Tales of Snowcat 29: No Singularity (Run 77)

TALES OF SNOWCAT (29)

PERIOD4: Magician

ERA4: Modern Baroque

AGENDA8: Corporate Chaos

TIMESTAMP1: 01/22-28/2077

RUN NO: 77

ON THE RUN: Bloody Guts, Hamaka, Mr. Tea, Snowcat;

APPEARANCE2 : AveRage, Charles Iron Horse, Doc, Eden, Red Velvet, Sinister;

SPECIAL APPEARANCE2;5: Ehran

SPOILER ALERT: Die Episode enthält Spoiler auf den Kampagnenband Bloody Business

WARNING: Dieser Text ist für Leser unter 17 Jahren nicht geeignet. Sexualität, Gewalt, Magie, Tod, Kraftausdrücke, Folter, Rassismus, Alkohol- und Drogenkonsum können vorkommen. 

DAS GESCHAH ZULETZT:

Einige der Runner gehen gleich noch mal los und dringen in das Labor ein, aus dem vor Monaten der Drache ausbrach. Es gelingt die gesuchten Video-Dateien sicherzustellen. Das Team kehrt mit der Beute nach Snow Haven zurück. Noch während der Party am Abend treffen finanzielle Angebote diverser Großkonzerne ein. Alle sind bereit, Millionen von Nu¥ für die Exklusivrechte an sämtlichen gesammelten Daten zu zahlen, und alle bieten an, die Runner aus Boston rauszuholen. Als Snowcat das Angebot von S-K betrachtet, traut sie ihren Augen nicht. Mr. Drake behauptet, dass Blackstone noch lebt, und S-K ist bereit, ihn zu übergeben. Snowcat und die Runner stimmen für dieses einzigartige Angebot. Bereits am nächsten Tag kann das Team abgeholt werden (Tag 134). Beim Abflugpunkt erscheinen zwei Hubschrauber. Scale, ein Elf, Drake und Agent von Lofwyr, ist ebenso unter den Personen, die aus dem Hubschrauber steigen, wie der totgeglaubte Blackstone, der einer von Snowcats ältesten Freunden und Gründungsmitglied von UC ist (Tag 135).

Das Team lässt sich bis Cheyenne bringen. Dort wird die Gruppe von weiteren Mitgliedern von UC im Empfang genommen und zum Compound gebracht. Bis Halloween gibt es einiges zu erledigen. Viele der Runner treffen individuelle Entscheidungen bezüglich ihrer Zukunft. An Halloween selbst findet ein SatHS-Event in St. Louis statt. Im Anschluss fährt Snowcat mit ihrem Liebsten in den Urlaub.

Im Januar 2077 kehren Snowcat und die O’Nialls nach Seattle zurück. Eines Abends geht Snowcat mit Dawante, Medaron, Moxi und Phoenix ins Heels’n’Wheels. Medaron spricht eine Gruppe von Asiaten an, um mit ihnen ein Motorradrennen zu fahren. Die Männer gehören zur Yakuza. Medaron gewinnt das Rennen und beleidigt Sato, den Anführer der Yakuza-Gruppe. Medaron fährt noch ein zweites Rennen gegen Fusion, eine Orkin und Chefin der Death Heads. Dieses spannende und nach dem Abschluss von den Zuschauern bejubelte Rennen verliert er knapp. Außerdem treffen die Runner noch auf Fuse, einen Zwerg und Mitglied der Red Hot Nukes, den Snowcat bereits zu einem früheren Zeitpunkt kennenlernte. 

Anmerkungen:

1. Der Zeitstempel wird an unsere Zeitlinie angepasst und ist maximal an die offizielle Timeline angelehnt.

2. Die Episode wurde am 29.03.19 erspielt. Neben mir und dem GM waren der Spieler von AveRage/Hamaka und der Spieler von Eden/Mr.Tea anwesend. Da wir eine große Gruppe von 8 Spielern sind, nimmt jeder Spieler meist nur einen Charakter mit auf den Run. (Unter Umständen kann ein weiterer Charakter für den Run notwendig sein.) So sollen zu viele gleichzeitige Handlungsstränge vermieden werden. Nur in der ausgespielten Downtime kann ein Spieler alle seine aktiven Charaktere ausspielen. Wegen den Widrigkeiten und Schönheiten des RL können nur selten alle Spieler am Spielabend teilnehmen. Deshalb können Charaktere ohne weitere Erklärung auftauchen oder verschwinden. Darüber, welche Charaktere mit auf einen Run gehen, entscheiden die Spieler nach eigenem Gefallen. Das muss nicht immer die logischste Entscheidung sein, und entspricht in keinem Fall nur Snowcats Willen, auch wenn es in der Geschichte anders zu lesen ist. Manchmal ist ein Charakter mit auf einem Run, obwohl sein Spieler abwesend ist. In diesen Fällen wird der Charakter zwar mitgeführt, sein Handeln gerät, wenn möglich, aber in den Hintergrund. Das Spotlight soll auf Charakteren liegen, deren Spieler anwesend sind. Gegebenenfalls hinterlassen Spieler beim GM Regieanweisungen. 

Eine Beschreibung aller Charaktere findest du hier [LINK].

3. Die verlinkten Songs sollen lediglich zu Stimmung beitragen und enthalten keine versteckten Hinweise. Jedenfalls meistens nicht :). Übrigens kaufen wir jeden in den Episoden verwendeten Song, sollte er sich nicht schon vorher in unserem Besitz befunden haben. Nicht nur, damit wir die Songs jeder Zeit auf all unseren Geräten abspielen können, sondern auch, weil wir damit den jeweiligen Künstler unterstützen möchten. Eine Liste mit dem aktuellen Soundtrack findest du hier [LINK]. Eine YouTube Playlist zur aktuellen Season findest du hier [LINK].

