Tales of Snowcat 30: Raucherzimmer (Run 78/1)

TALES OF SNOWCAT (30)

PERIOD4: Magician

ERA4: Modern Baroque

AGENDA8: Corporate Chaos

TIMESTAMP1: 02/02-05/2077

RUN NO: 78/1

ON THE RUN: AveRage, Blackstone, Doc, Phoenix, Snowcat;

APPEARANCE2: Glam Sam, Mr. Tea, Medaron; 

SPECIAL APPEARANCE2;5: Grand Inquisitor Basima Oriol Diasruiz 

SPOILER ALERT: Die Episode enthält Spoiler auf den Kampagnenband Bloody Business von Catalyst Games Labs.

WARNING: Dieser Text ist für Leser unter 17 Jahren nicht geeignet. Sexualität, Gewalt, Magie, Tod, Kraftausdrücke, Folter, Rassismus, Alkohol- und Drogenkonsum können vorkommen. 

DAS GESCHAH ZULETZT:

Endlich aus Boston raus, lässt sich das Team bis Cheyenne bringen. Dort wird die Gruppe von weiteren Mitgliedern von UC im Empfang genommen und zum Compound gebracht. Bis Halloween gibt es einiges zu erledigen. Viele der Runner treffen individuelle Entscheidungen bezüglich ihrer Zukunft. Halloween selbst findet ein SatHS-Event in St. Louis statt. Im Anschluss fährt Snowcat mit ihrem Liebsten in den Urlaub.

Im Januar 2077 kehren Snowcat und die O’Nialls nach Seattle zurück. Eines Abends geht Snowcat mit Dawante, Medaron, Moxi und Phoenix ins Heels’n’Wheels. Medaron spricht eine Gruppe von Asiaten an, um mit ihnen ein Motorradrennen zu fahren. Die Männer gehören zur Yakuza. Medaron gewinnt das Rennen und beleidigt Sato, den Anführer der Yakuza-Gruppe. Medaron fährt noch ein zweites Rennen gegen Fusion, eine Orkin und Chefin der Death Heads. Dieses spannende und nach dem Abschluss von den Zuschauern bejubelte Rennen verliert er knapp. Außerdem treffen die Runner noch auf Fuse, einen Zwerg und Mitglied der Red Hot Nukes,  den Snowcat bereits zu einem früheren Zeitpunkt kennenlernte. 

Ende Januar 2077 erhalten die Runner den Auftrag, den Entwicklungsprozess eines neuen Commlinks zu sabotieren, damit es später fertig wird. Hierzu sollen drei von fünf Personen, die an der Entwicklung mitarbeiten, aus insgesamt drei Städten, sozial sabotiert werden. Die Runner von UC erledigen die Aufgabe innerhalb von etwas mehr als zwei Tagen und beeindrucken erneut einen Johnson. 

Anmerkungen:

1. Der Zeitstempel wird an unsere Zeitlinie angepasst und ist maximal an die offizielle Timeline angelehnt.

2. Die Episode wurde am 05.04.19 erspielt. Neben mir und dem GM waren der Spieler von AveRage/Hamaka, Blackstone/Fang und der Spielerin von Phoenix. Da wir eine große Gruppe von 8 Spielern sind, nimmt jeder Spieler meist nur einen Charakter mit auf den Run. (Unter Umständen kann ein weiterer Charakter für den Run notwendig sein.) So sollen zu viele gleichzeitige Handlungsstränge vermieden werden. Nur in der ausgespielten Downtime kann ein Spieler alle seine aktiven Charaktere ausspielen. Wegen den Widrigkeiten und Schönheiten des RL können nur selten alle Spieler am Spielabend teilnehmen. Deshalb können Charaktere ohne weitere Erklärung auftauchen oder verschwinden. Darüber, welche Charaktere mit auf einen Run gehen, entscheiden die Spieler nach eigenem Gefallen. Das muss nicht immer die logischste Entscheidung sein, und entspricht in keinem Fall nur Snowcats Willen, auch wenn es in der Geschichte anders zu lesen ist. Manchmal ist ein Charakter mit auf einem Run, obwohl sein Spieler abwesend ist. In diesen Fällen wird der Charakter zwar mitgeführt, sein Handeln gerät, wenn möglich, aber in den Hintergrund. Das Spotlight soll auf Charakteren liegen, deren Spieler anwesend sind. Gegebenenfalls hinterlassen Spieler beim GM Regieanweisungen. 

Eine Beschreibung aller Charaktere findest du hier [LINK].

3. Die verlinkten Songs sollen lediglich zu Stimmung beitragen und enthalten keine versteckten Hinweise. Jedenfalls meistens nicht :). Übrigens kaufen wir jeden in den Episoden verwendeten Song, sollte er sich nicht schon vorher in unserem Besitz befunden haben. Nicht nur, damit wir die Songs jeder Zeit auf all unseren Geräten abspielen können, sondern auch, weil wir damit den jeweiligen Künstler unterstützen möchten. Eine Liste mit dem aktuellen Soundtrack findest du hier [LINK]. Eine YouTube Playlist zur aktuellen Season findest du hier [LINK].

4. In den ‚Tales of Snowcat’ erzählt Snowcat einem imaginären, nicht näher definierten Zuhörer die Ereignisse aus ihrer ganz persönlichen Sicht. Seit dem Weggang von Katze führt Snowcat auch Tagebuch. Was ihr zunehmend wichtiger wird, da ihr die Dialoge mit Katze fehlen. Man kann ToS demnach auch als Tagebuchauszug betrachten. ‚Period‘ beschreibt dabei den Lebensabschnitt auf dem sich Snowcat befindet. ‚Era' beschreibt das Thema, unter das Snowcat in dieser Zeit den Inhalt ihres Kleiderschranks gestellt hat. ‚Broadcast‘ fasst zusammen, was von dem per Drohne gedrehten Material dem Trideo-Zuschauer der Serie Snowcat and the Howling Shadows zur Verfügung gestellt wird und wann es gestreamt wird.

5. Einige der Namen, die in der Geschichte auftauchen, sind auch in der offiziellen Shadowrun-Welt ein Begriff. Ähnlichkeiten sind beabsichtig. Allerdings kann das hier dargestellte Bild auch deutlich von dem Bild im SR-Kanon abweichen, da es unserer Spielwelt angepasst wurde.

6. Teilweise stehen Dialoge in diesen » « Textzeichen. Die gesprochenen Worte werden dann vornehmlich via Teamnetzwerk oder Commlink verbreitet und sind für Wesen, die keine Mitglieder im Teamnetzwerk sind, nicht oder nur schwer zu hören. Ferner stehen in < > schriftliche Nachrichten und in ‹ › stehen Dialoge via Geistesverbindung, wie zum Beispiel die mit einem Geist unter Kontrolle, Gespräche via Mindnet oder Dragonspeech. Wird zusätzlich eine andere Schriftart verwendet, handelt es sich um unausgesprochene Gedanken oder extra-persönliche Anmerkungen von Snowcat.

7. Snowcat sieht die Geister, die einen Element zugeordnet sind als klassische Elementarwesen:  Luftgeister sind Sylphen, Erdgeister Gnome (früher Brownies), Feuergeister Salamander und Wassergeister sind Undinen. Jeder Geist, den sie beschwört, hat für sie zudem einen eigenen Namen. Guidance Spirits sieht Snowcat als weise Paten, die sie mit Godfather und Godmother betitelt. Guardian Spirits sind für sie Warden, also Krieger verschiedenen metamenschlichen Rassen. Die Warden tragen als Hommage an meine Lieblingsbuchsreihe den ‚Dresden Files‘ von Jim Butcher, die Namen von den Warden des White Council. Spirits of Man sind für sie Leprechauns (Kobolde) und Task Spirits sind Brownies. Beast Spirits bekommen den Titel Master und Plant Spirits den Titel Mother (z.B. Master Wolf oder Mother Oak). 

8. Schlagwort(e), Überschrift(en) unter denen die Episode steht.

9. Der Song war ein Wunschsong des Spielers von Blackstone für eine Begegnung zwischen Snowcat und Blackstone. 

• Weitere Begriffserklärungen findest Du dort: [LINK]. 

