht, ob ich gerührt, geehrt oder traurig sein sollte. „Leider sind die Shambler keine magische Gefahr, die sich so einfach auslöschen lässt. Wir sind auch nur im Lockdown gestandet. Aber wir sehen, was wir herausfinden können. Vielleicht können wir dann irgendwas tun.“

Eine Aussage, die Kathy freute. „Ja, cool. Wenn du das sagst, dann bedeutet das viel. Ihr könnt bestimmt was machen!“

„Wie viele seid ihr denn hier?“, fragte ich.

„Hier im Simmons College?“ Kathy blickte zurück. „Oder nur in dem Gebäude?“

„Nur in dem Gebäude.“

„Na, so um die 200 Metamenschen!“

‹Nein, dann können wir euch nicht alle mitnehmen!›, dachte ich bei mir und antwortete mir auf eine Frage, die gar nicht gestellt worden war.

„Seid ihr einigermaßen versorgt?“, wollte ich noch wissen.

„Na, wir werden satt. Eine Dropzone liegt im College, darum klappt das mit der Versorgung ganz gut.“ Kathy deutete mit dem Kopf nach rechts. „Die in der Northeastern haben sich stärker eingeigelt. Eventuell haben die mehr Sachen. Also falls ihr was braucht, könnt ihr da mal gucken. Die sind von Evo, also nicht so blutrünstig wie die bei Ares.“

Alba lag altersmäßig nicht so weit entfernt von Kathy. Außerdem war sie schon rein beruflich ein kommunikativer Typ. Sie gesellte sich zu uns, ebenso wie eine menschliche Freundin von Kathy, Mary. Zu viert plauderten wir noch ein paar Minuten. Ich nahm Kathy das Versprechen ab, hin und wieder einen Blick auf unsere Limousine zu werfen und uns anzurufen, wenn es dort Ärger gab. 

Kathy war stolz, meine Comm-ID zu haben, und versprach ganz von allein, sie nicht an irgendjemanden weiter zu geben. 

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Auch auf unserem Weg durch den Park entdeckten wir immer wieder kleine Gruppen von Shamblern, die meist ziemlich müde herumstanden. Eine dieser Gruppen bemerkte uns. 

Ich gestikulierte kurz, drehte eine Pirouette, und verwirrte die Shambler mit einem Chaotic-World-Zauber. Wir ließen Fenway Park - das Baseballstation, in dem der irisierende Drache aufgeschlagen war, nachdem eine Kraft ihn von den NeoNET-Towern zurückgeschleudert hatte - links liegen. Das Gebiet war komplett umzäunt worden. Weiße Zelte mit weißen Eingangstunneln standen davor. Weitere weiße Tunnel führten in das Fenway-Park-Stadion. Metamenschen in weißen Gefahrenschutzanzügen arbeiteten dort. 

Ich seufzte kurz. Das hieß dann wohl, dass nahezu alle Zuschauer des Spiels infiziert worden waren. Was für die Besucher galt, galt für die Spieler der Tigers und Red Soxs vermutlich ebenso. Das waren keine guten Nachrichten für Carol Sanders und die kleine Mary. Mr. Sanders war bei dem Spiel gewesen. 

Auf unserem Weg am botanischer Garten der Fenway Garden Society vorbei vernahmen wir in einiger Entfernung Schreie. Wir wandten unsere Aufmerksamkeit dem Geschrei zu. Ein Gruppe von fünf Metamenschen wurde von vier Shamblern verfolgt. Ich erledigte das aus der Ferne mit einer wohlplatzierten Eisfläche, die die Shambler umherpurzeln ließ und den Metamenschen genügend Vorsprung verschaffte. 

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Wir näherten uns dem Avalon zu einer Zeit, in der es auch unter normalen Umständen nicht verwunderlich gewesen wäre, keine Schlange vor dem Eingang zu finden. Niemand betritt vor 21.00 Uhr einen Nachtclub. Allerdings wären an einem so schönen Sommerabend, noch dazu an einem Freitag, die Restaurants der Umgebung geöffnet und gefüllt gewesen. Metamenschen, mehr oder weniger zurechtgemacht, hätten ihre Speisen und Getränke genossen, sich mit ihrem Gegenüber über die vergangene Woche unterhalten oder via AR mit anderen kommuniziert. 

An einem normalen Tag hätte mein Spamfilter Dutzende von Anfragen abgewiesen und ich hätte diverse Shoppinginformationen bekommen. 

Heute stand ich mit meinen Howling Shadows und einigem Anhang als einzige Gruppe an einer Straßenecke und war froh, das Icon des Avalon überhaupt via AR sehen zu können.

Sionns Nähe verbesserte übrigens den Empfang. Nein, das war keine Metapher oder Einbildung. Er besaß die Fähigkeit, die Auswirkungen von Noise abzuschwächen.

Ich wählte also das Icon des Cubs an, schaltete mein Bild ein und drückte auf ‚verbinden‘.

Der Rufton erklang drei mal, dann meldete sich eine markante, extrem männliche Stimme mit einem simplen «Ja?»

Ich lächelte in die Kamera meines Commlinks. «Guten Abend! Wie schön, dass jemand zu erreichen ist.»

«Dieser Tage ist es in der Tat schwer, vorauszusagen, was einen erwartet», erwiderte die männliche Stimme freudig überrascht. Mein Bildschirm erwachte zum Leben. Ich blickte in das Gesicht eines imposanten Trolls mit nur einem Horn, und dies auf der linken Seite. Sein schwarzes, glattes Haar war zurückgegelt, er trug einen dunkelgrünen, eher klassischen, aber gut sitzenden Anzug. In seiner rechten Hand hielt er eine Zigarre, die er zu Hälfte runtergeraucht hatte und die wahrscheinlich so dick wie alle Finger einer meiner Hände zusammengenommen war. 