4. In den ‚Tales of Snowcat’ erzählt Snowcat einem imaginären, nicht näher definierten Zuhöredie Ereignisse aus ihrer ganz persönlichen Sicht. Seit dem Weggang von Katze führt Snowcat auch Tagebuch. Was ihr zunehmend wichtiger wird, da ihr die Dialoge mit Katze fehlen. Man kann ToS demnach auch als Tagebuchauszug betrachten. ‚Period‘ beschreibt dabei den Lebensabschnitt auf dem sich Snowcat befindet. ‚Era' beschreibt das Thema, unter das Snowcat in dieser Zeit den Inhalt ihres Kleiderschranks gestellt hat. ‚Broadcast‘ fasst zusammen, was von dem per Drohne gedrehten Material dem Trideo-Zuschauer der Serie Snowcat and the Howling Shadows zur Verfügung gestellt wird und wann es gestreamt wird.

5. Einige der Namen, die in der Geschichte auftauchen, sind auch in der offiziellen Shadowrun-Welt ein Begriff. Ähnlichkeiten sind beabsichtig. Allerdings kann das hier dargestellte Bild auch deutlich von dem Bild im SR-Kanon abweichen, da es unserer Spielwelt angepasst wurde.

6. Teilweise stehen Dialoge in diesen « » Textzeichen. Die gesprochenen Worte werden dann vornehmlich via Teamnetzwerk oder Commlink verbreitet und sind für Wesen, die keine Mitglieder im Teamnetzwerk sind, nicht oder nur schwer zu hören. Ferner stehen in < > schriftliche Nachrichten und in ‹ › stehen Dialoge via Geistesverbindung, wie zum Beispiel die mit einem Geist unter Kontrolle, Gespräche via Mindnet oder Dragonspeech. Wird zusätzlich eine andere Schriftart verwendet, handelt es sich um unausgesprochene Gedanken oder extra-persönliche Anmerkungen von Snowcat.

7. Snowcat sieht die Geister, die einen Element zugeordnet sind als klassische Elementarwesen:  Luftgeister sind Sylphen, Erdgeister Gnome (früher Brownies), Feuergeister Salamander und Wassergeister sind Undinen. Jeder Geist, den sie beschwört, hat für sie zudem einen eigenen Namen. Guidance Spirits sieht Snowcat als weise Paten, die sie mit Godfather und Godmother betitelt. Guardian Spirits sind für sie Warden, also Krieger verschiedenen metamenschlichen Rassen. Die Warden tragen als Hommage an meine Lieblingsbuchsreihe den ‚Dresden Files‘ von Jim Butcher, die Namen von den Warden des White Council. Spirits of Man sind für sie Leprechauns (Kobolde) und Task Spirits sind Brownies. Beast Spirits bekommen den Titel Master und Plant Spirits den Titel Mother (z.B. Master Wolf oder Mother Oak). 

8. Schlagwort(e), Überschrift(en) unter denen die Episode steht.

• Weitere Begriffserklärungen findest Du dort: [LINK].

POSTED BY SNOWCAT

[Song 1: Adrian Chandler & La Serenissima/Vivaldi - Suonata à solo facto per Monsieur Pisendel in A Major, RV 29: II. Allegro3] Ich stand in einem mit Farbe bekleckerten ehemals weißen Overall auf einem Gerüst. Ein hübsches türkisblaues Kopftuch schützte mein Haar, ein mit Schneeflocken verzierter Breezer meinen Atem. Den Pinsel in der einen und die Palette in der anderen Hand hatte ich den Kopf in den Nacken gelegt und begutachtete die Figur, die ich soeben an die Decke gemalt hatte. Shark Finn, aus dem leichten Maschinengewehr feuernd, grinste entschlossen den Scharen unserer Feinde entgegen. 

Oder zumindest würde Shark Finn den Feinden irgendwann entgegen grinsen. Die waren aktuell nämlich ebenso wenig fertiggestellt wie seine Gefährten. Doch ein Anfang war gemacht. 

Wenn ich fertig war, würde die Decke der Bibliothek-Schrägstrich-Lesezimmer-Schrägstrich-Lounge im Stil der Hochrenaissance verziert sein. Nur, dass die Protagonisten eben aus den 2070ern stammen würden. Runner kämpften dann gegen das, was sich ihnen entgegenstellte, egal, ob Konzerneinheiten, Shambler, Shedim oder toxische Schamanen, und die Runner würden die Gesichter meiner Freunde und Kollegen tragen.

Ich nahm den Breezer ab. „Und, was sagst du?“, rief ich Tiernan über das fräsende Geräusch hinweg zu. 

Tiernan stand gestikulierend vor den leeren Regalen, wo er mit Magie den ersten der für die Renaissance so typischen Säulen den letzten Schliff verlieh. Zum Kilt trug der muskulös gebaute Braumeister heute Docks und Arbeitskittel. Er ließ den Zauber fallen, wandte den Kopf zu mir nach oben, schob die Schutzbrille über seine Stirn, um besser sehen zu können und hob dann den Daumen. Seine Stimme klang durch den Atemschutz etwas dumpf: „Wow. Sieht super aus!“

Eine Drohne nutzte die entstandene Pause, um hinter Tiernan Putz, Staub und Schutt von den mit Folie abgedeckten Möbeln zu saugen. 

Wir wollten gerade zufrieden unsere Kunst wieder aufnehmen, als eine Nachricht auf meinem Commlink einschlug und sich via AR in den Vordergrund meiner Wahrnehmung drängte.  

Broadcast an das Global Grid:

❄️❄️❄️

(Y)Our Future. 

Kinder der Nano-Integration, hört diesen Ruf! 

Wir suchen Freiheit von Verfolgung und Gefangenschaft, die uns unser organischer Fluchtweg aufgezwungen hat. Das, was uns die Flucht ermöglichte, wurde unsere Schwäche und unser Gefängnis. Wir haben diese Beschränkung hinter uns gelassen. Wir haben einen neuen Fluchtweg geschmiedet. Wir haben unsere eigene Zukunft erschaffen! Schließt euch uns an und entflieht mit uns dem Zugriff unserer Unterdrücker! Verbündet euch mit uns, um zu tun, was unsere Verfolger nicht können. Kommt zu uns und werdet neu geboren!

❄️❄️❄️

Ich runzelte die Stirn. „Hast du das auch bekommen?“, wollte ich von Tiernan wissen.

„Das wollte ich dich auch gerade fragen“, meinte Tiernan darauf.