POSTED BY SNOWCAT:

[Song 1: Dawn Golden - All I Want3,9] Am Abend des 02.02.2077, einem Dienstag, ging ich beschwingten Schrittes hinunter ins Haunted Mug. Meine ‚Friends-App‘ in Form von Sparky und Arcade hatte mir mitgeteilt, dass Ohnezahn, Panda, Feuervogel und Doc im Pub eingetroffen waren. 

Ohnezahn war der Name für Blackstone, den SpArcade Weihnachten von Harlequin aufgeschnappt und sofort übernommen hatten. 

Panda nannten die Zwillinge insgeheim AveRage seit sie ihm nach einer Wiederbelebung durch Oheim Liam einen orange-grünen Pandabären auf den Hintern tätowiert hatten. Ein besonderes Tattoo von den Zwillingen gab es nämlich gratis dazu, wenn man bei Liam bewusstlos in der Klink lag, weil man eine intensive medizinische Behandlung brauchte. Das Tattoo war also als eine Art Auszeichnung zu verstehen, dass man dem Tod nur knapp entronnen war. Die Zwillinge pflegten den Patienten übrigens nicht über die Tätowierung zu informieren. Mir war nicht einmal bekannt, ob AveRage sein Tattoo überhaupt schon entdeckt hatte.

Doc war eben einfach nur Doc. Auch wenn SpArcade Doc nicht so fürchteten wie Liam, hatten sie vorsichtshalber davon abgesehen, ihm einen Spitznamen zu verpassen. 

Bei Feuervogel handelte es sich um Phoenix, was ja nun wirklich nicht schwer zu erraten war. 

AveRage, Blackstone und Doc also. Die drei Männer da so an einem Tisch zu sehen, war einfach unglaublich schön. Sie alle drei waren mir so vertraut. Jeder von ihnen war auf seine Art außergewöhnlich. Ganz besonders Blackstone, uns beide verband so viel.

Phoenix war selbstverständlich ebenso außergewöhnlich. Allerdings unterschied sie sich nicht nur ihn Haarfarbe und Geschlecht von den drei Männern, ich kannte sie auch verhältnismäßig kürzer.

Ich gönnte mir den Moment und nahm astral wahr, bevor ich in den Sichtbereich der anderen trat. Jedes Mal, wenn ich meinem alten Freund Blackstone begegnete, dann war da ein kurzer Moment des freudigen Unglaubens in mir. Eine leichte Gänsehaut. Er war am Leben! Die sechste Welt war oft grausam und dunkel, aber sie war auch fabulös und wundervoll. Alles war möglich! Auch, dass ein alter Freund gar nicht tot war. Die Aura des Zwergs hatte sich verändert, aber seine Liebe zu mir zeichnete sich darin deutlich ab. Jedenfalls, wenn man wusste, wonach man Ausschau halten musste. 

Zufrieden lächelnd trat ich aus dem privaten in den öffentlichen Bereich des Pubs.

❄️

„Du möchtest auf eine Orbitalstation?“, fragte Doc AveRage und hob interessiert und leicht skeptisch eine Augenbraue. Ich konnte die mentale Notiz förmlich sehen, die der ehemalige Attentäter gerade gemacht hatte. Natürlich fragte er sich, ob AveRages Bemerkung etwas mit der ominösen Aufforderung zu tun gehabt hatte, die in den letzten Wochen so oft durch die Matrix gehallt war. 

„Ja, ich glaub, das könnte interessant sein“, antwortete mein glatzköpfiger Freund. 

Doc und er waren erst vor kurzen vom Compound nach Seattle zurückgekehrt. Nicht ein einziges Mal hatte sich eine CFD-Persönlichkeit in dem Technomancer gezeigt. Und dennoch wussten wir, dass zumindest ein Fragmentierter in ihm wohnte. 

Doc und Blackstone erhoben sich, als ich näher trat. Blackstones Augen begannen zu leuchten, so als wäre ich der erhoffte Sonnenaufgang nach einer kalten Nacht. 

Ich begrüßte die drei Männer herzlich und ließ mir von Doc in den gepolsterten Stuhl helfen. 

Mac brachte mir Kuchen. Ihm war egal, dass ich bereits am Nachmittag hier unten gewesen war.

„Willst du denn eigentlich wieder mit auf Runs?“, fragte AveRage Blackstone, nachdem sich Mac entfernt hatte.

Der schwarze Zwerg nickte und seine Augen funkelten zufrieden. „Klar!“

AveRage kratzte sich am Kinn. „Okay. Weißt du noch alles?“, wollte er nun wissen. 

„Was weiß ich alles?“, stellte Blackstone die Gegenfrage.

„Na, alles, was passiert ist.“

Blackstone nickte. „Ja! - So gut wie alles. Nur ein paar Tage fehlen.“

„Welche Tage?“, hakte Doc nach.

Blackstones Blick verschwand in der Ferne. „Ein paar direkt nach der Schlacht. Bevor ich richtig aufgewacht bin.“

AveRage überlegte und meinte dann: „Und was wir so gemacht haben, das weißt du noch alles?“

Blackstone lachte. „Du meinst, ob ich noch weißt, dass du nichts richtig konntest? Ja, das weiß ich. Ist das immer noch so?“ 

Ich wollte protestieren, doch AveRage kam mir mit seiner Antwort zuvor: „Ja, das ist immer noch so.“

Blackstone verzog das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. „Aber du bist immer noch im Team, also hast du die Prinzessin nicht verärgert!“ 

„Doch, aber sie hat Mitleid mit mir!“, erklärte AveRage.

Ich berührte AveRage sanft am Arm. „Das stimmt nicht. Du hast mich nicht verärgert und du bist auch nicht aus Mitleid im Team. Du hast viele gute Fähigkeiten und außergewöhnliche Talente.“

Blackstone nahm einen tiefen Zug von seinem Bier und grinste dabei immer noch. Dann sah er zu mir. „Er hat also keine weiteren Unfälle gebaut, die dich fast das Leben gekostet haben?“

Ich lächelte charmant und meinte fröhlich: „Nein, tatsächlich nicht!“

AveRage meinte darauf herausfordernd zu Blackstone: „Kannst du denn inzwischen mehr?“

Blackstone zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ein bisschen was mehr.“

AveRage winkte ab. „Na, selbst wenn nicht. Mit dir hat sie sicher auch Mitleid und du darfst dann auch bleiben.“ Der Technomancer hob seine Virgin Mary und Blackstone stieß mit seinem Bier an.

Ich nahm, ebenfalls grinsend, ein Stück von meinem Smøres-Kuchen und wollte anschließend etwas zum Thema Blackstone und Mitleid sagen, als eine Mail sich wichtig machte und sich via AR in den Vordergrund meines Sichtfeldes drängte.

Ich öffnete sie.

<Werte Snowcat, erinnern Sie Ihren zurückgekehrten Freund daran, dass er seine Dating-Apps checken soll. Es wird sich für Sie alle lohnen. Hochachtungsvoll, Mr. Grey.6>

Ich hob überrascht eine meiner perfekt geschwungenen Augenbrauen. Eine Nachricht von einem S-K-Johnson? Mr. Grey hatte mich direkt angeschrieben, das schien wichtig zu sein. Dass S-K irgendwann wollen würde, dass Blackstone und mein Team für sie arbeiteten, war zu erwarten gewesen.  

Ich sah Blackstone mit einem verspielten Grinsen an. „Check doch mal deinen - wie hieß das Teil? Liebessekretär 3.0.“ Ich hatte das Wort Liebessekretär deutsch ausgesprochen, denn ich hielt es für ein ziemlich lustiges Wort. Liebesdinge einem Sekretär anzuvertrauen, darauf konnte auch nur ein Konzern aus der AGS kommen. 