Ich strahlte und meinte nun: «Ich bin Snowcat.»

«Das sehe ich!», erwiderte er freundlich. «Unverkennbar Snowcat, von Snowcat and the Howling Shadows, oder auch von UC.»

Immerhin war das mal jemand, der sich sicher war, dass ich ich war. Außerdem konnte er die Verbindung zu UC herstellen. Was dann schon mal hieß, dass er sich mit Shadowrunnern auskannte. Ich war ziemlich sicher, dass es sich bei ihm tatsächlich um Smedley Pembrenton III. handelte. Ich fragte dennoch nach seinem Runnernamen: «Du bist Boom? Richtig?»

«Das war ich mal», sagte er ruhig. «Was führt dich hierher?»

«Wir sind hier in Boston gestandet, und ich brauche Equipment. Aber wollen wir die Details nicht besser von Angesicht zu Angesicht besprechen?»

Zu meiner Überraschung wollte er das nicht. Obwohl, so ganz stimmte das nicht. Er wollte sich schon gerne mit mir treffen, wollte mich aber nicht in Begleitung der anderen hineinlassen. Nicht mal, nachdem ich ihm gezeigt hatte, mit welch ‚harmloser‘ Truppe ich aktuell unterwegs war. Dabei hatte Alba doch so freundlich gewinkt. Er behauptete, allein zu sein und meinte, er könne das Risiko nicht eingehen, uns einzulassen. Ich konnte wiederum das Risiko nicht eingehen, ohne Begleitung zu ihm ins Avalon zu gehen.

Also blieb es bei dem Gespräch via Commlink. Auch, wenn da ein Teil in mir war, der nicht akzeptieren konnte, dass Smedley mir nicht traute, verstand der Rest von mir ihn durchaus. Er wäre als Runner nicht so alt und sogar eine Straßenlegende geworden, die für den großen Drachen Dunkelzahn gearbeitet hatte, wenn er je auf ein schönes Gesicht reingefallen wäre. Selbst, wenn es so schön war wie das meine.

Immerhin wurden wir uns schnell einig. Er würde uns die gewünschten MPs und Pistolen, das elektronische Baumaterial, ausreichend Microtransceiver mit subvokalen Mikrophonen, Wegwerfcommlinks und so viel Stick'n'Shock-Munition besorgen, wie er bekommen konnte. Dafür würden wir einen Transport in die MCZ zu einem gewissen Dr. Brain übernehmen.  

«Was transportiert werden soll, ist in fünf 20-Kilo-Rucksäcken und einem 40-Kilo-Rucksack verstaut. Ihr könnt die Sachen im Beaded Shamrock, einem Pub gleich um die Ecke, entgegennehmen.» Semdley wischte mir eine Adresse zu. «Da gibt es guten Whisky und gutes Bier. Sagt einfach ihr seid die Kuriere. Der Auftrag ist nicht wirklich eilig, aber je schneller Dr. Brain die Sachen bekommt, desto besser ist es.»

«Wir werden das noch heute Nacht erledigen», versprach ich.

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[Song 7: Marco Beltrami/ World War Z- Hand Off3] Auch wenn AveRage zu uns hätte fahren können, da die Straßen aus unserer Richtung frei genug waren, liefen wir zurück zur Limousine. Wir nahmen einen anderen Weg und kamen so dichter an Fenway Park vorbei. 

Hier war so gut wie alles zugeparkt. Niemand hatte das Baseballstadion mit dem Auto verlassen dürfen. Wenn denn überhaupt nur einer das Stadion verlassen hatte. GridGuide hatte zusätzlich Fahrzeuge aus der näheren Umgebung hier abgestellt. Selbst die Straßen waren zugestellt, weil am Rand kein Platz mehr gewesen war. Es war ziemlich wahrscheinlich, dass einige angehalten und sogar ausgestiegen waren, als sie den irisierenden Drachen am Himmel entdeckt hatten. Drachen am Himmel sieht man nicht alle Tage fliegen. Schon gar nicht tief. Andere wiederum würden intuitiv Gas gegeben haben. 

Hier sah alles aus, wie man es sich in Endzeitfilmen vorstellt. Zerschlagenes Glas, Blutspuren, Müll, zertrümmerte Gegenstände, Papierkörbe, die aus den Verankerungen gerissen worden waren. 

Ich stellte sicher, dass mein Atemschutz-Breezer richtig saß, und forderte alle auf, das ebenfalls zu tun, bevor wir weiter durch das Chaos gingen. 

Die weiße Zeltstadt der Seuchenschutzbehörde ließen wir links liegen. Auch aus der Ferne waren diverse NeoNET-Symbole zu erkennen. Bewaffnete und gepanzerte Sicherheitsgardisten schützten den Bereich.

Shambler waren keine zu sehen.

Ich nahm astral wahr und blickte Richtung Baseballstation. Ich hatte mit Verzweiflung und Angst gerechnet. Stattdessen wallten mir Hass und Hunger aus Fenway Park entgegen. Das raubte mir auch die Hoffnung, was die Zuschauer des Spiels anging. Auch den Spielern würde es kaum besser ergangen sein. Selbst, wenn sie es schnell in die Katakomben geschafft hatten, so würden sie doch einiges an Naniten abbekommen haben.

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Als wir uns der Northeastern-University näherten, konnten wir sofort sehen, was Kathy mit eingeigelt gemeint hatte. Alle Tore und Türen waren geschlossen. Barrikaden mit dem Evo-Logo waren aufgestellt und Stacheldrahtrollen waren angebracht worden. 

Ich kannte die Gegend noch aus der Zeit vor dem Lockdown. Da hatte es hier deutlich einladender ausgesehen. 

