Teil 6

6

Craven brachte von seiner „Auszeit“ nicht nur eine Flasche Absinth und ein Fläschchen „Hauch von Winter“ mit, sondern auch ihren ersten kleinen Run.

Eigentlich war die Sicherheit bei einer Geldübergabe am Hafen von Tacoma zu stellen noch kein richtiger Run, aber immerhin hatten sie den Auftrag nicht als Ancients sondern als Snowcat und Craven ausgeführt. 

Die Sache lief problemlos über die Bühne. Sie hatten die zusätzlichen und vor allem unangemeldeten Leute, die der Geschäftspartner ihres Kunden mitbrachte, so früh bemerkt, dass es gar nicht erst zu einem Zwischenfall gekommen war. Ihr Kunde, ein kleiner Schieber aus Redmond, war so zufrieden, dass er sie weiter empfehlen wollte. 

Das hatte er tatsächlich getan und so hatten sie einem kleinen Ganoven der Mafia eine Woche dabei geholfen Geld einzutreiben. Snowcat und Craven waren kurzfristig für seine üblichen Gehilfen eingesprungen, die in dieser Woche ein Cyber-Update von ihrem Doc bekamen.

Sowohl Snowcat als auch Craven kannten sich damit aus Druck auszuüben und andere einzuschüchtern. Dieser Kunde war von ihrer Arbeit so begeistert, dass er ihnen sogar eine Festanstellung anbot. Die beiden Elfen lehnten freundlich ab, denn sie wollten möglichst unabhängig als Shadowrunner arbeiten und nicht als Mafia-Geldeintreiber. Luigi war ein wenig enttäuscht, zahlte ihnen einen Bonus aus und versprach ihnen, dass sie von nun an immer gern gesehene Gäste in seinem Restaurant „Toni‘s“ wären.

Snowcat fand die Fleischbällchensoße dort überaus schmackhaft und so nahmen sie dieses Angebot gelegentlich in Anspruch. Niemals zahlten sie den vollen Preis. Craven sagte nach einem Besuch im Toni‘s stets, dass das Personal da für die Aussicht auf Snowcat eigentlich noch etwas draufzahlen müssten.

Nach und nach kamen in unregelmäßigen Abständen weitere kleine Jobs hinzu. Die Zeit verstrich und irgendwann speicherte der ein oder andere Unterklasse-Johnson ihre Nummer  ab.


Halloween hielten die Ancients traditionell kurz nach Sonnenuntergang ihre Trick Or Treat Parade ab. Sie bemalten ihre Gesichter mit Fratzen aus Schwarz und Fluoreszierendem grün, rasten durch Tarislar, spielten dabei mit polierten Trollschädeln und Basketbällen, die sie zuvor mit Kürbisfratzen verziert hatten, Motorradhocky und verteilten gleichzeitig Süßigkeiten an die Kinder.

Nach 20.00 Uhr fuhren die Ancients dann in kleineren Gruppen die örtlichen Stufferchecks und Läden ab, um selbst Naschwerk oder ähnliches von den Besitzern zu fordern. Die Meisten bezahlten die Elfen, zum großen Bedauern von Snowcat, mit einer Flasche Schnaps. Snowcat hätte sich über Süßkram mehr gefreut und es wäre den Leuten sogar noch billiger gekommen.

Gegen 22.00 Uhr kehrten die Teilnehmer dann unter viel Lärm, der aus dem Abfeuern von Waffen und lautem Geheule bestand, zum Hauptquartier zurück. Hier nahmen sie an der Party teil oder machten sich immer noch bemalt auf die Nachtclubs unsicher zu machen.

Snowcat hatte die Tour auch dieses Jahr mit ihrem Team unter Lieutenant Blackheart gemacht, was dazu geführt hatte, dass das gesamte Team von Craven sie begleitet hatte. Ausgelassen betrat eine große Gruppe von Ancients nach der Fahrt die Partyzone des HQ.

Große gruselige Schatten empfingen Snowcat. Schwarze Fratzen tanzten die Wände entlang und Nebelschwaden wanderten umher. Hin und wieder wurde man von einem Geist erschreckt, der plötzlich vor einem aufwallte. Ghostfinger hatte ganze Arbeit geleistet.

