Tales of Snowcat 31: Fractional SIN (Run 78/2)

TALES OF SNOWCAT (31)

PERIOD4: Magician

ERA4: Modern Baroque

AGENDA8: Corporate Chaos

TIMESTAMP1: 02/05 & 06/2077

RUN NO: 78/2

ON THE RUN: Blackstone, Doc, Mr. Tea, Snowcat;

APPEARANCE2: AveRage, Medaron, Phoenix

SPECIAL APPEARANCE2;5: Grand Inquisitor Basima Oriol Diasruiz, Harlequin 

SPOILER ALERT: Die Episode enthält Spoiler auf den Kampagnenband Bloody Business von Catalyst Games Labs.

WARNING: Dieser Text ist für Leser unter 17 Jahren nicht geeignet. Sexualität, Gewalt, Magie, Tod, Kraftausdrücke, Folter, Rassismus, Alkohol- und Drogenkonsum können vorkommen. 

DAS GESCHAH ZULETZT:

Im Januar 2077 kehren Snowcat und die O’Nialls nach Seattle zurück. Eines Abends geht Snowcat mit Dawante, Medaron, Moxi und Phoenix ins Heels’n’Wheels. Medaron spricht eine Gruppe von Asiaten an, um mit ihnen ein Motorradrennen zu fahren. Die Männer gehören zur Yakuza. Medaron gewinnt das Rennen und beleidigt Sato, den Anführer der Yakuza-Gruppe. Medaron fährt noch ein zweites Rennen gegen Fusion, eine Orkin und Chefin der Death Heads. Dieses spannende und nach dem Abschluss von den Zuschauern bejubelte Rennen verliert er knapp. Außerdem treffen die Runner noch auf Fuse, einen Zwerg und Mitglied der Red Hot Nukes, den Snowcat bereits zu einem früheren Zeitpunkt kennenlernte. 

Ende Januar 2077 erhalten die Runner den Auftrag, den Entwicklungsprozess eines neuen Commlinks zu sabotieren, damit es später fertig wird. Hierzu sollen drei von fünf Personen, die an der Entwicklung mitarbeiten, aus insgesamt drei Städten, sozial sabotiert werden. Die Runner von UC erledigen die Aufgabe innerhalb von etwas mehr als zwei Tagen und beeindrucken erneut einen Johnson. 

Anfang Februar erhält Blackstone eine Einladung zu einem Meeting für einen Run über seinen Liebessekretär 3.0. Das Team erhält fünf Einladungen für den Club das ‚Raucherzimmer‘ in Manhattan. Obwohl man nur fünf Einladungen hat, fliegt Snowcat mit sieben Runnern nach New York. Im Raucherzimmer treffen fünf der Runner auf die Großinquisitorin Basima Oriol Diasruiz, die für S-K CFD-Headcases aufspürt. Sie beauftragt die Runner damit, Haley Talbot zu überprüfen. Das Team beginnt mit der Überwachung und stellt fest, dass Haley tatsächlich mit CFD infiziert ist. Auch die vermutliche Infektionsquelle können sie ausmachen: Jerome Evans. Als sie Grand Inquisitor Diasruiz informieren, erhält das Team neue Run-Parameter. Talbot soll gefangen und Evans überprüft werden. 

Anmerkungen:

1. Der Zeitstempel wird an unsere Zeitlinie angepasst und ist maximal an die offizielle Timeline angelehnt.

2. Die Episode wurde am 18.04.19 erspielt. Neben mir und dem GM waren der Spieler von Blackstone und der Spielerin von Mr. Tea anwesend. Da wir eine große Gruppe von 8 Spielern sind, nimmt jeder Spieler meist nur einen Charakter mit auf den Run. (Unter Umständen kann ein weiterer Charakter für den Run notwendig sein.) So sollen zu viele gleichzeitige Handlungsstränge vermieden werden. Nur in der ausgespielten Downtime kann ein Spieler alle seine aktiven Charaktere ausspielen. Wegen den Widrigkeiten und Schönheiten des RL können nur selten alle Spieler am Spielabend teilnehmen. Deshalb können Charaktere in einer Episoden ohne weitere Erklärung auftauchen, verschwinden oder nicht weiter erwähnt werden. Darüber, welche Charaktere mit auf einen Run gehen, entscheiden die Spieler nach eigenem Gefallen. Das muss nicht immer die logischste Entscheidung sein, und entspricht in keinem Fall nur Snowcats Willen, auch wenn es in der Geschichte anders zu lesen ist. Manchmal ist ein Charakter mit auf einem Run, obwohl sein Spieler abwesend ist. In diesen Fällen wird der Charakter zwar mitgeführt, sein Handeln gerät, wenn möglich, aber in den Hintergrund. Das Spotlight soll auf Charakteren liegen, deren Spieler anwesend sind. Gegebenenfalls hinterlassen Spieler beim GM Regieanweisungen. 

Eine Beschreibung aller Charaktere findest du hier [LINK].

3. Die verlinkten Songs sollen lediglich zu Stimmung beitragen und enthalten keine versteckten Hinweise. Jedenfalls meistens nicht :). Übrigens kaufen wir jeden in den Episoden verwendeten Song, sollte er sich nicht schon vorher in unserem Besitz befunden haben. Nicht nur, damit wir die Songs jeder Zeit auf all unseren Geräten abspielen können, sondern auch, weil wir damit den jeweiligen Künstler unterstützen möchten. Eine Liste mit dem kompletten Soundtrack findest du hier [LINK]. Eine YouTube Playlist zur aktuellen Season findest du hier [LINK].

4. In den ‚Tales of Snowcat’ erzählt Snowcat einem imaginären, nicht näher definierten Zuhörer die Ereignisse aus ihrer ganz persönlichen Sicht. Seit dem Weggang von Katze führt Snowcat auch Tagebuch. Was ihr zunehmend wichtiger wird, da ihr die Dialoge mit Katze fehlen. Man kann ToS demnach auch als Tagebuchauszug betrachten. ‚Period‘ beschreibt dabei den Lebensabschnitt auf dem sich Snowcat befindet. ‚Era' beschreibt das Thema, unter das Snowcat in dieser Zeit den Inhalt ihres Kleiderschranks gestellt hat. ‚Broadcast‘ fasst zusammen, was von dem per Drohne gedrehten Material dem Trideo-Zuschauer der Serie Snowcat and the Howling Shadows zur Verfügung gestellt wird und wann es gestreamt wird.