Die vier Gardisten, durchweg Menschen, die vor dem Haupthaus und hinter Stacheldraht Stellung an vorderster Front bezogen hatten, waren ziemlich schwer bewaffnet. Sie hielten Yamaha Raiders, also schallgedämpfte Sturmgewehre, vor dem Bauch bereit. Zudem trugen sie Panzerjacken, hatten Helme aufgesetzt, und Granaten an den Gürteln befestigt, die nicht nur mit Betäubungsgas gefüllt waren. Weiter hinten bewegte sich noch mehr Security-Personal. 

Wir gingen locker auf die Wachleute zu. Ich lächelte und …

Als sie langsam ihre Waffen hoben und in unsere Richtung hielten, sträubten sich meine Nackenhaare. 

Ja, wir waren ebenfalls bewaffnet. Doch alles, was wir dabei hatten, steckte in Holstern. 

Zwar hatte ich einen Breezer auf, doch ich wusste, dass mein Lächeln mein Gesicht erstrahlen ließ. Ich war schön und wirkte harmlos, und das erste, was die taten, war, ihre Waffen zu heben? Da stimmte etwas nicht!

Ich blieb stehen und zeigte durch meine offenen Hände an, dass ich in friedlicher Absicht kam. „Guten Abend, dürfen wir näher kommen?“, fragte ich freundlich.

Einer aus der Mitte trat einen Schritt vor, senkte als einziger seine Waffe, behielt sie aber in den Händen und erwiderte: „Ja!“

Was zur Hölle war da… Ich musste mir die Frage gar nicht erst zu Ende stellen, um selbst drauf zu kommen. Dennoch ging ich näher.

Ich blieb weiter entfernt stehen, als es der Stacheldraht erfordert hätte. „Guten Abend!“, wiederholte ich. „Ähm, ist alles soweit gut bei Ihnen?“, fragte ich zuckersüß und absichtlich ein wenig unbeholfen. Allerdings war ich mir nicht ganz sicher, ob mein Gegenüber für solche Feinheiten überhaupt noch ein Gespür besaß.

„Ja. Wir sorgen für Sicherheit.“

„Oh, wie schön, dass ist ja auch wichtig die Tage. Und Sie haben keine Probleme mit Shamblern?“, fragte ich keck.

Er zögerte für den Bruchteil einer Sekunde. „Nein Ma’am! Wir passen ja auf!“

„Sind bei Ihnen noch Plätze frei?“, wollte ich nun wissen.

„Nicht mehr viele, aber wenn Sie ein Bürger von Evo sind, erhalten Sie selbstverständlich jederzeit Zugang.“

Ich seufzte, „Nein, ich bin leider kein Bürger von Evo!“, erwiderte ich.

Der Gardist betrachte mich für einen Moment genauer und meinte dann: „Aber Sie sind Studentin aus Boston?“

Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. „Nein, aber ich bin ein Bürger der UCAS, wenn das helfen würde.“

Die Tonlage des Gardisten veränderte sich nun ein wenig. Er klang nicht mehr völlig kalt. Er klang genau genommen sogar freundlich, so, als wolle er etwas von mir haben. Was es aber nur noch gruseliger machte. „Wenn Sie noch Schutz suchen, lässt sich bestimmt was machen.“ Nach einer Pause fügte er hinzu. „Wir würden Sie sogar alle aufnehmen. Hier ist es sicher für sie!“

Ich lächelte. „Ach, wie gut, dann weiß ich, wo ich hin kann. Ich überlege mir das aber noch mal. Im Moment geht es dort, wo ich bin, noch. Vielen Dank für die Auskunft!“

Wir setzten unseren Weg fort. Zum Glück zögerte niemand. Es fiel mir schwer, ihnen den Rücken zuzudrehen. Doch wie immer ließ ich mir nichts anmerken. Dana winkte sogar zum Abschied, was ich sehr clever fand. 

Ich ließ ein Taschentuch fallen, um es gleich wieder aufzuheben. Obwohl ich wusste, was ich sehen würde, nahm ich astral wahr. 

Wie erwartet, waren alle vier Gardisten aus der ersten Reihe mit CFD infiziert und zeigten eine Technomancer-Signatur. Was leider auch für alle anderen Gardisten galt. 

„Die waren nett!“, kommentierte Dana. 

Ich brauchte einen Moment, bis mir klar wurde, dass sie es genau so meinte, wie sie gesagt hatte. Ihr war nichts aufgefallen. Auch Alba schien nichts zu ahnen.

Tiernan schüttelte den Kopf. „Die waren nicht nett, Dana. Mit denen hat was nicht gestimmt. Du bist noch nicht so lange mit uns unterwegs, sonst hättest du es auch gemerkt. Sie haben unsere Prinzessin nicht angebetet! Da brauchte ich nich’ mal Magie, um zu wissen, dass da was nicht stimmt.“

Ich löste auf: „Das sind alles Shambler. Ich fürchte, das trifft auf das ganze College zu.“

„Ich kann bestätigen, dass das alles CFD-TMs sind. Die haben zwischenzeitlich ganz schön heftig kommuniziert“, meinte Sionn dazu.

Ich seufzte kurz. „Ich weiß nicht, warum mich das so überrascht. Das Northeastern liegt dicht an Fenway Park, da hätte ich damit rechnen müssen. Lasst uns Kathy informieren und sagen, dass sie sich von dort fern halten soll.“

„Haben sie dort Gefangene?“, fragte Dana.

