Intermezzo Weihnachten 2073

Welcome, Omae!

Zwischendurch wollen wir - also die gesamte Spielgruppe - herzlich danke für die vielen Kommentare sagen, die Ihr uns so fleißig im CatPoint hinterlasst. Es werden immer mehr und wir lieben das. Bitte macht unbedingt weiter damit!

Bereit für ein neues Intermezzo?

Der Run um den 2.Wunsch des Auftraggebers ist im vollen Gange. Noch immer suchen die Runner von UC überall in Asien Telesma zusammen, um den Yama König beschwören zu können, damit er nicht länger auf dem Coin Of Luck sitzt. Als nächstes stehen ein Rubin und ein Saphir aus der Taklamakan-Wüste auf der Liste. Das Team teilt sich. Während sich Rubber Duck, Thunderstrike, Gunner, Tiernan und Bloody Guts in der Wüste auf die Suche nach einer passenden Schürfstelle machen, lassen sich Blackstone, Chang, Moxi, Triple S, Metge, TriXhot, Shark Finn und Snowcat durch Dobs nach Seattle fliegen.

Und das haben wir nun für Dich:

Wir haben uns bei der Ankunft in Seattle an die Fersen von Snowcat geheftet und begleiten sie in den Tagen nach der Landung, über die Weihnachtsfeier1 und Silvester hinaus, bis sie 2074 wieder nach Seattle fliegt, um in den Run einzusteigen.

Natürlich erleben wir alles aus Snowcats eisblauen Augen mit.

Bereit Omae?

Na dann los.

❄❄❄ SEATTLE ❄❄❄

[Song 1:Anna F. - Most Of All] Dobs lies den T-Bird perfekt nah beim alten Farmhaus zum Stehen kommen. Dem illegalen Flughafen ‚Aviator Care‘ am nördlichen Standrand diente das Haupthaus als Terminal, während kleinere Stallungen und Koppeln zu Werkstatt und Hangaren umgebaut worden waren. Im einst riesigen Kuhstall, der etwas entfernt von den anderen Häusern lag, wurde inzwischen Biotreibstoff hergestellt und die Wagen, die früher die Milch zur Verarbeitung gebracht hatten, lieferten jetzt den passenden Treibstoff zu Objekten, die aufgetankt werden wollten.

Als sich die Heckklappe öffnete empfing uns der prägnante Geruch nach leicht verbrannter Erde, die so ein T-Bird nun einmal hinterließ. Doch der stetige Regen der Region kühlte den Boden bald völlig ab. 

Seattler Regen, ich liebte ihn. 

Home Sweet Home.

Drei Orks und zwei Trolle, alle Mitarbeiter des Flughafens und gleichzeitig Mitglieder der Familie Henderson, kamen in ihren Overalls um uns beim Ausladen zu helfen. Da ein Großteil unseres Zeugs mit unseren Jungs in die Wüste unterwegs war, beschränkte sich unser Gepäck auf wenige Stücke. Die fünf Mitarbeiter von Aviator Care waren kurz verwundert, dass es so wenig zum Tragen gab, störten sich dann aber nicht weiter daran, denn immerhin boten Trixhot, Moxi und ich ihnen was zum Gucken.

Der Grundbesitz lag schon seit Generationen im Besitz der Familie Henderson und war mit Entstehen der gehobenen Kaffeekultur in den 1990er zu einem Milchhof umgewandelt und zum lokalen Milchlieferanten geworden. 

VITAS, dass 2020 aus Washington State der Seattle Metroplex geworden war und die Goblinisierungswellen hatten den Hof verändert. Immer mehr Hendersons waren auf den Milchhof gekommen und schon bald hatte Milch allein nicht mehr ausgereicht, um alle zu beschäftigen und zu ernähren. Das Gut war dann immer weiter ausgebaut worden und nun wurde hier ein Flughafen betrieben, Biotreibstoff produziert und zudem noch Organic Food angebaut, das im Terminal-Shop verkauft wurde.

Blue, die einzige verbliebene Kuh, muhte zur Begrüßung, als wir uns Terminal One näherten. Das tat sie immer oder zumindest hatte sie das auch schon getan, als ich das letzte Mal hier gewesen war. Leroy Henderson, ein extrem attraktiver Ork, hatte mir bei meiner ersten Landung hier versichert, dass Blue schon beinah 30 Jahre alt war. Ein wirklich ungewöhnlich hohes Alter für eine Kuh, da Kühe sonst so um die 15-20 Jahre alt wurden. Neugierig war Blue auch noch, wie ich eben wieder feststellen konnte, als sie so spät am Abend die obere Hälfte ihrer Stalltür aufstupste, erneut muhte und dann den Kopf heraus streckte.

Natürlich ließ ich es mir nicht nehmen Blues Begrüßung zu erwidern. Ich nahm eine Rübe aus der Futtertruhe in der Nähe und brachte sie der Kuh. Blue nahm sie gern und kaute genüsslich darauf rum. Zur Belohnung durfte ich sie auf dem Nasenrücken kraulen. Ich nahm astral wahr. Ja, das war die Aura einer Kuh. Ich beugte mich vor und flüsterte Blue ins Ohr, „Du täuscht mich trotzdem nicht, schöne Blue. Ich glaube weiter daran, dass du ein eigentlich ein Geist bist. Nach den Geschichten, die hier alle so über dich haben. Ein wundervoller, kluger Geist mit der Kraft der Auramaskierung. Ich gehe jetzt zu den anderen, komme nachher aber noch mal wieder und bringe dir ein Bund Kräuter mit, wenn sie im Terminal-Shop Kräuter haben.“

Blue schlappte mir mit ihrer Zunge über die Hand. Ja, sie hatte mich verstanden.

Im Terminal One empfing uns Clan-Oberhaupt und amtierende Chefin von Aviator Care, Hellen Henderson. Die leicht stämmige, menschliche Frau Mitte 50, trug eine gepunktete Schürze und erinnerte von der Aufmachung an eine Hausfrau von 1950. Allerdings nur so lange, bis man den Waffengürtel mit den beiden riesigen Cavalier Revolvern unter der Schürze entdeckte. 

Terminal One stellte eine höchst eigenwillige Mischung aus einem Diners, Truck Stop, Café, Ökoladen und Wartehalle dar. Musikvideos liefen auf dem größeren der 2 Trideoschirme, auf dem anderen wurden Nachrichten gezeigt.

Bevor Hellen mich fragen konnte, ob ich etwas haben wollte, kamen Sparky und Arcade auf mich zu gerannt, um mich zu umarmen. Sie hatten Bubbles im Schlepptau. Die drei waren mit den Wagen gekommen, um uns abzuholen. 

Wir von UC, Dobs und einige Hendersons saßen noch eine Weile bei Bier, Limonade und Karottenkuchen beisammen, bevor es für uns nach Hause ging.

Ich verabschiedete mich selbstverständlich noch von Blue, wie ich es versprochen hatte und dann ging es los.

[Song 2: Van Hallen - You Really Got Me] Mein Appartement duftete herrlich nach Vanille, Rosen und einem Hauch von Ölfarbe. Mein Bett war frisch bezogen und meine neuen Kleider waren bereits in mein Schrankzimmer einsortiert, denn sie waren schon gestern angekommen, wie mein Hausgeist mir mitteilte. Henry war einfach wunderbar.

Allerdings ließ mein lieber Hausgeist enttäuscht den Kopf hängen, als ich ihm sagte, dass ich so spät am Abend nichts mehr essen wolle. Mit der Bitte um ein warmes Bad und eine Tasse heiße Schokolade mit Marshmallows konnte ich ihn zum Glück wieder versöhnlich stimmen.

Ich hatte gar nicht gemerkt, wie sehr ich Softpaw unterwegs vermisst hatte. Die weiße Blackberry-Katze hatte mich auch vermisst, denn sie hatte mich nach einer langen Kraul-Einheit sogar ins Bad begleitet und sprang nun zu mir aufs Bett. 

Ich öffnete die Brieffunktion meines Commlinks. Eigentlich hatte ich einen ausgiebigen Brief an Harlequin schreiben wollen, ich hatte lange nichts von mir hören lassen. Doch nach wenigen Worten merkte ich, wie müde ich war. 

Seattle, Vladivostok, Kamchatka, Vladivostok, Hong Kong, Vladivostok, Seattle und das innerhalb von drei Wochen, da wusste ich kaum noch, wie spät es überhaupt war.

Wäre er jetzt hier, wäre meine Müdigkeit wie weggepustet oder weggehaucht, doch so überrollte sie mich.

Ich gähnte und löschte die wenigen bisher geschriebenen Worte mit einem Wisch.

Stattdessen schrieb ich eine Kurznachricht und da mir gerade ein Song in den Sinn kam, fügte ich eine Textzeile aus diesem Song an.

Geliebter, Liebster, My Knight

Die Schuppen waren ein Geschenk.

Eine Nacht in der Geborgenheit unter Smaragdsternen, dann geht es zur Uni.

Hast Du Weihnachten schon was vor?

In tiefer Liebe!

S.

All those crazy things we did

Didn't think about it, just went with it

You're always there, you're everywhere

But right now I wish you were here2

Ich tippte auf Senden und noch bevor das bestätigende Geräusch verklungen war, war ich mit einem Lächeln auf den Lippen und dem Gedanken an meinen Liebsten eingeschlafen.

❄❄

Zum Glück schadete es nicht weiter, wenn man die eine oder andere Nacht mit hochwertigen AR-Kontaktlinsen im Auge schlief. 

Heute Morgen hatte es sogar sein Gutes, dass ich mit den Linsen im Auge eingeschlafen war, denn so bekam ich sofort angezeigt, dass Harlequin mir gestern Nacht noch geantwortet hatte. 

Eine Trideo- Datei, er saß lässig an auf einem Hocker, sang und spielte dazu auf der Gitarre. Im Anschluss erschienen diese Zeilen:

Girl, you really got me now 

You got me so I don't know what I'm doin' 

Girl, you really got me now 

You got me so I can't sleep at night 

Girl, you really got me now 

You got me so I don't know where I'm goin', yeah 

Oh Girl, you really got me now 

You got me so I can't sleep at night 

You really got me 

You really got me 

You really got me3

Es kribbelte, nicht nur in meinem Bauch und so fühlte ich mich unglaublich glücklich, als ich pünktlich um 7.34 Uhr zum Sonnenaufgang mein Morgenritual durchführte. Weihnachten würde ich ihn wiedersehen.

Nach einer Dusche lockte mich der Duft von Zimtschnecken-Pancakes in das kombinierte Küche-Esszimmer. 

Henry bereitete diese herrlichen Pancakes extra für mich zu, weil ich sie so mochte und nachdem ich sie und einen in Scheiben geschnittenen Apfel verzehrt hatte, war mir überhaupt nicht mehr nach Bett, also setzte ich mich in T-Shirts, Shorts und Kopftuch zum Schutz meiner Haare mit einer Tasse Kaffee in der Hand an meine Staffelei und begann zu Malen.

Es klingelte. Da niemand von unten angerufen hatte, würde das Moxi sein, die in einem Hotel übernachtet hatte. Ich hatte sie beim Portier des Hauses angemeldet, darum konnte sie ohne Anruf und Nachfrage hoch kommen.

Ich konnte gar nicht glauben, dass die zwei Stunden schon um waren. Wenn ich malte verging die Zeit immer wie im Flug.

Ich hatte ein wenig Sorge gehabt, dass Moxi und Henry in Revierstreitigkeiten verfallen konnten, aber dem war zum Glück nicht so. 

Moxi akzeptierte unglaublich gelassen, dass ich einen Hausgeist hatte und ebenso, dass alles im Haus sein Revier war. Auf der anderen Seite bestand Henry nicht darauf Koffer zu packen, da er so wie so nicht genau wusste, wo es als nächstes hin ging und immer auf Anweisungen wartete, was er einpacken sollte. 

Doch vor dem Packen führte ich Moxi erstmal eine Runde durch meinen Kleiderschrank und wir widmeten dem einen oder anderen Paar Schuhe ganz besonders viel Aufmerksamkeit. 

Irgendwann erschien Shark Finn bei uns auf der Bildfläche, der natürlich einen Codeschlüssel für mein Appartement besaß und inzwischen jederzeit hoch gelassen wurde. 

Ich umarmte ihn kurz, küsste ihn auf die Wange und meinte fröhlich, „Du siehst in dem Anzug wieder unglaublich gut aus. Falls du Hunger hast, ein paar Zimt-Pancakes sind noch da.“

Er winkte ab. Süßes zum 2. Frühstück war nichts für ihn und die Pancakes wären in seinen Händen sowieso nur wie kleine Kekse gewesen. Ich wollte ihm einen anderen Vorschlag machen, aber da hörte ich Henry schon in der Küche rumoren. Henry liebte es, wenn Finn noch zum Essen kam.

„Was ist das?“, fragte Moxi eine halbe Stunde später, als sie sich zu Shark Finn an den Esstisch setzte.

„Loco Moco.“, erwiderte dieser zufrieden.

„Loco Moco? Davon habe ich noch nicht gehört.“, erklärte sie und dann fragte sie im verführerischen Ton, „Darf ich mal probieren?“

Shark Finn kam nicht mal zu einer Antwort. Henry schwebte mit feuerroter Clown-Nase heran und stellte Moxi schnell und stolz einen eigenen Teller mit Loco Moco hin. 

Er mochte es nicht sonderlich, wenn jemand Essen teile musste.

Moxi zögerte nicht und probierte das für Hawaii typische Gericht. Es schmeckte ihr und dass sie nicht aufaß, machte nichts, denn das war Henry von mir gewöhnt.

„Sonst noch was?“, wollte Moxi wissen, während ich bereits in meinem eisblauen Vashon Island Kostüm steckte und die Riemen der entzückenden Pumps schloss. Das Taxi zum Flughafen würde uns in einer halben Stunde unten erwarten.

Ich sah zu ihr, „Ja im Wintergarten oder besser gesagt im Atelier sind noch zwei Bilder auf den Staffeleien. Die könntest du bitte zusammen rollen und einpacken und dann auf dem Tisch mit den eingepackten Geschenken, da brauche ich die für Tango, Ehran, Dave und Johnny.“

„Geht klar.“, erwiderte Moxi nur und verschwand Richtung Wintergarten.

„Oh mein Gott:“, klang es plötzlich aus der Richtung, „Sind die Bilder alle von Dir? Das ist ja unglaublich.“

Nun komplett angezogen folgte ich Moxi grinsend.

Ich fand sie über den Tisch mit den ungerahmten Werken vor. 

„Die und noch einige andere.“, erklärte ich, „Ich male seit ich denken kann.“, dann lachte ich, „Allerdings nicht schon immer auf diesem Niveau.“

„Wow.“, meinte Moxi beeindruck und ziemlich leise, „Du bist unglaublich begabt. Wenn ich nächstes Mal hier bin, dann plane ich Zeit zum Angucken ein. Wenn ich darf natürlich.“

Ich lächelte, „Ja, natürlich darfst du.“

Moxi packte die Geschenke zusammen mit den beiden unfertigen Bilder in eine Extra-Tasche. „Wenn du die Sachen nicht sofort brauchst, dann gebe ich sie gesondert auf, das ist sicherer.“

Ich zuckte mit den Schultern, „Klar mach doch.“, trat in den Flur und öffnete Softpaw die Tür ihres Transportkorbes. „Kommt die Dame mit nach Boston?“, fragte ich an die Katze gewandt. 

Softpaw sprang ansatzlos hinein. Das Tier liebte es in Boston zu sein, wahrscheinlich weil sie aus dem Wohnheim dort ungestörten Zugang in einen Park und eine Wohnanlage hatte.

Mein Commlink meldete sich. Mystique rief an.

Ich tippte auf, ‚annehmen’.

«Hey.», sagte die mit vertraute Stimme, «Chang ist nicht zu dem vereinbarten Treffen erschienen. Er ist über zwei Stunden überfällig und ich kann ihn nirgends erreichen.»

Mein Magen zog sich zusammen. Zu spät zu kommen, sah ihm nicht ähnlich. «Kennen wir seine aktuelle Adresse?», fragte ich nach.

«Ich schon.», kam die Antwort von Mystique.

Ich holte tiefer Luft, «Gut, dann schick mir die Adresse. Ich komm mit Shark Finn dort hin.» Die Adresse schlug umgehend auf meinem Commlink ein, «Ich schätze, wir brauchen 40 Minuten.»

An Moxi gewandt sagte ich, „Du bekommst sogar gleich die Gelegenheit, dir die Bilder anzusehen.“

Softpaw mauzte enttäuscht und rollte sich zum Protest ganz hinten im Körbchen zusammen.

Ich hatte Shark Finn ins Bild gesetzt und Moxi gebeten Flüge und Taxi zu canceln. Einen neuen Flug zu buchen lohnte noch nicht, da ich nicht wusste, was geschehen war und wie lange wir brauchen würden.

Dann hatten Shark Finn und ich uns umgezogen und nun parkten wir das SUV nahe der Tacoma Docks. 

Mystique hatte mir schnell noch ein Bild von sich geschickt, damit ich sie erkennen konnte. Das war gut, denn an dem schmuddeligen Dock-Arbeiter wäre ich vielleicht vorbei gegangen.

Ein richtiges China-Town besaß Seattle seit einem Großbrand 1889 nicht mehr, diverse chinesisch angehauchte Communities schon. In eine solche hatte Chang seine Unterkunft gelegt. 

Gut, denn unter optisch Ähnlichen fiel man weniger auf.

Unten in dem Haus an der Adresse gab es einen Food-Store und ein kleines Elektronik-Geschäft. Sicherheit gab es hier keine, doch ein Zeichen an der Wand versprach, dass dieses Gebiet unter dem Schutz eine Gang stand.

[Song 3: Yo Yo Ma & Tan Dun/Crouching Tiger, Hidden Dragon Score - Night Fight] Ohne zu zögern betraten wir das Haus, gingen in die zweite Etage und dort den Gang bis ganz ans Ende, hier gab es sowohl ein Fenster, als auch eine Feuerleiter. 