5. Einige der Namen, die in der Geschichte auftauchen, sind auch in der offiziellen Shadowrun-Welt ein Begriff. Ähnlichkeiten sind beabsichtig. Allerdings kann das hier dargestellte Bild auch deutlich von dem Bild im SR-Kanon abweichen, da es unserer Spielwelt angepasst wurde.

6. Teilweise stehen Dialoge in diesen » « Textzeichen. Die gesprochenen Worte werden dann vornehmlich via Teamnetzwerk oder Commlink verbreitet und sind für Wesen, die keine Mitglieder im Teamnetzwerk sind, nicht oder nur schwer zu hören. Ferner stehen in <> schriftliche Nachrichten und in ‹ › stehen Dialoge via Geistesverbindung, wie zum Beispiel die mit einem Geist unter Kontrolle, Gespräche via Mindnet oder Dragonspeech. Wird zusätzlich eine andere Schriftart verwendet, handelt es sich um unausgesprochene Gedanken oder extra-persönliche Anmerkungen von Snowcat.

7. Snowcat sieht die Geister, die einen Element zugeordnet sind als klassische Elementarwesen:  Luftgeister sind Sylphen, Erdgeister Gnome (früher Brownies), Feuergeister Salamander und Wassergeister sind Undinen. Jeder Geist, den sie beschwört, hat für sie zudem einen eigenen Namen. Guidance Spirits sieht Snowcat als weise Paten, die sie mit Godfather und Godmother betitelt. Guardian Spirits sind für sie Warden, also Krieger verschiedenen metamenschlichen Rassen. Die Warden tragen als Hommage an meine Lieblingsbuchsreihe den ‚Dresden Files‘ von Jim Butcher, die Namen von den Warden des White Council. Spirits of Man sind für sie Leprechauns (Kobolde) und Task Spirits sind Brownies. Beast Spirits bekommen den Titel Master und Plant Spirits den Titel Mother (z.B. Master Wolf oder Mother Oak). 

8. Schlagwort(e), Überschrift(en) unter denen die Episode steht.

• Weitere Begriffserklärungen findest Du dort: [LINK]. 

POSTED BY SNOWCAT

[Song 1: Imagine Dragons - Machine3] Blackstone sah mich fragend an, nachdem ich das kurze Gespräch mit der Großinquisitorin Diasruiz beendet hatte. 

„Wir sollen Talbot gefangennehmen und in ein Lagerhaus bringen“, erklärte ich leise und hinter vorgehaltener Hand, damit mich nur meine Kollegen verstehen konnten. „Außerdem sollen wir unsere Überwachung auf Evans ausweiten.“

„Sollen wir Talbot gleich noch heute Nacht fangen?“, wollte Mr. Tea wissen.

Ich schüttelte meinen Kopf, mein aktuell blauschwarzes Haar floss dabei, einem glänzenden Vorhang gleich, sanft hin und her. „Sie hat kein Zeitlimit genannt. Sie meinte nur, wir sollen so unauffällig wie möglich sein. Ich denke aber, wir sollten heute Nacht zuschlagen, sobald sich eine Möglichkeit ergibt. Immerhin sind wir doch gerade so schön an ihr dran.“ 

Ich fixierte Jerome Evans mit meinen eisblauen Augen. Nachdem er Naniten mit Haley ausgetauscht hatte, hatte er sich in eine Masse von anderen Metamenschen begeben und betrieb aufs heftigste Socializing. Es sah nicht danach aus, als wenn er dabei versuchte, weitere Naniten auszutauschen oder gar weitere Metamenschen zu infizieren. „Zunächst sollten wir uns jedoch darum kümmern, an Evans dranzubleiben“, erklärte ich ein wenig gedankenverloren, da ich immer noch auf Jerome konzentriert war. Auf eine gewisse Art war er gutaussehend. Ja, er war ein Elf, aber daran lag es nicht. Er achtete auf sich, war trainiert, gepflegt, gut angezogen - und da war das gewisse etwas, was Metamenschen besaßen, wenn sie deutlich älter waren, als sie aussahen. Er verstand es, die Leute in seiner Umgebung im Gespräch zu halten. 

Dennoch stellten sich meine Nackenhaare auf, wenn ich ihn ansah. Mein Unterbewusstsein warnte mich vor ihm. 

Ich nahm mein Glas und trank einen Schluck. Getarnt unter einem perfekt dosierten Augenaufschlag meiner langgeschwungenen Wimpern wechselte ich mit meiner Sicht in den Astralraum, um Evans askennen zu können. 

Er war gesund, besaß allerdings nur ein Drittel seiner ursprünglichen Essenz, wobei es sich beim Großteil seiner Cyberware um Headware handelte. Außerdem zogen sich Zeichen von Bioware entlang seiner Muskelgruppen in Armen und Beinen. Er war selbstbewusst, kühl und berechnend. Ich nutzte meine für den Astralraum geschärften und feinen Sinne und verschaffte mir einen tieferen Eindruck über seine geistigen und körperlichen Attribute. Er war in jedem Bereich überdurchschnittlich, wobei seine Willensstärke, sein Intellekt und seine Agilität besonders hervorzuheben waren. Außerdem war seine weiße Weste makellos, was Allergien oder Abhängigkeiten anging. Ein Resonanz-Phänomen, wie wir es quasi in jedem Infizierten hatten feststellen können, der von der Boston-Variante befallen war, fehlte. Die Naniten in seinem Kreislauf waren verdammt schwierig zu erkennen. Ich fand sie nur, da ich wusste, dass sie da sein mussten - und weil ich ein außergewöhnlich erfahren im Askennen von Personen war. 

»Doc, was meinst du? Kann man Evans unbemerkt einen Stealth-TAG unterjubeln?«, fragte ich via Teamnetzwerk. 

„Du nicht!“, hauchte eine Stimme in meinen Nacken. „Denn du hast keine Stealth-TAGs.“ Ich wandte den Kopf leicht zur Seite und blickte direkt in die wässrig-graublauen Augen von Doc. „Wieso hab ich keine Stealth-TAGs?“, hauchte ich zurück. Ich drehte mich ihm zu und verringerte so absichtlich noch einmal den Abstand zwischen uns. 