Snowcat suchte Cravens Gegenwart. In gespielter Angst kuschelte sie sich bei ihm an. Vielleicht fürchtete sie sich sogar wirklich ein bisschen. In Cravens Armen verschwand das Gefühl aber schnell wieder.

Craven goss Snowcat gerade etwas von der grünlich schäumenden Bowle ein, als Ghostfinger zu ihnen herüberkam. Er trug zwar seine übliche Bekleidung, aber sein Gesicht war heute kunstvoll verziert. Grüne Knochen leuchteten auf asch-weißer Haut. 

Snowcat hätte beinahe nicht erkannt, wer sich hinter dem grünen Schädel verbarg, doch seine hochgewachsene Gestalt und sein futuristisches Monokel verrieten ihn.

Mit einem Grinsen sprach Ghostfinger Snowcat an, seine Stimme knarzte: „Guten Abend, Schönste unter den Gefallenen! Und eine schöne Nacht auch dir, Herrscher des Zorns!“ Dann lachte er und erzeugte dabei das unangenehme Geräusch von Fingernägeln, die über eine Tafel kratzen. Snowcat verzog das Gesicht und unterdrückte den Impuls, sich ans Ohr zu fassen.

Ghostfinger fuhr im Plauderton fort, ein  leichtes Knarzen in der Stimme blieb: „Na, wie geht‘s Euch!“

Craven antwortete: „Na ganz prima, und vielleicht sogar gleich noch besser, wenn du was für mich hast.“

Ghostfinger nickte: „Ja, ich hab keine Mühen gescheut, natürlich nicht wegen dir, sondern um Snowcat eine Freude zu machen, und ich bin fündig geworden. Reich dein Commlink her und ich beam‘ dir die Daten rüber!“

Craven tippte auf sein Armband und Ghostfinger nickte. Snowcat sah über AR zwar wie ein Datenpaket den Besitzer wechselte, konnte aber natürlich nicht erkennen worum es sich dabei handelte. Neugierig und erwartungsvoll blickte sie Craven an.

Doch der sagte nur: „Cool. Danke Ghostfinger. Und auch wenn du das eigentlich für Snowcat gemacht hast, wir sind jetzt trotzdem quitt.“

Wieder nickte Ghostfinger, küsste Snowcat zum Abschied auf die Wange und verschwand dann unter der Masse von Ancients in einem Nebelschwall.

Snowcat stellte sich ganz dicht an Craven heran und blickte ihm tief in die Augen. Keck fragte sie: „Was hast du bekommen?“

Craven küsste sie und sagte dann: „Nicht so ungeduldig meine Schöne. Wir machen jetzt noch einen kleinen Ausflug, und dann wirst du ja sehen.“

Snowcat schnurrte zur Antwort.


Sie fuhren auf Cravens Motorrad Richtung Norden. Snowcat konnte aus dieser Tatsache keine Rückschlüsse auf ihr Ziel ziehen, von Tarislar aus lag schließlich alles im Norden, jedenfalls wenn man in Seattle bleiben wollte. Snowcat grinste, wie oft hatte sie das schon festgestellt. 

Überall in der Innenstadt von Tarislar flackerten Kürbisfratzen. Craven piepte Snowcat über das Commlink an: „Möchtest du vorher noch mal nach Hause?“

Snowcat überlegte kurz ob sie sich noch mal umziehen oder frisch machen müsste, schüttelte dann aber mit dem Kopf. Sie sah gut aus, wie immer. Natürlich konnte man sich nie zu oft frisch machen, aber sie hatte heute Nachmittag bereits ein ausgiebiges Bad genossen und duftete immer noch nach einem „Hauch von Winter“.

Passend zum heutigen Anlass trug sie zu Lederminirock und Korsage, beides im geliebten schwarz, wie sollte es anders sein, eine Stumpfhose mit einem Spinnennetz-Muster und einen passenden Body mit langem Arm und Stehkragen. Gegen die Kälte trug sie kniehohe Schnürstiefel mit einer festen Profilsohle. Zusätzlich hatte sie über ihren schwarz-grünen Ledermantel einen schwarzen Wollschal um den Hals gewickelt, denn für den gefütterten Mantel war es ihr noch nicht kalt genug. Ein grünes Muster über Hals und Gesicht saß noch perfekt. Nein, sie musste wirklich nicht noch mal nach Hause. Sie schickte Craven ein Kopfschütteln zurück. Drahtlose Kommunikation über AR war doch was Feines.