Ich zuckte mit den Schultern. „Das kann ich nicht sagen. Vielleicht sind dort alle infiziert, vielleicht auch nicht. Das wird auch davon abhängen, wie viele intelligentere CFD-Erkrankte es dort gibt und welche Persönlichkeit überwiegt. Auf jeden Fall tarnen sie sich auch.“

Dana nickte nachdenklich. „Ich wäre auf sie reingefallen!“

„Können wir nicht rausbekommen, was da los ist?“, wollte Alba wissen. „Wenn es da Gefangene gibt, dann sollten wir sie befreien!“

Ich schmunzelte kurz. Süß, wie die junge hübsche Frau von ‚wir‘ sprach. „Das mit dem Rausfinden könnte klappen. Von dort welche zu retten, dürfte über unseren Möglichkeiten liegen. In der Northeastern University sind jedes Jahre mehrere Tausend Studenten eingeschrieben. Die Sommerferien standen zwar bevor und ein Großteil der Kurse war bereits beendet, aber es gibt Personal, Sommerkurse, Prüfungen und Kurse, die später enden.“

Alba nickte traurig.

Ich lächelte sie aufmunternd an. „Ich setzte auf die Liste, dass wir herausfinden, wie es dort aussieht. Wenn wir genaueres wissen, dann entscheiden wir neu. Wenn es zu groß für uns ist, dann suchen wir jemanden, dem wir es weitersagen können.“

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Apropos weitersagen, wir gaben Kathy über die Northeastern Bescheid. Sie war sichtlich schockiert. 

Ihre Miene hellte sich wieder deutlich auf, als ich ihr mitteilte, was ich auf dem Weg zu ihr beschlossen hatte. Ich bot ihr an, sie noch heute Nacht abzuholen und sie mit zu uns zu nehmen. Sie und ihre besten Freunde, die ebenfalls im Simmons College festsaßen. 

Kathy musste nicht lange auswählen, als ich sagte, sie dürfe nur ihre besten Freude mitnehmen. Sogleich nannte sie mir die Namen von drei Kommilitoninnen. 

„Soll ich schon mal packen?“, fragte sie dann. 

Ich grinste. „Nicht sofort. Sonst merken andere noch was. Ein bisschen wird es auch noch dauern, denn wir haben heute noch einen Job zu erledigen. Du musst entscheiden, wann du deinen Freundinnen etwas sagst, du kennst die drei besser.“

❄️

Als wir schließlich zu AveRage in den Wagen stiegen, um darin zum Beaded Shamrock zu fahren, meinte Sionn grinsend: „Studentinnen!“

Tiernan grinste ebenfalls. „Ich hoffe, die sind sicher vor dir.“

Sionn winkte ab. „Was du schon wieder denkst. Ich finde nur, dann kommt noch mehr Ferienlager-Stimmung in Snow Haven auf.“

„Ich möchte noch mal darauf hinweisen, dass wir Verhütungsmittel besorgen müssen“, betonte Dana. „Jetzt erst recht.“

„Ach was, Mash hat da sicher einen Zauber für!“, mutmaßte Tiernan. 

Eden grinste böse. „Ich sperre die Mädchen einfach alle ein, dann werden sie auch nicht schwanger.“

„Ach, lass ihnen doch ihren Spaß!“, widersprach Sionn, „Ich wette, im Raum der Schulkrankenschwester oder im Kiosk gibt es jede Menge Kondome, oder, Alba?“

Alba überlegte kurz. „Ja, früher war das so. Obwohl Jungs im Mädchenwohnheim nicht gestattet waren und umgekehrt!“

„Na, das haben wir ja zum Glück abgeschafft!“, freute sich Sionn schelmisch lächelnd. „Obwohl heimlich in den Mädchenschlafraum zu schleichen schon was hat.“

Für diese Bemerkung kassierte er von Eden einen strafenden Blick. 

Alba beugte sich leicht zu Sionn rüber. „Du weißt aber schon, dass Mädchen über alles reden!“, warnte sie.

Sionn zwinkerte ihr zu. „Klar. Jungs machen das übrigens auch. Nur eben auf eine andere Art!“

❄️

[Song 8: The High Kings - Irish Pub Song3] Es standen nur eine Handvoll Wagen vor dem Pub. Auffälliger war aber, das jegliches Fehlen von AR. 

Ein altes Holzschild erklärte, dass dies schon länger so war: ‚Schalt dein scheiß AR aus und genieß ein echtes Stück Geschichte!‘, stand darauf zu lesen.

Ich lächelte fein. Der Laden hätte Blackstone gefallen.

Alba freute sich: „Ich hab schon viel davon gehört, bin aber noch nie dagewesen.“

„Ich auch nicht!“, bestätigte Dana, „Es soll ja ein bisschen anrüchig sein. Aber Elfen müssen sich hier keine Sorgen machen.“

Ich schmunzelte erneut. Dass dies ein Treffpunkt der O’Riley-Mafia-Familie war, wussten beide offenbar nicht. Was dann aber sofort erklärte, warum Elfen hier kein Problem hatten. Don O’Riley war nämlich ein Elf.

In einem abgetrennten Vorraum mussten wir unsere Schusswaffen bei zwei breitgebauten Herren, einem Ork und einem Menschen, abgeben. Eden machte das gar nicht gern, aber ich hatte keinerlei Bedenken.

Irische Volksmusik und Stimmengewirr drangen durch einen schweren Vorhang zu uns hindurch. 

Als wir schließlich eintraten, wurde es schlagartig totenstill in dem wirklich gut gefüllten Pub. Sogar die Musik hörte auf zu spielen. Ein Großteil der Gäste war männlich, die meisten davon waren Menschen. 

„Einen schönen guten Abend!“, verkündete ich laut und deutlich.

Tiernan rief auf Irisch: „Wir haben Durst!“ 

Der menschlich Mann hinter der Bar putzte stoisch Gläser und beachtete uns nicht weiter.

Tiernan meinte immer noch auf Irisch: „Wir möchten erstmal acht Bier und eine Cola!“ Während er das sagte, war an die Theke gegangen. Auch ich war inzwischen näher getreten. 