Doc fixierte meinen Blick. Ihm war nicht anzumerken, ob er meine Nähe genoss. Weder weiteten sich seine Pupillen, noch beschleunigte sich sein Herzschlag. Er hatte sich wirklich perfekt unter Kontrolle. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen hob er seine offene Hand und schob sie in mein Blickfeld. Zwei Stealth-TAGs lagen darin, die er offenbar aus meiner Handtasche entwendet hatte.

Ich lachte perlend. „Dass wir unbemerkt einen TAG bei ihm anbringen können, ist mir schon klar. Ich wollte wissen, wie hoch die Gefahr ist, dass er den TAG bemerkt, sobald er nach Hause kommt.“ Dann berührte ich Doc sanft am Arm. „Und wo kommst du überhaupt plötzlich her? Warst du nicht gerade noch oben im Elite Dollar?“ 

Doc führte seinen Arm um mich herum und stütze sich mit der Hand auf unserem kleinen Stehtisch ab. „Ob er so paranoid ist, dass er seine Sachen zu Hause kontrolliert, lässt sich nicht sagen.“ 

Ich stellte meine Handtasche auf dem Tischchen direkt neben Doc ab und kontrollierte ihren Inhalt. „Von Paranoia stand nichts in seiner Aura“, bemerkte ich beiläufig. „Wir sollten das mit dem TAG also einfach machen. - Hmm, du hast meine TAGs rausgenommen, aber kein Geschenk im Austausch da gelassen“, stellte ich in übertrieben bedauerndem Tonfall fest.

Doc griente und ließ meine beiden Stealth-TAGs in meine Tasche fallen. „Du hast jetzt vier TAGs, aber die beiden anderen sind so geheim, die kannst du nicht finden.“

Ich lächelte charmant, nahm einen Stealth-TAG in die Hand, hielt ihn Doc hin und fragte im verführerischen Ton: „Du oder ich?“ 

Blackstone antwortete zuerst: „Doc wäre mir lieber, an ihn erinnert man sich nicht so leicht. Nichts für ungut, Doc.“

Doc nickte und nahm den TAG. „Sehe ich auch so!“

❄️

Einige ‚Ohhs‘ und etwas Applaus von den Zuschauern bei der Kampfarena nutzte Doc, um in die Menge abzutauchen. 

„Die Kampftechniken sind wirklich atemberaubend … schlecht“, kommentierte Mr. Tea das Geschehen in der Arena trocken. „Obwohl das natürlich nur meine Meinung aus der Sicht eines Profis ist. Die meisten kämpfen einen Mixed-Martial-Arts-Style, der für Laien dann doch in Ordnung ist.“

„Hier verhauen sich also Konzernangestellte gepflegt und zum Spaß nach der Arbeit?“, hakte Blackstone nach.

Mr. Tea nickte. 

Derweil trat Haley an den Tisch, wo man sich für Kämpfe anmelden konnte. Der Ork dahinter sprach der jungen Frau gut zu. Offenbar wollte er die drahtige, aber dennoch eher zierliche Person davon abbringen, sich verprügeln zu lassen. 

Mr. Tea hatte es ebenfalls bemerkt. „Wenn wir uns dafür entscheiden, sie heute von hier aus einzufangen, müssen wir auf den Ork achten.“

„Ja, das ist wohl so“, stellte ich fest. 

Blackstone wirkte einen Moment geistesabwesend, dann meldete er: »Er hat sie gewarnt, dass einer der Typen nur mitmacht, weil er gerne Frauen schlägt. Sie meinte, sie packt das. Und wenn sie ihren nächsten Kampf gewinnt, soll er dafür sorgen, dass der Typ unbedingt ihr übernächster Gegner wird.«

Haley setzte sich durch, ihr Name erschien als nächstes auf der Liste der Kämpfer und er fand sich auf der Schiene, die im übernächsten Kampf auf den Sieger des ‚Frauenschlägers’ treffen würde.

„Am besten wäre es ja, Haley steigt nachher freiwillig zu uns in die Limousine“, bemerkte Doc, als er sich wieder an unseren Tisch gesellte.

Ich lächelte. „Das habe ich auch schon gedacht. Vielleicht können wir sie ja davon überzeugen, dass wir noch einen besseren, geheimen, exklusiven Fightclub kennen, in dem sie heute Nacht noch mal ordentlich zuschlagen kann.“

[Song 2: Eminem, DMX, Obie Trice - Go To Sleep3] Mit diesen Worten hatte ich den Startschuss zu einer Gruppenverführung gesetzt. 

Bei einer Verführung geht es nämlich nicht um Sex oder körperliche Nähe. Es geht darum, eine andere Person mit einem Angebot zu locken, das diese am Ende nicht ablehnt, sondern so aufregend findet, dass sie es freiwillig annimmt, egal, ob sie normalerweise so etwas tun würde oder nicht. 

Startete man die Verführung als Team, konnten verschiedene Rollen vergeben werden, die das Ganze glaubwürdiger und eindeutiger gestalteten. 

Mit Haleys erstem Kampf am heutigen Abend begann unsere Verführung. Das Team versammelte sich um den Kampf-Käfig herum und feuerte Haley an.

Begeistert von ihrem Sieg luden wir sie an unseren Tisch ein und gaben überschwänglich Champagner aus. Mr. Tea lobte sie für ihren Stil und gab ihr Tipps für die nächste Runde. 

Doc pries charmant den Vorteil einer Siegesserie an. 

Über das Stichwort ‚Massage‘ erwähnte ich die befreiende, lebendige Kraft des Schmerzes. 

Haley fühlte sich verstanden und inspiriert. Sie schenkte uns ein schüchternes Lächeln, als sie gegen den ‚Frauenschläger‘ antrat.

Wieder feuerten wir sie an. 

Übrigens kämpfte auch Haley im Mixed-Martial-Arts-Style. In ihrem zweiten Kampf musste sie so einiges einstecken, womit sie ziemlich gut klar kam. 

Mr. Tea machte uns darauf aufmerksam, dass ihr letzter Schlag härter getroffen hatte, als er ihr zugetraut hätte. 

Ich konnte das nur bestätigen. Der Schlag, mit dem sie ihrem Gegner den Rest gegeben hatte, hatte die mehr oder weniger subtile Veränderung gezeigt, die Schläge von Adepten hatten, wenn sie ihre Attribute boosteten. 