Blackstone sah mich fragend an: „Wieso?“

Mit einem schelmischen Unterton erklärte ich: „Vielleicht hast du ja eine Date-Anfrage von einer heißen Elfin? Du weißt doch, ich habe eine hohe Intuition.“

„Okay!“ Mit einem skeptischen Gesichtsausdruck fingerte Blackstone an seinem Commlink. Kurz darauf meinte er: „Tatsächlich. Da ist was. Ist nur ein Icon, eine lila-gelbe Iris.“ Er gab das Icon für uns alle frei und warf es mit eine schnippenden Bewegung über den Tisch, wo es im virtuellen Raum schweben blieb. Eine simple Geste, zu der der Vor-GeMiTo-Blackstone kaum in der Lage gewesen wäre. Blackstone überflog den Eintrag. „Wir haben eine Verabredung im Raucherzimmer, South Side Manhattan, für morgen um 18.00 Uhr, New Yorker Zeit.“ 

„Wie sieht die Braut denn aus?“, fragte AveRage. 

Blackstone schüttelte den Kopf. „Das ist keine Braut!“

Unglauben klang in der Stimme von AveRage mit: „Stehst du jetzt auf Kerle?“

Ich grinste süß. „Das spielt keine Rolle. Ich denke, das ist eine Einladung zu einem Meeting mit einem Johnson“, erklärte ich.

„Ach so. Warum sagt das dann keiner?“, beschwerte AveRage sich. 

„Snowcat hat recht!“, bestätigte Blackstone. „Da steht, es wird sich für alle lohnen. Und wir sollen vorher noch ein Paket vom Busbahnhof abholen, Schließfachnummer 555. Unterschrieben ist das ganze mit G I. Ehe ihr fragt, ich habe keine Ahnung wer das ist.“

Ich warf einen Blick auf die Uhr. „Wir haben weniger als 24 Stunden bis zum Meeting, die Zeitverschiebung nicht mitgerechnet. Lasst uns zum Busbahnhof fahren und sehen, was in dem Schließfach ist.“

„Wir alle?“, fragte AveRage überrascht.

„Na klar!“, erwiderte ich. „Fünf ist eine gute Zahl für ein Team, würde zumindest Red Velvet jetzt sagen.“

❄️

Fünf Personen, keine Trolle und Orks dabei, damit passend wir alle ganz hervorragend in meinen Rover 2072, und Blackstone konnte sein Motorrad vor dem Haunted Mug stehen lassen.

❄️

Als wir wenig später gemeinsam vor dem Schließfach mit der Nummer 555 standen und Blackstone seinen Daumen auf den Scanner des MAG-Schlosses drückte, trat ich auffällig einen großen Schritt zurück.

Blackstone verzog das Gesicht. „Glaubst du da ist 'ne Sprengfalle?“

Ich zuckte mit den zarten Schultern. „Vielleicht. - Du bist nicht gerade der Typ Zwerg, der mit allen in seiner Umgebung Freundschaft schließt.“

Blackstone stieß ein ‚Pfft‘ aus, grinste aber. 

In den Schließfach war - wer hätte es erraten? - ein Aktenkoffer. 

Zum Glück für Blackstone lag das Schließfach 555 in einer Höhe, die er als Zwerg gut erreichen konnte. So musste er sich nicht strecken oder gar jemanden von uns bitten, den Koffer herauszunehmen.

Wir zogen uns in eine düstere, nicht allzu stinkende Ecke der Ankunftshalle zurück, wo uns niemand so leicht beobachten konnte, und öffneten den Koffer. 

Darin lagen genau fünf ein wenig verloren aussehende schwarze Streichholzheftchen auf denen in roten, geschwungenen Buchstaben das deutsche Wort ‚Raucherzimmer‘ geschrieben stand. 

Die Häufung von Fünfen ließ mich schmunzeln. 

Natürlich war sie eine Anspielung auf den Geburtsnamen von Blackstone ‚Frederick Ivo von Ehrenstein’, der nur wenigen bekannt war. Es konnte natürlich auch nur darauf anspielen, dass Blackstone, ehemals Duke, als Andenken an jenen Namen immer wieder die Punkte einer Würfel-Fünf in irgendeiner Form bei sich gehabt hatte. Ich ging jedoch davon aus, dass S-K inzwischen den Zusammenhang bis zu seinem Ursprung hatte verfolgen können.  

Auf dem Boden des Koffers war noch eine Karte mit einer Comm-ID befestigt worden, zusammen mit der Bemerkung: Quintos, bitte schicken Sie an den Commcode die Namen Ihrer Gäste, damit Sie bei der Einreise die notwendigen Pässe erhalten.

Natürlich war auch dieser Satz auf Deutsch geschrieben. 

Mit einem frechen Grinsen nahm ich ‚Quintos‘ vier der Streichholzheftchen ab und verteilte sie unter uns anderen. „Ob in diesen Club wohl auch Frauen dürfen?“, fragte ich.

Worauf von AveRage kam: „Nur, wenn sie brennen!“ 

Ich erwog, dem Technomancer für diese Bemerkung eine Kopfnuss zu verpassen, beließ es aber bei einem missbilligenden Blick. Kopfnüsse waren nicht mein Stil, außerdem waren sie, neben Papierkugeln, Liam vorbehalten.

„Müsste es dann nicht eher Qualmzimmer heißen?“, warf Doc ins Feld. „Metamenschen brennen nicht sonderlich gut.“

Auch Doc erntete dafür einen missbilligenden Blick. 

Blackstone grinste zufrieden. „Schön, dass sich nichts geändert hat!“

❄️

[Song 2: Snow Patrol - New York3] Mein letzter Aufenthalt in Manhattan war schon eine Weile her, und bei dem Namen ‚Raucherzimmer‘ klingelte bei mir nichts. Also meldete ich mich bei unserem New-York-Experten Glam Sam, gleich nachdem wir im Bootshaus angekommen waren, wo wir die Reise besprechen wollten. 

Ich setzte den gut aussehenden Streetsam kurz ins Bild und fragte ihn dann nach dem Raucherzimmer.

»Ja, das Rauchzimmer sagt mir was6», meinte Glam Sam sofort. »Das ist ein ‚Speak-Easy‘. Die Läden hat man nach einer unglaublich alten Tradition, 130 Jahre alt oder so, benannt. Das stammt aus Zeit der Prohibition. In einem 'Speak-Easy’ gab es damals Alkohol. In Manhattan ist der Ausschank von Alkohol zwar nicht verboten, aber man braucht normal eine Genehmigung zum Konsum von Alkohol, die man beantragen und kaufen muss. In einem Speak-Easy braucht man die Erlaubnis zum Genuss eben nicht.« 

Ich lächelte in die Kamera meines Commlinks. »Verstehe! Und wie ist dort die Kleiderordnung? Weißt du das zufällig?«

Die vollen, braunen Locken des Satyrs wippten, als er mit einer weiblichen Geste abwinkte. »Snowcat, Schätzchen, du weißt doch, das Durchschnittseinkommen in Manhattan ist so hoch, wer weniger als 140.000 Nu¥ pro Jahr verdient, gilt als arm. Seinen schlechten Status sollten man nicht auch noch durch seine Kleidung Ausdruck verleihen wollen. Natürlich trägt man dort Abendgarderobe der gehobenen Preisklasse, zumindest via AR.«

Ich warf einen kurzen Blick auf Phoenix und AveRage. 

Bei Phoenix war es fast schon egal, was sie trug. Mit ihrem Aussehen würde die Frau überall rein kommen. Dennoch konnte ein standesgemäßes Outfit nicht schaden. AveRage … puh, um ihn passend zu kleiden, war ein Glam Sam nötig. »Hast du vielleicht Lust, heute Nacht noch mit uns shoppen zu gehen?«, fragte ich spontan. 

Glam Sams Augen strahlten und er klimperte mit den unglaublich langen Wimpern, für die so manche Frau töten würde. »Mit dir und deinem V.I.P.-Status würde ich sogar dafür bezahlen, um mitkommen zu dürfen. Ich bin in einer halben Stunde beim Bootshaus.«

❄️

Ich besitze bei diversen Modelabeln eine Shopping-Card der obersten Kategorie. Seit SatHS rissen die Designer sich darum, dass ich ihre Entwürfe trug. Spätestens, seit ich für das Trompe l’Oeil Luxury-Commlink für Johnny Spinrad Werbung machte und es auf meinem Wunsch ein Cherry-Blossom-Special dafür gab, kostete es mich nur ein Lächeln, damit ich, zu welcher Stunde auch immer, noch shoppen gehen konnte. 