Nach zwanzig Minuten fuhren sie auf das Underworld zu. Eine schier unendlich lange Schlange von verkleideten Metamenschen wartete auf Einlass und es schien Snowcat, als ginge es nur sehr langsam voran.

Ein dunkles Lachen erklang und ein gigantischer Teufelskopf erschien über dem Eingang. Für einen kurzen Augenblick sah es so aus, als verschlänge das Maul einige der Wartenden, doch nach dessen Verschwinden war alles wieder normal ... oder fehlte da tatsächlich jemand.

Dann bewegte sich eine schwebende Gestalt, die aus einer Seitentür getreten war, auf die Leute zu. Ein langer Umhang verbarg das Meiste der hochgewachsenen Person. Aus dem Fledermaus-Kragen ragte ein haarloser blasser Kopf mit spitzen Ohren hervor. Die Gestalt warf einen gruseligen Schatten an die Wand. Plötzlich brach das Markenzeichen des Clubs, das Underworld-Monster aus der Tür hervor und wollte sich auf die Gestalt stürzen, doch die reckte nur den Zeigefinger einer knochigen Klauenhand hervor und das Monster bremste ab. Arm in Arm verschwanden Monster nebst Klauenhand wieder in der Seitentür. 

Snowcat war eben Zeuge eines gut programmierten Schauspiels geworden. Sie musste das Gesicht der Gestalt gar nicht erst von vorne sehen, um zu wissen, dass es sich dabei um einen überaus gut aussehenden Elfen mit feuerroten Augen handelte, sie war sofort ganz aus dem Häuschen. 

Freudig rief sie, während Craven gerade das Bike nahe des Eingangs parkte: „Heute spielt hier Lucifer‘s Claw?!“

Craven nickte: „Und wir müssen nicht mal anstehen. Wir haben VIP-Karten!“ Fröhlich wedelte er mit dem Commlink.

Snowcat fiel ihm um den Hals: „Na dann haben wir ja auch noch dafür Zeit!“ Sie küsste ihn.

Snowcat liebte New Megoth-Musik, die düstere Mischung aus hartem, schnellem Metal, Geräuschen und keltischer Folklore mit teilweise ziemlich melancholischen Texten, in denen Worte wie Blut, Tod, Hass und Teufel sich häuften.

Lucifer‘s Claw waren nahezu begnadet auf dem Gebiet und seit einiger Zeit einer der angesagtesten Liveacts von Seattle. Die Band bestand ausschließlich aus Metamenschen. Der Leadsänger war ein charismatischer Elf, nach dessen Ebenbild die AR-Gestalt im Umhang entstanden war. Am Bass stand ein  narben-übersehter Troll von ebenholz-schwarzer Haut und rotgefärbten Hörnern. Den Synthesizer bediente ein Zwerg, der sein langes, schwarzes Haar ebenso zu zahllosen  Zöpfen geflochten hatte, wie seinen schwarzen Bart. Sowohl das Schlagzeug, als auch die Gitarre wurden von Orks gespielt, die mit ihren blutroten Hauern, ihrer grauen Haut und ihren ebenfalls staubgrauen Haaren den Eindruck erweckten, sie seien Zwillinge, zumal man ihre Gesichter nicht genau erkennen konnte, da sie stets schwarze Sonnenbrillen trugen.

Craven nahm Snowcat bei der Hand und sie gingen einfach an der langen Schlange vorbei, um sich vor die Schranke mit dem VIP Symbol zu stellen. Craven sandte nun den Code ab und die Schranke öffnete sich. Der Türsteher kontrollierte nochmals ihre Daten und händigte ihnen dann ein Armband mit einem Tag aus, welches ihnen „speziellen“ Zugang gewährte.

Snowcat war von dem Geruch, der ihr im Club entgegen wallte etwas überrascht. Es roch nicht nur modrig, die Luft schmeckte sogar so. Das deutete wohl darauf hin, dass man irgendetwas der Klimaanlage beigemischt hatte. Denn hätte es diesen Effekt nur über AR gegeben, dann hätte sie es nicht in der Stärke schmecken können.

Die zum Sound der Band passende düstere Musik wurde bereits gespielt und der Club war schon ziemlich voll. Alle aus der Schlange würden sicherlich nicht mehr reinpassen. 