Die Tür zu Wohnung 218 war nicht richtig geschlossen. 

Kein gutes Zeichen.

Ich spürte nach Bewegung, fand aber keine. «Fühlt sich leer an.», sagte ich.

Shark Finn schob mich dennoch hinter sich, nickte Mystique zu und stieß dann die Tür auf. 

Der Anblick von Chaos war all gegenwärtig. In der kleinen Wohnung hatte ein Kampf stattgefunden.

Ich hielt den Atem an.

Nicht sonderlich lange..

.. denn zwischen zerschlagenem Couchtisch und Couch lag ein kopfloser Leichnam in einem asiatisch gerade geschnittenen Anzug, wie Chang ihn so gerne trug. 

Ich schluckte schwer.

Verdammt!

Hier war niemand mehr. Mystique hatte das überprüft.

„Der beste Weg etwas heraus zu bekommen ist nun mal Psychometrie.“, erklärte ich leise.

Shark Finn nickte ernst. 

Ich zog meinen rechten Handschuh aus, hockte mich hin und berührte den kalten, leblosen Körper.

Als ich in die gegenwärtige Realität zurück kehrte war mir ziemlich übel. Dass mir der große, starke, schöne Fomori aufhalf und mir eine Flasche Wasser reichte, machte es leichter. Er stellte mir einen Stuhl hin und ich setzte mich darauf. Mystique sicherte an der Tür.

Ich sammelte mich und begann dann in ruhigen Worten zu berichten, „Nachdem was ich mitbekommen habe ist hier ein Team Yakuza eingedrungen. Ich habe Tattoos gesehen und sie haben japanisch gesprochen. Sie waren zu fünft und definitiv nicht aus Seattle. Ihr Japanisch hatte einen merkwürdigen Akzent, ich glaube, da schwang etwas Russisch mit. Jedenfalls haben sie versucht leise zu sein. Doch Chang hat die Eindringlinge ziemlich früh bemerkt. Er hat sich gewehrt und er war gut dabei. Als er zu gut wurde, hat einer der drei Angreifer sein Schwert gezogen. Der ganze Kampf glich wieder so sehr einem ästhetische Tanz, dass es sogar schön war mit anzusehen, wie sie an den Wänden entlangliefen oder Salti vollführten.“ Ich räusperte mich, „Ich bin mir relativ sicher, dass sie ihn eigentlich lebend wollten. Chang hatte drei zu Boden geschickt, bevor er selbst zum ersten Mal fiel. Die verbliebenen zwei Angreifer waren ziemlich gute Kämpfer, doch das nutzte ihnen nicht viel. Chang war besser und so konnten sie ihn einfach nicht packen. Einer zog schließlich einen Taser und dann …“ Ich stockte kurz, „ging irgend etwas schief und Chang geriet desorientiert direkt in die Katana-Klinge.“ Ich schluckte nochmals schwer, „Nun wurde das Bild unschärfer, da Chang bereits tot war. Aber Psychometrie funktioniert auch bei leblosen Dingen, also konnte ich sehen, wie sich die Fünf angeschlagen zusammen gerauft haben. Sie haben den mit dem Schwert angebrüllt, wie das passieren konnte, weil sie ihn unbedingt lebend bringen sollten und dann hat sich der eine den Toten angesehen und angefangen zu lachen und konnte sich gar nicht beruhigen. Schließlich meinte er, es sei alles in Ordnung, die ganze Spur müsse falsch gewesen sein. Der Typ sei viel zu jung und niemals Lin Yao Chang. Dann haben sie Chang den Kopf abgetrennt, um einen Beweis zu haben und sind weg.“ 

Innerlich seufzte ich schweren Herzens.

‹Kopf hoch, Elfenmädchen.›, tröstete Katze, ‹Ich weiß, dass es sich jetzt unglaublich schwer anfühlt. Aber das schlechte Gefühl wird vergehen. So ist es immer.›

‹Ich weiß, Katze.›, erwiderte ich.

Wir hörten uns noch ein bisschen in der Nachbarschaft um und bekamen bestätigt, dass es in der Nacht zu heute, ungefähr um 3 Uhr, im 2 Stock Tumult gegeben hatte. Natürlich war niemand gegangen, um nachzusehen.

Einige andere wussten, dass in den letzten 3 Tagen ortsfremde im Bezirk gewesen waren und nach jemandem gesucht hatten. Niemand bestätigte, dass sie jemanden wie Chang gesucht hatten und niemand wollte sich an die Fragenden erinnern. Die meisten wussten nicht einmal, wer in 218 wohnte. Immerhin lebte Chang erst seit ein paar Wochen hier. 

Letztendlich fanden wir eine ältere Dame in einem Nudelshop, die freundlich erklärte, sie habe erst gestern jemandem gesagt, dass sie glaube, der bescheidene junge Mann wohne da drüben - und dann fragte sie, ob er denn jetzt seinen Lotteriegewinn ausbezahlt bekommen habe.

Alles fügte sich zu einer traurigen Geschichte zusammen.

Mystique würde sich um ein Cleaner Team kümmern. 

Chang hatte nicht viel besessen, was sich aufzubewahren lohnte. Das erst kürzlich in Hong Kong erworbene Teeservice würde sich in der Küche des Bootshauses gut machen und uns gelegentlich an ihn erinnern, wenn wir darin etwas von dem exquisiten Tee tranken, den ich ebenfalls aus dem Appartement mitgenommen hatte. Chang hätte nicht gewollt, dass der Tee einfach im Müll landete. 

Dann war da noch das angebrannte Buch mit den chinesischen Weisheiten, dass der kopflose Leichnam in einer Tasche um die Hüfte gebunden gehabt hatte. 

Ich strich über den abgegriffenen, angekokelten Einband. „Ich werde an der Geschichte dranbleiben, Chang.“, versprach in leise flüsternd. „Ich kann nun zwar nicht mehr erfahren, was auch Chang werden wird, aber ich werde irgendwann erfahren, wer du warst, bevor du Chang geworden bist.“ 

Wir fuhren ins Bootshaus. Von dort rief ich Bloody Guts an und bat ihn über Satellit einen sicheren Matrix-Konferenzraum zu mieten und alle von UC darin einzuladen. 

Nur eine halbe Stunde später erzählte ich in einem Schall-isolierten Raum in der Matrix dem Team, was geschehen war. 

Auch solche Aufgaben gehörten nun mal dazu.

Es gab keinen Grund, jetzt irgendetwas an unseren Plänen für die nächsten Wochen zu ändern. Die UC’ler, die in Seattle verblieben, würden sehen, ob es weitere Informationen um das Geschehen zu finden gab.

❄❄❄ BOSTON ❄❄❄

[Song 4: Avril Lavigne - Wish You Were Here] So waren Shark Finn, Moxi und ich also erst am Samstag dem 25.11. 2073 in Boston gelandet. Wir nahmen ein Automaten-Taxi und fuhren Richtung Wohnanlage.

Moxi sah ziemlich beladen aus, wie sie ihr und einen Teil meines Gepäcks trug und hinter sich her zog. Auf den Flughäfen hatten wir ja noch Gepäckdrohnen gehabt. Natürlich meisterte sie die Aufgabe auch in ihren High Heels problemlos. Finn hatte ihr wieder etwas abnehmen wollen, nachdem Moxi sich Stück um Stück aufgeladen hatte. Doch sie meinte nur, „Nein, lass mal. Ich nehme so viel gut geht. Du brauchst im Ernstfall die Hände frei.“ 

Shark Finn hatte genickt und ich hatte in seinen Augen ablesen können, dass Moxi ihn mit dieser Aussage von sich überzeugt hatte.

Es war schon ein kleines bisschen merkwürdig in dem kleinen Studenten- Appartement mit einer Entourage einzuziehen. Merkwürdig, aber auch schön. 

Softpaw hielt sich nicht lange mit Warten auf, als ich ihr die Tür ihres Transportkorbes öffnete. Ein kurzes Anschmiegen, ein wenig in der Küchenzeile herumschnüffeln und dann stand sie auch schon mauzend vor dem Fenster und wollte hinaus. Das Mauzen machte sie übrigens nur der Form halber, denn eigentlich war sie auch ganz hervorragend dazu in der Lage, den Hebel selbst herunter zu drücken und das Fenster aufzuziehen, da sie über eine gewisses Mass an telekinetischer Magie verfügte.

Henry werkelte bereits wieder in der Küche und servierte uns, kaum dass wir angekommen waren, Kaffee, frischen Streuselkuchen und Sandwiches. 

„Wie kommt man dann an so einen Hausgeist?“, fragte Moxi neugierig, „Davon habe ich ja noch nie gehört.“

Ich lächelte fein, „Ehrlich gesagt weiß es nicht. Ich denke, Henry ist auch ziemlich einzigartig. Ich genieße es, so lange er bei mir bleibt.“

Henry schwebte durchs Bild als hätte er das nicht gehört und stellte zufrieden lächelnd die Schale mit Schlagsahne direkt vor mir auf den Tresen. 

Ich grinste und tat mit etwas auf den Kuchen. 

„Naja,“ meinte Moxi amüsiert und strich sich über ihren eigentlich nicht vorhandenen Bauch, „wenn ich das so sehe, dann ist es wahrscheinlich doch besser, ich hab so jemanden nicht.“ Sie zwinkerte mir neckisch zu, „Denn im Gegensatz zu dir muss ich ne Menge dafür tun in Form zu bleiben. Obwohl Dietware7 wirklich eine der besten Erfindungen der Metamenschheit ist.“

Ich grinste sie an, „Na das mit dem in Form bleiben gelingt dir ausgesprochen gut.“, meinte ich und ließ meinen Blick über ihren wohlgeformten Körper schweifen, „Und es ist auch nicht so, als wenn ich nichts dafür tun würde. Ich mache jeden Morgen etwas Sport, gehe wenn es die Zeit erlaubt, drei Mal in der Woche mit Shark Finn schwimmen und hier in Boston geh ich mehrmals, meistens am Abend, zum Fechttraining.“, erklärte ich. Obwohl Moxi nicht ganz unrecht mit ihrer Vermutung hatte, dass ich eigentlich ausgesprochen wenig bis gar nichts tun musste, um schlank zu bleiben. Ich nahm schwer zu und baute damit einhergehend schwer Muskelmasse auf. Auch ich machte den Sport, um körperlich fit zu bleiben und richtig stark würde ich in dieser Gestalt wahrscheinlich niemals sein. 

‹Etwas, was dir auch überhaupt nicht fehlt, Elfenmädchen.›, betonte Katze.

„Mehrmals an den Abenden Fechten?“ , fragte Moxi nach. „Soll ich da feste Termin eintragen?“ Sie rief meine Kalenderdatei auf.

Ich schüttelte den Kopf, „Noch nicht. Es handelt sich um Fechtunterricht bei meinem Lehrer Tango. Der ist allerdings ziemlich flexibel, was Zeiten angeht.“ Ich schob ihr Tangos Nummer rüber, „Bevor wir mit ihm Termine für die nächste Woche vereinbaren, möchte ich allerdings erstmal bei Ehran anrufen, um zu sehen, wann er für mich Zeit hat.“

Während ich Ehrans Nummer wählte und Shark Finn sein zweites Spezial-Sandwich aß, ging Moxi schon mal meinen virtuellen Haus-Briefkasten durch und sortierte Party-Flyer, Bekanntmachungen Campus-News und Nachrichten meiner Kommilitonen von denen sich während der mehrwöchigen Abwesenheit so einiges angesammelt hatte.

Ehran schlug vor, dass ich doch gleich heute zum Abendessen vorbei kommen sollte. Etwas, was ich gerne annahm. 

Moxi und ich gingen dann gemeinsam die Uni-Termine und die Dinge durch, die die Sichtung des virtuellen Briefkasten ergeben hatten.

Moxi erklärte, dass sie mir zunächst noch ein paar Ereignisse oder Nachrichten mehr vorstellte, da sie noch nicht so wusste, woran ich interessiert war und woran nicht. Aber nach und nach würde sie mich gut genug kennen, um mich nicht mehr mit unwichtigen Dingen belasten zu müssen. 

A pro pos belasten. Gleich in der nächsten Woche standen drei Prüfungen an. Schon allein darum war es gut, dass ich nach Boston gekommen war. Ferner musste ich innerhalb von drei Wochen zwei Kunstprojekte abgeben, von denen ich mit einem noch nicht einmal begonnen hatte. Es war viel zu tun, aber nichts, was nicht zu schaffen sein würde. Ich war klug und begabt genug, dies alles auf die Reihe zu bekommen und dank meiner Assistentin würde ich dennoch etwas Zeit für Freizeit übrig behalten. 

Shark Finn meinte, „Wenn du vor heut Abend nirgends mehr hin willst, dann mach ich mich bald vom Acker und hol dich um 18.00 Uhr wieder hier ab.“

Ich streckte mich, „Ja, gut mach das.“ Dann sah ich zu Moxi. „Wo willst du denn unterkommen? Ich hab ein Luftmatratzen-Bett im Schrank, das könnten wir dir aufpumpen und für dein Gepäck finden wir bestimmt auch noch Platz.“

Moxi winkte ab, „Nee, ich komm schon irgendwo unter.“ Dann sah sie zu Shark Finn, „Wo wohnst du denn?“

„Ich hab hier in der Nähe eine Wohnung.“, erklärte er neutral.

Moxis Blick wurde weicher, ihre Stimme schmeichelnder, „Da könnte ich doch bei dir wohnen. Was meinst du?“

Er überlegte kurz und nickte dann, „Ja, das gibt die Wohnung her. Kannst mitkommen.“

Ich war eine Spur überrascht, aber umso mehr erfreut. Erstens war hier in der Wohnung neben mir, dem Cello und all meinem Kunst- und Unikram zu wenig Platz für einen Dauergast mit dem ich nicht das Bett teilen wollte und zweitens würden meine P.A. und mein Bodyguard zukünftig viel Zeit miteinander verbringen. Da war es toll, wenn sie sich gut verstanden.

Die beiden verabschiedeten sich, würden aber bereits um 17.00 Uhr wieder zurück sein, damit Moxi mir beim Styling helfen konnte.

❄❄

Zum Abendessen bei Ehran konnte ich zwar nicht gerade im Ballkleid erscheinen, aber zumindest konnte ich mich ein wenig mehr herausputzen.

Da es im November in Boston bereits empfindlich kalt war, derzeit aber kein Schnee lag, hatte ich mich für mein neues Victorian-Age Ensemble in Elfenbein von Zöe entschieden. Das Wollkleid war raffiniert geschnitten. Es hatte einen runden Halsausschnitt, freie Schultern und lange Puffärmel, einen zwei-Lagen Rock, wobei der kürzere Rock ebenfalls gepufft war, Schmuck-Applikationen, Stickereien und weitere Details, die das Kleid zu etwas ganz besonderem machten [LINK]. Ein geknöppeltes Schmuckhalsband gehörte gleich mit zum Kleid und davon war jedes Stück eine Einzelanfertigung. Zwei Frauen mit diesem Kleid, würden also ein unterschiedliches Halsband bekommen. Zarte Wollstrümpfe im Vintage-Stil, eine große Tote-Bag, 11 cm Pumps und fingerlose Strick-Armstulpen, alles ebenfalls elfenbeinfarben, ergaben zusammen mit dem Kleid ein wundervolles Outfit. 

Moxi lackierte mir die Nägel in einem zarten Türkis-Blau, bis auf die beiden Ringfinger, die eine zartrosa Farbe bekamen. Dann klebte Moxi noch winzige Strasssteine auf die Nägel. Die Farben der Nägel fanden sich am Auge als Lidschatten wieder, dennoch wirkte das gesamte MakeUp am Ende zart und dezent und es unterstrich meine Perlmutt-weiße Haut.

Mein Haar frisierte Moxi so, dass es durch seitliche Strähnen aus dem Gesicht gehalten wurde und sich zugleich in seiner vollen länge präsentierte. Ein paar Strähnen bearbeitete Moxi mit dem Evo Hairdresser Lockenstab zu Korkenzieherlocken.

Ein Wide-Bowler-Hat und ein Capemantel aus schwerem Stoff, beide natürlich auch in Elfenbein, würden dafür sorgen, dass ich auch außerhalb eines Hauses perfekt und passend gekleidet sein würde und zu dem noch warm gehalten wurde.

Auf der Fahrt zu Ehrans Anwesen fühlte ich mich ziemlich luxuriös. Ein perfekter Moment, um eine Nachricht an Johnny zu schreiben:

Hallo Johnny. In genau einem Monat steht ein Fest namens Weihnachten an. Vielleicht hast du schon davon gehört? ;-) Ich habe ein Weihnachtsgeschenk für Dich und würde es Dir gerne zukommen lassen. Teile mir dafür doch bitte eine passende Postadresse mit. Also eine, bei der das Geschenk Chancen hat, dass Du es Weihnachts-nah erhältst. :-) Zeitlich bin ich im Moment in Boston eingebunden. Solltest Du also innerhalb der nächsten vier Wochen zufällig in Boston sein, übergebe ich Dir das Geschenk gerne auch persönlich. Liebe Grüße Cat.

Ich schnippte die Nachricht in den Äther der Matrix und meinte an Moxi gewandt, „Ich habe gerade eine Nachricht verschickt und für den Empfänger die Rufumleitung an dich aktiviert und dir eine Notiz hinzugefügt, damit du weißt, worum es geht. Wenn ich bei Ehran bin, möchte ich nur ungern in einem Gespräch unterbrochen werden. Doch sollte es von dieser Seite eine Antwort geben, will ich auch gleich reagieren können und so kannst du das für mich tun.“

„Perfekt.“, meinte Moxi, „Ich sehe, du hast das Prinzip einer P.A. verstanden und nutzt es. Das freut mich wirklich.“ Nach einer Pause fügte sie überrascht hinzu, „Johnny Spinrad? Etwa der Johnny Spinrad?“

Man führte uns in die Bibliothek, nachdem mir ein Hausmädchen Mantel und Hut abgenommen hatte. Nur wenige Augenblicke später trat Ehran durch eine der beiden anderen Türen herein. Ja, so groß war das Haupthaus.