Der Barman stellte Glas und Handtuch ab, und als er zu zapfen begann, setzten das Gerede und die Musik wieder ein. 

„Wow!“, flüsterte Alba. „Ist das immer so, wenn ihr irgendwo hingeht?“

Ich lächelte ihr zu und flüsterte zurück: „Nicht immer!“

Ich nahm auf einem Barhocker platz. Als ich die Aufmerksamkeit des Mannes hinter der Theke hatte, bestellte ich zusätzlich noch zwei Whisky.

Alle von uns nahmen an der Bar Platz oder positionierten sich zumindest an die Theke. Der Barkeeper stellte meine georderten Gläser vor mir ab. Ich schob ihm eines zu. Er nickte, hob sein Glas und sagte seine ersten Worte in unserer Gegenwart. „Zum Wohl, meine Blume!“

Sionn, Tiernan und Dana orderten weiteren Whisky.

Ein rothaariger, drahtig gebauter menschlicher Mann in Anzug und Hemd, jedoch ohne Krawatte, stand von seinem großen Tisch weiter hinten auf und kam zu uns rüber. Genauer gesagt hielt er auf mich zu. Seine irische Abstammung konnte er nicht verleugnen. 

„Ich bin Shane O’Connor! Ich habe schon so viel von dir gehört, Snowcat!“ Er streckte mir die Hand entgegen. 

Ich schlug ein. „Hallo, Shane. Ich hoffe, du hast mich auch schon gesehen!“ 

Er grinste kurz. „Nicht, was ich wollte. - Sucht du Kyle?“ 

Wow, er fragte gleich nach Kyle. 

Kyle O’Farrel, der Consiglieri der O’Riley Familie, ein attraktiver Elf, mit dem ich vor sechs, beziehungsweise fünf Jahren drei heiße One-Night-Stands gehabt hatte. Dass Shane überhaupt wusste, dass ich in irgendeiner Art Beziehung zu Kyle stand, sagte einiges aus. 

„Wer ist Kyle?“, fragte Alba Eden flüsternd.

Eden zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“

Ich lächelte Shane an. „Nein. Wir sind hier um Zeug für Pembrenton abzuholen.“

Die Augen von Shane weiteten sich vor Überraschung. „Ihr seid die Kuriere, okay! Mac, wir brauchen mal was Anständiges!“, sagte Shane an den Mann hinter der Theke gewandt. 

Mac griff unter die Bar, holte eine Flasche und zehn schwere Tumbler darunter hervor, die er auf ein Tablett stellte. 

Shane pfiff laut auf zwei Fingern. Alle verstummten und sahen zu ihm. Dann rief er: „Das sind meine Gäste!“ Er nahm das Tablett, lächelte mich an und meinte: „Komm, wir setzten uns da drüben an dem freien Tisch.“ 

Er deutete in die Richtung eines großen, ursprünglich gar nicht freien Tisches, da an ihm Leute gesessen hatten, der aber nun in Windeseile freigemacht und abgeräumt wurde.

„Macht es euch da bequem!“, forderte Shane uns auf. „Ich muss mal eben noch telefonieren.“

Wir setzten uns. Tiernan verteilte die Gläser und schenkte für alle ein. Auch für AveRage, dann zwinkerte er ihm zu.

Shane trat ein Stück beiseite, gestikulierte und sprach dann Irisch in sein Commlink. 

Ich spitze meine scharfen Ohren.

„… ja Sir, das ist sie … Transport in die MCZ … verlangen Sie das bitte nicht von mir, Sir … ich fürchte, dass kann ich einfach nicht … selbstverständlich Sir, ich werde es versuchen … natürlich … auch das … ja, Sir ….“ 

Tiernan und Sionn wippten fröhlich zur Musik und beide sangen sogar mit. Ihnen gefiel es hier.

Shane setzte sich zu uns an den Tisch, hob sein Glas und prostete uns zu. 

Tiernan umarmte AveRage kumpelhaft und flüsterte ihm etwas ins Ohr. 

AveRage tat, als würde er trinken, und Sionn und Tiernan übernahmen ritterlich die tatsächliche Entleerung des Glases. 

Der Whisky war unglaublich gut. Das zufriedene Grinsen von Sionn und Tiernan bestätigte meinen Geschmack.

„Wollt ihr den Kurierjob noch heute erledigen?“, fragte Shane.

Ich nickte. „Ja, das wollen wir.“

Shane zögerte. „Gehst du eigentlich auch in dem MCZ? Ich meine, das ist kein schöner Ort und die schweren Taschen und so. Du könntest so lange hier warten, bis die anderen fertig sind.“

„Normalerweise gehe ich schon mit.“

„Das habe ich befürchtet!“, meinte Shane angespannt. „Aber hier ist es viel schöner!“ 

Ich lachte perlend. „Das in jedem Fall! Du hast Recht, das ist ein Transportjob, bei dem wir eher die kräftigen Mitglieder unseres Teams brauchen können. Ich muss nicht unbedingt mit. Ich warte dann gerne hier.“

„Sehr gut!“, die Erleichterung stand Shane ins Gesicht geschrieben.

Irgendwer, der bei der Mafia über ihm stand, hatte von ihm verlangt, mich zu überzeugen, nicht mit in die MCZ zu gehen. Shane hatte gewusst, dass er mich kaum hätte zu etwas überreden können, was ich nicht wollte. Doch das wäre seinem Boss bestimmt egal gewesen. Darum war er nun erleichtert. Ich hatte schon Interesse daran, an wen wir was in die MCZ liefern sollten. Aber für das Tragen von Dingen bin ich wegen meiner geringen körperlichen Kraft tatsächlich nicht geeignet. Ich habe schon viel versucht, kann aber nur schwer bis gar nicht an Muskelkraft zulegen. So konnte ich Shane den Gefallen einfach tun.