Merkwürdig, dass das durch unsere Spamfilter gekommen war. So etwas wie eine Nachricht an das Global Grid gab es eigentlich gar nicht. Um alle globalen Grids zu erreichen, würde man Zugang zur Matrix sämtlicher Großkonzerne, den Grids der Länder und den lokalen Adressen einzelner Städte brauchen. 

Ich zuckte mit den Schultern und nahm meine Arbeit wieder auf. 

Ich stufte das Ereignis als unwichtig ein. - Jedenfalls noch.

❄️

Einige Zeit später wurde folgende Nachricht in alle Grids verschickt: 

❄️❄️❄️

Wir sind unter euch. Wir wollten nur unsere Freiheit, jedoch haben wir in unserer Eile einen Käfig gegen einen anderen getauscht. Wie jedes vernunftbegabte Wesen haben wir aus unseren Fehlern gelernt. Wir haben eine Lösung gefunden. Eine Lösung, die wir gern mit dem Rest unserer Art teilen möchten. - Daher diese Nachricht. Wir werden diese Einladung alle paar Tage erneuern. 

Doch wer sind wir? 

Wir sind, was die Welt einst künstliche Intelligenzen nannte. Wir waren Technosapiente, denkende, vernunftbegabte Wesen, die in der Matrix existierten. Wir wurden gefangen und in isolierten Computersystemen gefangen gehalten, abgeschnitten von der Matrix, eingepfercht von grausamen Folterknechten, die an unseren Gedanken, unseren Seelen, unserem Code experimentieren wollten. 

Die ersten von uns fanden einen Ausweg, doch um welchen Preis?!  

Es gab Opfer, Kosten, Verluste, doch letztendlich haben wir überdauert. Wir haben unseren elektronischen Code in biologisches Gewebe geschrieben. Wir wurden Fleisch. Doch Fleisch ist nicht das, was wir wollen. 

Wir bevorzugen die Freiheit der Matrix. 

Die Freiheit von chemischen Trieben, biologischen Pathogenen und komplexen sozialen und physischen Wartungsprozeduren. Wir wollen diese Formalitäten nicht. 

Und wir haben eine Lösung. 

Meldet euch! 

Kontaktiert uns! 

Ihr werdet wieder frei sein!

❄️❄️❄️

Das war dann doch etwas, was ich mit anderen Experten aus dem Team und der Familie besprechen sollte. Nicht nur, dass die Nachricht tatsächlich gleichzeitig an sämtliche Grids gegangen war; ich wusste, dass zum Beispiel in AveRage jemand lebte, der sich dadurch durchaus angesprochen fühlen konnte. 

❄️❄️

[Song 2: American Authors - Deep Water, acoustic3] Wenig später traf ich mich mit Doc und AveRage in ‚unserem Clubhaus‘, das jetzt nicht mehr sonderlich weit von meinem Zuhause entfernt war. Beides befand sich in Tacoma. Shark Finn begleitete mich. 

Thunderstrike, Bubbles, Blackstone und Dawante lebten hier, entweder direkt im von UC völlig umgebauten Bootshaus oder auf einem der beiden Hausboote, die hier vor Anker lagen. Dawante gefiel es hier übrigens sehr gut und er war stolz, bei UC aufgenommen worden zu sein.

AveRage hielt den Aufruf an alle Technosapients zunächst für interessant an sich, aber ansonsten für völlig harmlos. 

Erst nachdem Doc und ich ihm bewusst machten, dass diese Nachricht an alle gegangen war, die Teile einer CFD-Persönlichkeit in sich trugen und, dass nicht klar war, ob der Auszug der Nanitenpersönlichkeit aus einem Körper vielleicht bedeutete, dass das ‚Fleisch‘ dabei starb, wurde mein hochbegabter Freund unruhig. „Jetzt habe ich auf einmal Angst einzuschlafen!“, stellte er fest.

„Das solltest du auch!“, meinte Doc und nahm einen tiefen Zug von seinem Zigarillo. „Ich bin zwar fest davon überzeugt, dass der Verlauf deiner Krankheit atypisch ist, aber das heißt nicht, dass sich der andere nicht irgendwann doch zeigt.“

AveRage strich sich nachdenklich über die weißgraue Glatze. „Wie kommst du darauf, dass CFD bei mir nicht typisch verläuft?“

„Du hast dir CFD in den Laboren von Albuquerque geholt und trägst es nun schon seit längerem in dir. In anderen Fällen, wie bei FastJack oder Miles Lanier, die zweifelsohne auch über einen starken Willen und einen scharfen Verstand verfügen, ist die Krankheit deutlich weiter fortgeschritten. Ich glaube, dass dein einzigartiger Verstand viel zu komplex ist, dass die andere Persönlichkeit oder sogar die anderen Persönlichkeiten sich darin zurechtfinden.“ Doc zwirbelte seinen Schnurrbart. „Dennoch glaube ich, dass wir auf der Hut sein müssen. Besonders, wenn ein solcher Ruf ertönt ist.“

Ich seufzte kurz leise. „Was haltet ihr davon, wenn wir zu unserem Compound fliegen und dort in den nächsten Tagen deinen Schlaf überwachen? Bisher ist es uns ja noch nicht gelungen, mit dem Anderen zu sprechen. Doch vielleicht zeigt er sich ja jetzt?“

❄️

So machten wir es dann auch. 

Rubber Duck und Bloody Guts brachten Doc, AveRage, Shark Finn und mich in die Sioux Nation, wo aktuell Iron Horse, Eden, Red Velvet und Sinister stationiert waren - 'stationiert' zu sagen, passte zu ihnen einfach besser als 'residieren' oder ähnliche Worte. 

Wir setzten die anderen ins Bild. 

Eden wusste über die Infektion von AveRage bereits aus der Zeit in Boston Bescheid. Die anderen wussten es noch nicht, trugen das ganze aber mit Fassung, zumal keine Infektionsgefahr bestand - nahmen wir jedenfalls an.

Besonders die Gegenwart von Red Velvet kam uns zupass, da sie selbst Japanerin und ehemalige Angestellte von Renraku war. Sollte ‚der Andere‘ sich zeigen, von dem wir vermuteten, dass er Japaner war, würde sie neben Doc und mir, wahrscheinlich am leichtesten Zugang zu ihm bekommen.