Ich erhob mich. Shark Finn und Moxi hatten sich gar nicht erst hingesetzt. 

„Snowcat.“, sagte Ehran strahlend, „Du siehst hinreißend aus.“ meinte er ehrlich und schenkte Moxi den Hauch eines zufriedenes Lächelns, nachdem er mich auf die Wange geküsst hatte. 

„Mrs. Blush, Mr Finn, ich hoffe sie hatten einen angenehmen Tag?“, erkundigte Ehran sich höflich und zollte damit meiner persönlichen Beziehung zu meinen Leuten Respekt.

„Ja, danke Sir.“, erwiderte Shark Finn.

Moxi fügte noch hin zu, „Dem kann ich mich nur anschließen und ich möchte mich auch noch mal für den tollen Job bedanken. Es macht sehr viel Spaß für Snowcat zu arbeiten.“

„Das freut mich zu hören.“, antwortete Ehran wieder ehrlich lächelnd, so weit ich das sagen konnte. Es fiel mir immer noch schwer ihn zu lesen, aber ich wurde besser darin. Dann sah mein Mentor wieder zu Shark Finn, „Mr. Finn, sie kennen sich mittlerweile ja hier aus und können Mrs. Blush alles zeigen.“

Der Fomori nickte, „Ja, mach ich gern.“ Dann verließen die Beiden die Bibliothek. 

„Ist das ein Kleid aus der Modern Victorian Line von Zoë?“ fragte Ehran charmant, deutete auf einen Sesseln nahe des Kamins und wartete, bis ich mich gesetzt hatte. 

Vor knapp zwei Jahren hätte er mich an dieser Stelle zuvor gefragt, ob ich etwas trinken möchte. Doch inzwischen war ich hier schon so sehr zu Hause, dass ich mir selber etwas aus der kleinen Bar nehmen konnte, würde ich etwas trinken wollen. Seit einigen Monaten fand sich in dem kleinen, vertäfeltem Kühlschrank auch immer die eine oder andere Dose NukeIT Limette-Himbeer, die ich so gerne trank. Die Verbindung zwischen Ehran und mir war mit der Zeit immer persönlicher und intensiver geworden.

„Ja, genau so ist es. Das hast du wieder einmal perfekt erkannt. Ich finde die ganze Reihe ist Zoë ziemlich gelungen. Sie haben ja schon mit der exklusiven Heritage Line viel Erfolg, da lag eine von historischen Vorlagen inspirierte und abgeschwächt umgesetzte Linie nahe. Dieses Kleid hatte es mir jedenfalls besonders angetan und ich hatte gehofft, dass es dir gefällt.“

Ehran lächelte, „Das tut es in der Tat und besonders an dir. Ich nehme an der Designer wäre höchst erfreut, könnte er das Kleid an dir sehen.“

Katze begann zufrieden zu schnurren. 

Doch schon bald verließen wir das Thema Mode und widmeten uns einem viel spannenderen Feld, der Magie.

Wir waren schnell so vertieft darin, dass uns die Ankündigung überraschte, dass das Abendessen serviert sei. Zum Glück gab es außer mir und Ehran keine weiteren Gäste und so mussten wir das Thema bei Tisch nicht wechseln.

Schon bald war klar, dass der eine Abend nicht reichen würde, um alles zu berichten und zu besprechen. Daraufhin lud Ehran mich ein, doch gleich die ganze Zeit über hier zu wohnen. Etwas, was ich nur all zu gern annahm.

Meine Sachen holen musste ich auch gar nicht erst, denn das würden Shark Finn und Moxi für mich tun.

[Song 5: Sarah Blasko - I Awake] Gleich am ersten Abend saß ich noch bis weit nach Mitternacht mit Ehran in der Bibliothek zusammen. Ich berichtete über meine Fortschritte im Beschwören und Zaubern, aber auch von den außergewöhnlichen Dingen, die ich in den letzten Wochen zu sehen bekommen hatte. Es war schön zu merken, dass Ehran gefiel, was ich ihm erzählte und es war zu spüren, dass er zumindest mit meinen Leistungen zufrieden war.

Das Feuer im Kamin reichte uns als Lichtquelle völlig. Der Himmel draußen war sternenklar, wahrscheinlich würde es Nachtfrost geben.

Vor dem Zubettgehen meinte ich, „Wenn du Zeit hast, würde ich gerne so bald wie möglich die Metamagische Fähigkeit der Zentrierung erlernen. Ich denke, ich bin bereit, mich ein weiteres Mal initiieren zu können und so viel wie ich jetzt mit dem Entzug zu tun habe, wäre das meiner Meinung eine sehr gute Wahl.“

Ehran nickte, „Das ist eine gute Wahl. Ich werde mir gerne die Zeit dafür frei räumen. Jedenfalls wenn du nicht gleich übermorgen wieder abreist.“

„Vielen Dank Meister, dass ist sehr großzügig von Euch. Ich habe die Absicht zumindest bis Weihnachten hier in Boston zu bleiben.“, bestätigte ich.

Ehran schmunzelte, „Das freut mich zu hören, zumal es für deinen Maßstab eine lange Zeit ist.“

Ich grinste, „Eigentlich empfinde ich das nicht als lange Zeit. Aber ihr habt wie immer Recht, dass es sich so ergibt und ich stets nur einen Augenblick an einem Ort verweile. Die Welt dreht sich einfach so schnell und oft muss ich dem folgen.“

Ehrans Gesichtsausdruck wurde sanft, das Feuer aus dem Kamin ließ Schatten darüber hinweg tanzen. „Ich wollte dir keinen Vorwurf machen, mein liebes Lehrmädchen. Es ist das Vorrecht der Jugend unstet zu sein.“

Bei diesem Stickwort kam mir etwas in den Sinn. Ich legte den Kopf leicht schief und fühlte wie mein Haar an meinem Rücken einem Vorhang gleich zur Seite fiel, „Und wir lange ist es her, dass du dich dem Alter der Jugend entwachsen fühlst, Meister?“, fragte ich im leicht scherzenden Ton, aber mit viel Timbre in der Stimme.

„Ach, das ist schon ein ganzes Leben lang her.“, erwiderte er ohne zu zögern. Er blickte einen Moment lang ins Feuer und sah dann wieder zu mir, „Manchmal glaube ich sogar, dass ich schon alt geboren wurde.“

Ich lachte perlend und lange und vergass darüber, dass ich eigentlich versucht hatte etwas über Ehrans Alter heraus zu bekommen. 

Das würde jetzt also noch ein wenig länger warten müssen.

Am Sonntag Vormittag blendete sich eine Nachricht von Moxi via AR in mein Sichtfeld ein, ‚Ich hab Johnny Spinrad auf der Eins. Hast Du Zeit?’

‚Ja, habe ich.’, antwortet ich knapp.

‚Gut, dann stelle ich ihn durch.’ - Ich feierte innerlich ein kleines Freudenfest. Eine P.A. war einfach unglaublich cool.

Johnny fand, Weihnachtsgeschenke per Post zu erhalten, wären keine schöne Sache. «Wann hast du denn wieder Zeit?“, fragte er.

Die Enttäuschung war ihm anzusehen, als ich ihm eröffnete, für ein persönliches Treffen außerhalb von Boston frühestens im Januar oder gar Februar wieder Zeit zu haben und ihm dafür nicht mal einen genauen Termin nennen zu können. Doch wie es seine Art war, nahm er es mit Humor. Unter dem Versprechen, mich sofort bei ihm zu melden, wenn ich den Zeitraum kannte, verabredeten wir uns für Januar oder Februar zum Skifahren. Auf die Art wäre das mit den Geschenken doch viel schöner, meinte er und darin konnte ich ihm nur zustimmen.

❄❄

Ein Großteil der Zeit in Boston verging dann tatsächlich mit Lernen, Prüfrungen, Training, Malen und Initiation. Ich blieb fast die gesamte Zeit über bei Ehran wohnen, nur zum Malen und um Henry wieder zu sehen, kehrte ich in mein Appartement zurück und sei es nur, um eine seiner köstlichen heißen Schokoladen trinken zu können. 

Zeit für Dave und einige wenige von mir auserwählte Studienkollegen fand sich natürlich auch.

Die Wochenenden verbrachten Moxi und Shark Finn meist in Finns Wohnung, während sie während der Woche im Nebenhaus wohnten, wo auch Ehrans Personal ziemlich luxuriös untergebracht war.

Am 13.12.2073 gab es in den Nachrichten Bilder, die meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Man hatte den Großen Drachen Alamais am Himmel gesichtet, als er eine bisher nicht bekannte Feste in der Nähe oder sogar innerhalb von GeMiTo angesteuert hatte und das nicht allein. In seinem Gefolge hatten sich mehrere erwachsene Drachen befunden. Sie alle hatten keinen Hehl aus ihrer Anwesenheit gemacht.

An sich nichts Schlimmes, auch wenn solche Bilder nicht gerade die Regel waren, wurden Drachen nun auch mal am Himmel gesichtet und dabei aufgenommen. Offizielle Bilder hatte es nicht gegeben, da man in GeMiTo andere Probleme hatte, als Kamera-Drohnen am Himmel zu haben. 

Doch irgendetwas Beängstigendes hatten diese leicht verwackelten Amateuraufnahmen an sich. Ich konnte es nicht genau fassen. Vielleicht war es die Zahl der Drachen, vielleicht war es, wie sie flogen oder, dass sie es in einer Zeit machten, in der sich Unmut gegen Drachen verbreitete oder vielleicht war es das alles zusammen. 

Was ich aber wusste war, was mir zusätzlich Unmut bereitete. Nach GeMiTo hatten die Drachen-Telesma gehen sollen, die das Team von Alamais vor ein paar Wochen auf ihrer Taliskrämer-mordenden Tour gesammelten hatten. Da war etwas geplantes im Gange.

Und es gab da noch etwas, was ich mir gar nicht erklären konnte, der Anblick von Alamais löste ein Gefühl von Angst in mir aus.

‹Miss diesem Gefühl nicht allzu viel Bedeutung bei Elfenmädchen, wahrscheinlich ist er einfach nur kein netter Drache. Wir mögen nun mal nur nette Drachen.›

Ehran empfand diese Nachrichten ebenfalls als beunruhigend und als ich ihm erzählte, was wir über die Telesma und ihren Bestimmungsort GeMiTo heraus bekommen hatten, blickte er noch ernster drein, dann riet er, „Du solltest deinen Überlebensinstinkt über deine Neugierde siegen lassen und an diesem Ort keine Geheimnisse suchen.“

Eigentlich hatte ich auch nicht vor nach GeMiTo zu gehen, aber vor einem Auftrag wusste ich selten, wohin es ging. Natürlich würde ich den Rat meines Mentors nicht in den Wind schlagen, so viel stand fest.

❄❄

An 19.Dezember 2073 meldete Thunderstrike, dass sie in der Taklamakan-Wüste den Eingang zu einer vielversprechenden Höhle gefunden hatten, in der es mit einer hoher Wahrscheinlichkeit unsere gewünschten Edelsteine zu finden geben würde.

Das passte mir ganz vorzüglich, denn so konnten ich auch ihnen eine Weihnachtspause von gut 14 Tagen verordnen und zudem alle zu einer Team-Weihnachtsparty einladen. «Ganz hervorragend. Gute Arbeit. Dann macht euch doch auf den Weg nach Seattle, da sehen wir uns dann und mit dem Job geht es nächstes Jahr gemeinsam weiter.»

Der Nachricht von Thunderstrike folgte ein Gespräch mit Liam, da ich unter anderem mit ihm abklären wollte, ob ich für den 24.Dezember das Haunted Mug für eine Team-Weihnachtsfeier haben könnte.

«Kannst du, aber warum willst du denn eine Team-Feier machen, wenn du gar nicht da bist?»

Ich war verwundert, «Und warum bin ich doch gleich nicht da?»

«Na weil du da schon auf dem Weg zur Familienfeier bist. Spätestens am 23. um 6 Uhr früh geht’s los.»

Ich schmunzelte, «Das war mir entfallen. Ich bringe Harlequin trotzdem mit.», erklärte ich, obwohl Liam das zuvor natürlich mit keinem Wort erwähnt hatte. «Dann vielleicht für den 22.12.? Meinst du, ich kann da das Haunted Mug haben?»

«Klar. Besprich mit Mac einfach die Details.»

❄❄

Am 20.12. versande ich zwar ziemlich kurzfristig, aber dennoch formvollendet, Einladungen an alle Teammitglieder von UC sowie an Moxi und Tiernan, die derzeit ja auf besondere Art dazu gehörten. Tiernan würde vielleicht einmal Anwärter werden. Als Anwärter hätte er die Einladung in jedem Fall bekommen, denn solche Aktivitäten schweißten das Team zusammen. Ich lud alle für den 22.12. um 16.00 Uhr ins Haunted Mug und bat ausdrücklich ein Kommen irgendwie möglich zu machen.

Ich erhielt nur zwei Absagen. Einmal von TriXhot, die leider schon verreist war und des weiteren von Metge, der arbeiten musste.

Trixhot hätte sicher versucht, irgendwie zu kommen, aber ich wollte sie nicht aus dem Urlaub reißen. Die Ereignisse um den Streit zwischen Doc und ihrem Dad machten ihr wahrscheinlich immer noch zu schaffen, obwohl sie sich das nicht anmerken ließ und außerdem war ihr der Tod von Chang nahe gegangen. Sie brauchte etwas Zeit für sich, um sich unbekümmert auszutoben und die 100K hatten ihr einen Luxusurlaub ermöglicht, den sie nicht einfach früher abbrechen sollte. 

Metge, ich lächelte fein in mich hinein, da würde sich vielleicht noch etwas machen lassen. 

❄❄❄ SEATTLE ❄❄❄

Am 21.12. landeten Shark Finn, Moxi und ich in Seattle. 

Ich war ziemlich ausgelassen. Meine Prüfungen waren mehr als gut gelaufen, ich hatte mich erneut initiiert, Weihnachten stand vor der Tür - etwas was mich eigentlich nur zweitrangig interessierte - aber auf Weihnachten mit dem O’Niall-Clan freue ich mich und, last but not least, ich würde Harlequin bald wieder sehen. 

Endlich. 

Es war schon wieder 7 Wochen her, dass ich ihn hatte anfassen können. Ein Kribbel-Feuerwerk begann in mir zu tanzen, wenn ich nur daran dachte, ihn wieder anfassen zu können.

Doch bis dahin hatten wir ein straffes Programm, auf das ich mich ebenfalls freute. 

Wir trafen letzte Vorbereitungen für die Team-Weihnachtsfeier, statteten Jake, seinem Zoo und den Techno-Kids einen Weihnachtsbesuch ab und ließen jede Menge Geschenke da. Außerdem fuhren wir mein Patenkind Hope, Mersey und Paladin besuchen, wo ich auch Geschenke da ließ und Moxi zu Abwechslung mal im Auto wartete. 

Ohne Moxi und ihr Organisationstalent hätte ich es sicher schwerer gehabt, das alles auf die Reihe zu bekommen. 

Shark Finn hatte das Fahren übernommen und teilweise sprachen Moxi und ich gleichzeitig in unsere Commlinks, um noch irgend etwas auf den letzten Drücker zu besorgen oder zu bestellen. Wie schoben uns Bestätigungen hin und her und harkten nach und nach Punkte auf der Liste ab.

Am späten Nachmittag legten wir einen Zwischenstopp in der Klinik ein, in der Metge arbeitete. 

Am Empfang brauchte ich ein wenig Geduld und etwas Charme, um von der grimmigen Schwester den Namen des Chefs von Metge in Erfahrung zu bringen. Zum Glück kannte ich Metges offiziellen Namen von unserem ersten Besuch hier und musste diesen nicht noch bei Liam erfragen.

Ein paar schmeichelnde Worte, eine Schachtel Pralinen und 50 nu¥ später hatte ich einen Termin bei Metges Chef.

Das Ergebnis dieses Besuchs war enttäuschend und stimmte mich nachdenklich. 

Ich hatte den Chef gefragt, ob es nicht irgendwie möglich sei, dass Metge morgen Nachmittag oder Abend zumindest ein paar Stunden frei haben könne, um dann zu erfahren, dass das überhaupt kein Problem wäre, da sie derzeit gut besetzt seien und der Chefarzt notfalls sogar selbst für ihn übernehmen würde. Allerdings habe Metge erst kürzlich, eventuell sogar erst gestern, um diesen Doppeldienst gebeten und selbst getauscht. Der Chefarzt bot mir sogar an, Metge dennoch frei zu geben, doch das lehnte ich extrem charmant mit der Begründung ab, dass das dann doch alles ein Missverständnis sein müsse und er mich bitte nicht an Metge verraten solle. Etwas was der Chefarzt versprach.

Sicher, in so einer Klinik in Redmond lief das vielleicht alles nicht ganz so streng ab, wie in einer Klinik in Downtown. Deshalb hatte mich die Absage von Metge schon in die Richtung denken lassen, dass er selbst mit verantwortlich dafür wäre, schon wieder nicht an einer Freizeit-Team-Aktivität teilnehmen zu können. Doch bisher hatte ich an sein Pflichtgefühl und das mangelnde Verlangen an Geselligkeit als Begründung dafür in Betracht gezogen. Jetzt sah es nach Berechnung aus und das hinterließ einen faden Beigeschmack. Natürlich musste nicht jeder im Team mit jedem befreundet sein, auch wenn wir einander unser Leben anvertrauten. Doch eine gewisse Verbundenheit hielten wir bei UC nun mal für gut. Gemeinsame Feiern stärkten die Verbindung und wir waren eben ein paranoider Haufen, da konnte eine schwache Verbindung ein Problem werden. Gerade bei einem Arzt. 