Phoenix hatte uns im Nu ein Slowmotion-Video von der Szene angefertigt und im Teamnetzwerk verteilt. Sofort war klar: Haley konnte regenerieren. Nicht im dem Maß wie es die Boston-Shambler hatten tun können, aber ihre Wunden heilten schneller. Darum also steckte sie so viel weg.   

Wir hatten uns inzwischen über Haleys Verschwinden weitere Gedanken gemacht. Zunächst einmal hatte ich bei Sully, unserem Limousinenbesitzer und Chauffeur, angefragt, ob es für ihn in Ordnung wäre, wenn wir einen ‚Gast‘ in seinem goldenen Wal mitnehmen würden. Er hatte eingewilligt. Das ging also schon mal klar.

Damit man später keine Rückschlüsse auf die Entführer schließen konnte, wollte ich Haley - von ihr selbst unbemerkt - beim Verlassen des Clubs mit einer Körpermaske versehen. Ich würde zudem einen Geist in petto haben, der mit der Kraft der Beeinflussung bereitstand, Haley den Rest von Überzeugung zu geben, sollte sie nicht freiwillig einsteigen.

Als die CFD-infizierte Kämpferin nun an unseren Tisch kam, feierten wir sie zunächst. Dann erwähnte Doc unseren Fightclub und ich zierte mich, da ich mir nicht sicher sei, ob Haley die richtige für diese ganz private Einladung wäre. Die Augen von Haley weiteten sich interessiert. Wir hatten sie am Haken.

❄️

Das kleine Spiel lief noch über eine weitere Stunde und über einen weiteren Kampf, den Haley ebenfalls gewann. Dann ließ ich mich 'breitschlagen', Haley mit zu unserer ganz besonderen Kampfarena zu nehmen.

Kurz hinter der Garderobe ergab sich die Gelegenheit zu einer sanften Berührung am Arm der jungen Frau. Aurenkontakt reichte aus, um sie wie jemand anderen aussehen zu lassen. Die Magie gehorchte meinem Willen, ohne sich zu zieren. Die gesamte Gruppe lenkte Haley ab, damit ihr nicht bewusst wurde, dass eine eventuelle Spiegelung ihrer selbst nicht wie sie selbst aussah. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Die neue Persönlichkeit von Haley Talbot rechnete wahrscheinlich damit, dass ihr eigenes Spiegelbild ihrem inneren Selbstbild nicht ähnelte. 

Noch in der Limousine sandte ich eine Nachricht an die G I und setzte sie über die Coverstory ins Bild.

Die Adresse führte nach Little Italy, direkt zu einem alten Kühlhaus. 

Als wir in einiger Entfernung zum Haus ausstiegen, klatschte Haley in die Hände. „Oh wie aufregend und düster.“

Ich lächelte sie an. „Ja, nicht wahr? Mach dir keine Sorgen, für den Notfall habe ich eine Waffe dabei.“

Haley riss entsetzt die Augen auf. „Du hast eine Waffe?“

Ich nickte. „Ja, irgendwo in meiner Handtasche ist eine Pistole, Ich bin ein ziemlich guter Schütze und habe darum eine Lizenz bekommen.“

„Wow!“, kommentierte Haley. 

Abschrecken tat Haley meine Pistolengeschichte nicht, vielleicht war es sogar das Gegenteil. 

Auch hier hatten wir einen Backup-Plan im Ärmel. Sollte Haley plötzlich kalte Füße bekommen, würde der elegante Mr. Tea sie mit seinen elektrisierenden Händen schlafen schicken.

Vor der Tür ins Kühlhaus standen ein Ork und ein Mensch im Anzug Wache. Beflissen ließ sich der Mensch von mir die Einladung zeigen. Ich identifizierte mich mit meinem Manhattan-Pass, hantierte dann aber noch ein bisschen an meinem Commlink herum, um glaubwürdig die ‚geheime‘ Einladung zu suchen.

Wir traten ein und gewannen augenblicklich Abstand von Haley. Sie blieb nicht einmal stehen, da auf den ersten Blick nichts dafür sprach, dass wir uns nicht in einem illegalen Fightclub befanden. Ein für ein Kühlhaus so typischer Plastiklamellenvorhang versperrte uns die Sicht in den Raum. 

Die Männer von S-K waren hingegen gleich dicht hinter Haley eingetreten. Zwei weitere Männer, bewaffnet und gepanzert, hatten seitlich der Tür gestanden und traten hinzu. Man nahm Haley in den Polizeigriff, und noch bevor sie reagieren konnte, wurde ihr eine Kapuze über den Kopf gezogen. Dann legte man ihr Hand- und Fußfesseln an. Erst jetzt begann Haley zu protestieren, doch auch ein Boost ihrer Körperkraft reichte  nicht ansatzweise aus, um sich befreien.

Wir alle traten durch den Vorhang und blickten auf einen großen, kahlen Raum, der immer noch wie ein Kühlhaus aussah. Rechts, nahe einer Wand, standen drei State-of-the-Art-Liegen, in die je eine Person lag und eingestöpselt war. Einem astralen Blick nach zu urteilen handelte es sich dabei um je einen - wer hätte es erraten? - Decker, Rigger und Magier. 

Haley wurde in einen 4 x 4 Meter breiten, völlig geschlossenen Würfel gebracht, der nahe der hinteren Wand aufgestellt worden war und auf einem Podest stand. In diesem Kubus schnalle man Haley auf einen Stuhl. 

„Was soll das?“, schrie die Frau noch. „Ich bin Mitarbeiter von Saeder-Krupp, Sie dürfen mich hier nicht festhalten.“

Erst nachdem man die Würfeltür hinter Talbot geschlossen hatte, betrat die Großinquisitorin aus einer Seitentür heraus den Raum. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich die Spur eines Lächelns ab. Sie war mit unserer Arbeit höchst zufrieden.

❄️

Ich wies Diasruiz auf den verstärkten Schlag und die Heilkräfte von Talbot hin. Sie nahm das alles mit großem Interesse zur Kenntnis, auch wenn ihr diese Fähigkeiten nicht völlig neu waren. 

Nach einem 15-minütigen Debriefing, das ich beinahe allein mit der G I durchgeführt hatte, präzisierte sie ihren Folgeauftrag. „Evans ist ein NeoNET-Johnson …“

Ich hob interessiert eine meiner wohlgeschwungenen Augenbrauen. Evans war also ein Mann, der Runner beauftragte, höchst interessant. 