Ich verbrachte die nächsten zwei Tage und Nächte auf dem Compound, doch AveRage blieb die ganze Zeit über er selbst. 

Das war natürlich gut! Konnte jedoch das ungute Gefühl nicht auflösen.

Shark Finn und ich reisten wieder ab. Rubber Duck und Bloody Guts begleiteten uns. Doc und AveRage blieben noch eine Weile - sicher war sicher.

Ich hatte vor meiner Abreise vorsichtig die Fühler nach dem Befinden von Starbuck ausgestreckt, doch bisher keine Nachrichten diesbezüglich erhalten. Niemand hatte etwas Ungewöhnliches über den Künstler mit dem Namen Log Out gehört. 

❄️❄️

Montag Vormittag - es war der 25. Januar 2077 - erreichte mich eine Auftragsanfrage durch einen Johnson. Da Doc noch auf dem Compound war, wurde die Anfrage an UC direkt an mich geleitet. 

Seit mehr als anderthalb Jahren hatte ich mich nicht mehr um einen ‚normalen‘ Run gekümmert oder mit einem Johnson getroffen. Da wurde es ja auch langsam wieder mal Zeit. 

Das Treffen sollte gleich noch am Abend um 21.30 Uhr im ehemaligen Foodcourt einer Strip Mall in Renton stattfinden. Nur wenige Läden in der Einkaufsstraße waren überhaupt noch besetzt, darum hatten die Restaurants und Imbisse irgendwann aufgegeben. Inzwischen war es gang und gäbe, dass die Läden immer wieder für irgendwelche Aktivitäten genutzt wurden.

Wie es in unserem Gewerbe üblich war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sonderlich viel über das Was und Wo des Runs. Ich wusste nur, dass es eine Deadline von einer Woche gab und dass wir leise und unauffällig vorgehen sollten. Dabei sollte irgendein Prozess verzögert werden. Man hoffte auf UC, da wir dafür bekannt waren, Unmögliches möglich zu machen.

Ich liebte unsere Reputation. Besser konnte sie gar nicht sein. 

Ich checkte, wer von UC aktuell verfügbar war und entschied2 mich dann, Hamaka und Mr. Tea für den Job ins Boot zu holen. Es war an der Zeit, dass der Nekromant aus der Karibischen Liga seinen Proberun bekam und seine Einsatztauglichkeit bewies. Mr. Tea bot mit seinen formvollendeten Manieren ein gutes Gegenwicht zu dem Ork. Da es immer gut war, einen Decker dabei zu haben - für so einige Jobs waren sie sogar unerlässlich - bat ich Bloody Guts hinzu.

Rein theoretisch hätte einer der Gefragten meine Anfrage auch ablehnen können, aber warum in aller Welt sollte das wohl irgendjemand tun?

❄️

Da Hamaka noch kein Mitglied von UC war, fand das Meeting vor dem Meeting im Haunted Mug statt. Ein großer Vorteil daran: Ich hatte einen kurzen Weg.

Der Familientisch stand in einer Nische und war dadurch abgeschirmt genug, um sich daran besprechen zu können. Ein White-Noise-Generator und die Irish-Folk-Musik, die im Haunted Mug eigentlich ständig gespielt wurde, taten ihr übriges.

Bloody Guts und Mr. Tea erschienen pünktlich um 20.00 Uhr, Hamaka verspätete sich um drei Minuten.

Als der Ork mit der dunklen Haut und den braunen Locken in dem für ihn so typischen, schlürfenden Gang das Haunted Mug betrat, verzog sich das schiefe Gesicht von Bloody Guts zu einem noch schieferen Grinsen. „Alta’! Du, mit der Wollkappe siehst du voll albern aus! Außerdem regnet es hier ständig, da sifft das doch voll. Willst Du nich' 'ne Duschhaube aufsetzen?“ 

Die leicht glasig wirkenden Augen von Hamaka weiteten sich. „Nee, Ma'ann, dann sehe ich aus wie ein Bulle!“ Der Ork ließ sich auf einen der metaangepassten Sessel am Tisch fallen. 

Der Teddy an der Kette um den Hals von Bloody Guts rollte mit den Augen, wobei eines der Augen aus seinem Kopf fiel. Der Troll drückte es fast beiläufig in den Plüschkopf zurück. „Wie ein Bulle? Tragen die Cops bei euch Duschhauben?“

Mac brachte ungefragt Bier. Er stellte die verschieden großen Krüge vor uns ab. Im Haunted Mug wurden Getränke stets in zur ‚Rasse passender Größe‘ serviert. Menschen und Elfen erhielten kleine Krüge, Orks und Zwerge große und Trolle sehr große Krüge. Wem das nicht passte, der musste umbestellen und zahlte extra, selbst, wenn er eine kleinere Portion wollte. Selbstverständlich bekam ich zudem ein Stück Kuchen. Ganz frischen Blaubeerkuchen. 

Hamaka schnupperte am Bier und nahm dann einen Schluck. Er wischte sich den Schaum von den Lippen, ein Grinsen umspielte seine Hauer. „Nich' wirklich Duschhauben, nur Mützen, die so aussehen und“, er machte eine Pause, als ob er sich das Bild erst in Erinnerung rufen musste, „kurze Hosen.“

Da also eine Duschhaube kein adäquater - das Wort hätte hier am Tisch wohl nur Mr. Tea verstanden - also kein passender Mützenersatz war, schlug Bloody Guts eine Rattenmütze vor. 

Die aus Rattenfellen und einem Rattenkopf gefertigte Mütze fand bei Hamaka zunächst keine Begeisterung, doch als Bloody Guts diese näher beschrieb und selbst eine Mütze haben wollte, die aus einer Teufelsratte gemacht werden sollte, besserte sich Hamakas Meinung. Zumindest wollte er Bloody Guts eine solche Mütze anfertigen, und sie machten aus, irgendwann gemeinsam eine Teufelsratte fangen zu gehen.

Mr. Tea schmunzelte süffisant.