Doch es lohnte nicht, sich weiter darüber Gedanken zu machen. Wenn Metge privat nicht zu uns passte, dann würde sich eben weiterhin privat niemand mit gesundheitlichen Dingen an ihn wenden, was er vielleicht auch so wollte. 

Was die Sicherheit anging, würden Doc und Mystique Metge einfach weiter im Auge behalten. 

Spätestens, wenn Metge mal einem von uns das Leben rettete, würde es sich bezahlt machen, dass wir uns einen Teamarzt leisteten. Das war völlig losgelöst von der Frage, wie oft er sich ansonsten einbrachte. 

Doch nun war wirklich genug mit all dem Wenn und Aber, verlangte ich von mir selbst. Es gab zu viele Erklärungsmöglichkeiten.

‹Dann führe ich einen weiteren Aspekt ins Feld, Elfenmädchen. Dieser Metge weiß davon, dass sowohl Blackstone als auch du Drakes sind. Daher kommt der fade Beigeschmack.›

‹Ich weiß Katze, ich weiß und das macht es überhaupt nicht besser.›

Natürlich ließ ich mir weder etwas anmerken, noch davon die Laune verderben. 

Da es uns am Nachmittag bei Jake so gefallen hatte, besuchten wir im Anschluss an das Krankenhaus den Fleisch- und Gemüsemarkt, kauften ein und fuhren dann zu Jake zum Grillen.

❄❄❄ HAUNTED MUG ❄❄❄

[Song 6: The Irish Rovers - Christmas in Killarney] Moxi, Shark Finn und ich trafen etwas vor 16.00 Uhr im Haunted Mug ein.

Der Pub war weihnachtlich geschmückt. Hier und da hingen Tannenzweige an den Wänden und es standen sogar rote Kerzen auf den Tischen. Auf einer Seite war ein beachtliches Buffet aufgebaut und im Durchgang zu den Erfrischungsräumen hing an der Decke ein Mistelzweig. 

Die Lautsprecher - nein, man konnte hier nicht einfach via AR andere Musik für sich auswählen - erfüllten das Haunted Mug mit Irish-Folk-Christmas-Songs. Ein kleiner Weihnachtsbaum stand in der Ecke bei der Garderobe. Dort lagerten wir meine Tasche mit den Geschenken.

Mac stand hinter der Bar und sah genau aus wie immer. Es gab keine weihnachtliche Veränderung. Ich bekam bei meinem Eintreten das Nicken mit dem leichten Lächeln. Für alle anderen gab es stets nur den stoischen Blick.

Arcade, Sparky und Bubbles waren bereits hier. Sie waren als Weihnachtselfen mitsamt Spitzhut, Ringelstrumpfhose, Kleidchen oder Latzhose in ihren jeweiligen Lieblingsfarben Orange, Grün und Pink verkleidet. Nicht mal die falschen spitzen Ohren fehlten. Via AR gab es um die Zwillinge herum Schneegestöber und Glöckchenklang, während es bei Bubbles Seifenblasen in Form von Christbaum-Kugeln waren. Die Mechanikerin hatte selbstverständlich auch eine kurze Latzhose und kein Kleid gewählt. In den Latz hatte sie ihre geliebte Seifenblasenmaschine verstaut. Heute verströmten die Blasen einen Weihnachtsduft nach Zimt, Äpfeln und Vanille.

Die Weihnachts-Zwillingselfen liefen auf mich zu, um mich stürmisch zu umarmen. Bubbles schlenderte grinsend hinterher. 

Ich hatte auch dieses Jahr wieder mein Weihnachtsfrau-Minikleid aus Samt in Smaragdgrün angezogen, dass ich seit zwei Jahren besaß. Wenn ich es trug, musste ich mich immer zusammenreißen, um nicht ständig an dem falschen, weißen Fellteilen zu spielen. Das Kleid war langärmlig, besaß einen runden Halsausschnitt und endete gut zehn Zentimeter über dem Knie. Die weißen 10-Zentimeter-High Heels mit den smaragdgrünen Blumen und dem grünen Bändern passten ganz hervorragend dazu und selbstverständlich fehlte die farblich passende Weihnachtsmütze nicht. 

Ich stelle Moxi vor. 

Als Sparky sie sah, ließ er über AR eine lange rote Zunge heraus rollen und bis auf den Boden fallen, vorauf hin ihm Arcade an den Ohren zog. Unisono riefen sie dann, „Hallooo Schwester.“ 

Sparkys Reaktion war mehr als verständlich, denn Moxi sah wieder unglaublich sexy aus. Auch sie war im Weihnachtsfrau-Kleid erschienen. Ihres war rot, zeigte einen tiefen Einblick auf ihr Dekolletee und es war noch mal gut 15 Zentimeter kürzer als meins. Dazu trug sie weiße Lack-Overknee-High-Heel-Boots, unter denen schwarze Strümpfe hervor lugten, die am spitzenbesetzten Ende rechts mit einer roten und links mit einer grünen Schleife verziert waren.

Während ich Bubbles umarmte, verbeugen sich Sparky und Arcade theatralisch vor Moxi und stoben dann davon um Weihnachtsschmuck zu holen, den sie Shark Finn an den Hörnern befestigten, nachdem sie Stühle neben ihn geschoben hatten und darauf geklettert waren. 

Obwohl Shark Finn einen edlen, schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine Weihnachtskrawatte in grün und rot trug, ließ er die Prozedur über sich ergehen und nahm den Schmuck auch nicht wieder ab.

Mit Tiernan war bereits ein weiteres Mitglied des O’Niall-Clan anwesend und auch an ihm hatten sich die Zwillinge schon zu schaffen gemacht. Zu dunkler Jeans und festen Schuhen trug er einen grün-orangenen Weihnachts-Pullover, den einfach nur sie ausgesucht haben konnten - und auf dem Kopf hatte man ihm ein Rentier-Geweih mit Glöckchen gesetzt.

Triple-S erschien pünktlich auf der Bildfläche. Er trat an der Türschwelle seine Zigarette aus und levitierte eine beeindruckend große Kiste in den Schankraum, die er nach kurzem Blick rechts neben der Garderobe, nahe des Weihnachtsbaumes abstellte. Seinen dunkeln Mantel hängte er an einen Haken. Darunter trug er einen von seinen offenbar zahlreich vorhandenen, schwarzen Anzügen und ein weißes Hemd. In die Brusttasche hatte der Magier statt eines Taschentuchs einen Tannenzweig gesteckt, an dem eine kleine rote und eine kleine goldene Kugel befestigt waren. Er kam mit dem für ihn typischen, lässig selbstbewussten Gang auf uns zu, den ich überaus anziehend fand. Eine Hand war in der Hosentasche und auch wenn sein Blick deutlich lange auf Moxi verweilte, begrüßte er mich doch zuerst.

Kurz darauf öffnete sich die Tür erneut und ein Dreiergespann betrat das Haunted Mug, welches man unmöglich übersehen konnte: Rubber Duck, Bloody Guts und Augenweide Gunner. 

Bloody Guts trug eine riesige Schüssel mit Eierpunsch und hatte zudem noch einen Rucksack aufgeschnallt. Er hob grinsend eine Hand zum Gruß uns stellte dann erstmal den Punsch auf dem Buffet und den Rucksack neben die Kiste von Triple S ab. Der Troll mit dem schiefen Gesicht hatte auch heute wieder sein durchweg schwarzes post-apokalyptisches Outfit angezogen. Allerdings hatte er sein übliches glatt-schwarzes Shirt durch ein Shirt ersetzt auf dem Sandy Claus aus Nightmare before Christmas zu sehen war und außerdem hatte er heute mal auf offene AR-Wunden und raus-hängende Gedärme verzichtet. Das alles blieb nicht die einzige Hommage an Weihnachten. Sein Mowhawk war von rot nach grün gefärbt, sein untoter Teddy hatte eine Weihnachtsmütze auf und über AR umtanzten ihn zahlreiche Weihnachtsfeatures. „Ho-Ho-Ho“, rief der Teddy, anstatt wie sonst zu kotzen. „Das ist übrigens koreanischer Eggnog.“, verkündete Bloody Guts fröhlich und deutete mit dem Kopf auf das Glasgefäß, „Die Betonung liegt auf koreanisch, also Vorsicht!“

„Was denn?“, protestierte Rubber Duck, „Da ist nix außergewöhnliches drin, der ist nur nach einem Familienrezept gemischt.“

„Eben!“, betonte der Troll grinsend. „Ich hab gesehen, was da alles drinne is.“

Da Bloody Guts noch mit Abstellen beschäftigt war, hatte ich Zeit vor ihm Gunner und Rubber Duck mit einem Wangenkuss und einer Umarmung zu begrüßen.

Gunner sah man Weihnachten nun gar nicht an. Was bei seinem guten Aussehen aber auch egal war. Er trug einen dunkeln Citymantel, den er im Vorbeigehen an einen Haken gehängt hatte und ein graues Hemd, welches weit offen Ausblicke auf seine formvollendete Brustmuskulatur verschaffte, dazu schwarze Jeans und feste, schwarze Desert-Schuhe, die entgegen ihres Namens überhaupt nichts mit einer Wüste zu tun hatten, sondern für den Winter gemacht worden waren. Ich kontrollierte Gunner schnell mit einen Blick. Nein, sein göttlicher Elfenkörper hatte mich nicht von irgendwelchen Weihnachts-Accessoires abgelenkt.

Rubber Duck hatte sich zur Feier des Tages in einen dunkelgrünen Anzug, ein rotes Hemd und eine zum Anzug farblich passenden grüne Krawatte geworfen. Natürlich hatte er sich eine neue  Frisur zugelegt. Die Seitenpartien waren im Schneeflocken-Muster ausrasiert, der Rest des Haares war ungefähr vier Zentimeter lang und am Oberkopf mit Gel aufgestellt. Die Spitzen waren eisgrau gefärbt und mit der Zeit wuchs und schwand der helle Bereich, sodass der Eindruck einstand, das Haar wäre unterschiedlich stark gefroren. Dieser Mensch stand nun mal auf ein gepflegtes Selbst und verschiedene Frisuren.

Selbstverständlich wurde auch Bloody Guts von mir mit einem Kuss auf die Wange begrüßt, auch wenn ich mich dafür auf die Zehenspitzen stellen musste.

[Song 7: The Irish Rovers - The Christmas Traveler] Auch ohne das leichte Poltern wäre der Auftritt von AveRage nicht zu übersehen gewesen, denn eine rot-grün-orange gestreifte Baggy-Pants und ein roter und ein grüner Springerstiefel lugten unter dem Mantel hervor und diese Farbenpracht zog die Blicke auf sich. Auch Average hängte den Mantel an die Garderobe und platzierte ein Tasche nahe des Weihnachtsbaums. Oben herum hatte Average sich für ein rotes Langarm-Shirt entschieden, welches weißes Zeichen über die Brust geschrieben hatte. Die Satzzeichen *<[:{) ergaben auf den zweiten Blick den auf die Seite gelegten Kopf eines Weihnachtsmannes. Das Shirt war weder zu klein, noch dreckig und dem Shirt fehlten jegliche AR-Applikationen. Average hatte sich also richtig in Schale geworfen, wie ich fand. Sonst war ich schon froh, wenn die Asche-Haut des beachtlichen Bauches des Menschen nicht ständig unter dem Shirt hervor lugte.

Blackstone erschien als nächster und er hatte wie Gunner auf jeglichen Schnickschnack verzichtet. Er hatte einen offenbar niegel-nagel neuen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd, eine rote Krawatte und blank geputzte Loafer’s an. Die blanken Schuhe bleiben einfach das Markenzeichen des schwarz-häutigen Zwergs. 

Da die Zwillinge weder ihn noch Gunner zu schmücken versuchten, würden die beiden auch so weihnachtslos bleiben.

Thunderstrike schenkte dem Weihnachtsthema mehr Aufmerksamkeit, als ich gedacht hätte, wie ich bei seinem Eintreten feststellte. Der Zwerg hatte ein rotes T-Shirt mit einem ‘Globe and Anker’ in Gelb, eine blaue Jeans und Hiking-Boots an und - Trommelwirbel - eine Weihnachtsmütze aufgesetzt und seinen Bart weiß gefärbt. Seine ‘High Aces’ Jacke landete auf der Garderobe, wo all unsere anderen Jacken und Mäntel bereits aufgereiht waren. Er nahm Mystique, die kurz hinter ihm gekommen war, den Mantel ab und warf ihn geschickt über einen Haken.

Mystique, die traditionell überhaupt kein Weihnachten feierte, war soweit ich das sagen konnte, als sie selbst erschienen. Sie war ein Elfe mit schwarzem, schulterlangem Haar und mediterranem Teint, die in eine weiche schwarze Hose, eine grüne Bluse, ein dunkles Sakko und Mary Jane’s mit höchstens vier Zentimeter Absatz gekleidet war. 

Ich hatte Doc schon länger nicht mehr in real life gesehen und musste erneut feststellen, wie attraktiv ich diesen menschlichen Mann fand. In dem dreiteiligen schwarzen Anzug mit Gehrock, der rot-goldene Weste, dem weißen Hemd, der roten Krawatte und dem breitkrempiger Cowboy-Hut sah er einfach umwerfend aus. Den schwarzen Mantel trug er weit offen und den kurzen Zigarillo behielt er lässig im Mundwinkel eingeklemmt, als er mit seiner Begleitung plaudernd das Haunted Mug betrat.

Sein Begleiter war ein Mensch, schlank, etwas über 1.80 m groß, in Mantel und schwarzen Nadelstreifenanzug gekleidet, mit Regenschirm und Bowler auf dem Kopf. 

Doc und dem Neuankömmling gehörte sofort die gesamte Aufmerksamkeit des Haunted Mug. Mit einer Ausnahme, Mac schenkte ihnen keine Beachtung, nur einen stoischen Blick. 

Die beiden Männer traten an die Garderobe, um weiter plaudernd abzulegen. Wobei es sich bei Doc nur um den Mantel handelte, während der Unbekannte Mantel, Bowler und Regenschirm an die Haken hängte. Beide legten noch etwas an den Weihnachtsbaum und kamen dann zu uns lose im Halbkreis gruppierten Runnern, in dessen Scheitelpunkt ich selbst stand.

Ohne den Mantel war nun zu sehen, dass auch der Fremde ein weißes Hemd trug. Die Krawatte in Anthrazit war im Windsor-Knoten gebunden und wies ein dezentes, dunkelgrauses Muster mit Weihnachtssymbolen auf. Am Revers steckte eine weiße Nelke. Der Mann war glatt rasiert, hatte dunkelbraunes Haar, besaß leicht wässrig blaue Augen und sein ovales Gesicht hatte etwas, was man wohl am Besten als aristokratischen Touch bezeichnete. 

Doc kam lächelnd auf mich zu, küsste mich auf die Wange und meinte, „Snowcat, du siehst wie immer bezaubernd aus.“ Dann zeigte er auf den Neuling und erklärte, „Das ist, frisch eingetroffen aus London, ich kenne ihn von diversen Besuchen dort, Mr. Jack. -  Mr.Jack, du ahnst es sicher schon, dass ist Snowcat.“

Mr.Jack legte seinen linken Arm auf den Rücken, verbeugte sich leicht und gab mir dann die Hand, „Guten Abend Snowcat. Ich bin sehr erfreut dich endlich kennen zu lernen. Doc hat weder übertrieben, noch wurde er dir mit seiner Beschreibung gerecht.“, erklärte er. 

‹Oh, mal wieder einer, der weiß wie es geht, Elfenmädchen.›, verkündete Katze zufrieden. 

Die Zwillinge hatten sie neben mich teleportiert, verdrehten die Augen und rümpften die Nasen. Sie begangen zu tuscheln. Ich konnte ‚komischer Name‘, ‚Schnösel‘, ‚Schleimer‘ und ‚Engländer‘ heraus hören.

Das Oxford-Englisch welches Mr. Jack sprach verstärkte den aristokratischen Eindruck.

Unbeeindruckt von dem Getuschel der Twins erwiderte ich, „Mr.Jack. Ich freue mich ebenfalls, dich kennen zu lernen.“ Ich blickte in die Runde. „Da wir nun vollzählig und noch nicht alle persönlich miteinander bekannt sind, werde ich reihum vorstellen.“, erklärte ich. Ich begann mit Bubbles und Moxi und fügte zum Namen noch wenige erklärenden Worte hinzu, wie ‚Spengstoffexpertin‘ oder meine ‚P.A.‘.

Kaum hatte ich angefangen, begannen SpArcade herumzulaufen und parallel vorzustellen. Während ich zum Beispiel Moxi vorstellte, standen sie vor Shark Finn und meinten, „Das ist Shark Finn, als Hai Experte für Finanzen und Fische.“

Ich vermochte mich mit meiner Stimme gegen sie durchzusetzen, nur als AveRage auch noch seinen Unsinn dazu gab und es zu viel des Guten wurde, kassierten die drei von mir einen mahnenden Blick und reduzierten darauf zumindest die Lautstärke. 

Als ich mit meiner Vorstellung fertig war, fügte ich charmant lächelnd hinzu, „Ein Großteil von dem, was Sparky, Arcade und AveRage gesagt haben, war nur Spaß. Also glaubt einfach nur das, was ich gesagt habe.“ 

Inzwischen hatte Mac Tassen geholt, sie mit dem Eierpunsch gefüllt, den Rubber Duck mitgebracht hatte und mit dem Verteilen begonnen.

Rubber Duck merkte auf, „Hätte ich fast vergessen, ich hab für AveRage ne Spezial-Mischung Eierpunsch ohne Alkohol mitgebracht.“ Er flitzte zum Buffet, nahm eine von zwei Glasflaschen, goss in eine Tasse ein und reichte sie AveRage. „Schmeckt ein bisschen wie Vanillesoße, ist aber irgendwie ganz lecker, finde ich.“, erklärte er.