„ … Verfolgen Sie ihn eine Zeit lang und erarbeiten Sie einen Plan zu seiner Extraktion!“

Wir waren bereits für eine Woche bezahlt worden und hatten gerade erst einen vollen Tag gearbeitet, eine neue Verhandlung lohnte demnach nicht. Aber immerhin konnte ich 10.000 nu¥ zusätzliche Spesen rausholen.

Das Kühlhaus durften wir als Basis benutzen, aber der Umstand, dass die G I und ihr Team hier auch das Verhör von Haley Talbot durchführen würden, machte diesen Ort nicht gerade zu einem Safehouse, in dem wir übernachten wollten. 

Apropos übernachten, AveRage und Phoenix brauchten dringend Schlaf. Sie waren jetzt seit mehr als 24 Stunden wach. Wir ließen uns von Sully und seinem ‚Golden Whale’ zurück zum Family-Style-Hotel bringen. 

❄️

In meinem Zimmer angekommen, zog ich die High Heels aus und warf mich in meinem roten Minikleid aufs Bett. Noch bevor mein Kopf das Kissen berührte, hatte mein Haar bereits wieder seine natürliche eisweiße Farbe angenommen. Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blickte an die Decke.

Dieses CFD war inzwischen zu einem globalen Problem geworden. Einem beängstigenden Problem. Praktisch jeder Konzern konnte unterlaufen sein. Bei S-K schien es besonders die Brackhaus, also die Johnsons, getroffen zu haben. Immerhin hatte man mit Crackhaus sogar einen Namen für sie. 

Wenn dieser Ruf, der vor ein paar Tagen durch die Matrix geklungen war, eine Lösung bot, die den Wirt der CFD-Persönlichkeit nicht vernichtete, könnte wahrscheinlich vielen geholfen werden. Ich sollte der Seriosität dieses Rufes einmal nachgehen, schon alleine für AveRage. 

Starbuck, Riser, Fast Jack: Früher oder später benötigten sie alle eine Lösung.

Was natürlich nicht bedeutete, dass sie alle die gleiche Lösung wählen würden. Einige AIs hatten eigene Ziele entwickelt, andere waren eine echte Symbiose mit ihrem Wirt eingegangen. Letzteres war offenbar ziemlich selten. 

[Song 3: No Doubt - Underneath It All, acoustic3] Ich checkte die Nachrichten, die in den letzten Stunden auf meinem Commlink eingetroffen waren und begann sogleich zu schmunzeln. Eine Videobotschaft von Harlequin befand sich darunter. 

Ja, mein Liebster war von Briefen zu Videobotschaften übergegangen. Diese hier startete mit einem Song, den er zumindest für mich umgetextet und vielleicht sogar für mich komponiert hatte. Harlequin saß irgendwo auf einem Felsen, in Jeans, mit freiem Oberkörper und mit einer Kapitänsmütze auf dem Kopf, spielte auf einer Ukulele einen Song für mich und sang dazu.

Er sah unwiderstehlich aus. Seine Stimme war unglaublich. Was hatte ich doch für ein Glück! 

Ich sprang auf, startete über mein Commlink meine kleine CU^3-Drohne, ließ sie mich filmen und begann damit, zum Song durch mein Hotelzimmer zu tanzen.  

Romantische Liebesbriefe hatten viel, aber das hier auch.

❄️❄️❄️

Irgendwann im November 2076, irgendwo auf dem Nil, zwischen Luxor und Kairo, Afrika, an Bord der DS Hippopotamos

Unsere beiden Liegestühle auf dem Oberdeck standen dicht beieinander. Die Sterne funkelten über uns am dunkelblauen Nachthimmel. Der Schaufelraddampfer schaukelte sanft über den Nil. Das kleine Kreuzfahrtschiff, Baujahr 1907, war zuletzt 2073 komplett renoviert, restauriert und modernisiert worden. Es besaß insgesamt nur 15 Kabinen, drei davon waren Suiten. Eine diese Suiten hatte Harlequin für uns gebucht. Ich hatte keine Ahnung, wie ihm das so kurzfristig gelungen war. Die noch wenigen existierenden wirklich alten Schaufelraddampfer waren, zumindest laut der anderen Passagiere, über Jahre hinweg ausgebucht.

Außer uns war mitten in der Nacht niemand auf dem Oberdeck. 

Ich ließ die Illusion von ‚Duda‘ auf dem Motorrad in sich zusammenfallen.

„Ja, zweifelsohne ein Boggle!“, kommentierte Harlequin interessiert. „Einer Legende nach sollen es zwei Boggle gewesen sein, die Josua dabei geholfen haben, die Mauern von Jericho einstürzen zu lassen.“

Ich legte den Kopf leicht schief und mein eisweißes Haar fiel einer Kaskade gleich zur Seite. „Tatsächlich? Was es Josua wohl gekostet hat? Oder meinst du, sie sind gar nicht so schlimm?“

Harlequin beugte sich über mich, um mich zu küssen. 

Einige Minuten später erwiderte er: „Das habe ich nicht gesagt. Sie bleiben dämonische Wesen, denen darf man niemals trauen. Dämonen sind Dämonen, egal, wie minder sie sind.“

„Man kann sie auf jeden Fall innovativ einsetzten“, meinte ich leise zufrieden seufzend, da ich seine Küsse immer noch schmecken konnte. Ich dachte einen Moment lang nach, doch mir fiel nichts mehr ein, was ich noch interessantes aus Boston erzählen konnte. „Und? Was hast du so in den letzten vier Monaten gemacht?“, fragte ich stattdessen. 

„Ich habe meine Stiefel gesucht!“, lautete die kurze, aber überraschende Antwort. Solche Dinge hatte mein Liebster einfach drauf. 