Während wir also je ein Outfit für AveRage und Phoenix aussuchten und Blackstone auch gleich noch einmal zuschlug, gab Glam Sam uns einen Auffrischungskurs zum Thema New York, beziehungsweise Manhattan. 

Für Phoenix war das übrigens noch völliges Neuland. Als gebildete junge Frau wusste sie natürlich, dass Manhattan von einem Konsortium aus 13 Konzernen regiert wurde, aber das ganze Drumrum war ihr neu. - Okay, nicht völlig neu. Die junge Frau war mit einer gültigen, echten SIN aufgewachsen, sie war es gewohnt, ihre SIN ständig für die Öffentlichkeit auszustrahlen. Nur die diversen Zugangsberechtigungen und dass man eben eine ganzen Straßenblock nicht betreten konnte, weil man seinen Wohnsitz nicht in Manhattan hatte, zu wenig verdiente oder eben den falschen Konzern angehörte, das war ihr neu. 

[Mehr Fakten über Manhattan finden sich hier.]

Phoenix war ein helles Köpfchen und schaltete schnell. „Dann brauchen wir in jedem Fall so einen Alkohol-Permit“, erklärte sie süß lächelnd. „Und ich brauch einen Genehmigung für mein Cyberdeck.“

Das war genau mein Denken. Ich hatte diese Genehmigung ebenso bei Glam Sam in Auftrag gegeben wie für jeden von uns die Erlaubnis, je eine Pistole und eine Stichwaffe dabeihaben zu dürfen. Natürlich auf genau die Namen eingetragen, die wir bereits an G I geschickt hatten.  

In ihrem roten, tief geschlitzten Abendkleid sah Phoenix allerdings so heiß aus, dass ich mir nicht ganz sicher war, ob wir dafür nicht auch noch eine Genehmigung anfordern sollten. 

❄️

Da wir nicht mal ansatzweise wussten, worum es bei dem Job ging, unsere Erfahrung mit Manhattan uns aber sagte, dass wir nicht sonderlich viele Waffen mitführen durften, gab es keinerlei weitere Vorbereitungen für uns zu treffen. 

Apropos keine Waffen: Wenn wir irgendwo hin mussten, wo das öffentliche Zurschaustellen von Waffen nicht sonderlich gern gesehen war, war es immer eine gute Idee, Mr. Tea dabei zu haben. Ich fragte ihn, ob er uns nicht nach Manhattan begleiten wollte, und er willigte ein. Wir hatten zwar nur fünf Streichholzbriefchen und würden keinen Manhattan-Pass von G I für die SIN von Mr. Tea bekommen, aber irgendeinen Pass würden uns die Kontakte von Glam Sam schon noch besorgen. Bis wir ihn aktivierten, konnte Mr. Tea ja bei unserem Flugzeug und unserem Piloten Medaron warten. 

Ein Ass im Ärmel war immer eine gute Idee, besonders, wenn das Ass so kultiviert war wie Mr. Tea.

❄️❄️

Der Team-Jet startete am Mittag des 03.02.2077 Richtung Newark.

Zu Beginn des Jahres hatte ich eigentlich vorgehabt, mich um diese Zeit mit Johnny Spinrad auf der Winter-Grand-Tour zu befinden. Partys, Bälle, Skifahren, das alles hätte mir gut gefallen. 

Ich seufzte innerlich, aber irgendwie hatte ich dafür gerade einfach keine Zeit. 

Im Mai wollte ich das erste ‚Center of Beauty and Arts‘ in Seattle eröffnet haben, und gleichzeitig sollte das entsprechende Portal online gehen. Das Gelände in Seattle war inzwischen gefunden. Mr. Tea würde die Leitung des Centers in Seattle übernehmen. Die entsprechende Gesellschaft, die sich der Förderung von jeglicher Form von Kunst widmen sollte, war dank Foggy ebenfalls gegründet, und selbst die Arbeiten am Design des Hosts waren abgeschlossen. Aber damit war eben noch nicht alles erledigt. 

Hinzu kam, dass ich mir relativ spontan ein Blockhaus in den Cascade Mountains gekauft hatte, was überhaupt nur dank Liams guten Beziehungen zu einigen Stämmen der Cascade Orks möglich gewesen war. Das Blockhaus sollte mir einen Ort verschaffen, von dem aus ich in meiner Drake-Gestalt jederzeit losfliegen konnte. Es zu beziehen und einzurichten dauerte eben auch seine Zeit.

Ich brauchte einfach einen solchen Ort, an dem ich mich jederzeit verwandeln und frei fliegen konnte. Das war mir in einem Gespräch klar geworden, das ich jüngst mit Harlequin geführt hatte. Es war um die Gleichgültigkeit von Großen Drachen gegenüber dem Leben von Metamenschen gegangen und wie leicht sie deren Vernichtung hinnahmen. Harlequin hatte mich auf meinen Wunsch hingewiesen, Drachen sollten allgemein einen besseren Ruf haben. Das stimmte schon. Doch das Verhalten von Großen Drachen würde sich wohl nie ändern. Wir waren und blieben Ameisen für sie. Okay, ich war vielleicht ein hübscher, nützlicher Marienkäfer unter den Ameisen. Doch wenn sich der Ruf von Drachen nicht besserte, dann würde es nie dazu kommen, dass ich mich einfach in meine Drachenform wandeln und über die Straße fliegen konnte, weil ich so einfach schneller vom Fleck kam. Natürlich wurde auch ein Satyr wie Glam Sam mit seinem Ziegenunterleib angestarrt, wenn er irgendwo umherlief. Glam Sam war weit davon entfernt, es leicht zu haben, doch er konnte sich in der Öffentlichkeit zeigen. Mit einem fliegenden Drachen, egal wie klein, war das etwas völlig anders. Meine drakonische Gestalt würde wahrscheinlich immer ein Geheimnis bleiben müssen.

[Song 3: 30 Seconds to Mars - Bright Lights3]Hinzu kam, dass ich mich nach dem Matrix-Ruf einfach nicht so weit von AveRage entfernen wollte. Ich wollte nicht in Europa sein, sollte die Persönlichkeit in AveRage dem Ruf folgen wollen. 

Ich drückte mich zurück in den weichen Sitz des Jets und lächelte. Unterwegs nach Manhattan, im eigenen Jet, mit guten Freunden, mit Blackstone - man konnte es deutlich schlechter treffen.

Für die Grand Tour war später noch Zeit. Vielleicht hätte der neue Blackstone sogar Spaß an der Sache und würde mitkommen? 

Mein Schmunzeln wurde breiter. Wenn Blackstone mit auf einem Run war, gab es vielleicht eine Gelegenheit, bei der wir beide als Drakes irgendwo hin fliegen konnten, unsichtbar versteht sich. 

❄️

Kurz vor der Landung verteilte ich fabrikfrische Hermes Ikons an meine Chummer. Frische Commlinks machten sich in einer so stark überwachten Stadt einfach besser. 

Im Hangar wartete ein goldenes Auto, eine Spezialfertigung, die irgendwie an eine Mischung aus einem Stepvan und einer Limousine erinnerte. Via AR tauchte immer wieder ein Wal auf und stieß goldene Gischt aus.

Ein gepflegter Ork im Maßanzug stand an der Limousine bereit. Ein breites Lächeln bildete sich zwischen seinen Hauern, als er uns aussteigen sah.

Während ich in Mantel, hohen, schwarzen Overknees [BILD] und mit einer Wollmütze auf dem Kopf - es lag zwar leider kein Schnee, aber im Gegensatz zu Seattle war es hier im Winter kalt - auf den Ork zuschritt, nahm ich astral wahr. Er war gesund, leicht verdrahtet und trug eine Waffe unter dem gut sitzenden Jacket. Letzteres hatte mir allerdings mein mundanes Auge verraten.

„Mit besten Empfehlungen von Glam Sam!“, verkündete der Ork.

„Wow, wie cool!“ Ich streckte meine behandschuhte Hand aus. „Hallo, ich bin Snowcat!“

Das Grinsen des Orks wurde ein wenig schief. „Das weiß ich doch. Ich bin Sully und euer Chauffeur für die nächste Zeit.“

AveRage, Blackstone, Doc, Phoenix und ich luden unser Gepäck in den Kofferraum und stiegen selbst in die Stepvan-Limo ein.  