AveRage war sichtlich erfreut, „Oh danke man, das ist nett von dir.“ Er schnupperte an dem Punsch. „Riecht schon mal gut.“

Ich wandte mich an Mr. Jack, „Womit du dann gleich einen besonderen Fakt über ein Teammitglied erfahren hast. Average verträgt keinen Alkohol, er ist allergisch dagegen. Wie du übrigens siehst, sind wie viele. Nur zwei von uns sind nicht da. TriXhot, eine Expertin im Umgang mit Pistolen - ähnlich und doch völlig anders als die Fähigkeiten von Doc - und Metge, der so etwas wie unser Teamarzt ist.“

Mr.Jack lächelte diskret, „Das klingt alles höchst interessant.“ 

Ich hob mein Glas, „Wenn alle versorgt sind, dann lasst und auf unser Wohl und einen schönen Abend trinken.“ Ich wartete bis alle ihr Glas erhoben hatten, „Also auf uns, auf alle die mal bei uns waren und auf die, die zukünftig mit uns rennen und trinken werden.“

Hach, was für ein schönes Gefühl, wie wir hier so standen und alle meiner Bitte Folge leisteten.

Cheers, Prost, Skol und Slánte erklang es aus unseren Kehlen.

Der Eierpunsch war lecker, nicht zu cremig, angenehm gewürzt und … hatte es in sich. Mir war sofort klar, was Bloody Guts mit koreanisch gemeint hatte. 

Wir setzen uns an den großen runden Tisch den Mac in die Mitte des Raumes gestellt hatte. Blackstone und Shark Finn verteilten große Gläser mit dunklem Bier an all die, denen der Eierpunsch zu süß war. 

„Wo ist Trixhot eigentlich?“, wollte Rubber Duck wissen.

„Sie ist verreist und da meine Einladung kurzfristig war, hätte sie Schwierigkeiten gehabt, es rechtzeitig zurück zu schaffen.“

Rubber Duck nickte eine Spur enttäuscht, „Geht klar, jeder kann Urlaub brauchen.“

„Besonders wenn grad Kohle da ist.“, bestätigte Bloody Gut, „Und was is' mit Metge?“

Ich zögerte, „Er hat abgesagt, weil er arbeiten muss.“

„Mist.“, meinte der hässliche unserer beiden Trolle im Team sofort, „Schon wieder, hat der überhaupt mal frei?“

Ich zögerte abermals und dann erklärte ich, „Er muss nicht immer, aber er will Dienst schieben, wenn wir nicht auf einem Run sind. Ich war mit Moxi gestern dort wo er arbeitet, um mit seinem Chef zu sprechen und der meinte, Metge hat getauscht, so dass er arbeiten muss.“

„Echt? Das ist ja komisch. Der kann uns wohl nicht leiden.“, stellte Bloody Guts fest, „Ist ja scheiße äh schade.“

Rubber Duck überlegte, „Schon das zweite Mal, dass er das große Event auslässt, vielleicht verrät der uns?“ 

Doc mischte sich ein, „Dafür gibt es keine Hinweise und wenn, dann würde er wohl versuchen, mehr über uns raus zu bekommen und erst Recht dabei sein. Doch ich stimme euch zu, gerade seinem Arzt sollte man vertrauen. Wenn er sich den gemeinsamen privaten Aktivitäten jedes Mal entzieht, ist er vielleicht doch nicht der Richtige für uns.“

AveRage blickte bedripst drein, die Story behagte ihm gar nicht, „Vielleicht ist er krank.“, mutmasste er. „Und er hat Angst vor Party.“

Ich hob skeptisch eine meiner zarten Augenbrauen, „Eine psychische Erkrankung bei einem Arzt und Psychologen. Na ich weiß nicht, ob dies mein Vertrauen in ihn stärken würde? Das glaube ich also nicht. Aber wir sollten der Absage auch nicht zu viel Bedeutung beimessen, vielleicht will er einfach nur ausgleichen, dass er öfter weg ist. “

Rubber Duck war nicht zufrieden, „Was ihn aber nicht daran hindern würde, mal ne Stunde vorbeizukommen. Ich werde den halbjährlichen Check dann doch nicht mehr bei ihm machen lassen. Nach dem Verlust der Kuh, ist es zu spät den Stall zu reparieren.“

Bloody Guts feixte, „Na aber wenn, dann ist die Kuh doch schon verloren, dann hat er deine Daten bereits verkauft.“

„Es ist nicht davon auszugehen, dass er etwas in der Art vorhat.“, erklärte Mystique. 

Gunner blickte ernst zu mir und meinte dann an alle gewandt, „Vielleicht trinken wir jetzt einfach noch einen Eierpunsch und wechseln das Thema.“

Ich nickte, „Slánte.“

Nach einer zweiten Runde Getränk erklärte ich das Buffet für eröffnet, sonst würde der Weihnachtsbraten noch kalt werden. Ich trat mit meinem Teller neben Mystique und flüsterte auf hebräisch. „Ich hab noch ein Geschenk für Metge dabei. Eine alte Ausgabe eines Buchs von der Genesung der Seele von Avicennas, zusammen mit einem Chip mit diversen Erläuterungen der Sachverhalte und inwieweit das Werk auch noch heute Bestand hat. Bist du so lieb und bringst mein Geschenk für Metge am 25. ungesehen bei ihm vorbei? Ich schreib noch eine Karte.“

Mystique grinste wölfisch und fragte nach, „Vor oder in die Wohnung?“

Ich überlegte kurz, „Vor ist besser, sonst ist er am Ende noch brüskiert oder fühlt sich bedroht.“

Mystique nickte, „Geht klar, mach ich gern.“

Ich kam gerade zu dem Zeitpunkt an meinen Platz zurück, an dem Mr. Jack mit seinem Teller ebenfalls zurück kam. Bevor er sich setzte, beugte er sich zu Average runter und meinte trocken, „Du hast dich im Dunkeln angezogen, das ist mir auch schon passiert.“

Ich grinste.

Average schüttete den Kopf, „Nee, nee, kannst du nicht wissen, aber ich bin absichtlich so angezogen. Ich find das richtig schick.“

Wir aßen, plauderten und tranken und schon war eine ganze Stunde um. 

Mr. Jack entschuldigte sich, trat an die Bar und fragte Mac, „Ist es wohl möglich einen Tee zu bekommen?“

Mac starrte Mr.Jack einen Moment an und sagte dann ruhig, „´Nen Earl Grey kannste haben.“

„Danke sehr gern.“ Mr.Jack sah zu uns, „möchte sonst noch jemand einen Fünf-UhrTee?“

Damit hatte Mr.Jack etwas gesagt, worüber sich die Zwillinge sofort lustig machten. Fünf-Uhr-Tee, Sechs-Uhr-Bier, Sieben-Uhr Sandwich.

Mr. Jack blieb ruhig, schmunzelte, bat um Milch zum Tee und eine zweite Tasse, da er natürlich eine Tasse heißes Wasser mit einem Teebeutel darin und keine Kanne bekommen hatte. Er schüttete Milch in die leere Tasse und goss erst dann den Tee dazu.

‹Siehst du das Elfenmädchen?›, fragte Katze, ‹Auch Engländer tun gar keine Milch in ihren Tee, um ihn zu verbessern. Sie verderben ihre nette Milch mit Tee.›

Ich lachte leise.

„Sag mal Average, wie geht es dir eigentlich? Hast du ich inzwischen erholt?“, fragte ich bei meinem dritten Glas Eierpunch. Ich musste aufpassen mich nicht zu betrinken, das Zeug war lecker und stark.

„Och naja, eigentlich schon.“, begann er, „Bis auf eine Sache. Immer wenn ich ne ganze Zeit in der Matrix war, bekomm ich Kopfschmerzen. So nach fünf bis sieben Stunden.“

„Hm?“, erwiderte ich nachdenklich. „Das ist nicht gut. Das in dem Berg ist ja jetzt doch schon eine Weile her. Allerdings sind Hirnschäden ja nun auch keine leichte Sache. Lass uns das bitte im Auge behalten. Wenn du damit nicht zu Metge gehen magst, kann ich ja mal mit Liam sprechen.“ Ich warf einen Seitenblick auf SpArcade, „Liam ist auch ein hervorragender Mediziner und hat eine Menge Erfahrung mit solch besonderen Gehirnen, wie dem deinen.“

Für jemanden wie mich mochten fünf bis sieben Stunden in der Matrix lang klingen, aber ich wusste nur zu gut, dass Hacker und ganz besonders Technomancer manchmal sogar Tage in der Matrix verbrachten. Das war ihre Welt und nicht ständig dort sein zu können, müsste für sie sein, als könne ich nach fünf bis sieben Stunden nicht mehr mein Leben führen und müsste stattdessen in eine kleine Kammer kriechen und mich erholen. Gehirne von Technomancern waren eben etwas ganz besonderes und wenn man Sparky und Arcade hier so kindlich rumtollen sah, glaubte man das sofort. Average selbst war für die Spässe der Zwillinge meistens zu haben und stieg immer wieder mit ein. Das überschwänglich kindliche fehlte ihm zwar meist, doch er dachte in Bahnen, denen ich gelegentlich nicht folgen konnte.

Jetzt gerade ließ Average sich die zweite Flasche alkoholfreien Punsch von Rubber Duck geben, goss sich eine Tasse ein und fragte den Neuen in der Runde: „Mr.Jack, sag mal, was ist denn das eigentlich für ein Name? Ist dir kein besserer eingefallen?“

Die Zwillinge waren sofort mit von der Partie. Sparky begann mit, „Genau, der ist…“

„ … ziemlich langweilig.“, beendete Arcade den Satz. 

Mr. Jack schmunzelte amüsiert, „Vielleicht passt er ja gerade deshalb zu mir. Ihr könnt gerne auch Jack zu mir sagen und das Mister weglassen.“

Average trank und lallte, „Ja, aaaber echt ma’. Warum aus’gerechnet Jack als Name? Nimm doch was anderes.“

Jetzt musste ich widersprechen, „Jack kann doch nicht einfach spontan seinen Namen ändern, nur weil ihn jemand für langweilig hält.“

„An ihren Namen sollst du sie erkennen.“, kam darauf von Bloody Guts und Triple S gleichzeitig.

Average goss sich eine weitere Tasse Spezial-Eggnog ein und grinste schief. 

Ich lächelte ihn an, „Du kannst doch gar nicht betrunken sein? Wieso lallst und schwankst du?“

Das Grinsen des beleibten Mannes, der in den letzten Monaten um einiges schlanker geworden war, wie ich gerade feststellte, wurde noch breiter. Er erklärte, „Das ist das sogenannte Passivtrinken. Wird immer unterschätzt, ist aber auch gefährlich.“

Ich lachte hörbar. 

SpArcade meinten derweil zu Mr. Jack, dass sein Name wirklich nicht sonderlich einfallsreich wäre.

Mr.Jack erwiderte, „Na, ihr könnt mir ja einen anderen Namen aussuchen, vielleicht nehme ich den Vorschlag.“

Zunächst waren die beiden begeistert und wollten schon mit dem Namensuchen loslegen. Aber dann sackten augenblicklich ihre Schultern zusammen und sie ließen die Köpfe hängen. „Nee, das ist ein doofes …“ „… Spiel. Wir denken uns …“ „… lieber ne Abkürzung oder so für dich aus.“ 

Mr.Jack sah mich fragend an, „Habe ich irgendetwas Falsches gesagt?“

Ich schüttelte in einer perfektionierten Geste den Kopf, „Nein. Ihnen ist nur eingefallen, dass sie so etwas Ähnliches schon einmal gespielt haben. Da hatten sie die Bedeutung der Buchstaben eines Namens in einem Spiel erraten wollen. Doch inzwischen haben wir diesen Kameraden verloren, die Erinnerung daran macht sie traurig.“ 

Mr.Jack sah wirklich bestürzt aus, „Oh, das tut mir leid.“

„Danke, doch so ist es nun einmal.“, meinte ich, „Wir leben in einer harten Welt und haben einen gefährlichen Beruf, da kommt so etwas viel öfter vor, als es einem lieb ist.“

Mr. Jack nickte bestätigend. „Ja leider. Man kann nicht mehr tun, als zu versuchen, seine Verluste niedrig zu halten.“ Er hob sein Glas mit dunklem Bier, „Lasst uns darauf trinken, dass unsere Verluste niedrig bleiben.“

Was wir natürlich gerne taten. Ich trank diesmal Wasser.

Ich hatte Jack eben genau beobachtet. Bei diesem Gespräch hatte es wirklich keinen Argwohn, keinen Spott oder etwas in der Art gegeben. Er würde ziemlich gut zu uns passen.

Nun lächelte ich, sprach ein wenig lauter und wandte mich an alle, „A pro pos Fragespiel. Wenn Jack hier ein Anwärter ist, dann müssen wir doch eigentlich auch eine Fragerunde mit ihm machen!“ 

Ja, das würde ein hervorragender Test im mehrfachen Sinn werden.

Die Zwillinge klatschten begeistert und auch andere stimmten zu oder nickten zumindest. Ich erklärte Mr.Jack, dass wir bei Anwärtern auf eine Mitgliedschaft von UC, die mit uns auf einen Proberun wollten, eine Art Speed-Dating durchführten, um denjenigen besser kennen zu lernen. Dann wies ich ihn darauf hin, dass wenn er antwortete, dies bitte ehrlich tun sollte, wir das aber nicht mit Hilfe von Magie überprüfen würden. „Du kannst auch sagen, dass du darauf nicht antworten möchtest, aber auch daraus werden wir unser Schlüsse ziehen.“, beendete ich die Erläuterungen.

Eigentlich würde ihm dafür jedes anwesende Mitglied von UC je drei Fragen stellen. Doch heute waren so viele UCler hier, da würde das ewig dauern. Darum entschied ich, dass ein Los-Pott die Fragesteller bestimmen sollte und nur 6 UCler Fragen stellen würden. Da ich weder Sparky, Arcade noch Average bei einem virtuellen Los-Pott traute, sorgte ich schnell für einen realen Retro-Pott aus dem gezogen wurde.

Das Losglück8 fiel auf Triple S, Average, Arcade, Sparky, Bloody Guts und mich.

Gunner, Finn und Bloody Guts bauten schnell eine Tischreihe für die Fragerunde auf. Immerhin sollte Jack ja einen Platz weiter rücken können

Ich rief Tiernan zu, „Das musst du dann auch noch machen, solltest du mal Anwärter bei uns werden wollen. Nur als Special-Guest blieb dir das erspart.“

Er grinste süß und meinte, „Da freu ich mich doch schon die ganze Zeit drauf.“

Ich lachte perlend, „Ich weiß! Das allein ist ein Grund, um bei uns Anwärter zu werden.“

Er nickte, „So ist es!“

[Song 8: ZZ-Top - Sharped Dressed Man] Wir Fragesteller setzten uns in Reihenfolge an den Tisch, die anderen hatten sich locker um uns herum verteilt. Alle wollten mitbekommen, was abging.

AveRage machte den Anfang. 

Mr.Jack nahm ihm gegenüber Platz, legte seine Unterarme auf dem Tisch ab und die Hände in einander. Seine Haltung war gerade und seine Krawatte saß tadellos. 

AveRage sah Mr. Jack an und fragte im neugierigen Ton, „Wieso heisst du Mr. Jack?“

Jack erwiderte leicht lächelnd „Ich mag den Namen und er fängt mit J an.“

Sparky lachte und rief dazwischen, „Der Name fängt mit M an.“

Arcade fiel in das Lachen mit ein, „Ja buchstabieren kann er schon mal nicht.“ 

Jetzt lachten alle, auch Mr.Jack.

Average fragte nun, „Welche Sprachen sprichst du?“

Ah, eine meiner Lieblingsfragen.

„Nur Englisch, aber das dafür sehr gut.“, lautete die selbstbewusste Antwort.


„Wie viel Geld hast Du?“, wollte Average überraschender Weise wissen. 

Jack seufzte ganz kurz, „Na jedenfalls nicht genug Geld.“

Nun war Sparky mit seinen Fragen an der Reihe. Der Anwärter rückte einen Platz weiter und stellte zuvor den Stuhl, auf dem er bis eben gesessen hatte, ordentlich zurück an den Tisch. 

Sparky grinste wie ein Honigkuchenpferd. Er starrte Mr. Jack dabei einige Sekunden an und fragte dann wie aus der Pistole geschossen, „Welches Wort fällt dir als erstes zu Snowcat ein?“

Die Antwort kam ebenso schnell, „Geil.“ Jack räusperte sich kurz, „Ich würde es höflicher formulieren, aber auf die Schnelle ist es mir nichts passendes eingefallen.“

Arcade meinte, „Na gucken kann er besser als buchstabieren.“ 

Wieder lachten wir. Jack schlug sich gut und er sammelte Beliebtheits-Punkte.

Sparkys nächste Frage lautete. „Und was trinkst du am liebsten M.J.?“

Ah, da war schon der neue Spitzname, 

„Tee mit Milch.“ 

Was dann keine Überraschung war. 

Sparky verdrehte die Augen, „Was magst du gar nicht?“ 

Nun musste Jack eine Weile überlegen und sagte dann, „Unehrlichkeit und Humorlosigkeit:“ 

AveRage brummte dazwischen, „Na wenn er nur das nicht mag, dann mag er wohl alles andere. Also auch abgehackte Gliedmaßen, gewürgt werden, Sex mit Tieren und Sex mit Kinder und …“

Moxi unterbrach AveRage, „Na du hast ja lustige Hobbys Süßer.“

Average winkte ab, „Nee ich nicht, aber er. Und was davon lustig ist, darüber kannst du mich ja mal erhellen.“ 

Moxis Stimmlage wurde wieder tiefer und verführerischer, „Später vielleicht, wenn du deine Flasche leer hast.“

„Nun aber wieder Konzentration.“, bat ich augenzwinkernd.