Sie bahnten sich einen Weg durch die Gäste und fanden dann bald den abgesperrten Bereich vor der Bühne. Einige Tische waren hier aufgestellt worden, und es existierte Zugang zu einer der kleineren Bars. Es gab noch freie Sitzplätze, aber Snowcat wollte lieber stehen. Ersten war man dann noch dichter bei der Band und zweitens konnte man so auch während des Auftritts tanzen.

Es blieb noch Zeit und deshalb gingen sie zunächst an die Bar. Snowcat sah sich um. Hier im VIP- Bereich waren nur eine Hand voll Metamenschen und unter ihnen gab es nicht einen einzigen Troll. Das freute Snowcat, was heute nicht nur an ihrer Rivalität mit den Spikes lag, sondern auch daran, dass einem ein Troll zwangsläufig die Sicht nahm, wenn er auch nur halbwegs vor einem war.

Ein großer runder Tisch stand offenbar auf einem Podest, denn er überragte die Szenerie etwas. An ihm saßen, wie sollte es anders sein, etwa ein halbes Dutzend Japaner mit ihren überhaupt nicht japanischen, aufgedonnerten Tussis und teuren Getränken auf dem Tisch. Hinter einigen Stühlen standen breitgebaute Orks mit Sonnenbrillen. Natürlich war niemand geschminkt oder gar verkleidet. 

Oh man, dachte Snowcat, klischeehafter hätte das Bild aber kaum seinen können. Eins der Mädels war so gar eine Elfe. Yakuza, mit den Händen tief im Musikgeschäft und so hoch wie die saßen, würden sie auch in der Rangordnung ihrer Organisation stehen. 

Gerade als Snowcat ihren Blick wieder abwenden wollte, fiel ihr etwas auf: Einer der Yaks war ebenfalls ein Elf. Unglaublich aber wahr, ein elfischer Japaner in der Yakuza. Mit einem Grinsen schüttelte sie den Kopf. Da war sie, die große Verschwörung der Elfen. Ein cleverer Schachzug bei der Eroberung der Weltherrschaft. Hinter die Yakuza konnten SIE einen Haken machen. Prustend brach sie in Gelächter aus.  

Schöne, neue, sechste Welt!


Unter lautem Gejubel betraten die Jungs von Lucifer‘s Claw die Bühne. Jetzt ging die Party richtig los. Snowcat ließ sich von den VIPs um sie herum nicht beeindrucken, sprang umher und tanzte wild.

Irgendwann stieß sie zum zweiten Mal mit einer Frau im pinkfarbenen Minikleid zusammen. Die fuhr sie an, ob sie nicht aufpassen könne. Snowcat fand, dass die aufgedonnerte Tussi mit ihrer hässlichen Fratze vollkommen Recht hatte, sie würde jetzt aufpassen. Aufpassen, dass sie die Frau oft genug traf.

Ungefähr alle zwei Minuten rempelte Snowcat die Frau nun an. Grinste jedes mal und lächelte dann unschuldig. Nach zehn Minuten hatte Pinky dann genug und holte ihren breitgebauten, groß gewachsenen Bodybuilder dazu. Der sollte Snowcat jetzt mal so ordentlich die Meinung sagen. 

Snowcat gab Craven ohne Worte zu verstehen, dass sie seine Hilfe bei dieser Kleinigkeit nicht brauchen würde. Sie grinste. Dann flirtete sie den Bodybuilder einfach an und erreichte ihr Ziel sofort. Pinky zerrte den Typen nach hinten und machte ihm eine Szene.

Snowcat war zufrieden, jetzt konnte sie sich wieder uneingeschränkt Lucifer‘s Claw und Craven widmen.

In der Pause tanken die beiden Elfen viel. Genauso dazu war die Pause ja auch da. Weil sie das Geld hatten und es sich nicht lohnte, die Kohle für schlechte Zeiten aufzuheben, tranken sie viele „Green Flying Fairy‘s“. Den Rest der Zeit verbrachten sie knutschend.

Die Band kehrte zurück und spielte teuflisch gut. Die Augen des Sängers, er nannte sich Dämon, glühten diabolisch. Eine gelungene Vorstellung.

Pinky hielt ausreichend Abstand und Snowcat hatte keine Lust, das zu ändern.