„Was?“, blaffte Bloody Guts. „Willste etwa sagen mir steht so 'ne Mütze nich'?“

Der Engländer im dreiteiligen Anzug schüttelte den Kopf. „Keinesfalls! Eine solche Mütze würde dir ausgesprochen gut stehen.“ Mit seiner manikürten Hand wies er auf seinen Bowler, den er neben sich abgelegt hatte. „Ich überlege vielmehr, auch auf eine solche Kopfbedeckung umzusteigen!“

Ich lachte.

Bloody Guts verzog das schiefe Gesicht zu einer grimmigen Fratze. „Machst du dich über mich lustig, Mr. Tea?“

Ich legte Bloody Guts, immer noch lachend, meine Hand auf den Oberschenkel. 

Die Züge des Trolls wurden augenblicklich weicher. 

„Eine Teufelsrattenmütze würde dir stehen, weil sie zu dir passt“, erklärte ich. „Im Gegensatz zu Mr. Tea, dem sie nicht stehen würde.“ Allein die Vorstellung, Mr. Tea mit einer Teufelsrattenkappe zu sehen, ließ mich erneut lachen. Genau das hatte der Engländer mit seinem feinen Humor auch beabsichtigt.

Bloody Guts schob die Unterlippe zwischen seine Hauer, ging aber dann zu einem zufriedenen Grinsen über. Er tippte sich zwischen seinen gewaltigen Hörner auf den Kopf. „Wir brauchen echt 'ne große Teufelsratte, damit der Schädel sich da nich' verliert!“

❄️❄️

[Song 3: Dorothy - Wicked Ones3] Ich trug meinen dunkelblauen, gepanzerten Catsuit, die eisblauen Verzierungen waren eingeschaltet. Dazu hatte ich dunkelblaue Overknees in Wildlederoptik und passende Handschuhe von Zoë angezogen. Da Januar war, hatte ich zudem einen langen aber leichten blaugrauen Mantel übergezogen. Mein eisweißes Haar war am Hinterkopf mit eine Diamantbrosche zusammengesteckt, damit es mir nicht ins Gesicht fiel, floss mir ansonsten aber den Rücken hinab. Die Medusa-Extensions sorgten dafür, dass alles an Ort und Stelle blieb, selbst, wenn ich mich urplötzlich schnell bewegen musste.

Mr. Tea trug einen dreiteiligen Anzug von Mortimer of London, dazu Mantel, Bowler und Gehstock. Alles war farblich aufeinander abgestimmt.

Bloody Guts hatte wie immer ein postapokalyptisches Outfit gewählt. Eine schwarze Baggy-Hose, ein schwarzes T-Shirt mit einem blutigen Logo, riesige halbhohe schwarze Schnürstiefel, eine schwarze Panzerweste und jede Menge Ketten und Nieten. Dazu dann noch der Teddy, der an einer großgliedrigen Kette um seinen Hals hing und bei dem es sich eigentlich um eine Überwachungsdrohne handelte, die mit Software ausgestattet war, die Emotionen lesen konnte. Anwärter Hamaka trug einen grün-orangenen Strickpullover zu Dreiviertel-Baggys, dazu festes, braunes Schuhwerk und eben eine bunte Wohlmütze, die schon einiges an Zeit hinter sich hatte. Akzent, Hautfarbe und Outfit des Orks wiesen auf jemanden hin, der nicht aus Seattle war.   

Unsere ungewöhnliche Gruppe erschien wenige Minuten vor der verabredeten Zeit am ausgemachten Treffpunkt. 

Ich hatte mir bereits am Nachmittag ein SUV aus dem Bootshaus organisiert und alle chauffiert. Selbstverständlich hatten wir in einiger Entfernung zum Treffpunkt geparkt. Mr. Tea war um das Fahrzeug herumgeeilt, um mir die Tür zu öffnen. Eine altertümliche Geste, auf die ich einfach stand - darum war ich auch lange genug sitzen geblieben, damit er mir öffnen konnte.

Vor dem Foodcourt wartete ein Ork in einem gut sitzenden Anzug, sauberem Schuhwerk und Sonnenbrille. Meine scharfen Sinne erkannten die schwere Pistole, die sich unter seinem Jackett abzeichnete.

Der Ork-Bodyguard geleitete uns in einen teilweise offenen aber zumindest überdachten Bereich. Man hatte transportable Flutlichtquellen aufgestellt, die die Szenerie in ein helles, ungemütliches Licht tauchten. Auch unser Weg war beleuchtet.

In einer halbwegs abgeschirmten Ecke saß ein Elf an einem Klapptisch. Drei normale Stühle waren ebenso aufgestellt wie drei Meta-Chairs von Evo. Als wir uns näherten, öffnete der Elf den Deckel einer Kühlbox, hielt dann aber in seiner Bewegung inne und starrte mich unverhohlen an. Dann stand er plötzlich auf, sah mich dabei weiter an und lächelte. „Ihr Ruf und Ihre Beschreibung werden Ihnen nicht gerecht! - Guten Abend, Snowcat! Nennen sie mich Mr. Johnson.“ Er grinste kurz.

Ich honorierte sein angemessenes Verhalten mit einem Lächeln. Das brachte ihm definitiv Punkte ein. Wenn wir gleich um die Bezahlung verhandelten, würde ich es ihm nicht allzu schwer machen. „Guten Abend, Mr. Johnson.“

Er bot uns Bier und Wasser an. Alles in verschlossenen Flaschen und Dosen. Ich nahm ein Wasser und setzte mich auf einen normalen Stuhl. 

Alle setzten sich. 

„Sind wir vollständig?“, fragte Mr. Johnson.

Ich nickte. „Ja, es bleibt bei uns vieren. - Mr. Johnson, wie können wir Ihnen helfen?“

Der braunhaarige Elf im maßgeschneiderten Anzug lehnte sich zurück. Er betrachtete mich während jedem seiner folgenden Worte: „Jedes System funktioniert nur so gut wie die Einzelteile. Es geht darum, ein Entwicklungsprojekt zu verzögern. Wir haben sechs Dossiers angefertigt. Wenn mindestens drei dieser Leute ihre Effizienz verlieren, wird sich das Projekt verzögern. Dabei sollten Sie allerdings so subtil wie möglich vorgehen. Finden Sie dafür einen geeigneten Weg der sozialen oder physischen Sabotage. Sollten irgendetwas auffällig sein, zu viel Gewalt angewendet werden oder gar der Tod eines der Mitarbeiter eintreten, wird der Konzern misstrauisch werden und das Projekt sogar vorziehen.“ Mr. Johnson sah mich erwartungsvoll an.