Er ließ sich zurück in seine Liege fallen, strecke eines seiner Beine hoch und verkündete: „Diese Stiefel hier!“

Ich sah genauer hin. „Das sind sehr schöne Stiefel!“, bestätigte ich. Wie alle von Harlequins Stiefeln waren sie handgefertigt und aus irgendeinem besonderen, wertvollen Leder. Harlequin schätzte, pflegte und liebte seine Stiefel. Und er besaß viele Paare, die sich alle unterschieden. Seine Sammlung musste unglaublich groß sein. Dieses Paar gehörte zu denen, die ich bisher noch nicht an oder bei ihm gesehen hatte. „Am Ende habe ich sie in Lima gefunden“, fügte er hinzu. „Darauf hätte ich kommen können. Lima ist ein natürlicher Ort für diese Stiefel.“ 

Was für ein Satz. Tatsächlich besaß mein Liebster überall auf der Welt irgendwelche Lager, in denen er von alten Schwertern, über Bücher, Filme auf diversen Medien, Kunstobjekten und Kleidung bis hin zu Stiefeln alles lagerte. Er besaß keine Ordnung oder gar Inhaltsangabe für seine Lager.  Manchmal wusste er, wo etwas war, oft jedoch nicht. So war jeder Besuch eines Lagers auch für ihn eine Überraschung. 

„Erst habe ich an den üblichen Orten gesucht“, begann er zu erzähle. „Marseille, Paris, Monte Carlo. Dann war ich in Havanna.“

„Havanna soll schön sein!“, warf ich ein. „Aber das sagt man ja zu vielen Orten, wenn sie schön sind. Gibt es eigentlich Orte, die eine bessere Reputation haben, als sie verdienen?“ 

Harlequin antwortete nicht direkt, sondern meinte: „Du musst den Ort nicht behalten, wenn er dir nicht gefällt. Du kannst ihn zurückgeben. Innerhalb von 14 Tagen.“ 

Ich lächelte. „Gut zu wissen.“ Ich sah ihn erwartungsvoll an. „In Havana waren sie aber nicht. Bist du danach auf Lima gekommen?“

Harlequin schüttelte gedankenverloren den Kopf. „Ich bin dann auf einem Frachtschiff gefahren, von New Orleans nach Caracas.“

Ich hob überrascht eine meiner zarten Augenbrauen. Nicht, dass es verwunderlich war, dass Harlequin nicht ein Passagierschiff oder gar Flugzeug genommen hatte. Mit meinem Liebsten zu reisen, bedeutete, wundervoll spontan und innovativ zu sein. Mal buchte er eine luxuriöse Kabine auf einem Schaufeldampfer den Nil entlang, während man einige Tage zuvor noch wie ein Tramp auf einen automatisieren Zug gesprungen war. Wenn ich mit Harlequin reiste, packte ich einfach eine Tasche mit den Sachen, die ich dabei haben wollte. Einzig flache Schuhe, am besten solche, die eigentlich mehr eine Sohle waren, die man zusammenrollen konnte, hatte ich immer dabei. Alles andere kaufte ich vor Ort und schickte dann mein anderes Zeug per Post an mich zurück nach Hause. Oder ich zauberte das, was ich gerade dabei hatte, für die neue Situation passend. 

„Frachtschiffe sind billiger“, erklärte er, obwohl es ihm niemals ums Geld ging.

„Das dachte ich mir!“, erwiderte ich. „Ich wusste nur nicht, dass man auf Frachtschiffen als Passagier mitfahren kann, oder hast du angeheuert?“

Harlequin schüttelte den Kopf. „Nein, sie nehmen Passagiere mit. Es gibt sogar Kabinen dafür. - Drei mal haben wir Piratenangriffe abgewehrt!“

„Dann war der Kapitän sicher erfreut, dass er jemanden wir dich dabei hatte.“

Harlequin nickte. „Ja, das war er. - Ein paar Piraten waren besonders gewieft. Sie haben sich als Patrouille von Aztlan ausgegeben. Bis ins kleinste Detail machen sie das nach. Sogar die Abzeichen. Was für ein Aufwand. Dafür muss ich sie eigentlich loben.“

Was wahrscheinlich bedeutete, dass es sich wirklich um eine Patrouille von Aztlan gehandelt hatte.

„Zum Dank durfte ich sogar ans - wie heißt das? - Ruder?“

„Steuer?“, schlug ich vor. 

„Ja. - Ruder. Nur eine Kapitänsmütze durfte ich nicht aufsetzten“, meinte mein Geliebter ein wenig enttäuscht. „Aber hier, ich hatte eine Mütze auf.“ Harlequin zog sein Commlink hervor, das nicht mehr ganz State-of-the-Art war, aber über ausreichend Funktionen verfügte, aktivierte es und ließ dann eine Selfie von sich aufblenden, auf dem er im Sprung, mit einem fröhlichen Gesichtsausdruck, mit Strohhut auf dem Kopf am Steuer eines Frachtschiffes, zu sehen war. Das Bild sah so aus, als hätte er sich selbst gephotobombt. 

Ich machte große Augen. „Das ist ja entzückend. Kann ich es haben?“

Harlequin grinste, „Klar!“, und schnippte es mir zu. „Also einen Hut!“, korrigierte er. „Ich will mir jetzt auch eine von diesen Kameradrohnen kaufen, die ihr auch benutzt habt!“ 

„Du meinst eine CU^3?“

„Genau, in der SatHS-Edition. Die kann ja die Fotos von mir machen.“

Ich richtete mich auf und klatschte begeistert in die Hände. „Au ja, das finde ich gut. Die Bilder kannst du mir dann schicken. So eine Kameradrohne kann noch mehr, Videos drehen zum Beispiel. Die könntest du mir dann auch schicken. Ich sollte dann auch immer eine dabei haben, damit ich dir antworten kann.“

„Wieso? Du hast doch deine Paparazzi.“ Er hob eine Augenbraue. „Na, deine Leute eben, die können dich filmen. Aber schicken finde ich gut. Dann schicken wir uns Selfies und Videobotschaften!“

❄️❄️❄️

Auf dem Bett sitzend sah ich mir den Rest der Nachricht an. Mir war warm ums Herz geworden. jegliche schweren Gedanken und meine Müdigkeit waren verflogen. Ich zeichnete ebenfalls eine Botschaft auf, nahm meinen Liebsten mit unter die Dusche, hängte das alles an das Tanzvideo an und sandte das Gesamtpaket matrixwendend an ihn.

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Dank unseres Stealth-TAGs, den Evans nicht entdeckt hatte, und dem Zugang, den Phoenix zu dessen Commlink gelegt hatte, war es ein leichtes, Jerome am nächsten Tag zu finden. 

Wir verfolgen ihn, soweit wir konnten. Als NeoNET-Mitarbeiter kam er allerdings auch an Orte, die uns mit unseren Worker-Pässen von S-K verboten waren. Bei solchen Gelegenheiten mussten wir auf Drohnenüberwachung und Commlink-Tracking zurückgreifen. 