Nach Ende des Konzerts setzten Snowcat und Craven sich an die Bar, um sich etwas zu erholen, denn sie hatten beschlossen gleich noch ein wenig die Tanzfläche unsicher zu machen.

Snowcats Commlink meldete sich. Ein Angebot von Lucifer‘s Claw an sie, als Inhaber eines VIP-Tickets, in den Backstage zu kommen und mit ihnen die Halloween-Nacht ausklingen zu lassen. Sie blickte Craven fragend an: „Hast du auch ne Einladung nach hinten.“

Craven nickte.

„Und was meinst du Liebster, wollen wir?“

„Klar, schließlich sind die Getränke da kostenlos.“ Craven stand auf.

Snowcat nahm zärtlich seine Hand und hielt ihn kurz fest: „Hab ich eigentlich schon danke gesagt?“

„Ja, meine Liebste. Die ganze Zeit.“


Vor der Tür nach hinten, stand ein riesiger Troll. Jeder Troll ist riesig, aber er war selbst für einen Troll groß. Vor ihm stand Pinky und sie sah ziemlich winzig aus, dahinter warteten ihre Freundin und zwei Macker, alles Menschen. Pinky versuchte gerade den Troll zu überzeugen, nach hinten zu dürfen. „Aber siehst du es nicht. Wir haben auch VIP- Tickets,“ ihre Stimme klang schrill, „also lass uns jetzt nach hinten!“

Der Troll schüttelte den Kopf.

Die Stimme der Frau überschlug sich fast: „Aber wir haben doch gesehen, dass du andere mit dem Tag durchgelassen hast. Also mach Platz!“

Der Troll schüttelte abermals den Kopf.

Einer der beiden Macker mischte sich ein und wedelte mit seinem Commlink, er sprach extrem langsam, so als verstünde der Troll seine Sprache nicht: „Allsooo, wiiie viiel muss ich zahlen? Verstehst du, wie viel Kohle soll ich dir, äh... r ü b e r b e a m e n?“

Der Troll schüttelte einfach nur noch mal mit den Kopf.

Der Macker holte tief Luft und sagte zu Pinky: „Wahrscheinlich hat der gar kein Hirn oder kann gar nicht sprechen.“

Pinky schrie fast hysterisch: „Na dann überweis ihm einfach was. Die Zahlen wird er schon erkennen können. Schließlich ist er ja auch irgendwie in den Anzug gekommen.“

Snowcat mischte sich mit großem Vergnügen ein: „Ja, Schätzchen, vielleicht hast du aber einfach nur nicht das passende Ticktet oder das passende Gesicht. Such dir aus, was dir lieber ist.“

Vier Menschen blickten Snowcat zornig an. Sie schlängelte sich elegant an ihnen vorbei und ließ ihre eben erhaltene Einladung aufblenden.

Der Troll nickte und trat ein Stück beiseite. Snowcat schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln, dass seine bisher festgefrorene Miene bröckeln ließ. Er lächelte ein winziges bisschen zurück.

Vollkommen hysterisch schnaufte Pink-Mini: „Das kann doch nicht sein! Sie dir das an, Duck. Dieser widerliche Abschaum von Freaks hält doch so zusammen. Sie schieben sich einfach gegenseitig was zu. Würdest du jetzt bitte mal was unternehmen!“

Duck ergriff nun das Wort: „Und was bitte soll ich tun? Du siehst doch, dass die Elfe eine Einladung hat. Und du hast Recht, die machen gemeinsame Sache. Schließlich ist der Sänger dieser Band auch ein verdammter Elf. Und so weit ich weiß Martha, warst du diejenige, die unbedingt hier her wollte.“

Martha lief jetzt puterrot an, was wie Snowcat fand, nicht besondres gut zu ihrem pinkfarbenem Kleid passte: „Ja. genau so ist es. Aber das ist doch kein Grund sich eine solche Schweinerei von Vetternwirtschaft gefallen zu lassen. Hol den Manager oder was in der Art!“

Snowcat war eigentlich schon fast durch die Tür gewesen, doch jetzt kehrte sie mit einem zuckersüßen Lächeln zurück. Sie trat dicht hinter Martha und hauchte ihr mit seidenweicher Stimme ins Ohr: „Aber Marta-Süße, Duck kann da gar nichts machen. Es liegt an deinem hässlichen Gesicht. Das will dahinten keiner sehen.“