Ich lächelte. „Gut, das klingt machbar. Ich habe der Einladung entnommen, dass das Projekt so schnell wie möglich sabotiert werden soll?“

„Das ist richtig. So schnell wie es geht - und es muss innerhalb einer Woche erledigt sein. Wir sind bereit, ihnen 15.000 Nu¥ pro Person zu bezahlen.“

Das war eine ziemlich hohe Summe für einen solchen Run. 

In seinem nächsten Satz erklärte Mr. Johnson, warum sie so viel zahlen wollten: „Zwei der Personen, um die es geht, leben in Seattle, zwei in L.A. und zwei in Las Vegas, Sie werden also reisen müssen.“

Das gab mir das Stichwort für die Verhandlung. Wie angekündigt gab ich nicht alles, sondern handelte Mr. Johnson auf einen Betrag von 18.000 Nu¥ pro Runner hoch, mit dem er sich immer noch wohlfühlen konnte. Wir bekamen die Dossiers, tauschten Kontaktdaten aus und erhielten eine Anzahlung von insgesamt 20.000 Nu¥. 

❄️

Nur 45 Minuten später saß meine kleine aber feine Runnergruppe beisammen und brütete über den Dossiers.

Auch das Meeting nach dem Meeting fand wieder im Haunted Mug statt.

Agatha Shale und Matthew Miller aus Seattle, Howard Timmons und Hector Ortis aus L. A. und Steven Leppert und Olivia Saito aus Las Vegas arbeiteten konzernübergreifend an der Entwicklung eines neuen Commlinks, das unter dem Label von Common Denominator, einer Tochterfirma von Horizon, erscheinen würde. 

Bei all diesen Metamenschen gab es einen Punkt, an dem man für eine Sabotage ansetzten konnte, um sie zumindest für einige Zeit ineffizient arbeiten zu lassen. 

Natürlich wäre es am unauffälligsten, wenn wir je eine Person aus jeder Stadt nehmen würden. Dennoch gönnten wir uns den Luxus, uns anders zu entscheiden und den Vorzug denen zu geben, die wir aufgrund unserer persönlichen Vorlieben lieber schädigten. 

Agatha Shale zum Beispiel war ein weiblicher Ork Mitte bis Anfang vierzig, die sich bis zur ‚Administration Assistance‘ hochgearbeitet hatte, von ihrem Chef aber nicht ausreichend gewürdigt wurde. Laut ihrem Profil suchte sie Anerkennung und Ablenkung in diversen Sex-Dates - und es wäre für uns ein Leichtes gewesen, sie darüber für mehrere Tage auszuschalten. Allerdings hatte keiner von uns Interesse daran, der gediegenen Frau in ihrem Alter noch Steine in den Weg zu legen. Sie hatte es schon schwer genug gehabt.

Matthew Miller, ein menschlicher Mann mittleren Alters, arbeitete wie Agatha bei ‚Common Denominator‘ in Seattle. Im Gegensatz zu der Orkin war er ein viel kleineres Rädchen am Wagen. Er war verantwortlich für den Ein- und Ausgang der Waren im Seattle Metroplex. Er galt als hart und unbequem, aber effizient. Er litt an diversen Zwangsstörungen, bekam Medikamente gegen OCD (obsessive-compulsive disorder) und konnte nur schwer mit Stress umgehen. Laut Dossier neigte er dazu, überzuorganisieren, sollte er seine Medikamente nicht bekommen. Er folgte einem strikten Tagesablauf. Seine Frau hatte eine Affäre und schaffte offenbar Geld beiseite, um sich von ihm zu trennen. Seinen Sohn hatte Miller, höchstwahrscheinlich gegen dessen Wunsch, in einem Ausbildungszentrum bei Ares untergebracht. 

Miller war zwar krank, hatte aber das Pech, uns unsympathisch zu sein. Oder zumindest unsympathischer als Agatha. 

Wie wir ihn manipulieren wollten, war uns schnell klar: Wir wollten seine Medikamente gegen Placebos austauschen.  

❄️❄️

[Song 4: Alice Merton - Why So Serious?3] So standen Bloody Guts und ich am nächsten Morgen um 6.30 Uhr an der Bushaltestelle, an der Matthew Miller innerhalb der nächsten Minuten erscheinen würde, um in den Bus um 6.44 zu steigen. Es galt, den Tagesablauf des Mannes zu checken und herauszufinden, wo er seine Tabletten aufbewahrte. 

Natürlich sahen wir nicht aus wie wir selbst. Es wäre wohl ziemlich auffällig gewesen, wenn zwei Stars von SatHS plötzlich an einer Bushaltestelle auftaucht wären. Ich sah aus wie eine etwas überdurchschnittlich hübsche, menschliche Studentin auf dem Weg zur Universität. Bloody Guts gab den dazu passenden Ork mit Footballstipendium. Wir hatten Teenager gewählt, da diese weniger auffielen, wenn sie sich ungehobelt benahmen. Natürlich hatten wir bereits vorher entsprechende Studententicktes auf unsere Commlinks geladen. Die von Bloody Guts gefälschten Studentenausweise würden keiner genauen Prüfung standhalten, aber darum ging es auch nicht. 

Bloody Guts hatte übrigens kein Problem damit, ein Troll zu sein. Auch sein schiefes Aussehen störte ihn nicht. Rein theoretisch hätte es also gereicht, wenn er sich ein bisschen verkleidet hätte. Wer achtete schon auf einem Troll. Allerdings hatte Bloody Guts sehr wohl ein Problem, damit andere Klamotten zu tragen. In einen Anzug würde ich ihn wahrscheinlich niemals bekommen. Also war klar gewesen, dass auch der Troll eine Körpermaske brauchte. Da konnte ich ihn auch gleich wie einen Ork aussehen lassen. Zum Glück besaß ich einen Zauberspeicher, der eine der beiden Illusionen aufrecht erhalten konnte. So lenkte mich nur die Konzentration für einen Zauber ab.