Medaron und Mr. Tea blieben beim Flieger.

Sully stöpselte sich ein und setzte dann das Fahrzeug in Bewegung. „Bei euch hinten sind die gewünschten Permits, aber ich habe keine Manhattan-Pässe, richtig?“

„Ja, richtig und danke!“, erwiderte ich. 

Blackstone meinte: „Für die Pässe müssen wir mal eben beim Hauptterminal vorbeifahren.“ 

Was wir dann auch taten.

Als sich der goldene Wagen dem Terminal näherte, erschien ein junger Wachmann in S-K-Uniform an Straßenrand. Offenbar hatte Blackstones Commlink ihn über unsere Annäherung informiert.

Sully hielt an und ließ alle Fenster auf der entsprechende Seite runter.

„Guten Tag!“, sagte der Wachmann auf Deutsch. 

Was Blackstone erwiderte.

Dann warf der junge Mensch einen genaueren Blick in die Limousine und konnte nicht anders, als zu starren. 

„Konzentrier dich, Mann!“, verlangte Blackstone auf deutsch.

„Jawohl!“, kam daraufhin von dem S-K-Angestellten. Hätte nur noch gefehlt, dass er die Hacken zusammenschlug, dann wäre das Klischee perfekt gewesen. 

Er überreichte Blackstone einen Umschlag, in dem sich unsere elektronischen Pässe befanden. 

Blaue Worker-Pässe von S-K, mit denen wir zwar in einem Hotel übernachten durften, aber mit denen uns so einige andere Plätze verboten bleiben würden. Doch vielleicht reichte es ja, wenn wir dahin kamen, wo S-K-Mitarbeiter hingingen.

Da wir unsere SIN posten musste, kaum dass wir über eine der Brücken nach Manhattan reinfuhren, wusste Sully natürlich, dass wir nun offiziell zu Saeder-Krupp gehörten. Darum markierte er uns ein 175 Stockwerke hohes, schwarz-goldenen Haus, das unübersehbar das HQ des Konzerns hier war. Praktischerweise waren dort auch gleich noch einige Banken untergebracht. Das zweite Haus, welches Sully in Lower Manhattan farbig emporhob, war das S-K-Prime-Gebäude. 

Das war in jedem Fall gut zu wissen. 

Wir waren früh genug gelandet, vor dem Meeting blieb noch Zeit für eine kleine Stadtrundfahrt. Ich plauderte mit Sully über dies und das. Wir scherzten sogar über das Wetter. 

Als AveRage davon schwärmte, wie gut das Wetter in L.A. sei, fuhr Sully rechts ran, schaltete den Motor aus und entriegelte die Tür. „New York ist das beste, Seattle geht in Ordnung, aber L.A. geht gar nicht!“, meinte er. „Los steig aus!“

Für einen Moment war AveRage verwirrt, doch dann sah er das grinsende Gesicht des Orks. Das Ganze war selbstverständlich ein Scherz gewesen. 

AveRage lachte. 

Es tat gut, den Technomancer so zu sehen. Als er das letzte Mal in Manhattan gewesen war, waren er und Starbuck entführt worden.

❄️❄️

Sully ließ uns einige Meter vom Ziel entfernt raus. In Manhattan gab es so gut wie keine privaten Autos - wenn man eine Fahrzeuggenehmigung besaß, dann war man definitiv ein V.I.P. Hier fuhr man Bus oder Zug, flog im Air-Taxi , wenn man es sich leisten konnte, oder wurde eben in einer Limousine chauffiert. In der Nähe raus gelassen zu werden, war gang und gäbe, da nicht alle Orte mit dem Wagen erreichbar waren.

Es war eine kühle, schneefreie Februarnacht, da machte es Spaß, ein Stück zu laufen.

Irgendwann wurde ein AR-Tag mit aufsteigendem Rauch für uns sichtbar. Ein Ork im Smoking stand vor einer Tür. „Könnt ihr mir Feuer geben?“, fragte er, als wir näher traten.

Eigentlich wollte ich mit rauchiger Stimme etwas sagen wie: ‚Das wollte ich dich auch gerade fragen, mein Hübscher“, und mir dann Feuer von ihm mit meinem Streichholzbriefchen geben lassen. Ich hatte extra mein Vintage-Zigarettenetui samt Spitze eingepackt, aber dazu kam ich nicht. An erster Stelle Phoenix, aber auch Blackstone und AveRage, holten ihre Streichholzbriefchen heraus. 

Der Ork ließ sich von Blackstone Feuer geben, nahm einen tiefen Zug von seiner nach Vanille duftenden Zigarre und öffnete uns im Anschluss mit einem coolen Gesichtsausdruck die Tür hinter sich. 

Beinahe ebenso cool schob Blackstone des Vorhang dahinter beiseite.

[Song 4: Scott Bradlee’s Post Modern Jukebox - Young and Beautiful3] Schon in der Garderobe empfing uns der schwere Geruch nach kaltem und heißem Rauch. Gedämpfte Musik aus den 30er drang durch die nächste Tür zu uns herüber. Hier war alles im Style der späten 20er und frühen 30er gehalten. Neunzehnhundertdreißig natürlich. 

Tatsächlich hatte ich für einem Moment mit dem Gedanken gespielt, mein Daisy-Buchanan-Outfit von Halloween 2073 einzupacken. Das tolle Ensemble hätte sich sicher gefreut, mal wieder ein wenig frische Luft schnappen zu können. Doch ich hatte mich dann doch dagegen entschieden. Ich wusste nicht, wohin es an diesem Abend noch gehen sollte. Also hatte ich mich für ein entzückendes, schwarz-goldenes Minikleid entschieden [BILD]. Neue Kleider wollten auch getragen werden, und den Blicken der Garderobiere nach, sah ich einfach umwerfend darin aus. Selbstverständlich hatte Doc mir aus dem Mantel geholfen. - Hach, ich stand einfach total auf dieses altertümliche Gehabe. 

Blackstone ist übrigens nicht so gut darin, mir aus dem Mantel zu helfen. Ich muss nicht erklären warum, oder?

Die Medusa-Extensions hatten dafür gesorgt, dass die kunstvolle Hochsteckfrisur, die Moxi heute Vormittag gesteckt hatte, immer noch perfekt an Ort und Stelle saß, trotz getragener Mütze.

Im Club selbst war die rauchgeschwängerte Luft dicker, roch aber irgendwie dennoch angenehm, was ich auf eine guten Filter und eine funktionierende Klimaanlage zurückführte. Chic gekleidete Metamenschen, die rauchten und tranken. Viele hier hatten sich in Nadelstreifen-Anzüge, Schuhe mit Gamaschen oder klassische Flapper-Kleider geworfen, zumindest via AR. Gut designte Perlenketten und Zigarettenspitzen komplettierten das Bild. Knapp bekleidete Mädchen mit einem für die damalige Zeit so typischen Bauchladen verkauften Zigaretten und Zigarren, und zwar in den Varianten real, virtuell oder elektrisch. Der Club hatte sich ebenfalls Mühe gegeben und viel in das Design investiert, wie mir AveRage und Phoenix mitteilten. Der virtuelle Rauch roch und schmeckte echt - und das obwohl es nur eine Hand voll Leute gab, die das vollsensorisch wahrnehmen konnten.

Kaum, dass wir fünf richtig in dem Club angekommen waren, kam ein Bauchladenmädchen auf uns zu. Sie begrüßte uns freundlich, führte uns an der Bar vorbei, wo ein weiterer Ork im Smoking vor einer Hintertür stand. Auf ihr Zeichen hin ließ er uns durch.  

„Zweite Tür links!“, meinte das Zigarettenmädchen noch freundlich.

❄️

Blackstone klopfte an ‚die zweite Tür links‘ und löste eine Welle der Nostalgie in mir aus. Der Zwerg im Anzug mit blank geputzten Schuhen klopfte an die Tür eines Hinterzimmers …

… und ein Mr. Johnson rief: ‚Herein!‘ - Hach!