Martha blieb kurz die Luft weg, sie drehte sich zu Snowcat um. Purer Hass stand in ihren Augen: „Du widerliche Elfen-Schlampe, du...!“

Snowcat fuhr ihr ins Wort und diesmal klang ihre Stimme ernst und rau: „ Eh, eh, eh, mach das nicht, Menschlein! Du ziehst mit Sicherheit den Kürzeren. Und dabei verpass ich dir ein Gesicht, mit dem du nie wieder irgendwo rein kommst, außer vielleicht in eine Horrorshow. Jedenfalls nicht so lange, bis Duck dir eine neue Fratze finanziert.“

Martha rang nach Worten: „Du...du... Willst du mir etwa drohen?“

Duck stand inzwischen dicht hinter seiner Freundin, auch er sah höchst zornig aus.

Craven war an der Tür nach hinten stehen geblieben. Snowcat spürte seine Gegenwart. Auch wenn er jetzt wahrscheinlich lächelnd und gelassen in der Tür lehnte, er war zum Sprung bereit, sollte es für sie knapp werden.

Snowcat lächelte weiterhin, vollkommen unbeeindruckt von Ducks Gegenwart stand sie ruhig da. In ihren Augen funkelte es bedrohlich und mit raubtierhafter Geschmeidigkeit bewegte sie ihren Kopf mehrere Male leicht hin und her. Dann verzog sie ihren Mund zu einem gefährlich aussehenden Grinsen und fragte: „Ob das eine Drohung war?“, sie schnurrte tief und aus dem Bauch heraus. Plötzlich fauchte sie auf, ihre linke Hand fuhr blitzschnell vor und kratze nun mit ihren Fingernägeln über Marthas Wange. „Nein, aber das war eine!“

Einen Moment lang war es vollkommen still. Voller Entsetzen und scheinbar wie in Trance fasste sich Martha an die Wange und starrte danach auf ihre Blut beschmierten Finger. Auch Duck regte sich nicht, mit offenem Mund stand er da. 

Snowcat wartete ab. Anscheinend hatte sie die Beiden deutlich eingeschüchtert. Schließlich schüttelte Duck sein Erstarren ab und kümmerte sich um Martha. „Komm“, sagte er leise, „geh mal mit Helen ins Bad und wasch das Blut ab, dann fahren wir nach Hause zurück.“

Die andere Frau kam und nahm Martha in den Arm, sie gingen in Richtung Bad davon. Duck blickte Snowcat noch einmal zornig an. Er hob drohend den Zeigefinger, doch nachdem er in ihre selbstbewusst schauenden Augen geblickt hatte, fiel er resigniert in sich zusammen und wandte sich ab. 

 Nachdem er gegangen war, machte sich Snowcat ins Hinterzimmer auf. Craven nahm sie am Türrahmen strahlend im Empfang: „Das ist mein Mädchen.“

„Hey,“ warf ihnen die tiefe Stimme des Trolls freundlich hinterher, „nur das ihr‘s wisst, gerüchtehalber ist dieser Duck bei Humanis!“

Craven nickte: „Danke für die Info!“, und an Snowcat gewandt sagte er, „Na, dann haben wir ja vielleicht Glück und die kratzen...“, jetzt musste er kurz lachen und klopfte sich auf die Schenkel, „ein bisschen Mut zusammen und warten nachher noch auf uns. Na,“, er zuckte enttäuscht mit den Schultern, „wahrscheinlich eher nicht. Die kriegen heut Nacht bestimmt Albträume von Dämonen mit spitzen Ohren und grünen Gesichtern!“


Die Party im Hinterzimmer verlief ausgelassen. Dämon hatte zunächst deutlich mit Snowcat geflirtet, dann jedoch bald eingesehen, dass er keine Chance hatte sie heute Nacht mit nach Hause zu nehmen. 

Ungeachtet dessen verließen Snowcat und Craven das Underworld spät in der Nacht mit einigen exklusiven Musikdateien von Lucifer‘s Claw, Autogramm-Holos und Commlink-Nummern, die sie von der Band geschenkt bekommen hatten. 

Bier und auch alles andere war während der Zeit in Strömen geflossen und so torkelte Snowcat leicht, als sie am Bike anlangten. 