Unterdes war Mr.Jack erneut einen Stuhl weiter gerückt und hatte nun gegenüber von Arcade Platz genommen. Sie fragte, „Wie hieß dein erstes Haustier?“

Eine gefährliche Frage, wie ich fand. Auf die Antwort war ich gespannt.

Mr Jack erwiderte ohne zu Zögern, „Jennie, eine Maus.“

Seine Körpersprache nach hatte er sich das nicht ausgedacht. Ich warf einen Blick zu Doc und auch der war zufrieden. Alle Achtung. 

Arcade fragte diesmal; „Wie lautet der Mädchenname deiner Mutter?“

Nun musste ich lachen, denn sie erfragte die Antworten auf Sicherheitsabfragen einiger Konzerne.

Wieder zögerte Mr.Jack nicht, „Watson.“

Arcades dritte Frage hatte nichts mit dem System von davor zu tun, „Was ist so deine Lieblingsmusikrichtung?“

Jetzt überlegte Jack wieder einen Moment, bevor er sagte, „Da bin nicht festgelegt, am ehesten Punkrock.“ Er beugte sich leicht vor und plauderte, „Dazu kenn ich einen passenden Witz: Harvey , würdest du mich auch mit grauen Haaren lieben? - Ich hab dich doch auch mit roten, pinken, grünen und blauen Haaren geliebt. Warum sollte das jetzt anders sein?“ 

Arcade grinste kurz, einige lachten.

Moxi klatschte. Nicht wegen des Witzes, sondern weil Bubbles mit jeder aufgezählten Farbe ihre eigene Haarfarbe passend gewechselt hatte.

Triple S sah ernst drein und fragte ruhig, „Wer hat den von den Anwesenden den meisten Liebreiz?“

Die Frage überraschte Jack. Er zögerte und meinte dann, „Das kann ich nicht sagen.“

‹Jetzt hat er es doch noch verkackt, Elfenmädchen.›, kommentierte Katze trocken. ‹Und Triple S hatte ihm doch eine so schöne Vorlage gegeben.›

Triple S hob eine Augenbraue, „Verstehe, du musst erst Probefahren!“

Mr. Jack ließ seinen Blick interessiert über die anwesenden Frauen schweifen, „Wenn das…“ 

Shark Finn blaffte, „Vergiss es gleich!“  

„An was glaubst du?“ wollte Triple S nun wissen.

„An meine Fähigkeiten.“, lautete die prompte Antwort. 

„Also keine Gottheit oder Philosophie.“, meinte Triple S mehr zu sich selbst und fügte dann im Anschluss seine dritte Frage an, „Eine Gruppe Randalierer kommt auf dich zu. Ein kleines Mädchen stellt sich ihnen in den Weg und sagt Vendetta. Das Mädchen wird niedergeschlagen. Was machst Du?“

Wie aus der Pistole geschossen antwortete Mr.Jack, „Wie viele Gegner?“ 

Triple S schien verwirrt und schüttelte leicht den Kopf, „Wie bitte?“

Mr.Jack winkte ab, „Vergiss es, das war ein Scherz.“ 

Ich lachte perlend und Mr.Jack sah für einen Augenblick zu mir rüber und nahm Augenkontakt auf. Dann wandte sich Jack wieder Triple S zu, „Das kommt ganz darauf an, auf welcher Seite das Mädchen steht.“

„Danke.“, meinte Triple S nun und Mr.Jack rutschte einen Platz weiter. 

Bloody Guts stellte seine erste Frage, kaum dass Jack saß, „Wirst du von Feinden verfolgt?“ 

Mr.Jack schüttelte den Kopf, „Ich glaube nicht.“ 

Bloody Guts behielt das scharfe Tempo bei. Eigentlich war es genau so vorgesehen. Je weniger jemand Zeit zum Nachdenken hatte, desto besser war es. „Wie steht du zu Trollen?“ 

Im neutralen Ton hieß es darauf, „Das sind ganz normale Metamenschen.“ 

Als letztes wollte Bloody Guts wissen, „Was ist deine Spezialität?“ 

Hier lautete die Antwort, „Waffenloser Kampf.“

„Wie passend.“, rief Rubber Duck, „Einen reinen Nahkämpfer haben wir grad nicht.“

Breit lächelnd nahm Jack nun mir gegenüber Platz und sah mich erwartungsvoll an.

Ich schmunzelte in mich hinein und hielt Augenkontakt mit ihm. „Hast du eine Lieblingsjahreszeit, Jack?“

Er schüttelte den Kopf, „Ich komme aus London, sagen wir es mal so, das Risiko für Hautkrebs ist da gering. Hier in Seattle soll es ähnlich sein.“

„Das habe ich auch gehört. Du könntest dennoch eine Lieblingsjahreszeit haben.“, harkte ich nach.

Er schüttelte den Kopf, „Nein hab ich nicht.“

 „Wie magst du deinen Kaffee?“

Jack stieß dezent etwas Luft aus, „Puh, also ehrlich gesagt, mag ich eigentlich keinen Kaffee. Wenn’s sein muss, dann ohne Milch und mit wenig Zucker.“ 

Sparky legte sich halb über den Tisch, um Jack näher zu kommen und fragte begleitet von zahlreichen Gesten, „Also nicht so erst mit Milch und dann drei mal rühren und so?“

Jack sah zu ihm, „Nein, bei Kaffee ist es mir egal.“

„Gerührt oder geschüttelt wäre an dieser Stelle die richtige Frage gewesen.“, bemerkte Doc beiläufig. 

„Gibt es einen Ort, von dem du gehört hast und zu dem du gerne einmal reisen möchtest?“, stellte ich meine letzte Frage.

Mr.Jack schüttelte abermals den Kopf, „Nichts bestimmtes. Ich möchte einfach viel von der Welt kennen lernen.“

Ich lächelte besonders charmant, „Siehst du, schon hast du es überstanden. War gar nicht so schlimm, oder?“, ich zwinkerte ihm mit einem langsamen Augenaufschlag zu.

Er lächelte, „Nein gar nicht.“

Ja, ich mochte Jack. Er war attraktiv, kleidete sich gut und verfügte über Humor. Meine Stimme würde er bekommen, denn daran, dass er etwas drauf hatte, bestanden keine Zweifel.

Wenn ich in die Runde blickte, zeugte die Körpersprache von allgemein offener Annahme des Neuen. Nicht einmal Blackstone hatte die Arme verschränkt.

Als Jack mir den Rücken zuwandte, nahm ich astral wahr und war auch mit dem was ich dort sah überaus zufrieden.

[Song 9: Bruce Springsteen - Santa Claus Is Comin’ to town.] Nachdem der Abend ein wenig voran geschritten war, erklärte ich dem Team was es mit den 12 auf Kartoffelsack getrimmten Taschen an der Wand auf sich hatte. Einige hatten sie für bloße Weihnachtsdekoration gehalten. Doch dem war nicht so.

Ich hatte vor mit dem Inhalt, den ich gestern erst mit Hilfe von Moxi und Shark Finn zusammen getragen hatte, ein Kinderheim in Puyallup zu beschenken. Kinderheim war dabei völlig geprahlt. Nicht total durch das harte Leben zerbrochene Metamenschen hatten ein Haus so gut es ging in Stand gesetzt und befestigt. Jetzt boten sie dort knapp drei Dutzend Kindern und Jugendlichen Schutz und Nahrung. Man überlebte gemeinsam. 

Für sie waren Essen, Süßigkeiten, Kleidung, Medkits, Hygieneartikel und Spielzeug bestimmt. 

Der Clou dabei war, die Dinge dort überhaupt hinzubringen. Der Weg war die erste Hürde. Keine große für uns als Team, aber eine Hürde. Und dann mussten wir noch zusehen, dass man uns nicht folgte, damit nicht jede Gang der Gegend mitbekam, dass es dort jetzt etwas zu holen gab. Wenn wir dann noch so leise wären, dass die Kids nichts von unserem Einbruch bemerkten, dann würden wir ihnen nicht nur die Geschenke bringen, sondern auch den Glauben, dass es so etwas wie Wunder gab. Dass erst übermorgen Weihnachten war, würde überhaupt keine Rolle spielen.

Mein Team war begeistert von dem Vorschlag. Die Hacker sprachen sofort davon, dort den  Matrixzugang zu verbessern und zudem Lernprogramme bereit zu stellen. Weitere Ideen, wie das Ganze mit weihnachtlichen Illusionen zu schmücken, wurden umgesetzt und nachdem ich klar gestellt hatte, dass Average nicht durch den Schornstein müsse, war er mit genauso viel Enthusiasmus dabei, wie alle anderen. 

Dass eine solche Aktion gut fürs Karma war, musste ich nicht einmal ins Feld führen.

❄❄

Zwei Stunden später kehrten wir ausgelassen ins Hauted Mug zurück. Das hatte gut getan. Wir waren uns einig, das nächstes Jahr wieder zu machen und uns dann alle als Ninja-Weihnachtselfen zu verkleiden.

Nachdem wir Santa gespielt hatten, war es an der Zeit für unsere Bescherung. Immerhin war ich nicht die einzige, die Geschenke mitgebracht hatte.

Blackstone machte den Anfang. Er stellte eine Holzkiste auf den großen Tisch und überreichte mir eine weiße Schachtel mit blauem Schleifenband. Da ich mein eigenes Geschenk hatte, überließ ich die Ehre das Teamgeschenk zu öffnen Bubbles. Sie musste sich erst ein wenig Respekt bei Sparky und Arcade verschaffen, damit die etwas Abstand hielten, aber dann hebelte sie den den Deckel der Kiste auf und begann in dem Verpackungsmaterial zu wühlen. Zum Vorschein kamen je 6 große Flaschen mit Fassbrause und 6 Flaschen mit Slyrs, einem bayrischen Whisky, aus eine kleinen Brennerei aus den AGS ans Licht.

Beim Anblick des Whiskys verzogen die Zwillinge angewidert das Gesicht und Mac hob hinter der Bar eine Augenbraue, doch dann besannen SpArcade sich und umarmten Blackstone, „Du hast zwar keinen guten Geschmack was Whisky angeht, aber daaankeeee und die Brause ist bestimmt lecker und MJ mag den Whisky vielleicht sogar.“

Blackstone schmunzelte. 

In meinem Karton fand sich eine hübsche, weiße, kleine Katze aus Porzellan, die einen schwarzen Dolch aufgemalt an der Hüfte trug und außerdem war da ein weiteres in buntes Papier verpacktes, rechteckiges Geschenk, mit der Aufschrift, ‚Harlekin‘. 

Rubber Duck erhob sich als nächster und überreichte SpArcade stellvertretend für das Team einen Umschlag, den die Twins heftig schüttelten.

„Das ist von uns Wüstenjungs, also von Thunderstrike, Tiernan, Bloody Guts, Gunner und mir, für uns alle.“, erklärte er. 

Wir mussten Sparky und Arcade erst ermahnen, doch dann öffneten sie dem Umschlag endlich. Darin befand sich ein nicht-datiertes Ticket für eine VIP-Loge bei einem Spiel in der kommenden Saison der Timber Wolfs, dem Combat Biker Team von Seattle. 

Rubber Duck griff erneut in die Tasche und zog einen weißen Karton mit goldenem Schleifenband daraus hervor. „Von mir für dich.“, sagte er an Moxi gewandt. 

Moxi war sichtlich entzückt und zelebrierte das Öffnen des Geschenks. Es handelte sich um ein Set stilvoller Dessous von Vashion Island aus der Provocateur-Line. 

Rubber Duck griente, „Ja ich geb’s zu. Das war jetzt nicht ganz uneigennützig von mir. Ich hoffe, dass ich das mal an dir sehen kann. Zumindest einen Teil davon, der unter einer Bluse durchscheint oder so.“ 

Moxi lächelte, „Danke. Ich denke, da lässt sich was machen.“, und dann stand sie auf und gab Rubber Duck einen sehenswerten Kuss auf den Mund.

Auch für Mystique hatte Rubber Duck ein Geschenk. Unter dem Papier fand sich eine Messanger-Bag aus weichem Leder, für die sich Mystique kussfrei bedankte.  

„Du hättest sie doch zu einer Ausstellung einladen sollen.“, kommentierte Bloody Guts.

Rubber Duck lächelte, „Nee, ich weiß doch noch gar nicht, was sie so mag.“ Er zwinkerte Mystique zu, „Aber vielleicht bekomme ich das ja noch raus.“ 

Für Bubbles gab es von Rubber Duck eine limitierte ‚Bust A Move' Figur aus der Hong Kong-Edition und für Arcade eine Action-Comic-Figur, die fernsteuer- und programmierbar war.

Selbstverständlich gab es auch für mich ein Geschenk in der Tasche. Es hätte mich doch auch sehr verwundert, wenn ich als einzige Frau in der Runde leer ausgegangen wäre. 

Meine linke Ohrspitze zuckte, als Rubber Duck mir das kleine entzückende Päckchen überreichte.

„Das ist auch wieder von uns Wüstenjungs. Wir haben zusammen gelegt.“

Ich machte vorsichtig das Papier ab und dann öffnete ich mit angehaltenem Atem die kleine, samtbezogene Schachtel mit einem Klick. 

Alle sahen mich erwartungsvoll an und ich enttäuschte sie nicht, als sich meine Augen weiteten und ich atemlos sagte, „Bei allen Drachen der sechsten Welt, sie sind wunderschön.“

Und das waren sie wirklich. Kleine kunstvolle Ohrstecker. Man hatte die Diamanten geschliffen und zu einer Blüte zusammen gefasst. [LINK] Ein Echtheitszertifikat-TAG sprach von .44 Karat. Sie waren mindestens 15.000 nu¥ wert. 

Ich präsentierte die Schachtel kurz meinen Kollegen, aber dann konnte ich nicht anders und musste sie mir sofort anlegen. Was für ein Glück, dass ich heute keinen Schmuck trug. Selbstverständlich bekamen alle Jungs eine herzliche Umarmung und einen zarten Kuss auf die Wange. Ich bedankte mich jetzt auf die gleiche Art, wie ich es zuvor bei Blackstone für die Katze getan hatte.

Doc’s Tasche war etwas kleiner, als die von Rubber Duck. Er holte zwei identische kleine Geschenke daraus hervor, die sich nur in kleinen Details im Muster des Geschenkpapiers unterschieden. Eines gab er Mystique und eines mir. 

Als ich meine Schachtel schließlich aufklappte, sah ich zunächst nur einen simplen Weißgoldring. Dieser Ring steckte nämlich kopfüber in einer Nährflüssigkeit, die die Blume, die den Ring offenbar zierte, nur undeutlich erkennen ließ. Ich war überrascht, als ich die hübsche bläulich-weiße Blüte heraus nahm, sie bewegte sich ganz leicht und beruhigte sich erst, als ich den Ring aufsteckte. 

Auch Mystique hatte einen ähnlichen Ring bekommen, nur war ihr Ring aus geschwärztem Metall und ihre Blume war dunkelblau. 

„Das sind Anemonen-Ringe.“, erklärte Doc. „Wenn ihr sie tragt und ein Glas nehmt und den Ring nah genug an die Flüssigkeit bringt, dann wird sie einen Tropfen davon trinken. Befindet sich Gift im Getränk, zieht sie sich völlig zusammen und ändert ihre Farbe. Ist das Gift zu stark, kann sie aber sterben. Und sie muss in der Nährflüssigkeit bleiben, wenn man den Ring nicht trägt, sonst verhungert sie. Außerdem freut sich sich, wenn das kleine Gefäß auch mal Luft und Licht zu sehen bekommt, das ist aber nicht notwendig.“

Wow, ich war völlig überrascht. Natürlich musste ich den Ring gleich ausprobieren. Ich steckte ihn auf und hielt den Ring an mein Wasserglas.

„Hast du Angst der Punsch bringt sie um?“, witzelte Gunner.

Ich grinste, „Sicher ist sicher. Ich wollte nicht riskieren die gute Stimmung durch den Tod einer Blüte zu verderben.“

Die Anemone sandte feine Tentakel aus und kostete damit von der Flüssigkeit. Als sie fertig war, stellte sie sich zu ihrer vollen Größe aus und wirkte erfrischt. 

Arcade und Sparky waren mir dicht auf die Pelle gerückt, um zu zu sehen und schwups setzte ihnen Doc je einen orangenen und einen grünen Stetson auf den Kopf. 

Praktischer Weise war Doc nun ebenfalls so nahe, dass ich kaum aufstehen musste, um ihn zum Dank zu umarmen und auf die Wange zu küssen. 

Mr.Jack holte eine große, längliche Einkaufstasche unter dem Baum hervor und überreichte daraus an jeden einen klassischen, schwarzen, Regenschirm mit integrierter Wetterstation. Offenbar war er von Doc gebrieft worden, denn er hatte zwei Troll- und zwei Zwergenschirme dabei. „Ich hoffe euch alle besser kennen zu lernen und dann nächstes Jahr passendere Geschenke für euch zu haben.“, sagte Jack.

Sehr charmant ausgedrückt, wie ich fand. Auch er bekam zum Dank Umarmung und Kuss. Inzwischen wechselten die Schirme von Sparky, Arcade, Bubbles und Average Muster und Farben wie wild. Sie hatten eine weitere Funktion des Schirms entdeckt und bald beschränkten sie sich nicht mehr auf ihre eigenen Schirme und wir verweilten ein paar Sekunden inmitten einer Farbexplosion.

Eine Klinge im Griff fand sich aber nicht, wie ich feststellte.

Blackstone sah auf seinen Schirm und hob skeptisch eine Augenbraue. Sein Schirm war Knallrot. „Könnt ihr den bitte wieder zurückstellen?“, fragte er die Twins.

