Teil 8

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Knapp eine Woche später saß Snowcat gemütlich mit einer Dose japanischem Bier vom Sonderpostenregal des Stuffer Shacks in der Hand auf einer Couch im Aufenthaltsraum und versuchte sich mit Neon und ein paar anderen an einer Runde „Slayerheaven“. Das Bier schmeckte ihr zwar nicht besonders gut, aber das passte zu ihren Leistungen bei dem Spiel. Snowcat nahm es mit Humor.

Sie erhöhte den AR-Output bis der Geruch von Blut und Vanille des Spiels so deutlich hervortrat, dass er den Geschmackssinn beeinflusste. Das verbesserte das Bier zwar nicht, aber es übertünchte den seltsamen Eigengeschmack. Blut und Vanille? Snowcat fragte sich, warum die Designer ausgerechnet Vanilleduft verwendet hatten. 

In den letzten Tagen war es im Hauptquartier wegen des Kriegs mit den Spikes immer voller gewesen, als Snowcat es gewohnt war. Auch am heutigen Samstag war ungewöhnlich viel los. Überraschend war das allerdings nicht, denn dieser Ort war zurzeit der Sicherste, den man als Ancient finden konnte. Hinzu kam noch, dass hier immer die nötige Begleitung gefunden werden konnte.

Der absolute Killcount über dem Gebäude hatte sich auf acht erhöht und bei den Ancients gab es zwei leicht und einen schwer Verletzten zu beklagen. Alles in allem waren die Tage hektisch, aber unblutiger gewesen, als befürchtet oder erhofft. Je nachdem, wie man es betrachtete. 

Burn, ein dunkelhäutiger Elf mit feuerroten Cyberaugen, kam mit Slash, im Schlepptau vorbei. Slash war Burns derzeitige Freundin, so glaubte Snowcat jedenfalls gehört zu haben, mit ihren eins-neunundachtzig war Slash kaum kleiner als Burn. Jetzt, in Kriegszeiten trug die blonde Elfin sechs, statt ihrer üblichen zwei Wurfmesser immer griffbereit. 

Burn trat hinter die Couch, genauer gesagt hinter Neon, so als ob er einen Blick auf das Spiel werfen wollte, dann schlug er lachend plötzlich mit der flachen Hand dreimal auf Neons Rücken.     

Neon war nicht überrascht und zuckte nicht mal zusammen, denn am heutigen Abend war Burn nicht der erste, der das tat.

 Die gestrige Nacht hatte Neon bei Snowcat verbracht, und weil schon eine Weile das Gerücht umging, dass Snowcat einmal einem Jungen angeblich beim Liebesspiel komplett den Rücken zerkratzt hatte, wurde nun jeder männliche Ancient, mit dem sie eine Zeit verschwunden war, diesem Rücken-Klopf-Ritual unterzogen.

Neon trug es mit Fassung, vielleicht sogar mit Stolz. Eigentlich hatte er für Snowcat nur die Trideoversionen von ein paar fast hundert Jahre alten Filmen beschafft. Gemeinsam hatten sie die Nacht damit verbracht, diese Filme anzusehen.    

Snowcat wusste jetzt, was Whisper mit ihrer „Zaun streichen Bemerkung“ gemeint hatte und auch einige andere Andeutungen ihrer Lehrmeisterin ergaben nun einen Sinn. Wenn die anderen Ancients darum nun glaubten, sie hätte mit Neon gepoppt, konnte sie gut damit leben.

Snowcat nutze die Gelegenheit, um ihrem Ruf gerecht zu werden und schnurrte Burn gelassen zu: „Also eigentlich müsste ich jetzt beleidigt sein! Aber du glaubst sicher nicht wirklich, dass ich so einfallslos bin. Ich zerkratze doch nicht jedem jedes Mal den Rücken!“ 

Der Junge, der auf der anderen Seite neben Snowcat saß, verschluckte sich an seinem Bier. Neon wurde äußerst passend rot. Burn wollte eigentlich etwas erwidern, verkniff sich die Bemerkung jedoch, nachdem er einen Blick auf Slash geworfen hatte.