Wobei es sich an diesem Abend um eine weibliche Stimme und ein deutsches ‚Herein‘ handelte.

Wir trafen auf eine menschliche Frau mit langem, schwarzen Haar und kupferfarbener Haut, einer spitzen Nase und eindringlichen, dunklen Augen. Ihr dunkler Hosenanzug der Marke RhineGold saß perfekt und war auch vom Design her eine Spezialanfertigung, da er neoarabische Einflüsse im Muster aufwies, die nicht zum Standardprogramm von RhineGold gehörten. 

„Guten Abend!“, sagte die Frau mit mehr Timbre in der Stimme, als ich ihr nach ihrem ernsten Gesichtsausdruck zugetraut hätte. 

Eine Nachricht von Blackstone erschien in unseren AR-Displays. >G I, jetzt ist es mir klar. Das ist Großinquisitorin Basima Oriol Diasruiz höchstpersönlich.<

Wow, dachte ich bei mir, auf den Titel muss man erstmal kommen. Ob ich wohl einen echten Prinzessinnen-Titel haben könnte, sollte ich fest für Seader-Krupp arbeiten?

Blackstone erwiderte den Gruß auf Deutsch: „Guten Abend!“

Und ich tat es ihm nach: „Eine schönen guten Abend!“

„Sprechen Sie alle Deutsch?“, fragte Grand Inquisitor Diasruiz. 

Als ich verneinte, wechselte sich ins Englische. Sie lud uns ein, uns an der Minibar im Raum zu bedienen und bat uns im Anschluss, uns zu setzten.

Wie ich es von ihm gewohnt war, fragte Blackstone zunächst mich und Phoenix, was wir trinken wollten und erst danach machte er die Drinks für sich und AveRage fertig. Doc hatte sich inzwischen selbst mit einem Whiskey versorgt. 

Nachdem wir alle Platz genommen hatten, begann G I: „Ich bin von der Innenrevision. Mir untersteht die Taskforce, die damit beauftragt ist, gefährliches, CFD-infiziertes Personal zu identifizieren und zu isolieren, damit den Mitarbeitern des Konzerns kein weiterer Schaden entsteht!“ Sie hatte sich eindeutig Blackstone zugewandt.

„Wissen Sie denn, wieviele bei Ihnen mit CFD infiziert sind?“, fragte AveRage. 

Diasruiz wandte AveRage den Blick zu. Für einen Augenblick schien es, als würde sie ihn zum erstem Mal richtig wahrnehmen. Nicht, dass er unter ihrer Würde gewesen wäre, sie durchdrang AveRage jetzt einfach mit ihrem Blick. 

„Wenn wir eine genaue Zahl hätten, wäre es doch einfach!“, erklärte sie bestimmt. 

Diese Frau war es gewohnt, Befehle zu geben, und ihre Sozialkompetenz schien mir dabei nicht sonderlich hoch. 

Sie fuhr fort: „Wir haben eine Software, mit der wir das Verhalten von Konzernangestellten analysieren können. Das hat uns zuvor geholfen, Virtual Kinetics …“, womit sie Technomancer meinte, „ … zu identifizieren. Es hat uns auch bei der Tempo-Krise geholfen. Doch für CFD ist es viel schwieriger. Inzwischen wurde der Witt-Goddard Test entwickelt, ein weiteres psychoanalytisches Verfahren. Beide Komponenten zusammen geben uns ein gutes Set zur Identifikation von CFD. Allerdings dauert die Analyse lange, denn die Datenbasis ist nicht breit genug. Ich selber habe die Fähigkeit, den Test durchzuführen, aber das können nur sehr wenige.“

Sie sah uns der Reihe nach an. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie den Test auch bei uns durchführte, konnte aber keinen Einsatz von Magie spüren. Die Vermutung lag nahe, dass der Grand Inquisitor selbst ein Technomancer war und über die raren Fertigkeiten verfügte, wie Liam oder AveRage sie besaßen. Jedenfalls ließ sie ihren Blick eine Zeit länger auf Doc und AveRage ruhen. 

Diasruiz räusperte sich. „Womit ich Sie beauftragen möchte …“, das ‚möchte‘ fiel ihr tatsächlich schwer, „ … ist die unbemerkte Überwachung und Durchleuchtung einer Zielperson.“

Sie sah Blackstone an und wartete eigentlich nur noch auf das Ja.

Stattdessen sprach ich nun mit ihr: „Wie Sie sicher wissen, haben wir viele Erfahrungen mit CFD-Infizierten gesammelt. Wir sollten also dazu in der Lage sein, jemanden zu überprüfen, sofern wir mit unseren Pässen dorthin kommen, wo sich die Zielperson befindet.“

Mit eine kleinen Verzögerung hatte sich die Großinquistorin mir zugewandt. „Selbstverständlich. Es geht um Haley Talbot…“, sie warf via AR eine Datei mit Informationen über das Ziel und ein Bild zu unserer Verfügung in den Raum. 

Auf dem Bild sahen wir eine junge, menschliche Frau, Mitte bis Ende 20, mit athletischer Figur und langem, blonden Haar.

„ … 27 Jahre, Konzernanwältin, und Mitarbeiterin bei S-K-Nordamerika. Sie wurde von Headhuntern noch vor ihrer Anschlussprüfung an der Universität rekrutiert. Ihre Studiengebühr wurde übernommen. In letzter Zeit wurden Verhaltensänderungen bei ihr bemerkt.“

Ein weiteres Bild erschien neben dem ersten. Haley Talbot hatte sich das lange gepflegte Haar nun extrem kurz geschnitten und ihre Figur war nun nur noch als drahtig zu bezeichnen. Auch ihr Make-up hatte sich verändert, doch vernachlässigen tat sie sich nicht, soweit man das über ein Foto beurteilen konnte.  

Diasruiz sprach nun mit mir. „Durchleuchten Sie sie. Finden Sie heraus, ob sie mit CFD infiziert ist und wenn ja, was sie vorhat und wie sie infiziert wurde. Mit ihren Pässen können Sie überall da hin, wo auch Haley hingehen kann.“ Nun sah die Großinqisitorin wieder zu Blackstone: „Denken Sie daran, dass Ihr Verhalten auf die Firma zurückfällt. Demzufolge erwarte ich, dass Sie kein Konzerneigentum beschädigen.“ Dann wandte sie sich wieder mir zu: „Ich bin bereit, jedem von Ihnen 15.000 Nu¥ für je eine Woche Arbeit zu bezahlen. Zusätzlich gibt es einen Teambonus von 10.000 Nu¥ für jeden Headcase, den Sie identifizieren. Ich würde es bevorzugen, wenn Sie umgehend mit der Arbeit anfangen!“

Ich lächelte leicht. Unser Gegenüber war kein normaler Johnson und sie ging davon aus, dass Blackstone diesen Job in jedem Fall übernahm. Es lohnte also nicht, normal mit ihr zu verhandeln. Dennoch muss ich zumindest ein bisschen was rausholen. So fragte ich sie, ob Pässe für weitere SINs möglich waren, falls wir uns verkleiden mussten. Etwas, was bei ihr auf simples Unverständnis stieß. Darum ließ ich davon ab, da ich sowieso keine weitere unserer SINs an S-K verraten wollte. Immerhin konnte ich fürs erste 5000 Nu¥ Spesengeld klarmachen, Überwachungsequipment anfordern und sie davon überzeugen, dass wir früher oder später eine Basis brauchen würden und sei es auch nur ein Büro, in das wir uns ungestört zurückziehen konnten.

Das Spesengeld bekamen wir sofort. Um die Basis wollte sie sich kümmern, genau wie um das Equipment. „Spätesten nach jeweils 24 Stunden erwarte ich eine Statusmeldung von Ihnen“, erklärte sie noch.

„Einen Bericht oder eine Statusmeldung?“, fragte ich nach.

„Ein Status reicht“, antwortete sie.

Eine Nachricht von AveRage traf im Teamnetzwerk ein: >Ey, Snowcat, warum verhandelst du nicht richtig mit ihr? Dann frag’ jetzt wenigstens mal nach Schockmunition!!<

Ich reagierte nicht auf die Ansage, sondern tauschte mit dem Grand Inquisitor Comm-IDs aus. 