Alles in allem bekamen wir ein gutes Gefühl für seine Bewegungen und Kontakte. Evans schien viele Cops persönlich zu kennen. Grüßte sie hier und da. Ein Umstand, der bei eine Extraktion Schwierigkeiten bereiten konnte.

Die CFD-Persönlichkeit von Evans machte sich nicht bemerkbar. Es gab keinerlei Verhaltensauffälligkeiten. Hätte ich es nicht gewusst, ich hätte es nicht bemerkt. Außerdem fanden wir keinerlei Anzeichen dafür, dass er außer Haley Talbot noch jemanden infiziert hatte. Weder bei seiner Überwachung noch auf seinem Commlink. 

Noch während wir beobachteten, entwickelten wir einen simplen Plan. Mit Hilfe unserer gesammelten Daten konnte Doc je ein exzellentes geografisches und psychologisches Profil erstellen. Überwacht hatten wir an einem Freitag, zuschlagen wollten wir an einem Samstag. Somit konnten wir nicht genau sagen, wann Evans sich wo befinden würde. Darum wollten wir ihn mit Hilfe des Commlinks von Haley Talbot in eine Falle locken. Sie schien etwas besonders für ihn zu sein. Mithilfe des geografischen Profils wählten wir zwei Orte aus.

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Spät am Abend des 05. Februar 2077 überreichten wir der der Großinquisitorin die von uns gesammelten Daten und teilten ihr mit, dass wir Evans am Samstagabend extrahieren wollten. Von ihr wollten wir nur einen RFID-sicheren Bodybag und Haleys Commlink. Das Geld für den Wagen, den uns Sully mitsamt gefälschter Fahrerlaubnis besorgen würde, entnahmen wir dem Spesenkonto.

❄️

„Soweit steht der Plan“, stellte ich im Hotelzimmer kurz nach Mitternacht fest. Der Whitenoise-Generator summte leise vor sich hin.

„Und was machst du an dieser Stelle, Blackstone?“, fragte ich noch. Dann begann ich zu grinsen. „Setzt du ihm die Maske auf?“ 

Blackstone schnaufte: „Der Kleinste? Ihr wollt nur sehen, wie ich hochspringe und versuche, ihm die Maske auszusetzen.“ 

Doc meinte dazu: „Nein, wir gegen davon aus, dass Mr. Tea ihn bei seiner Aktion zu Boden wirft. Dann muss sich keiner so weit bücken!“ 

Wir lachten. 

Mr. Tea beschwichtigte: „Und sollte das mit dem Umschubsen nicht gelingen, werde ich dich hochheben.“

❄️❄️

[Song 4: Henry Jackman/Civil War OST - Fracture3] Kurz nach Sonnenuntergang starteten wir den Run.

Wir parkten den Lieferwagen in einer Gasse unweit des Malmstroem-Gebäudes. 

Phoenix sprang in die Matrix, AveRage saß hinter dem Steuer. 

Wir hatten darauf verzichtet, unseren zweiten Rigger Medaron für diese Aktion vom Flughafen zu holen. Die Großinquisitorin kannte ihn noch nicht, und dabei sollte es erstmal bleiben. Je weniger wir von uns preisgaben, desto besser. Außerdem war ich noch nicht davon überzeugt, ob Medaron überhaupt Manhattan-tauglich war. 

Es war ein schöner, klarer Februar-Abend. Die Luft war erfüllt vom Sirren hunderter Lufttaxis, die die Reichen und Schönen zum Abendessen brachten, bevor sie sie ein wenig später über Manhattan in diverse Nachtclubs verteilen würden.

Ich hielt Haleys Commlink in meinen behandschuhten Händen. Sylphe Aravilar hing im Astralraum neben mir, bereit, meine Befehle entgegen zu nehmen. 

Die einzige Kamera hier hatte Phoenix unter ihrer Kontrolle gebracht. Sie editierte uns heraus.

Mr. Tea und Blackstone warteten am anderen Ende der Gasse, während Doc noch ein paar Meter näher an der Wohnung von Evans Stellung bezog.

> Ich muss dich dringend sprechen. Warte hier auf dich.< Ich drückte auf Senden. ‚Meinen‘ Standort hatte ich ihm mitgeteilt.

Innerhalb einer Minute kam die Antwort. >Ich komme.<

Ich konzentrierte mich, formte die Magie nach meinem Willen und nahm die Gestalt von Haley Talbot an. Dann stellte ich mich an den Rand der Gasse und wartete.

❄️

»Sein Commlink nähert sich«, sagte Phoenix an. 

Von AveRage kam ein: »Drei, zwei eins, Action!«

Als ich die Gestalt des Elfen, der einst Jerome Evans gewesen war, erblickte, trat ich aus den Schatten, hob die Hand und ging ein paar Schritte auf ihn zu.

Weit kam ich nicht.

Jeromes Augen weiteten sich überrascht, als Mr. Tea und Blackstone, beide maskiert, hinter mir aus der Gasse sprangen, mich packten und mich zurück ins Dunkle zerrten. „Hey, was soll das?“, schrie ich mit ausreichend Zeitverzögerung und passend erschrocken und empört.

Der Feed von AveRages kleiner Überwachungsdrohne zeigte, wie Jerome sich mit verstärkter Reaktion in Bewegung setzte. 

Mr. Tea und Blackstone ließen mich los. Ich konzentrierte mich schon mal auf den Zauber, den ich gleich vom Stapel lassen würde.

Dann hörten wie einen schallgedämpften Schuss, und schon kam Jerome humpelnd um die Ecke gerannt. Jerome hatte den Schuss von Doc ins Bein einfach geschluckt.

Ich gestikulierte und sandte Evans einen Schwall eiskalter Luft entgegen. 

Augenblicklich wurde der Elf von einer frostigen Schicht überzogen. Kalter Rauch stieg auf, so, als wenn man etwas aus der Tiefkühltruhe genommen hat. 

Die Bewegungen von Evans verlangsamten sich.

Mr. Tea nahm Anlauf. Seine Fäuste waren von Elektrizität umhüllt. 

Aus vollem Lauf schlug er zu.

Ich hielt den Atem an. Tot nützte uns der Elf kaum etwas. Ich hatte Mr. Tea schon ganz andere Wesen mit einem Schlag in Grund und Boden stampfen sehen.