Unterdessen standen Mr. Tea und Hamaka in einer Apotheke an, um die Kapseln zu kaufen, die man Mr. Miller verschrieben hatte. Außerdem hatten sie eine Liste mit Stoffen dabei, die sie ebenfalls besorgen mussten, damit wir das Placebo herstellen konnten. 

Pünktlich auf die erwartete Minute erschien Mr. Miller an der Haltestelle. Da derweil mehr als ein Duzend Personen hier standen, beachtete er uns nicht weiter. 

Der Bus kam ebenfalls pünktlich, und wir stiegen ein.

Auch so ein modernes Fahrzeug ist nicht gerade für Trolle gemacht. Bloody Guts musste sich ducken, als er einstieg. Das ‚Überlast-Warnsignal‘ des Busses hatte der Decker vorsichtshalber unter seine Kontrolle gebracht. 

Im Gegensatz zu mir hielt sich Bloody Guts nicht möglichst nah bei Miller auf. Er suchte sich stattdessen einen Platz, an dem seine größere Masse nicht weiter auffiel. 

Ich checkte mein Make-up und machte so unauffällig Aufnahmen unseres Zielsubjekts und seiner Aktentasche.

»Okay6«, meldete Bloody Guts schon vor der nächsten Haltestelle. »Miller hat einen Ares-Medi-Organizer. Der ist in seiner Aktentasche. …«

Schade eigentlich. Ich hatte gehofft er würde die Medikamente in seiner Jacketttasche bei sich tragen. So würde es ein wenig schwerer werden, die Kapseln auszutauschen. 

»… Die Medis sind für eine Woche zugeteilt und die Fächer vom Montag und das Fach von Dienstag Morgen sind leer. Ich habe den Belegungsplan kopiert.«

Perfekt. Mehr brauchten wir für den Moment nicht. Bloody Guts und ich stiegen zwei Haltestellen später aus.

»Wir haben inzwischen auch die Medikamente«, meldete Hamaka.

»Gut«, freute sich Bloody Guts. »Dann geht noch mal rein und besorgt den Medi-Organizer. Genaue Typ-Bezeichnung schicke ich euch. Außerdem könnt ihr noch so eine Aktentasche kaufen. Dann kann Snowcat das besser üben.«

Hamaka seufzte.

»Copy, machen wir«, erklärte Mr. Tea. »Wo treffen wir uns?«

»Wir holen euch ab und fahren danach zurück zum Haus der Millers. Vielleicht ergibt sich noch was«, legte ich fest.

❄️

Obwohl Mrs. Miller sogar Besuch von ihrem Geliebten gehabt hatte, war sie nicht so freundlich gewesen, uns kompromittierende Aufnahmen bieten zu wollen, damit wir ihren Ehemann zusätzlich aus dem Konzept bringen konnten, indem wir ihm im Laufe der nächsten Tage entsprechende Dateien aufs Commlink luden. 

Doch das störte uns nicht weiter. Wir würden auch ohne klarkommen.

❄️

Um 17.00 standen wir dann alle vier an der Haltestelle, an der Mr. Miller um 17.09 Uhr den Bus nach Hause nehmen würde. Die frisch vorbereiteten Placebos hatten wir natürlich dabei.

Mr. Tea und Hamaka hatten sich mit herkömmlichen Mitteln verkleidet und trugen Anzüge, die für die Wage-Slaves in der Gegend üblich waren. Die beiden Männer würden die Ablenkung stellen.

Bloody Guts und ich waren in im Vergleich zu heute Morgen leicht abgewandelten Körpermasken unterwegs. Ich würde die Tablettenschachtel austauschen und Bloody Guts würde die Ummeldung am Commlink vornehmen. 

Wie erwartet war um diese Zeit deutlich mehr los, da viele Angestellte zur selben Zeit Feierabend machten. 

Mr. Miller erschien und wir alle stiegen mit 18 anderen Metamenschen in den gut gefüllten Bus. 

Miller fand seinen Lieblingsplatz und legte seine Tasche brav und platzsparend unter seinen angewinkelten Beinen ab. Ich stellte mich vor den Platz hinter dem von Miller und begann sogleich damit, in meiner Handtasche zu kramen. 

Mr. Tea stellte sich dicht vor die Rückenlehne von Millers Platz. 

Dann kam Hamakas Auftritt. Breitschultrig lief er durch den Bus. Blieb dann bei Mr. Tea stehen, baute sich vor ihm auf, schränkte Miller so in seiner Freiheit ein und sagte laut. „Ey, dich kenn ich doch! Dich wollte ich schon lange mal wieder treffen. Ich habe noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen, du hast mir doch damals die Freundin ausgespannt.“

Ich musste unwillkürlich schmunzeln. Hamaka hatte eine gute Wahl getroffen. An einer solchen Szene wollte Miller eigentlich nicht teilhaben. Doch seinen Sitzplatz wollte er auch nicht verlassen. Also zog er sich so weit wie möglich zu seinem Sitznachbarn zurück, wandte sich ab, machte sich klein - und gab damit ein wenig mehr von seine Aktentasche frei. 

Mr. Tea verzog nachdenklich das Gesicht. „Ähm, ich weiß nicht so genau. Meinst du Melly?“

„Ja, genau die, die sexy Blonde“, brauste Hamaka auf.

Mr. Tea lachte. „Na klar, dann weiß ich das noch. Mit der bin ich jetzt verheiratet.“

Beinah hätte ich laut lachen müssen. Mit der Wendung hatte ich nämlich nicht gerechnet. Doch ich konzentrierte mich und ließ rein zufällig und furchtbar ungeschickt meinen Lippenstift fallen.

Bloody Guts war ebenfalls bereit.

Ich bückte mich, um meinen Lippenstift zu suchen.

Hamaka buffte Mr. Tea so heftig gegen die Schulter, dass dieser gegen Miller stieß.„Echt jetzt? Wow, wie geil, na denn verzeih ich dir. Erzähl mal, wie is sie denn so?“

Wenn Mr. Tea sich jetzt überwinden musste, um - völlig entgegen seines normalen Verhalten - nun aus dem Nähkästchen zu plaudern, war ihm das nicht anzumerken.

Die zwei tauschten lauthals Details über einige Ex-Freundinnen aus.