Craven blickte Snowcat fragend an: „Was denn Süße, du schwangst ja immer noch. Hast du etwa wirklich mehr intus als du verträgst? Ich dachte, dass wär nur Show.“

Snowcat grinste: „Najah, vielleicht ein klitze-klitze-kleines bisschen!“ Eigentlich wollte sie mit Zeigefinger und Daumen anzeigen, wie winzig das Bisschen war, aber irgendwie bereitete ihr das Schwierigkeiten. Deshalb machte sie einen süßen Schmollmund und schaute ihre Finger zum Spaß grimmig an.

Craven nahm Snowcat in den Arm und küsste sie aufs Haar: „So geht das aber nicht, meine Liebste. Wir sind hier im Feindesland und nur zu zweit unterwegs, da darfst du dich nicht volllaufen lassen. Niemals, hörst du! Das könnte leicht der Unterschied zwischen Leben und Tod sein.“

Snowcat sah fragend zu ihm auf: „Aber du bist doch bei mir, da kann mir doch nichts passieren!“

„Du sagst es, ich bin bei dir. Und gerade deshalb darfst du deine Fähigkeiten nicht einschränken, indem du dich besäufst. Du und ich, wir haben manchmal eine eigene Auffassung von Spass und für die muss man fit sein. Wenn zum Beispiel Duck jetzt hier  mit ein paar Freunden auf uns warten würde...“

Snowcat grinste: „... würden wir ihn fertig machen!“

Craven grinste ebenfalls: „Okey, wenn er mit unglaublich vielen Kumpels... Ach scheiß auf die lange Rede. Von Craven eine Bitte an Snowcat: Besauf dich nie, es sei denn; Ach Quatsch, Besauf dich nicht, dröhn dich nicht mit Drogen zu, ich weis dass das es nicht bringt.“

Snowcat drückte sich fest an Craven und fragte: „So, du mein weiser Ratgeber und was bringst dann?“

Craven bleckte die Zähne: „Sex mit mir zum Beispiel. Oder...“, er dachte kurz nach, „mir fällt da doch noch was anderes ein, was es fast so sehr bringt wie unser Sex.“ Er konzentrierte sich und berührte Snowcat sanft an der Wange.

Schlagartig wurde sich nüchtern: „Hey!“ protestierte sie.

Craven beschwichtigte sie mit einem Kuss, dann sagte er: „Los steig auf. Wir holen uns jetzt noch ein bisschen Fun!“

Unter der lauten Musik von Lucifer‘s Claw über AR brausten sie davon.


Eine halbe Stunde später erreichten sie einen Friedhof in Renton. Im Schatten der Friedhofsmauer hielten sie an. Schräg gegenüber befand sich ein recht stattliches Einfamilienhaus mit Garten. Alles machte einen sorgfältig gepflegten Eindruck. Snowcat hätte einen solchen Anblick eher in einer umzäunten, stark bewachten Wohnanlage erwartet als hier, so ein bisschen Abseits von Allem.

 Auf der Einfahrt stand ein dunkelroter Pick-Up neusten Baujahrs und auf der Strasse davor parkten zwei ähnliche Modelle. Über den Dächern der Fahrerkabinen aller drei Wagen wehte eine AR UCAS-Fahne gleichmäßig im programmierten Wind.

Snowcat senkte die Lautstärke der Musik: „Das Haus da?“ fragte sie.

Craven nickte und grinste sie an: „Ja, jedenfalls wenn wir immer noch ‚All Hallows Eve‘ haben.“

Nun war es Snowcat die nickte: „Klar, wenn man den Legenden nach geht, dann gilt das für die gesamte Zeit von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. So lange mussten schließlich früher auch die Feuer brennen, damit die Bewohner kein Unheil traf.“

„Und, siehst du in dem Garten ein Schutzfeuer brennen? Nee, ich auch nicht. Und da es jetzt...“, Craven blickte auf eine Anzeige, die Snowcat nicht sehen konnte, „...noch genau dreiundzwanzig Minuten bis Sonnenaufgang sind, ist dieses Haus unser Ziel.“

Craven stieg ab und wollte an die Koffer, die am Motorrad angebracht waren: „Wenn du erlaubst?“

„Klar!“, Snowcat trat beiseite.