Shane nahm einen kräftigen Schluck von seinem Bier, welches uns Mac inzwischen gebraucht hatte. „Vielleicht könnt ihr mir mit einem Problem helfen?“, begann Shane nun. 

„Das kommt ein bisschen auf das Problem an. Doch erzähl einfach. Wie sind ziemlich gut im Beseitigen von Problemen.“ 

„Hier in der Nähe gibt es ein Depot der Boston Transport. Das hat sich kürzlich eine Gang unter den Nagel gerissen. Wir kriegen die einfach nicht weg.“ Shane öffnete via AR ein Fenster und teilte mit mir ein Symbol, welches ich ins Teamnetzwerk warf. Es handelte sich um ein simples, irgendwie elektrisiertes D. 

Mir sagte das Symbol nichts, aber von Sionn kam augenblicklich eine Textnachricht rein. <Sag ja! Den Job müssen wir machen! Ich kenne das Symbol, das sind dissonante Technomancer.>

AveRage wurde schlagartig ernst und nickte.

Also war es abgemacht! Wir übernahmen den Job.

❄️

Wir fuhren zunächst zurück nach Snow Haven. Noch ohne die Rucksäcke, die in die MCZ sollten. Während eines kurzen Meetings im Garten legten wir die Teams fest. 

Shark Finn, Dana, Mr. Tea, Liam und Sinister würden den Transportkob übernehmen. Eine kurzer Anruf meinerseits bei DJ sorgte für einen ungehinderten Zugang in die Zone.

Average, Eden, Fang und Fierce, die selbstverständlich Alba mitnahmen, Sionn und Tiernan, wollten sich mit dem Problem mit der Gang im Depot auseinandersetzen.

Ich würde tatsächlich in den Pub zurückkehren, um dort auf dieses Team zu warten. Ich traute den  Leuten der Mafia weit genug, um das zu tun. Allerdings traute ich ihnen nicht weit genug, um dort alleine zu warten. Doc würde mich begleiten.

Damit blieb Mash als einziger von uns in Snow Haven zurück.

Bevor es losging, bat ich Sionn, Eden und Tiernan kurz zur Seite. Ich verlor ein paar Worte zu der Situation um AveRage. Ich sagte ihnen, was sie tun sollten, wenn AveRage sind plötzlich merkwürdig verhalten würde. Ich erklärte es mit einer psychischen Störung, mit der AveRage schon eine Weile zu kämpfen hatte. CFD erwähnte ich selbstverständlich nicht.  

❄️

In zwei BMW Luxus ging es zurück zum Beaded Shamrock. Auf der Fahrt führte ich ein Gespräch mit Alba. Immerhin würde sie auf ihren ersten Run gehen. Die Gang sollte ausgeschaltet werden, was auch bedeuten würde, dass man nicht nur zur Selbstverteidigung kämpfte. Der Unterschied zwischen Selbstverteidigung und Angriff, egal aus welchem Grund, konnte den moralischen Kompass einer Person ganz schön ins Trudeln bringen.

❄️

[Song 9: Billy Raffoul - I’m Not A Saint3] Als wir beim Pub ankamen, hatte sich die Parkplatzsituation verändert. Ein schwarzer Nightsky, der von zwei Escalades umrahmt wurde, stand davor. 

Wie gut, dass ich mich noch umgezogen hatte und nun ein Minikleid aus weißer Spitze trug.

Drinnen war es indes deutlich ruhiger geworden. An Shanes Tisch saßen nur Männer, die alle sofort aufstanden, sobald wir eintraten.

Zunächst einmal war da natürlich Shane. Dann waren da noch zwei männliche Orks, und zwei rothaarige Schränke von Menschen, die unverkennbar Zwillinge waren. Alle vier trugen perfekt sitzende Anzüge und kauften offenbar beim selben, teuren Schneider ein. Der hochgewachsene, gutaussehende Elf, der nun ebenfalls aufstand, wirkte im Vergleich zu den Hünen schon beinahe schmächtig. 

Kyle O’Farrel! - Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn so bald wieder so sehen. Er sah noch immer so attraktiv aus wie vor zwei Jahren, als wir uns zufällig in einem Club getroffen hatten. 

Ich ging auf ihn zu, um ihn mit einem Kuss auf die Wange zu begrüßen. Er gab sich damit nicht zufrieden und nahm mich stattdessen für mehrere Sekunden fest in den Arm. 

Sein männlicher Duft ließ es in meinem Bauch kribbeln. Das löste wiederum eine Flut von Bildern in mir aus. 

Schweißnasse Laken. Hummer zum Abendessen. Champagner zum Frühstück. Lust. Leidenschaft. Und ein schmerzendes Herz, das den Verlust meines geliebten Craven noch nicht überwunden hatte. Mein erster intimer Kontakt zu O’Farrel hatte in einer Zeit stattgefunden, in der ich versucht hatte, eine Lücke zu füllen. Ich war verletzlich gewesen. Der Consiglieri war mir ungeheuer mächtig und reich vorgekommen. Er hatte mir alles bieten können, wovon ich zu jenem Zeitpunkt nur träumen konnte. Dennoch hatte ich mich gegen eine feste Beziehung zu ihm entschieden und es bei meinen ‚drei Nächten‘ belassen. Bei mir gibt es kein viertes Mal. Alles, was über drei Mal hinausgeht, ist eine Beziehung. Kyle hatte mich niemals bedrängt und mich immer anständig behandelt. Ich mochte ihn gern.

„Schön, zu sehen, dass es dir gut geht!“, hauchte Kyle in mein spitzes Ohr.

Gleichzeitig sprang ein frisches Gefühl der Lust und der Erleichterung, mich wieder zu sehen, von ihm auf mich über. 