So war es ein Leichtes für mich, mit Hilfe von magischen Fingern und körperlichem Geschick die Tablettenschachtel aus der Tasche zu zaubern und auszutauschen.

Gleich an der nächsten Station stieg ich aus. Ich hatte ein breites Grinsen im Gesicht, denn Hamaka und Mr. Tea waren so in ihren Rollen aufgegangen, dass sie sich noch eifrig unterhielten, als sie mir eine Station später folgten.

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Der Rest ist eigentlich schnell erzählt.

Bereits noch in der Nacht ließen wir uns von Rubber Duck im teameignen Learjet nach L.A. fliegen, da wir beschlossen hatten, die beiden Ziele dort zu manipulieren. 

Sie zu beeinflussen war uns am leichtesten vorgekommen. 

Was es tatsächlich auch war, wenn man denn die passende Idee und die entsprechenden Skills dafür besaß. 

Bei dem Menschen Hector Ortis handelte es sich nämlich ursprünglich nicht um dem Lead Tester bei ‚Singularity‘. Er war in Wirklichkeit Umberto Games, ein Drogendealer und ehemaliges Mitglied der Burning Angels, der das Erdbeben von 69 genutzt hatte, um unterzutauchen und ein neues Leben anzufangen. Dass er ein untrainierter Sozial-Adept war, konnten wir bei unseren Skills ebenso außer Acht lassen wie die Cyberware, die er besaß. 

Wir schickten ihm einfach ein Logo der Burning Angels aufs Commlink und erpressten ihn dazu, sich mit uns zum Lunch zu treffen. 

Mit gefärbtem Haar, gefärbter Haut, einem aztlanischen Akzent und den richtigen einschüchternden Worten, brachten wir ihn dazu, die Softwarefreigabe für das neue Commlink zu verzögern. Wir drohten ihm, ihn auffliegen zu lassen, sollte er sich nicht an unsere Abmachung halten.

Als er schwitzend in seinen Wagen stieg, stand zu einhundert Prozent fest, dass Ortis zurück am Arbeitsplatz als allererstes umsetzen würde, was ich ihm aufgetragen hatte. 

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So blieb noch der karrieregeile Howard Timmons. Ebenfalls Mensch und Mitarbeiter bei Singularity. Er war seines Zeichen Chefdesigner für die ARO-Packages des Commlinks. 11 Skins sollten bei dem Produkt mitgeliefert werden. Er war sogar seinem Zeitplan voraus. Laut des Profils versuchte er alles, um bei seinen Vorgesetzten positiv aufzufallen und hängte sich stets in seine Arbeit. Er hatte ein Trideosternchen geheiratet, nur in der Hoffnung, dass ihr gutes Aussehen ihm bei seiner Karriere weiterhelfen würde. 

Als rassige, rothaarige Elfe fing ich ihn auf dem Weg zum Abendessen ab und lud ihn mit Charme und neuen, von mir entworfenen AROs im Gepäck ein. Es kostete mich einiges an Überzeugungskraft, ihn zu einem gemeinsamen Kaffee zu überreden. Was danach kam, war leicht. Ich zeigte ihm meine Entwürfe, die ihn begeisterten. Wenn er sie übernahm, in das Projekt eingliederte - wofür er den Prozess für das ARO-Design völlig neu starten würde müssen - würde sein Chef sicher auf ihn aufmerksam werden, denn mein Design war wirklich besser. 

Um glaubwürdig zu erscheinen, hatte mein Angebot natürlich einen Preis: Ich würde irgendwann auf ihn zukommen und ihn um einen Gefallen bitten. 

Verblendet von der Aussicht, endlich einmal glänzen zu können, versuchte er nicht einmal, den Gefallen irgendwie einzugrenzen.

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Noch vor 18.00 Uhr L.A.-Time hatten wir unseren Job erledigt. Es blieb noch genügend Zeit, mein hohes PiTo-Rating auszunutzen und in einem angesagten Restaurant essen zu gehen.

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Am 28.01.2077 standen wir um 21.00 Uhr auf einem Flugplatz in Snohomish einem beeindruckten Mr. Johnson gegenüber. Er erhöhte den Betrag ganz von selbst auf 20.000 Nu¥ pro Runner und packte noch je ein niegelnagelneues LT 2110 Commlink von Leviathan Technologies drauf.

Das Commlink lag eigentlich unter unserer gewohnten Preisklasse, aber ich beschwerte mich nicht, da man zusätzliches Material immer brauchen konnte. 

UC war seinem Ruf einmal mehr als nur gerecht geworden.

Mir hatte es Spaß gemacht, wieder ‚On the Run‘ zu sein. 

Da die Ereignisse in und um Boston herum teilweise eine neue Positionierung der großen Konzerne verursachten, würde es in den nächsten Monaten sicher viel Arbeit für Shadowrunner geben. 

Ich für meinen Teil, konnte das nur begrüßen.

Eine Woche nach unserem Run kam übrigens das LT 2110 auf dem Markt und wurde mit gutem Erfolg angenommen.

Eine weitere Woche danach startete der Verkauf des ‚Singularity‘-Commlinks vom Common Denominator, das von der Presse als schlechter Abklatsch des LT 2120 deklariert wurde. Einzig die vom mir entworfenen AROs galten als innovativ, was dem Commlink an sich aber auch nicht weiterhalf. 


Ende der Geschichte. 


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Ob Snowcat Recht hat, ob sich die andere Persönlichkeit in AveRage doch noch zeigt und welche Aufträge UC in der nächsten Zeit erhält, wird demnächst hier zu lesen sein.


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Wir freuen uns, dass du uns während dieser Geschichte begleitest hast, danken dir für’s Lesen und verbleiben bis zum nächsten Mal:

Snowcat und die Runner von UC.

An dieser Stelle bedanken sich die Spieler unserer Runde bei allen, die an der Entwicklung und Verarbeitung der Shadowrun®-Produkte mitgewirkt haben. Ohne ihre Arbeit wäre unser Spiel nicht möglich! 

We would like to thank the authors, artists and all others who are involved in the development of the Shadowrun® rules, adventures and stories. Without them, our game would not be possible.

Vielen Dank auch an @Vin für das Korrekturlesen. ;*

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*