Craven machte auf und holte neben ihren Maschinenpistolen zwei schwarz-grüne Teufelsmasken heraus. Er warf Snowcat eine der Masken zu. „Tag einschalten und aufsetzen!“

Nach dem Snowcat den Tag eingeschaltet hatte, leuchte auf AR ein Meer aus grünen Flammen auf, das die Maske umspielte. „Nett!“, kommentierte sie.

„Ja, finde ich auch. Und meine Liebste, hast du jetzt vielleicht Lust ein paar Poli-Clubbern das fürchten zu lehren?“

Snowcat grinste: „Klar doch, aber verrät‘ s du mir nun, woher du die Adresse hast.“

Craven überlegte in gespielter Anstrengung: „Naa gut, hat mir ein großer Vogel vorhin ins Ohr gezwitschert. Ist die Adresse von Duck. Und da er zum Glück was zu Verbergen hat, wohnt er auch nicht in einer extra geschützten Anlage. Also ist nur der normale B-Zonen Stress zu erwarten. Na, dann wollen wir mal.“

Beide stiegen mit eingeschalteten Masken und bewaffnet wieder auf. Craven gab Gas und heizte über die Einfahrt. Kurz vor der Haustür schaltete er die Musik von Lucifer‘s Claw sowohl über AR als auch über Lautsprecher in voller Lautstärke ein. 

Das grüne Feuer der Maske brandete über sie hinweg. Craven ließ die Tür zerfallen und sie fuhren in das Haus. 

Snowcat stand auf und schoss wild um sich. Plastik spritze auf und Scherben fielen zu Boden.

Craven konzentrierte sich ganz aufs Fahren. Zunächst verwüsteten sie im Untergeschoss das Wohnzimmer, und hinterließen ein Meer aus Kissenfüllung und Polsterflocken. Danach zerfetzten sie die Kücheneinrichtung und verteilten Porzellan über den Fussboden. Dann kam die erste Etage dran. 

Craven fuhr geschickt die Treppe hoch. Durch den Krach hatten sie zwar alle geweckt, dennoch war den tief Schlafenden noch nicht all zu viel Zeit geblieben, um zu reagieren. Auf dem Flur war niemand zu sehen.

Am Treppenabsatz angelangt, blickten sie sich kurz um. Geradezu lag wahrscheinlich das Hauptschlafzimmer. Da es hier nicht viel Platz zum Manövrieren gab. hielt Craven kurzerhand darauf zu. 

Voller Vorfreude ließ Snowcat die MP nun baumeln und fuhr die Monopeitsche aus.

Sie brachen durch die Tür und Snowcat konnte gerade noch sehen, wie Martha unter dem Doppelbett verschwand. Duck hingegen machte sich am Waffenschrank zu schaffen und versuchte einer Schrotflinte habhaft zu werden.

Snowcat schlug mit der Monopeitsche die Einrichtung zu Klump und Craven feuerte mit der Maschinenpistole in der Gegend herum. Freihändig steuerte er das Bike und sie drehten eine Runde im Raum.

Duck ließ die Schrotflinte Schrotflinte sein und warf sich in Deckung.

Die Musik wurde leiser und Cravens Stimme erklang tief und dröhnend im Zimmer: „Wenn ihr auch nur noch einem Meta ein einziges Haar krümmt, werden wir euch in irgendeiner Nacht einen erneuten Besuch abstatten und dann werden wir euch die Köpfe abschlagen.“

Snowcat ließ zur Bestätigung die Monopeitsche über ihrem eigenem Kopf kreisen und heulte, so laut sie konnte.

Auf dem Flur stand inzwischen ein menschlicher Mann, der mit einem Gewehr bewaffnet war und stellte sich ihnen in den Weg. 

Craven hielt auf ihn zu und feuerte einige Schüsse ab. Blut spritze auf und der Mann sprang mit einem Schmerzensschrei zur Seite.

Unter dem lauten Gedröhne der Musik preschten Snowcat und Craven die Treppe hinunter und rauschten davon.

„Wow“, rief Craven auf der Strasse, „Hast du die Angst in den Augen der abgefuckten Metahasser gesehen?“

„Ja, hab ich, war echt geil.“

Hinter der nächsten Ecke schaltete Craven den Lautsprecher aus und die beiden Elfen nahmen ihre Masken ab.

Unter der Lucifers‘ Claw Ballade: „Meet Me In Hell Fire“ fuhren sie Richtung Tarislar in den Sonnenaufgang davon.

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*