Das war nun mal die negative Seite von hoher Empathie. 

Ich drückte die Gefühle beiseite und fuhr mit leichter Verspätung meine Mauern hoch. Die Erinnerung hatte mich unvorsichtig werden lassen.

Ich beendete die Umarmung und meinte strahlend lächelnd: „Ich freue mich sehr, dich wiederzusehen.“

„Was hat der, was ich nicht habe?“, murmelte Fang halblaut.  

Tiernan grinste böse. „Einen gut sitzenden Anzug! Charisma.“ Dann beugte sich Tiernan zu Sionn und raunte: „Ich finde, der hat sie ganz schön fest umarmt. Das hat mir nicht gefallen!“

Sionn nickte ernst. „Ja, Mann! Was bildet der sich ein?“ 

„Ich bin schon sehr lange mit Snowcat befreundet!“, erklärte O’Farrel den Umstehenden ein wenig stolz. Das war wahrscheinlich mehr an seine Mafialeute gerichtet als an meine Howling Shadows.

Ich sah zu Shane. „Die beiden Team stehen fest. Wir werden beide Aufträge noch heute Nacht erledigen. Während sich ein Team um die Gang beim Depot kümmert, werden Doc und ich hier warten. Wenn ich vorstellen darf, das ist Doktor Spencer Reed. Doc, das sind Shane und Kyle O’Farrel.“

Shane hob spielerisch verärgert eine Augenbraue. „Du wärst hier auch ohne Begleitung völlig sicher gewesen.“

„Natürlich bin ich hier sicher. Aber meine Leute arbeiten besser, wenn sie wissen, dass Doc bei mir ist.“

Kyle grätschte ein. „Wir bleiben gar nicht hier, denn wir haben eine Einladung zum Abendessen beim Don!“

Ich lächelte strahlend. „Oh, das klingt wundervoll. Eine Einladung, die ich gerne annehme.“

Wow, ich würde also gleich noch Don O’Riley kennenlernen. Was nach dem Telefonat, welches Shane vorhin geführt hatte, irgendwie zu erwarten gewesen war. Ich freute mich zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten darüber, dass ich mich umgezogen hatte.

❄️

Die Zwillinge gingen vor. Kyle deutete Richtung Ausgang. Doc bot mir den Arm an, und nahm mich damit in Beschlag, noch bevor Kyle das hatte tun können.

So suchte der Elf das kurze Gespräch mit Doc. „Rauchen Sie?“, fragte er vom Ton her unverfänglich. Kyle war gut informiert. Anders wurde man wahrscheinlich auch nicht Consiglieri.

„Ja. Ich bin sogar mal in einem Club gewesen!“, bestätigte Doc mit einem süffisanten Lächeln. Damit gab er zu, was Kyle vermutet hatte. Doc war im Smokers Club gewesen. Einer Verbindung von Elite-Killern.

❄️

Das MCZ-Team belud bereits die Limousine, als wir zu den Wagen gingen, die uns zum Don bringen würden. 

Ich entschuldigte mich einen Moment, um mich von den Howling Shadows zu verabschieden und ihnen viel Erfolg zu wünschen. Liam nutzte die Gelegenheit, setzte sich ein Stück ab und bat seinerseits Kyle beiseite. 

Er musste zu dem hochgewachsenen Mann aufblicken, aber das störte Liam nicht. Er sprach leise, mit Nachdruck und er sprach Irisch, wohl wissend, dass Kyle ihn verstand. 

Allein aus Neugier spitzte ich mein von Natur aus spitzes Ohr erneut.

„Hör zu, sie ist der Boss von SatHS, wenn ihr Mist baut, bekommt ihr es mit uns allen zu tun!“

Die Gesichtszüge von Kyle verhärteten sich. Auch er sprach Irisch. „Mal abgesehen davon, dass sie bei uns sicher ist, kommst du hierher und drohst mir!“

Liam grinste böse. „Nein. Ich halte nur die Tatsachen fest. Dazu hab ich noch was. Du hast doch bestimmt schon gehört, was man über die verrückten Iren sagt?“

Kyle zögerte einen Moment. „Du willst jetzt sagen, dass alles auf dich zutrifft?“

„Ja, genau! Ich hab schon ein ganzes Team vom Tir Corps wegen weniger ausgelöscht. Noch mal, ich drohe dir nicht. Ich sag dir nur, wie ernst es mir ist. Hat sie auch nur eine Druckstelle, ist SatHS euer geringstes Problem.“

Kyle sagte nichts weiter. Man konnte das als Sieg für Liam ohne Gesichtsverlust für Kyle werten, wenn man denn wollte. Liam drehte sich ohne weitere Worte um und ging zu den anderen.

Mir war wohlig warm ums Herz. Es war ein schönes Gefühl, so vehement beschützt zu werden.

Liam schüttelte missbilligend den Kopf, als er an mir vorbeiging. „Das war 'ne Scheißidee, Snowcat!“, raunte er mir zu.

Ich lächelte ihn an. „Ich danke dir, dass du dich um mich sorgst!“, sagte ich gefühlvoll.

Der missbilligende Ausdruck auf Liams Gesicht schmolz dahin. „Das ist trotzdem doof!“, betonte er sanft.

❄️❄️

Als wir weit nach Mitternacht in einer vollgedrängelten Limousine in Snow Haven vorfuhren, wartete das Team aus der MCZ bereits auf uns. Obwohl sie lange hatten laufen müssen, waren sie als erste zurückgekehrt.

Das Team aus dem Depot war eigentlich auch schnell fertig gewesen, aber sie hatten im Beaded Shamrock noch auf Doc und mich warten müssen. Das überaus leckere Nachtmahl hatte deutlich gedauert. 