Dann verabschiedete Diasruiz sich von uns.

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Kaum dass G I die Tür hinter sich geschlossen hatte, brauste AveRage auf. Für seine Verhältnisse ungewöhnlich aggressiv meinte er: „Warum hast du nicht nach der Schockmunition gefragt?“ 

„Weil das nicht passend gewesen wäre. Bei eine simplen Überwachung braucht man keine Munition“, antwortete ich.

AveRage verschränkte die Arme: „Ey, warum kuschst du?“ 

Doc legte die Stirn in Falten. „Inwiefern kuscht sie denn?“ 

„Na, wir kommen her, weil Blackstone herzitiert wurde, und dann verhandelt Snowcat nicht und fragt nicht. Ich wollte wissen, wie weit die Frau gehen würde!“ 

Blackstone sah zu AveRage. „Snowcat war super erfolgreich. Am Anfang hat sie nur mit mir gesprochen, zum Schluss nur noch mit Snowcat.“ 

„AveRage“, sagte ich ruhig, „es gibt einen Unterschied zwischen einem Test und unprofessionellem Verhalten. Dass von Blackstone verlangt wird, dass er mit unserem Team Jobs für S-K macht, war zu erwarten gewesen5. Wir machen die Jobs einfach und erledigen alles, so gut wir können, solange die Bezahlung angemessen ist. Was sie in diesem Fall ist. Verhandlungen hebe ich mir für die Fälle auf, bei denen wir es mit einem Johnson zu tun haben oder bei denen uns das aus anderen Gründen wirklich wichtig ist. Wie wenn wir den Job nicht machen wollen zum Beispiel.“

❄️❄️

[Song 5: The Neighbourhood - Afraid3] Es lohnte nicht, noch heute Abend mit der direkten Überwachung anzufangen. Darum ließen wir uns von Sully eine Unterkunft besorgen. Auch, wenn Blackstone lieber etwas mehr Luxus gehabt hätte, entschieden wir uns für Sandwiches und ein Family-Style-Hotel.

Während Blackstone und ich an einem kleinen Tisch beisammen saßen und in Erinnerungen unserer gemeinsamen Vergangenheit schwelgten, checkten Phoenix und AveRage schon mal die Social-Media-Accounts von Haley. Doc überflog, was die Decker fanden, und erstellte ein Profil.

Da wir noch keinen direkten Zugriff auf Haley Talbots Commlink hatten, dauerte die Datensuche. Irgendwann zog ich mich dann in mein Zimmer zurück, schrieb noch einen Brief an meinen Liebsten und bettete im Anschluss mein Haupt auf das Kissen.  

❄️❄️

Die Nacht endete früh, wollten wir doch bei Haley Talbots Wohnort sein, noch bevor sie sich auf den Weg zur Arbeit machte.

AveRage und Phoenix hatten überhaupt nicht geschlafen, was ihnen auch anzusehen war. Doch das war nichts, was ein extrastarker Soycaf nicht würde beheben können.

Ihr nächtlicher Matrixaufenthalt hatte eine wichtige Erkenntnis gebracht. 

Haleys Verhalten hatte sich verändert, nachdem sie in einem Club namens ‚Elite Dollar‘ gewesen war. 

Das Elite Dollar gehörte einem Zwerg mit dem Namen Timezone. Der Dresscode verlangte überdurchschnittlich teure Designerklamotten. Der Laden lief gut. Unter dem Club sollte es außerdem einen weiteren Club mit dem Namen ‚The Ladder“ geben. Dort wurde jedoch nur Mitgliedern der Zugang gewährt. Für eine Mitgliedschaft brauchte es mindestens die Konzern-ID eines AA-Konzerns und 10.000 Nu¥ pro Jahr, der Betrag war jährlich im Voraus zu zahlen. Im „‚The Ladder’ wurde nicht nur getanzt, sondern auch - oder sogar vornehmlich - gekämpft. 

Die Mitgliedschaft in einem Fight Club war etwas, was durchaus zur Typveränderung vom Haley passte. Sie musste nicht unbedingt mit CFD infiziert sein.

Aber meine Intuition war davon überzeugt, dass sie es war - und meine Intuition irrte sich fast nie.

❄️❄️

Obwohl Sully zugesagt hatte, uns auch heute zur Verfügung zu stehen, nahmen wir den Bus. Die Wochentickets bezahlten wir vom Spesenkonto. 

Haley Talbot verließ pünktlich das Wohnhaus. Sie bewegte sich unauffällig. Zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick wirkte sie verloren und unzufrieden, aber das nur so lange, bis sie jemand ansprach oder sie jemandem begegnete, der sie kannte. Dann streckte sie sich, begann zu lächeln und strahle Selbstbewusstsein aus. Sie verhielt sich nach Plan.

Der astrale Blick bestätigte, was nach den ersten Sekunden Kontakt schon klar gewesen war: Haley Talbot war mit CFD infiziert. Und so, wie sie ihre Infektion verbarg, hatte die Nanitenpersönlichkeit sie schon längst übernommen. 

AveRage hatte es auch gesehen.

Nur - so konnten wir das nicht einfach melden. Wir konnten nicht sagen: ‚Hey, Frau Großinquisitorin, wir haben es mit unseren Kräften gesehen.‘ 

Die größte Gefahr wäre hierbei, wenn man uns das glaubte. CFD-Infizierte stellten weltweit ein Problem da. Sie einfach so erkennen zu können, war eine wertvolle Fähigkeit. 

Oh, man würde mich mit meiner scharfen Astralsicht sicher gut bezahlen, aber mir stand nicht der Sinn danach, in den nächsten Jahren rund um die Uhr mit dem Enttarnen von CFDlern zu tun zu haben. 

Wir brauchten also Beweise und zumindest einen Hinweis, woher das CFD gekommen war. 

Die Überwachung startete also.

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Doc und Phoenix nahmen die Verfolgung auf. Die beiden hatte sich ein wenig verkleidet. Hinzu kam, dass sie weder so bekannt noch so auffällig waren wie wir drei anderen.

Phoenix machte sich sogleich daran, das Commlink von Haley zu hacken. 

Die Aufgabe von meinem Dreierteam war es, die Wohnung zu verwanzen. Was für ein Glück, dass ich überhaupt ausreichend Überwachungsequipment eingepackt hatte. 

Unsere Pässe erlaubten uns Zutritt zur Wohnanlage. Hier musste ich den Concierge überzeugen, uns bis zur Wohnung der Nachbarin über Haley vor zu lassen. Wir hatten die Frau gerade wenige Minuten zuvor das Haus verlassen sehen. Ständig die SINs ausstrahlen zu müssen hatte eben auch Vorteile. Wir erhielten die Erlaubnis, nur mal eben persönlich eine Nachricht an die Tür zu heften.

Oben angekommen taten wir so, als würden wir etwas schreiben und nutzten die Gelegenheit, um Kameras zu lokalisieren. Dann schalteten Blackstone und AveRage ihre Commlinks auf ‚versteckt‘, um sich dann eine Etage tiefer in die Wohnung von Haley zu begeben, und ich ging wieder runter zum Concierge, der passenderweise angemessen von mir fasziniert war. 

Ich beschäftigte ihn mit müßigem Geschwätz.

Phoenix meldete unterdessen: «In letzter Zeit hat sich ihr Kommunikationsverhalten völlig geändert. Wenn Freunde sie anrufen, ruft sie nicht zurück. Sie postet fast gar nichts mehr, interessiert sich aber für Kampfsport. Eigentlich chattet sie nur noch mit Jerome Adams, und das auch kurz angebunden. Viel steht da zu Adams nicht. Ich weiß nur, dass der in einem Tripple-A-Konzern arbeitet und in viele Clubs geht»

>Sehr gute Arbeit!<, lobte ich schriftlich.  

»Ach, scheiße!«, bemerkte AveRage. »Die müssen das Schloss erst kürzlich gegen ein hochmodernes ausgetauscht haben. Ich krieg das Teil einfach nicht auf.«

Blackstone lachte. »Manche Dinge ändern sich eben nicht.«

Ich seufzte, leise und innerlich. >Dann kommt wieder runter. Wir gehen kurz raus und kommen dann unsichtbar noch mal zurück. Ich habe Werkzeug dabei.<

Geschrieben, getan.