Blackheart saß eine Sitzgruppe weiter und lächelte zu ihnen hinüber. Snowcat überlegte, zu ihm rüber zu gehen, um ein bisschen mit ihm zu quatschen, da sie gerade bei Slayerheaven zum dritten Mal hintereinander verwandelt worden war und jetzt eh nur noch auf der Vampirseite hätte weiter spielen können.  

Gerade als sie sich erheben wollte, kam Drifter ihr zuvor und pflanzte sich neben Blackheart. Drifter, ein Lieutenant, der für seine Fahrkünste auf dem Motorrad bekannt war, trug wie immer, eine ärmellose Weste, die den Blick auf seine Nano- Tätowierung freigab und natürlich auf seine trainierten Oberarme. Die beiden unterhielten sich eine Weile.

Snowcat war neidisch, nicht auf das Gespräch, sondern auf das gute Bier, das Drifter mitgebracht und auf den Tisch gestellt hatte. Missmutig schaute sie noch mal auf das Verfallsdatum ihrer eigenen Bierdose. Tatsächlich sollte der Inhalt noch einen vollen Monat haltbar sein. Das Zeug schmeckte wahrscheinlich immer so scheußlich. Blackheart registrierte Snowcats neidischen Blick und nickte ihr zu.

Snowcat verstand das als Aufforderung und klinkte sich endgültig aus dem Spiel aus. Sie ging zur Couch nebenan, setzte sich den beiden gegenüber und nahm sich ein Bier vom Tisch.

„Se’latarin, Drifter. Ich bin Snowcat. Danke fürs Bier.“ 

„Gern geschehen, schön dich kennen zu lernen. Dein Ruf eilt dir voraus und wird dir nicht gerecht.“, Drifter ließ seinen Blick an ihr auf und abgleiten, „Ich wollte gerade Blackheart fragen, ob er nicht Lust hat, noch ein bisschen mit mir und ein paar anderen um die Häuser zu ziehen. Genauer gesagt, wollte ich ins Lost Unicorn. Da soll es ein gutes, dunkles Kräuterbier geben und ein paar abgefahrene Cocktails!“

„Klingt toll, und was hast du zu dem Angebot gesagt, Blackheart?“, fragte Snowcat.

„Noch nichts, denn was Drifter dir noch nicht gesagt hat, Süße, ist das das Lost Unicorn in Fort Lewis, ganz in der Nähe der I5 liegt!“, erklärte Blackheart ihr.

„Wo´s liegt spielt doch keine Rolle!“, warf sie ein.

„Siehst du, Blackheart, eine Frau nach meinem Geschmack. Also, bist du dabei?“, Drifters Blick war nun grinsend auf Blackheart gerichtet.

Dieser nickte: „Also gut, ich oder wenn Snowcat mag, wir sind dabei!“

„Klar mag ich.“ Snowcat sprang auf. „Ich geh mich nur kurz hübsch machen!“

„Du bist doch schon hübsch. Noch hübscher geht’s doch gar nicht!“, rief Drifter ihr nach.

„Oh doch!“, murmelte Blackheart seinem Nachbarn zu, „Warts nur ab Drifter. Sie kann noch hübscher!“


Snowcat wechselte ihr T-Shirt gegen eine Korsage und brachte ihren Busen in Position. Dann legte sie ein wenig mehr Augen Makeup auf und knetete sich anschließend Gel ins Haar. 

Nach knapp zehn Minuten war sie fertig, schnappte sich ihren Mantel nebst Manhunter und kehrte zurück zu den anderen. Burn und Slash hatte sich ebenfalls zu der kleinen Gruppe gesellt. Gemeinsam fuhren sie nach Fort Lewis.


Den Namen verdankte das Lost Unicorn angeblich einem Einhorn, welches im Zoo verloren gegangen sein sollte und hier in der Gegend dann der Legende nach, bei einem Unfall ums Leben kam. Der Geist dieses Einhorns besuchte die Bar seit dem regelmäßig, wie Ortsansässige behaupteten. Außerdem sollte dieser Ort durch das Einhorn vom Glück geküsst sein.