Sie heuchelten Unschuld, „Wir haben nichts…“, „… damit zu tun. Alle…“, „… Schirme werden per Default …“, „ … nach dem Ausschalten…“ „… wieder Schwarz.“ Neugierig kamen sie zu  Blackstone gelaufen. Blackstone beteuerte selbst nur noch einmal an und wieder aus geschaltet zu haben. Die Zwillinge schafften es zwar, dass der Schirm wieder schwarz wurde, aber Blackstones Schirm konnte am Ende nur noch zwischen Schwarz, Rot und Grün wählen. Merkwürdig. Doch so lange Schwarz dabei war, war das nichts, was Blackstone ärgerte.

Bloody Guts hatte für seine Wüstenjungs Jacken aus der Aces High Line dabei. Jede dieser Fliegerjacken aus weichem Leder war nicht nur gepanzert, sondern auch einer speziellen Pilotenjacke nachempfunden. Die ‚Ace of Diamonds‘ hatte ein futuristisches Design, wie man es in Trid-Serien wie Spitfire zu sehen bekam und sie ging an Rubber Duck. Thunderstrike erhielt die ‚Ace of Spades‘ im Stil eines US Piloten aus dem zweiten Weltkrieg. ‚Ace of Clubs‘, die aussah wie die eines britischen Piloten aus der gleichen Zeit, war für Gunner bestimmt und für Tiernan hatte Bloody Guts die neue ‚Ace of Wands‘ dabei, eine Jacke mit besonders vielen Taschen. Für Bloody Guts selbst hing bereits die gewaltige Troll-Ausgabe der ‚Ace Of Hearts', designt nach einer modern Pilotenjacke, am Kleiderhaken. Als Bonbon ließ sich statt eines Logos am Rücken der Jacke, eine offene Rückenwunde darstellen. 

[Song 10: The Irish Rovers - The Good King Wenceslas] Für mich befand sich auch noch ein Geschenk in der Troll-Sporttasche. In der Schachtel lag ein schwarzes, breites Lederhalsband mit Spikes und leicht bläulichen Strasssteinen, welches ich ebenfalls gleich umlegte. Die Steine waren so angeordnet, dass sie das Wort Snowcat ergaben.

‹Deine Ohrspitze musste bereits drei mal zucken, Elfenmädchen. Die Männchen befinden sich auf einem guten Weg,›, bemerkte Katze beiläufig.

Bubbles und SpArcade hatten sich ebenfalls richtig viel Mühe gegeben und sich ins Zeug gelegt. Jeder von UC bekam eine angepasste leichte Pistole, die meiner geliebten Fubuki nachempfunden war. Die vier Läufe dienten als Magazine und so konnte man vier unterschiedlichen Arten von Munition laden. Die Waffen waren individuell lackiert. Meine war zum Beispiel weiß, mit zarten Kirschblumen am Griff, die von Blackstone war schwarz und glänzend, die von Thunderstrike hatte ein Tarnmuster und so weiter. Damit die Pistolen jedoch nicht zu auffällig waren, hatte die Drei sie mit Chamäleon-Lack überzogen, die Farbe lies sich also abschalten und andere Muster konnten geladen werden und sich mit passenden Kamerainformationen auf die Umgebung anpassen.

„Nicht wieder gleich kaputt machen.“, mahne Bubbles Blackstone. 

Praktischer Weise verfügten die Pistolen über Freund-Feind-Erkennung, wenn sie am TacNet angeschlossen waren und so würden auch UCler wieTriple S nicht aus Versehen einen von uns treffen können. Obendrauf gab es ein Tarnholster und Bubbles verteile an jeden zwei Läufe mit KE4 Munition, also Kapseln, die mit einem starken Insektengift gefüllt waren. Jemand der aus Chicago kam, setzte eben andere Prioritäten.

Nun bat ich Shark Finn mir meine Tasche zu holen.

Zunächst beschenkte ich die anwesenden Damen. Arcade, Bubbles, Mystique und Moxi erhielten jede ein personalisiertes SPA-Set mit Handtüchern, Seife, Maske, Tasche, Duschzeug und Sonnenlotion. Die Produkte passten zum Haut- und Haartyp der Lady, waren in ihrer Lieblingsfarbe gehalten, soweit ich sie kannte und mit einem symbolischen Monogramm versehen. Ein Gutschein für zwei Wellness-Tage im Seattle Mountain Ressort waren beigefügt. Immerhin sollte jede ja auch die Chance haben, die Produkte auszuprobieren. Ferner hatte ich von jeder der Frauen eine Comic-Version ihrer selbst gezeichnet und koloriert und diese Entwürfe dann zu ein paar befreundeten Matrix-Nerds vom MIT&T gebracht. Mit ihrer Hilfe hatte ich ein 3D-Model der Entwürfe erstellt, ein hole Figur mit einem Deckel designt und diese dann mit einem 3D-Drucker der Universität gedruckt. Das Ergebnis hatte ich mit einem Badezusatz gefüllt. So hatte nun jedes Mädchen eine ganz persönliche Badezusatz-Flasche.

Alle vier Frauen waren begeistert und einige Männer hatten Spaß daran, sich die Figuren ganz genau an zu sehen. Bubbles gab ihre allerdings nicht mehr aus der Hand.

Ich freute mich, dass dieses Geschenk so gut angekommen war und ich war nun ziemlich sicher, dass sich die anwesenden Jungs über ihr Geschenk genauso freuten. Ich überreichte jedem von ihnen eine Transportrolle für Poster, die sich äußerlich nur durch einen Namens-TAG unterschieden. In den Rollen fand sich genau, was man sich davon versprach, ein Poster. Und zwar ein Bild von mir im klassischen ‚Pin Up Girl‘ Stil von 1920-1940. Ich hielt mich in Farbwahl, Pose und Frisur an die Vorlagen. Die Kunst des 20. Jahrhunderts war im letzten Semester Thema in Kunstgeschichte gewesen und die Pin Up Girls, die als erotische Zeichnungen und Bilder von 1920-1970 angesagt gewesen waren, hatten mich dazu inspiriert. Was ich auf den Bildern anhatte, war knapp und sexy, doch die prekären Stellen waren stets anständig bedeckt. Ich hatte für jeden Mann ein individuelles Pin Up samt Hintergrund entworfen. 

Für Average war ich eine Köchin. Bei Blackstone eine Zigaretten-Verkäuferin mit Bauchladen in einem Varieté, allerdings fanden sich in dem Bauchladen neben Zigaretten und Zigarren diverse  Schweizer Taschenmesser. Bei Bloody Guts saß ich auf einem Combat Biker Bike vor post-apokalypstischem Hintergrund. Auf dem Poster für Doc war ich in einem Casino zu sehen. Für Gunner gab ich eine nordische Walküre in Eis und Schnee. Bei Rubber Duck räkelte sich mein Pin Up auf der Motorhaube eines modernen Autos. Für Shark Finn surfte ich auf Hawaii, bei Sparky war ich als Mechanikerin von Drohnen umgeben und bei Thunderstrike grüßte ich locker flockig militärisch in der adaptierten Uniform eines Marine. Für Triple S wurde das Pin Up zu Assistentin eines Zauberers und präsentierte Kaninchen und Zylinder und für Tiernan gab ich den Barkeeper und hinter mir brodelte es in einem Kupferkessel. Average, Sparky und Bloody Guts erhielten zudem den Scan ihres Posters auf Chip. Das Poster welches ich für Chang gemalt hatte und worauf ich in einem chinesisch Kleid bei einer Teezeremonie zu sehen war, würde ich im Bootshaus an die Wand hängen. 

Einzig für Metge hatte ich kein Pin Up gemalt. Ich denke, er würde es nicht zu schätzen wissen.

Die Reaktionen auf die Bilder reichten von stummen Staunen bis zu diversen Wow’s. Sie waren beeindruckt. Alle.

‹Hmm, Elfenmädchen.›, bemerkte Katze schnippisch, ‹du hattest Recht, sie haben sich gefreut, doch ich denke immer noch, dass das zu viel Aufwand für einige von ihnen war.›

Ich lachte zufrieden, ‹Ach was, Katze. Ich hatte meinen Spaß beim Malen und ich bin sicher, sie werden sich so noch besser an mich erinnern.›

Triple S rollte sein Poster vorsichtig zusammen und meinte, „Dabei kann ich natürlich nicht mithalten. Aber ich hab auch was.“ 

Er levitierte die große Kiste auf den Tisch, auf deren Inhalt ich schon den gesamten Abend gespannt war und hob den Deckel. Darin schlummerten viele kleine Blumentöpfe. Je einer für jeden von uns. Die Blätter waren dunkelgrün und die geschlossenen Blüten in Dunkelblau sahen aus wie winzige Maultaschen.

„Das sind Minivarianten der Devils Breath Pflanze. Eine Pflegeanleitung liegt bei. Sie sind selten und sie schützen an ein Fenster gestellt euer Heim mit ihrem starken Sedativum. Aber kommt ihr selbst nicht zu nahe, denn sie sind carnivore.“ , erklärte unser Mage for hire.

Der Magier levitierte ein weiteres Geschenk auf den Tisch. Es war ziemlich groß und schien sich um einen weiteren Blumentopf zu handeln.  Als wir das Papier entfernt hatten, kam ein Metallbaum mit Blätter aus Gold und Silber zum Vorschein. „Etwas Dekoratives fürs Clubhaus.“, erklärte er und fügte zwinkernd hinzu, „Vielleicht wächst er ja noch.“ 

AveRage wartete einen Moment und als dann niemand mehr etwas hervor holte, sprang er auf und erklärte, „Ich hab ja auch noch was.“ Er ging Richtung Garderobe und kam mit einer Tuch-Rolle zurück, die er dann kurzerhand auf dem Boden ausrollte. Via AR schaltete er den Teppich ein, woraufhin ein 3-dimensionales Schachspiel erschien. „Nun muss sich mal einer als Spieler anmelden.“, forderte er.

Was Sparky sofort tat. Kaum war er angemeldet, veränderten sich die weißen Schachfiguren. Die weiße Königin wurde zu einem Hologramm von mir, während der König nun Sparky war und auch die anderen weißen Figuren hatte die Gestalt von Teammitgliedern angenommen. 

Average hatte ein Schachspiel voll im UC-Design animiert. Er hatte Blackstones Idee aufgegriffen und erweitert. Wenn eine Figur eine andere schlug, führte sie Kampfbewegungen aus, die für den Runner typisch waren. - Wow! 

Wenn zwei Mitglieder gegeneinander spielten, wurden auch die schwarzen Figuren zu UClern, einige dieser Runner weilten inzwischen nicht mehr unter uns. Die schwarze Königin hatte dann das Aussehen von Velvet Touch.

Allein zuzusehen, wie sich die Figuren umdisponierten, wenn andere spielten, machte Spaß. Doch egal wer wo stand, mein Konterfei war immer das der weißen Königin.

„Wenn ich noch mehr Aufnahmen von jemandem hab, dann werden die Animationen noch besser. Also schickt mir ruhig was zu, wenn ihr dazu Daten habt.“, erklärte Average.

So reich beschenkt feierte es sich gleich noch mal so gut. Alle hatten sich gefreut. Nur Mr.Jack war völlig leer ausgegangen. Ich grinste ihn an, „Nächstes Jahr sieht das dann sicher anders aus. Du wirst dir bestimmt auch Geschenke verdienen.“

Auch als Mitternacht bereits vorbei war, hatte niemand von uns die Absicht schon zu gehen. Wir spielten Schach, Billard und Dart, aßen mehr, tranken noch mehr und tanzten sogar. 

Rubber Duck versuchte immer mal wieder eines der Mädels vor oder nach dem Gang zum WC unter dem Mistelzweig zu erwischen. Fairer Weise gab er uns aber immer Zeit ihn zu bemerken und auszuweichen. 

Ich kam gar nicht erst in Versuchung, denn Shark Finn achtete darauf, dass niemand im Durchgang stehen blieb, wenn ich dort lang wollte.

Stand da einer, streckte er einfach seinen Arm aus und schob ein bisschen. 

„Blöd nur, dass wie schon wieder einen verloren haben.“, meinte Bloody Guts irgendwann. 

Ich nickte, „Ja, das ist wieder mal dumm gelaufen. Lasst uns noch mal auf Chang anstoßen.“

Wir hoben unsere Gläser. „Auf Chang.“

Sparky und Arcade sahen Mr.Jack an, „Du willst der neue Nahkampf-Experte im Team sein? Aber du bist Engländer.“, erklärten sie unisono.

Mr.Jack wusste nicht ganz, was er mit der Aussage anfangen sollte. 

Sparky zuckte mit den Schultern, „Naja, als Engländer bleibst du vielleicht nicht lange - und wir haben wenigstens einen, der vorgehen kann.“

Ich lächelte fein, „Keine Sorge Jack, wir verlieren zwar mal wen, aber eigentlich nicht absichtlich.“

„Hey,“ meinte Arcade plötzlich, „Vielleicht hört das mit den Verlusten jetzt auf, weil wir genug gestraft sind, da wir einen Engländer dabei haben?“

Die Idee begeisterte auch Sparky und wie tranken erneut darauf, unsere Verluste niedrig zu halten. Ich warf noch mal einen Blick zu Jack. Unglaublich, er war ein völlig anderer Typ als Chang.

AveRage fragte, „Haben wir eigentlich eine DNA Probe von Changs Leiche zum Vergleich mit alten Daten?“ 

Ich schüttelte den Kopf, „Nein, haben wir nicht. Wieso?“

„Naja, vielleicht will man uns nur glauben machen, dass er tot ist und in Wirklichkeit hat man ihn entführt.“, mutmasste AveRage.

Ich überlegte einen Moment, „Hmm? Ich bin mir eigentlich sicher, dass er es war, der dort lag. Und ich kann mir keine Möglichkeit vorstellen, wie man Psychometrie austricksen kann, aber völlig ausschließen kann ich es natürlich nicht. Mein Gefühl sagt mir, dass Chang tot ist.“ Ich seufzte traurig, „Wir haben das Risiko unterschätzt. Ich habe nicht geahnt, dass ihm ausgerechnet seine Ähnlichkeit zu Lin Yao Chang zum Verhängnis werden könnte. Ich frage mich auch, wie ihn die Yakuza so schnell über uns in Seattle lokalisieren konnten. Aber vielleicht finden wir das noch heraus?“

„Warten wir es ab.“, meinte Doc darauf, „Dass es eine reine Yakuza-Angelegenheit von außerhalb war, hat sich aber bisher bestätigt. Es war übrigens nicht die Ähnlichkeit zu Lin Yao Chang, die Chang das Leben kostete, sondern die Inkompetenz und Dummheit des Yakuza-Teams. Vor der Dummheit anderer ist man nie sicher.“ 

„Und vor der eigenen Dummheit manchmal auch nicht.“, meinte Bubbles.

Wir lachten. 

Ich stand auf, „Das war ein ziemlich hartes Jahr für UC.“, sagte ich. „Wir haben so einige gute Leute verloren.“ Mein Mund wurde trocken und das war zu hören, „Auch wenn die Zahl so manche hier erschrecken wird und einige noch nicht einmal wissen, über wen ich spreche  …“ Die Erinnerung schnürte mir die Kehle zu, ich holte tief Luft. Die anderen waren nach und nach aufgestanden. „Wir sollten uns ihrer aller erinnern.“ 

Genau aufs Stichwort stellte uns Mac ein gewaltiges Tablett mit gefüllten Whisky-Gläsern und einer weiteren unmarkierten Flasche auf den Tisch. Es gab zwei Troll-Gläser und selbst das Glas mit Cola für AveRage hatte Mac nicht vergessen. 

Man verteilte die Gläser und schob natürlich auch mir eines hin. Ich griff danach. 

Tiernan schraubte noch schnell seine Gitarre zusammen. Ich wartete, bis er fertig damit war. 

[Song 11: Die Roten Rosen - Auld Lang Syne] Dann sagte ich, „Also lasst und trinken auf Twinbow, Riven, Butcher, Tuareg, Sugmani Walks With Pride, FTW, Mystère, Blood, Steel, Shamrock und Chang.“

Wir alle tranken unser Glas in einem Zug leer. - Hui, Mac hatte was von dem guten Zeug rausgerückt. Tiernan begann „Auld Lang Syne" auf der Gitarre zu spielen, ich sang dazu und alle blieben stehen und stimmten mit ein. 

Should auld acquaintance be forgot

And never brought to mind?

Should auld acquaintance be forgot,

and days of auld lang syne?

For auld lang syne, my dear

For auld lang syne

We'll take a cup o'kindness yet

For auld lang syne4

Ich war nicht die einzige, die am Ende feuchte Augen hatte.

Nach der ersten Strophe und dem Refrain hörte Tiernan auf zu spielen und meinte, „Das war ja ne gewaltige Liste…“

Die Zwillinge und Bubbles düsten umher und begannen nach zu schenken.

„ … sag mal …“, Tiernan machte eine gedankenschwere Pause, „wie viele von denen waren eigentlich nur mit UC assoziierte Mitglieder?“

Wir lachten.

Ich räusperte mich, „Leider zumindest einer.“

Tiernan sah zu Moxi, „Nicht perfekt, aber das klingt doch nach einer guten Quote oder was meinst du Moxi?“

Moxi grinste, „Schätzchen, ich bin hier nur die P.A. - und fürs Auge. Ich bin nicht mal assoziiertes Mitglied, Die Quote gehört dir ganz allein.“

Wir lachten abermals. 

Ich griff nach meinem neu gefüllten Glas, „Aber es war auch ein erfolgreiches Jahr für das Team. Wir haben unsere Reputation gewaltig erhöht, Dinge geschafft, die andere Teams nicht mal halb schaffen können und an einigen Stellen, wie zum Beispiel in Genf, haben wie sogar die Welt ein klein wenig besser gemacht.“

„Hört, hört.“, rief Gunner dazwischen.