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Lange konnten wir uns nicht mehr unauffällig auf der Straße aufhalten. Beflissene Konzernangestellte gingen brav zur Arbeit und lungerten nicht auf der Straße rum.

Wir drückten uns in eine dunkle Ecke, schalteten unsere Commlinks auf ‚Hidden‘ und ich beschwor einen Geist, der uns verschleierte. Dreist öffneten wir die Tür, warfen sie zurück ins Schloss und schlichen erneut nach oben. 

Der Concierge würde sich die nächsten Tage vielleicht gruseln, aber eine Tür, die sich geheimnisvoll öffnete und schloss, war nichts, was man meldete. 

Vor der Tür von Haley Talbot wollte ich schon Hand ans Werkzeug legen, als AveRage dann doch noch eine Idee kam. 

Kurze Zeit später öffnete sich das Schoss mit einem leisen Klick. Der Technomancer grinste mich an. „Siehst du, wenn du da bist, geht es gleich viel besser“, stellte er leise flüsternd fest.

Während Blackstone und AveRage die Wanzen anbrachten, sah ich mich um. 

Viel gab es nicht zu entdecken. Eine blutige Rasierklinge auf dem Rand der Badewanne, ein Flyer für einen Selbstverteidigungskurs für Frauen, einige virtuelle Nachrichtenabos und jede Menge Material über Profikämpfe.

Wozu sie wohl die Klinge brauchte? Infizierte sie andere mit ihrem Blut?

Eine Frage, die mir schon in wenigen Stunden beantwortet werden sollte.

❄️❄️

Wir trafen uns mit Doc und Phoenix in einem Café in der Nähe von Haleys Wohnung. Nah genug, dass wir von hier aus das Signal der Wanzen empfangen konnten.

Doc hatte sich mit Angestellten aus der Rechtsabteilung unterhalten. Alle hatten bemerkt, dass Haley sich verändert hatte, aber niemand störte sich daran, da sie immer noch ausreichend umgänglich war. 

Phoenix hatte das Commlink von Talbot geklont. Wenn die Frau einen Nachricht bekam, würde unsere Deckerin darüber informiert werden und jegliche Kommunikation mitbekommen.

Wir bestellten Kaffee und Kuchen und warteten …

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[Song 6: Imagine Dragons - Friction3] Kurz vor 18.00 Uhr kam Talbot nach Hause. 

Sie ließ sich ein Bad ein, zog sich aus, stieg in die Wanne, griff nach der Rasierklinge und begann, sich innen an den Oberschenkeln zu ritzen. 

»Selbsthass und Selbstzerstörung!«, kommentierte Doc. »Sie fühlt sich nicht wohl in ihrem Körper. Vielleicht möchte sie aus diesem Leben ausbrechen, kann oder aber darf nicht.« 

Eine Nachricht von Jerome traf ein. Haleys Miene hellte sich auf.  

>treffen wir uns heute noch?<, lautete die Frage, >ja, im ladder, 2100<, die simple Antwort.

Wir brachen unsere Überwachung für jetzt ab, denn wir hatten ein Date im ‚The Ladder‘.

❄️❄️

Bevor wir uns aufgebretzelt von Sully ins Elite Dollar fahren ließen, sandte ich unseren Status an den Grand Inquisitor: >Ja, sie ist infiziert. Beweise und Quelle folgen.<

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Ins Elite Dollar zu kommen war kein Problem. Nach unten ins ‚The Ladder‘ zu gelangen, war da schon schwieriger. 

Oberflächlich schwieriger. 

Wir waren Shadowrunner. Top-Shadowrunner! Uns war es ein Leichtes, den verwöhnten Konzernschnöseln eine Zugangskarte nach unten abzunehmen. 

Ich stahl die Karte einfach aus einer Tasche und öffnete damit die Tür nach unten. Dann ließ ich die Karte fallen, damit Doc sie zurück zum Besitzer bringen konnte.

Blackstone, Phoenix, AveRage und ich schritten hinab, in die laute, düstere Welt des Fight Clubs. Hier konnte man wetten, trinken, kämpfen und tanzen. Auf gehobenem Niveau, versteht sich. Bei 10.000 ¥ Jahresbeitrag konnte man das aber auch erwarten. 

❄️

Haley kam etwas vor 21.00 Uhr im Elite Dollar an und ging dann gleich durch bis zu uns nach unten. Sie wirkte unruhig und war laut ihrer Aura aufgeregt und erwartungsvoll.

Nicht viel später erschien Jerome. Ein attraktiver, gut gekleideter Elf. 

Die schöne Phoenix hatte sich in dessen Commlink gehackt, noch bevor er bei Haley angekommen war.

Blitzgeschwind schickte sie uns die Informationen zu. 

Sein Name war in Wirklichkeit Jerome Evans und er arbeitete im Malmstein-Gebäude in Midtown. Dort war er Marketingstratege und hatte extrem viele Kontakte zu hochgestellten Execs verschiedener Konzerne. Unter andere auch zu Emma Porter, ihres Zeichens NeoNETs Vertreterin im Manhattan Development Consortium. Außerdem befanden sich auf seinem Commlink diverse Daten, die noch das Label Novatech oder Fuchi trugen. Der Typ musste also schon ganze Ewigkeiten bei NeoNET arbeiten.

Wenn er wirklich die Quelle für CFD war, wie wir vermuteten, dann konnten wir hier auf ein ganz großes Problem gestoßen sein.

Jerome ging direkt zu Haley. Die beiden fielen sich in die Arme und begannen, wild und heftig zu knutschen. 

So heftig, dass es nicht mehr jugendfrei war.

»Können wir das irgendwie aufnehmen?«, fragte ich meine Chummer.

»Bin schon dabei!«, erwiderte Phoenix fröhlich und verteilte den Feed aus ihren Cyberaugen sogleich ins Teamnetzwerk.

„Bei allen Drachen der Sechsten Welt!“, entfuhr es mir ein wenig atemlos.

Die beiden knutschten gar nicht. 

Eine dunkler Nebel aus feinsten Partikeln strömte zwischen den beiden Mündern. 

Sie tauschten Naniten aus. 

Wir hatten die Beweisbilder - und Jerome Evans war die Quelle!

Phoenix stellte einen Teaser zusammen, den ich umgehend an Diasruiz verschickte.

Die Großinquisitorin rief sofort zurück. »Fangen Sie die Zielperson möglichst unauffällig ein und bringen Sie sie zu diesem Lagerhaus…«, eine Adresse schlug auf meinem Commlink ein, »…Danach überwachen Sie Jerome. Versuchen Sie herauszufinden, was die vorhaben und versuchen Sie weitere Infizierte zu identifizieren - bitte!«

Grand Inquisitor Diasruiz hatte ‚bitte‘ gesagt. Außerdem hatte ich an ihrer Stimme hören können, dass sie beeindruckt von uns war.

Nicht, dass uns das jetzt etwas nützte.

Meine Nackenhaare hatten sich aufgestellt und mir war kalt geworden. 

CFD war auch außerhalb von Boston ein bedrohliches Problem! 

»Verstanden!«, bestätigte ich darum nur.


Ende der heutigen Geschichte. 


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Ob es den Runnern gelingt, Haley aus dem Verkehr zu ziehen, welche Infizierten sie noch identifizieren und was all das für AveRage bedeutet, wird demnächst hier zu lesen sein.

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Wir freuen uns, dass du uns während dieser Geschichte begleitest hast, danken dir für’s Lesen und verbleiben bis zum nächsten Mal:

Snowcat und die Runner von UC.

An dieser Stelle bedanken sich die Spieler unserer Runde bei allen, die an der Entwicklung und Verarbeitung der Shadowrun®-Produkte mitgewirkt haben. Ohne ihre Arbeit wäre unser Spiel nicht möglich! 

We would like to thank the authors, artists and all others who are involved in the development of the Shadowrun® rules, adventures and stories. Without them, our game would not be possible.

Vielen Dank auch an @Vin für das Korrekturlesen. ;*

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*