Sein Ruf hatte den Laden zu einem beliebten Hang-Out der örtlichen, magisch aktiven Kommune gemacht. Gelegentlich versuchten sich die Mojomeister hier an der ein oder anderen Einhorn- Illusion.

Die fünf Ancients erreichten das Lost Unicorn kurz vor elf Uhr abends, zur besten Stunde also. Der Rausschmeißer guckte zwar kritisch, ließ sie aber dann ohne Probleme ein. Fünf war für die meisten Rausschmeißer eine akzeptable Masse an Ancients in einem Club. Darüber hinaus konnte es außerhalb Tarislars schwierig werden. 

 Die Bar war voll, jedoch nicht überfüllt. Ein AR-Einhorn führte zu ihrer Begrüßung einen Tanz auf und lief dann zur Garderobe, wo man sie freundlich aber bestimmt zur Abgabe von Schusswaffen aufgeforderte. Drifter pfiff, als Snowcat ihren Mantel auszog. 

„Was für ne Mordstaille!“, raunte Slash, „zum neidisch werden!“

Nach dem sie den Eintritt bezahlt hatten, erinnerte das Einhorn noch daran, dass auch der Gebrauch von offensiver Magie verboten war.

Die Inneneinrichtung des Clubs gab sich Mühe irgendwie magisch und natürlich zu wirken. Die Möbel waren aus Holzimitat, grün und lila waren die vorherrschenden Farben. Snowcat bezweifelte allerdings, dass sich ein Einhorn hier wohl fühlen würde.

Snowcat zog viele Blicke des durchaus gemischten Publikums auf sich, aber natürlich wagte es niemand, sie in solcher Begleitung direkt anzusprechen. Ihr Comlink wurde mit der üblichen Masse von Einladungen und Sprüchen überschwemmt. Das Wort Horn kam heute dabei besonders oft vor. Irgendwann fand Snowcat das überaus langweilig und stellte ihr Comlink auf passiv. Die am besten aussehenden Elfen saßen eh mit ihr am Tisch.

Burn begann mit Snowcat zu flirten, überließ das Gelände dann jedoch Drifter. Wahrscheinlich war das auch viel besser für seine Gesundheit. Erstens war Slash nicht gerade für ihr ruhiges Temperament bekannt und zweites hatte Drifter als Burns Lieutenant das erste Wahlrecht.

 Zwei Stunden vergnügten sie sich mit Cocktails, Gesprächen und AR-Poker, bevor sie das Lost Unicorn außerordentlich gut gelaunt verließen, ohne das Einhorn gesehen zu haben.  

Auf dem Parkplatz fragte Drifter dann in die Runde: „Bock auf nen kleinen Umweg in Richtung Tacoma?“

„Ah“, Blackheart setzte ein breites Grinsen auf, „gleich werden wir erfahren, was gerade das Lost Unicorn wirklich so attraktiv gemacht hat.“

Drifter lachte: „Ja, ich wusste schon immer, dass ich dir nichts vormachen kann und deshalb weiß ich ja auch, dass du begeistert sein wirst!“

„Na da schieß mal los!“, forderte Blackheart ihn auf.

Snowcat blickte von einem zum anderen. Burn und Slash schienen genau zu wissen, was jetzt kommen würde. Kein Wunder, sie gehörten ja auch schon länger zu Drifters Truppe. Snowcat war gespannt.

„Gar nicht so weit von hier, nur ein Stückchen in nördlicher Richtung, gibt es einen kleinen Grill. Ein echter Geheimtipp. Ein Familienunternehmen, hört man. Der Laden ist berühmt für seine fetten Rippchen mit dicker Barbecuesoße. Der Gestank von ranzigem Fett ist angeblich noch ne Meile davon entfernt zu riechen. Dieser Duft…“, Drifters Nase zog sich zusammen, und die kalte Ironie in seiner Stimme war nun deutlich zu hören, „… zieht die Gourmets magisch an. Gestern soll ein neuer Truck mit superguter Ware angekommen sein. Die Kunden werden sich also darum reißen. Ich dachte nun, wir fahren da mal vorbei und feuern den Grill ein bisschen mit an, denn zufällig habe ich ein paar Flaschen von Burns berühmtem Grillanzünder dabei. Na, Blackheart, was meinst du dazu?“

„Grillen, Klingt toll!“,  nickte er.