Zu meiner Überraschung bleibt Evans sogar stehen, obwohl Mr. Tea ihn ganz hervorragend getroffen hatte. 

Der englische Gentleman hatte seine Kräfte gut im Griff und die Panzerung von Evans weitaus treffender eingeschätzt als ich. 

Blackstone kam angelaufen und schlug Evans mit seinem Schwert in die Kniekehle. 

Ein weiterer Schlag von Mr. Tea  und ein weiterer Hieb mit dem Schwert von Blackstone waren nötig, um Evans zu Boden zu schicken. 

„Ergib Dich, Jerome Evans!“, forderte ich mit Magie verstärkter Stimme. 

Wir mussten ihn in unsere Gewalt bekommen, bevor er doch noch von uns zu Tode geprügelte wurde. 

Noch am Boden liegend streckte er die Arme aus und erwiderte: „Ich ergebe mich!“ Er klang dabei weder ängstlich noch schmerzverzerrt. Einzig der Zwang meiner Magie hatte ihn dazu gebracht.

Doch das reichte uns, um den schwerverletzten Mann in Gewahrsam zu nehmen. 

Doc war herbeigeeilt und sorgte mit vorgehaltener Waffe dafür, dass Evans sich nicht umentschied, nur weil die Wirkung meiner Kraft nachließ. 

Blackstone setzte ihm die Maske auf und nahm ihn in den Schwitzkasten, während Mr. Tea Evans fesselte und durchsuchte.

Zum Vorschein kamen Schockhandschuhe, eine Pistole, ein Commlink und - wer hätte es gedacht ?- eine Monofilamentpeitsche.

Schließlich steckten wir Evans in den vorbereiteten signalgeschützten Sack und verluden ihn in unseren Van.

Zufrieden stellte ich fest, wie hervorragend gleich unser erster Versuch geklappt hatte.

❄️

Die Großinquisitorin war ebenfalls zufrieden. Sie schätzte unsere Arbeit sogar so sehr, dass wir bei dem Verhör dabei sein durften. Oder sollten, je nachdem, wie man das interpretieren wollte. 

❄️

Gefesselt und in den Kubus gesetzt zeigte Jerome Evans deutlich, dass er nicht mehr derselbe war. Haltung, Stimme und Gebaren änderten sich völlig. Seine Charme verschwand und er wirkte nur noch kalt, arrogant und berechnend. 

Dennoch erfuhr die G I, was sie wissen wollte. Auch mit unserer Hilfe, auf die sie wahrscheinlich nicht angewiesen war, die das Verhör jedoch sicher beschleunigte.

❄️

Jerome Evans war von Hans Brackhaus infiziert worden. Jerome hatte bemerkt, dass er infiziert worden war und hatte noch versucht, es aufzuhalten, indem er Killernaniten genommen hatte. 

Wir wussten, dass es das Ganze nur beschleunigt hatte. 

Er, als langjähriger Mitarbeiter von NeoNET, hatte sich laut Anweisung von Brackhaus, bewusst einen S-K-Angestellten aussuchen und infizieren sollen. Seine Wahl war auf Haley Talbot gefallen. CFD-Jerome vermutete, dass der schwelende Konflikt zwischen NeoNET und S-K zum Ausbruch gebracht werden sollte. Weitere Infektionen durch Evans waren bisher nicht vorgesehen.

Wir hatten also das Ende und den Anfang dieser Kette gefunden. 

Die neue Persönlichkeit von Jerome hatte die andere perfekt aufgenommen. 

Der Typ war ein Soziopath. Aus der ehemaligen Konzerntreue zu NeoNET war ein interessantes Konstrukt entstanden, das zur totalen Auftragstreue und Ergebenheit gegenüber dem Mann führte, der ihn infiziert hatte. 

Ein Bild aus den Cyberaugen von CFD-Jerome zeigte einen Nordamerika zugeordneten Brackhaus, den S-K noch nicht als Crackhaus auf dem Schirm gehabt hatte. 

Die Großinquisitorin rief in unserem Beisein ein Programm mit dem Namen ‚Devianz‘ auf, um Daten über diesen Crackhaus abzufragen. Zudem gab sie Informationen aus dem Verhör ein und kam zu folgendem Ergebnis: 

Offenbar hatte sich der Crackhaus ein Blackops-Team in Battery Park zunutze gemacht und in deren Quartier Stellung bezogen.  

Das Team bestand aus dem Anführer, zwei Shootern, einem Decker und einem Mage. Ein Geschäft für ‚Handlesen und Okkultes‘ diente dem Blackops-Safehouse als Tarnung. Da das Team sich bereits seit Tagen nicht mehr gemeldet hatte, war davon auszugehen, dass sie tot oder zumindest gefangen, aber nicht mit CFD infiziert worden waren. Übernommene hätten sich gemeldet und versucht, ihre Tarnung aufrechtzuerhalten.

Es war keine Überraschung, dass Großinquisitorin Diasruiz uns damit beauftragte, der Sache nachzugehen. 

Wir sollten herausfinden, was in dem Laden geschehen war, den Crackhaus finden und festsetzen. 

Ich schätzte, dass diese Aufgabe sich weitaus schwieriger gestalten würde als die beiden davor.  Es sei denn natürlich dort saß tatsächlich nur ein einziger Crackhaus.

Nun, bald würden wir mehr wissen. 

Interessant fand ich den Auftrag allemal.


Ende der heutigen Geschichte. 


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Ob es den Runnern gelingt den Crackhouse zu finden, ob Medaron sich Manhattan-like benehmen kann und ob der Rotten Apple noch eine Überraschung für die Runner in petto hat, wird demnächst hier zu lesen sein.


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Wir freuen uns, dass du uns während dieser Geschichte begleitest hast, danken dir für’s Lesen und verbleiben bis zum nächsten Mal:

Snowcat und die Runner von UC.

An dieser Stelle bedanken sich die Spieler unserer Runde bei allen, die an der Entwicklung und Verarbeitung der Shadowrun®-Produkte mitgewirkt haben. Ohne ihre Arbeit wäre unser Spiel nicht möglich! 

We would like to thank the authors, artists and all others who are involved in the development of the Shadowrun® rules, adventures, and stories. Without them our game would not be possible.

Vielen Dank auch an @Vin für das Korrekturlesen. ;*

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*