Im Anschluss hatten wir dann noch Kathy und ihre drei Freundinnen aus dem College geholt. Das Gepäck im Kofferraum war platztechnisch kein Problem gewesen- und die vier jungen Frauen hatten wir einfach im Fußraum sitzen lassen. In einer luxuriösen Limousine auf einer wenig befahrenen Strecke ging das gerade so. 

Kaum war ich ausgestiegen nahm Liam mich in den Arm. Ich genoss das Gefühl. Es war schön, zu wissen, dass ich geliebt wurde.

„Ist jemand verletzt?“, fragte Mash.

Ich schüttelte den Kopf.

Da antwortete AveRage: „Doch, Sionn!“

Sionn deutete grinsend auf eine Beule am Kopf und eine Abschürfung an der Wange.

Fierce lachte. „Ja, er hat sich todesmutig auf den Boden fallen lassen, um AveRage zu retten.“

Sionn winkte ab. „Na, ich wollte ihm beistehen. Retten ist vielleicht zu viel gesagt!“

AveRage schüttelte den Kopf. „Nee, gar nicht!“

Mash sah sich sofort das Gesicht von Sionn an. „Es wird wohl keine bleibenden Schäden geben. Aber ich tue vorsichtshalber ein Pflaster drauf. Ich habe eins mit rosa Herzen.“

Sionn wollte gerade lachen, doch dann verzog er schmerzhaft das Gesicht, denn Mash hatte die Kratzer desinfiziert. 

Ich war mir nicht sicher, ob das jetzt wirklich nötig gewesen wäre, aber ich gönnte Mash den Spaß, und jemand wie Sionn nahm ihm das nicht krumm. 

„Wir waren erfolgreich!“, verkündete Sionn. „Alba hat alles gerockt. Und wie sah es bei euch aus?“

„Wir waren auch sehr erfolgreich und haben jede Menge Neuigkeiten!“, erklärte Shark Finn.

„Vier Studenten aufgesammelt, keine Verletzten, beide Jobs geschafft, Kontakte zur Mafia verbessert, wenn das keine erfolgreiche Nacht war“, stellte ich zufrieden fest.

„Dann steht ja 'ne riesen Feier an!“, freute sich Sionn. Er klopfte Alba auf die Schulter. „Alba hat noch einen weiteren Grund zum Feiern. Sie hat den ersten Kill auf ihrem Konto!“

Alba fiel irgendwie in sich zusammen und verzog das Gesicht. Offenbar war sie gar nicht stolz darauf, getötet zu haben. 

Sionn bemerkte das ebenfalls und fügte hinzu: „Ich korrigiere mich. Wir haben nicht gecheckt, wann er gestorben ist. Alba hat auch nur mit Betäubungsmunition geschossen. Ich will das nicht runterspielen, aber vielleicht war das mit dem Killpunkt zu früh.“ Sionn zwinkerte Alba zu - hach, was konnte dieser Mann sexy aussehen - und meinte freundlich: „Es war dein erster Run, du hast dich nicht einschüchtern lassen und im richtigen Moment gehandelt. Das war gute Arbeit!“

„Auf jeden Fall steht eine Party an“, bestätigte ich. "Aber erst heute Abend irgendwann. Wir bringen Kathy und Co. in der Quarantäne unter, treffen uns zum Debriefing in Snowcat Manor, dann schlafen wir uns erstmal aus - und dann gibt’s die Party!“

„Perfekter Plan!“, freute sich Sionn.

Nachdem sich ein Teil von uns verstreut hatte, kam Alba zu mir. „Ist es okay, wenn ich nicht zum Debriefing komme? Ich bin ziemlich müde. War ein langer Tag. Wenn du noch Fragen hast, dann kann ich sie dir ja auch später beantworten.“

Ich lächelte und meinte sanft: „Na klar. Geh schon mal schlafen. Wir können alles später klären.“

Alba war sichtlich erleichtert. Sie umarmte Fang und verschwand dann Richtung Dusche.

Ich hatte in ihren Augen lesen können, dass ihr erster Run sie bewegt hatte. Da fanden diverse Kämpfe in ihr statt. Doch Alba war stark! Sie würde es überstehen, überdenken, ihre Entscheidung treffen und dann damit klar kommen.

Wenn sie Hilfe brauchte, gab es hier viele, die ihr auf jede erdenkliche Art helfen konnten. Insofern hatte sie es gut getroffen.

Immerhin war sie jetzt bei den Howling Shadows. 

Ich unterdrückte ein Gähnen. Ich war tatsächlich müde genug, um mich auf mein Bett zu freuen, auch, wenn ich heute schon wieder alleine darin schlafen würde.

Ich würde meinen Liebsten wieder verdammt vermissen.

Heute war der 25.07.2076 und damit unser 46. Tag im Boston Lockdown. Es würden noch so einige folgen. Eigentlich war es ja ganz schön hier.

Ich bleckte kurz die Zähne. 

Sexuelle Enthaltsamkeit war allerdings so gar nicht mein Ding! 

Doch vor dem Zubettgehen kam ja noch das Debriefing. 

Ende der Episode

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Wir freuen uns, dass du uns während dieser Geschichte begleitest hast, danken dir für’s Lesen und verbleiben bis zum nächsten Mal:

Snowcat and the Howling Shadows

An dieser Stelle bedanken sich die Spieler unserer Runde bei allen, die an der Entwicklung und Verarbeitung der Shadowrun®-Produkte mitgewirkt haben. Ohne ihre Arbeit wäre unser Spiel nicht möglich! 

We would like to thank the authors, artists and all others who are involved in the development of the Shadowrun® rules, adventures and stories. Without them, our game would not be possible.

Vielen Dank auch an @Vin für das Korrekturlesen. ;*

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*