Sie fuhren fröhlich durch ein paar kleine Strassen und nach nicht einmal zehn Minuten hielt Drifter an. Burn verteilte je zwei alte Kesáera-Flaschen mit seinem neuen explosiven Inhalt an alle und zeigte ihnen, wie man sie „fachgerecht“ entkorkt und shaked. Blackheart klebte an eine seine Flaschen einen Ancient-Tag und warf Drifter einen weiteren zu.

Drifter freute sich riesig, als er erzählen konnte: „Der Schuppen ist links um die Ecke und dann noch 200 Meter die Strasse runter. Nur falls eure Nasen von dem Gestank hier verwirrt sind. Ich schlag vor, wir geben Gas, fahren vorbei und jeder versucht ein besonders lohnendes Ziel zu treffen!“

Grölend gab er Vollgas. Snowcat überlegte noch, wie sie ihre Flaschen anzünden sollte, als Burn eine Fackel aufleuchten ließ. „Jiha, heiße Fackel voraus!“, schrie er und überholte Drifter. Snowcat fiel wieder ein, dass Drifters komplettes Team nicht nur für sein spektakuläres Fahrvermögen sondern auch für seine Feuerattacken berüchtigt war.

Snowcat gab ebenfalls Gas und legte sich ins Zeug, nicht letzte zu werden. Schnell bog sie um die Ecke und beschleunigte erneut. In einigen Metern Entfernung leuchtete eine Reklame auf, und ihr Comlink berichtete ihr: Bar and Grill, sonntags: All You Can Eat…

Vor dem Grill standen einige Trucks und drei schwere Motorräder. Als Snowcat sich dem Restaurant näherte, konnte sie aus dem Augenwinkel ein Spikezeichen erkennen. Sie beschleunigte noch mal.

Nacheinander rasten sie an dem Grill vorbei und warfen die Flaschen, die sie kurz zuvor an der Fackel, die Burn hielt, entzündet hatten. Schon allein das erforderte einiges Geschick und eine gehörige Portion an Timing. 

Sie erwählten die Motorräder, die Eingangstür und die Fenster zum Ziel. Nachdem die erste Flasche in einem Feuerball explodiert war und grüner Rauch sich drinnen und draußen ausbreitete, kamen einige Leute schreiend aus dem Restaurant gerannt.

Es waren nicht nur Trolle. Slash kümmerte das anscheinend nicht. Sie warf ihre zweite Flasche direkt in die Gruppe von Metamenschen. Ein Ork verschwand unter einem Flammenmeer und schrie auf. 

Snowcat entdeckte einen Spike, der aus einer Seitengasse gerannt kam. Sie wendete eng, entzündete ihre zweite Fackel und warf sie dem wütenden Troll direkt in den Weg.

Drifter sprang auf seiner Maschine über die geparkten Motorräder hinweg und seine zweite Flasche zerbarst direkt in deren Mitte.

Blackheart peilte einen Troll mit einem Spike-Bandana an, der gerade zu seinem Motorrad rennen wollte, nach der erneuten Explosion jedoch in Deckung hechtete. Er erkannte zwar Blackhearts Absicht gerade noch, kam jedoch nicht schnell genug hoch. Blackhearts Flasche traf ihn genau in dem Moment am Kopf, als er durch ein Fenster zurück in den Laden sprang.

„Li’li’llah“, riefen die Ancients gemeinsam. Mit heißen Reifen brausten sie davon. Die schwarzen Spuren, die sie auf dem Asphalt hinterließen zeigten in Richtung Südosten.

Der Killcount über dem Hauptquartier erhöhte sich um zwei. Fünf Namen wanderten auf dem Ranking höher. Nun stand da:

Platz 3 Snowcat

Platz 2 Blackheart

Platz 1 Craven

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*