Ich lächelte ihm zu und fuhr fort, „Die von uns, die heute Abend hier stehen, sind weiter zusammen gewachsen und jeder von uns hat allen Grund zu feiern, dass er noch da ist.“ Ich hob mein Glas mit Whisky, „Lasst uns noch einmal trinken. Auf uns! Auf die Runs, die noch kommen, auf die Geheimnisse, die wir ergründen und auf unsere Freundschaft.“

Wir tranken und sangen die nächste Strophe. Vorsichtshalber blendete irgendeiner unserer Hacker den Text des Songs via AR ein, damit weiter alle mitsingen konnten.

And surely ye'll be your pint-stowp

And surely I'll be mine

And we'll tak a cup o'kindness yet

For auld lang syne.

For auld lang syne, my dear

For auld lang syne

We'll take a cup o'kindness yet

For auld lang syne4

„Stopp, stopp stopp.“, unterbrachen uns die Zwillinge, als wir die nächste Strophe anstimmen wollten, „Wir müssen nach jeder Strophe trinken und du muss vorher noch was so schönes sagen.“ 

„Mist.“, meinte ich grinsend, während fleißig nachgeschenkt wurde. „Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich nicht alles auf einmal gesagt. Wie viele Strophen kommen denn noch?“

„Da wir den Text nach Robert Burns singen, drei.“, antwortete Bloody Guts. 

„Danke. Na gut, dann trinken wir jetzt eben auf die Schönheit, die man in jedem von uns findet.“

Und während ich den dritten Whisky an meine Lippen führte, fragte ich mich, ob ich für solche Dinge schon trinkfest genug war. Wahrscheinlich nicht und darum trank ich nur einen Schluck.

We twa hae rin aboot the braes,

and pu'd the gowans fine

But we've wander'd mony a weary fit,

sin auld lang syne.

For auld lang syne, my dear

For auld lang syne

We'll take a cup o'kindness yet

For auld lang syne4

Fast alle hatten den Inhalt ihres Glases leer getrunken. Nur Moxi, Mystique und ich waren vorsichtig geworden. Selbstverständlich hatte man uns dennoch nach gegossen.

„Hmm, dann lasst uns nun auf jede Menge gutes Karma trinken. Slánte!“

Wir tranken.

Tiernan erhöhte das Spieltempo und so mussten wir auch schneller singen.

We twa hae paidl'd i'the burn,

frae morning sun till dine

But seas between us braid hae roar'd,

sin' auld lang syne.

For auld lang syne, my dear

For auld lang syne

We'll take a cup o'kindness yet

For auld lang syne4

Average verzog das Gesicht, er hatte alle vier mal ausgetrunken. „Man, ich bin bestimmt der nächste von UC, der abkratzt, an einem Koffeinschock….“

Wir lachten.

„… oder an einem Zuckerschock und wenn kein Zucker drin ist, dann an einer Süßstoffvergiftung.“, mutmaßte AveRage weiter.

Zum Glück kam jetzt die letzte Strophe. Mr.Jack hatte sein letztes Glas auch nur bis zur Hälfte geleert. Die Zwillinge und Bubbles hatten Spaß am Nachgießen und sie vergossen keinen Tropfen,  denn sie schwankten nicht, da der Alkohol ihnen nichts ausmachte. So wie er Shark Finn, Tiernan, Doc und Gunner nichts ausmachte. Blackstone und Thunderstrike waren zwar nicht ganz so trinkfest, aber auch sie becherten einiges weg ohne, dass man es ihnen anmerkte. Einzig Bloody Guts und Rubber Duck hatten gerade bemerkbar vier Gläser Whisky intus.

Ich hob mein Glas und sagte schnurrend, „Dann lasst uns jetzt auf die Liebe trinken, denn sie ist das Salz des Lebens!“

Alle trommelten Beifall, wir tanken und sangen im Anschluss.

And there's a hand, my trusty fiere

And gie's a hand o'thine

And we'll tak a right gude willie-waught

for auld lang syne.

For auld lang syne, my dear

For auld lang syne

We'll take a cup o'kindness yet

For auld lang syne4

Wir sangen den Refrain noch weitere vier Male und zwar ohne Trinkpause und jedes Mal wurden wir ein bisschen schneller. 

Im Anschluss sanken wir alle lachend auf unsere Stühle.

Moxi verschwand kurz in Richtung Erfrischungsraum und als sie bald darauf wieder kehrte, stand sie nur in den Dessous, die ihr Rubber Duck geschenkt hatte und ansonsten nur noch ihren weißen Overknees im Raum, „So sieht es an mir aus.“, hauchte sie. 

Zumindest im übertragenen Sinn stand allen Männern der Mund offen. Sie sah aber auch heiß aus.

Moxi drehte sich. Dann zwinkerte sie uns zu, „Damit die Jungs ihre Sprache zurückgewinnen, ziehe ich mir wieder etwas an.“ 

Gut 10 Sekunden später meinte Rubber Duck in den leeren Raum, „Du kannst dich doch auch so zu uns setzten.“

Zumindest die Mädchen in der Runde begannen herzlich zu lachen.

„Gunner, wo bist du eigentlich untergekommen?“, fragte ich um die Jungs wieder auf andere Gedanken zu bringen, „Wenn ich mich recht erinnere, dann warst du doch neu in Seattle. Brauchst du eine Wohnung?“

Gunner schüttelte den Kopf, „Nein, brauch ich nicht. Ich wohne im Vigilant Iron Schooling House. Das ist ein Training-Haus in Puyallup. Da darf jeder wohnen, der bereit ist, andere zu unterrichten. Dort gefällt es mir und ich werde da wohnen bleiben.“ 

Mr.Jack horchte auf, „Das klingt interessant. Ich wohne noch im Hotel. Eine solche Einrichtung würde mir gefallen.“

„Klar. Dann komm doch einfach mal vorbei.“, bot Gunner an. „Ich beam dir die Adresse zu.“

„Danke.“

Ich sah unseren potenziellen Neuzugang interessiert an, „Hast du einen Wagen, Jack?“

Er schüttelte den Kopf, „Nein, noch nicht.“

Ich schmunzelte, „Nun, dann gebe ich dir auch noch einen Nummer. Die gehört zu den Roadwarriors. Normale Taxis werden dich nicht zum Schooling House bringen, denn das ist in der üblen Gegend, in der wir vorhin waren. Die Roadwarriors sind etwas teurer, aber dafür bringen sie dich dort hin und können dich während der Fahrt auch beschützen.“

„Danke.“, meinte Jack abermals.

Wir hatten auf all unsere Gefallenen getrunken. Jetzt galt es Geschichten über sie zu erzählen, damit sie darin weiter lebten. 

Wir tranken, aßen und erzählten. Es wurde eine lange, wundervolle Nacht.

Es lohnte nicht mehr, noch mal nach Hause zu fahren. Also zog ich mich auf dem Damen-WC im Haunted Mug um. Mit einer P.A. war das überhaupt kein Problem. Zum Glück hatten wir mein gesamtes Reisegepäck bereits am Nachmittag zu Liam gebracht.

Ich tauschte Weihnachtskleid gegen eine dunkelblaue, weich-fließende Hose mit weit gestelltem Bein, ein weißes, besticktes, fast durchsichtiges Fluffy-Top mit Spaghetti-Trägern und zur Hose passenden Ankle-Booties mit 5 cm Absatz. 

„Lass mich raten, du reist ins Warme.“, meinte Moxi grinsend.

Ich nickte und zog noch einen eisblauen Glitzerpullover aus der Tasche. „Jedenfalls gehe ich davon aus, aber vor der Tür des Haunted Mug ist es nicht so warm, darum habe ich den dabei.“ Ich wedelte mit dem Pullover.

Meine große Shoppingbag mit Blumenmuster hatte ich auch schon parat, der Inhalt aus der anderen Handtasche musste also nur noch umgeräumt werden.

Noch ein Healthy Glow, etwas Make Up von Moxi und ein Tropfen Kiss Of Spring.

Ich war bereit.

Alle von UC warteten noch mit uns, bis es fünf Uhr am Morgen war, denn dann wollte uns Liam abholen. Mit uns meinte ich alle anwesenden O’Nialls, also Sparky, Arcade, Bubbles, Shark Finn, Tiernan und mich.

Meinen Schmuck hatte ich umbehalten und als es raus ging zog ich mir einfach den Pullover über die leichten Sommersachen. Alle waren irgendwie mit Geschenken bepackt und ausgelassener Stimmung. Meine Pflanze, die ich von Triple S geschenkt bekommen hatte, hatte ich, wie die anderen O’Nialls bei Mac gelassen. Ich war gespannt, wie sie aussehen würde, wenn ich im Januar zurückkehrte.

Man konnte durchaus sagen, dass Bloody Guts und Rubber Duck angetrunken waren, doch da sie in den letzten zwei Stunden keinen Alkohol mehr zu sich genommen hatten, konnten sie noch fahren. 

Ich bekam mit, dass sowohl Bloody Guts als auch Gunner bis über den Jahreswechsel zu Rubber Duck ziehen würden, doch heute Abend brachte Rubber Duck Moxi erstmal in seinem Sportwagen noch ins Hotel.

Die kühl-nasse Morgenluft von Seattle hatte eine erfrischende Wirkung auf mich. 

Unser ‚Taxi‘ zum Flughafen, war bereits da.

Liam hatte sich lässig gegen die Front seines riesigen SUV gelehnt. Er hatte in ein paar Metern Entfernung geparkt und er war nicht allein, neben ihm stand, ebenso lässig, Harlequin. 

Mein Herz machte einen Freudenhüpfer, ich hatte gehofft, dass er beim Abholen dabei sein würde, aber hoffen war nicht wissen. Ein Teil in mir rief laut, ich solle nun alles stehen und liegen lassen und zu ihm rennen.

Doch ich ermahnte mich ruhig zu bleiben und so verabschiedete ich mich artig von den Nicht-O’Nialls. 

Wir waren wirklich viele.

Während ich ein paar Worte mit Blackstone wechselte, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Rubber Duck kurz zu Liam und Harlequin rüber ging, um ihnen Hallo zu sagen.

Nennt mich Meisterin der Selbstbeherrschung, dachte ich, als ich ordentlich hüftschwingend und gelassen an der Spitze der Reisegruppe auf den Wagen zuhielt. 

Die letzten Schritte lief ich schneller, denn ich wollte unbedingt die erste sein, die Liam umarmte, denn erst im Anschluss konnte ich mich endlich in die Arme meines Geliebten werfen. 

Es war unglaublich schön, seine Hände auf meiner Hüfte zu spüren und meine Hände in seinen Nacken zu legen. 

Ein tiefer Blick in die Augen und dann …

Ein Kuss …

❄❄❄ NEW IRELAND ❄❄❄

„Könnt ihr das auch während der Fahrt?“, hörte ich Liam irgendwann im harschen Ton fragen.

Ich begann zu grinsen, löste meine Lippen von denen von Harlequin und erwiderte im verspielten Ton, „Ich denke schon.“

Wir verdrückten uns in die letzte Reihe und ich machte es mir gleich auf Harlequins Schoß gemütlich. 

Bubbles setzte sich niedlich grinsend in unsere Reihe und schnallte sich an. 

Shark Finn erhielt den Platz des Beifahrers und Tiernan und die Twins nahmen in der Mittleren Reihe platz.

Küssen …  genau.

„Anschnallen bitte.“, kam von Liam.

Die anderen folgten gehorsam, so sie denn nicht bereits angeschnallt waren.

Ich machte keine Anstalten mich umzusetzen und mich anzuschnallen. 

Wir fuhren nicht los.

Nach einer Weile meinte ich, „Was, Liam? Ich dachte du bist ein guter Autofahrer. Da muss ich mich nicht anschnallen.“

„Ich bin ein guter Fahrer, aber die anderen nicht.“, konterte er.

Ich winkte ab, „Ach, du bist gut genug für sie alle.“

Liam bleckte die Zähne und fuhr los.

[Song 12: Sam Sims - Hawaiian Christmas Song] In der TransSky verstaute ich zu allererst meinen Pullover in eine meiner Reisetaschen, denn wenn wir nach zirka sechs Stunden Flugzeit landeten, dann würden wie auf Hawaii sein und da wäre es warm und wahrscheinlich sonnig. Ich freute mich irgendwie riesig auf die Insel, das Wetter und das Meer, obwohl ich den Schnee zur Weihnachtszeit in Boston auch schön gefunden hatte. 

Ich ließ mich auf den Platz neben Harlequin sinken und lächelte ihn glücklich an. Er sah ebenfalls äußerst zufrieden aus.

Ich zeigte ihm Anemonen Ring, Ohrringe und Halsband. „Sogar mit meinem Namen drauf, damit ihn niemand vergisst. Würde der Name dort stehen, damit ich ihn nicht vergesse, wäre er ja spiegelverkehrt geschrieben.“, erklärte ich ausgelassen.

„Wie sollte jemand jemals deinen schönen Namen vergessen.“, beteuerte Harlequin.

Ich erzählte vom Regenschirm, der Porzellankatze, den anderen Teamgeschenken und davon, dass wir das Kinderheim besucht hatten. „A pro pos Geschenke.“ Ich kramte in meiner Tasche und Harlequin sah mir neugierig dabei zu. Ich holte natürlich das kleine, rechteckige Geschenk hervor, das Blackstone für ihn beigelegt hatte, „Hier.“

Er nahm es interessiert. 

„Das hat mir Blackstone für dich gegeben.“

Sämtliches Interesse verschwand aus seinem geschminkten Gesicht und nur einen Moment später gab er es mir ungeöffnet zurück, „Das ist nicht für mich, Liebste. Da steht gar nicht mein Name drauf.“

Nun gut, Blackstone hatte Harlekin geschrieben, mit K statt mit Qu, aber warum sollte es deshalb nicht für ihn sein, „Ich denke schon, dass es für dich ist.“

Er schüttelte den Kopf und erklärte bestimmt, „Nein. Gib es bitte dem zurück, von dem du es hast, er weiß bestimmt, für wen es wirklich ist.“

Ich zögerte und sah ihn an. Nein, Harlequin hatte kein Interesse an dem Geschenk. Es lohnte sich nicht, ihn zu überzeugen und dafür etwas unserer gemeinsamen Zeit herzugeben, aber irgendetwas war da anscheinend zwischen Blackstone und ihm.

Er beugte sich zu mir und küsste mich - und ab diesem Moment war mir das Geschenk dann sowieso egal.

Wir flogen in den Sonnenaufgang und somit war es an der Zeit für mein Morgenritual. Wenn ich vom Platz her wie hier eingeschränkt war oder zu sehr unter Beobachtung stand, dann führte ich eine rein meditative Variante des Rituals durch. 

Jeder Tag war es wert, anständig begrüßt zu werden und ich war ziemlich sicher, dass mir dieser Tag viele wundervolle Stunden bringen würde.

Ich hatte mich an Harlequin gekuschelt und war schon fast eingeschlafen. Trotz der Erfrischung durch das Ritual hatte mich die Müdigkeit übermannt. 

In Harlequins Nähe schlief ich immer gut, da kam es nicht darauf, wo ich gerade war. Wären wir jetzt unter uns, würde ich wahrscheinlich nicht schlafen, aber so…

Die anderen O’Nialls schliefen bereits, bis auf Liam natürlich.

Harlequin legte den Arm um mich und ich legte meinen Kopf auf seine Brust. Wie konnte ein trainierter Oberkörper nur so bequem sein? 

Ich seufzte und schloss die Augen. Doch dann setzte ich mich spontan noch mal auf, „Weißt du was? Ich hab jetzt eine P.A.“, verkündete ich stolz.

Harlequin lächelte fein, „Das klingt spannend und angemessen. Wie bist du an sie gekommen?“

„Um ehrlich zu sein, über Ehran. Er hat sei für mich engagiert.“

Harlequins Augen weiteten sich, „Tatsächlich? So etwas Pragmatisches hätte ich dem alten Schwätzer gar nicht zugetraut.“

Ich lächelte und knuffte ihm dabei zart gegen die Brust, „Du sollst meinen Meister doch nicht immer so nennen.“. Dann kuschelte ich mich wieder an ihn und hielt ihm die Finger meiner rechten Hand hin. Der Anemonen-Ring schlief bereits wieder in seiner Nährflüssigkeit. „Da guck, lackierte Fingernägel.“

Er nahm meine Hand, küsste die Finger zart und meinte, „Sogar mit Weihnachtsmuster. Sehr schick.“

„Nicht wahr?“, nuschelte ich und tauchte ab ins Land der Träume.

Harlequin weckte mich sanft. Er hatte seinen Sitz in eine Liegeposition gestellt und ich lag in seinem Arm. „Wir landen gleich Liebste!“, sagte er.

Ich setzten mich auf meinen eigenen Sitz, und wir schnallten uns an.

Dann erwartete mich eine Überraschung. Liam gab bekannt, «Wir landen gleich auf Hawaii. Dort machen wir zirka eine Stunde Pause, tanken auf und nehmen weitere Gäste an Bord. Bis auf Sparky und Arcade können sich alle die Beine vertreten.»

Wir blieben also gar nicht auf Hawaii? Jetzt war ich gespannt und ich hoffte ein kleines bisschen, es war warm, wo immer wir hinflogen, denn ansonsten hätte ich die falsche Kleidung dabei. Aber sonderlich wichtig war das selbstverständlich nicht.

❄❄

Beinah ein Dutzend O’Nialls, 6 Jungs und 5 Mädchen aus Hawaii, waren zugestiegen. Sie hatten jede Menge Surf-Equipment dabei und ordentlich verladen. Das sprach doch schon mal für eine warme Region.

Ich freute mich sehr, die Jungs und Mädchen vom letzten Jahr wieder zu sehen und sie freuten sich ebenso stark. 

Das fühlte sich verdammt gut an und wenn sie Cousine zu mir sagten, dann wurde mir jedes Mal ein bisschen mehr bewusst, dass ich jetzt tatsächlich eine Familie hatte.

Nach zwei Stunden weiterem Flug hatte ich immer noch keine Ahnung wohin es eigentlich gehen sollte. Doch mein GPS verriet, dass wir weiter gegen die Datums-Grenze folgen und der Kurs stärker nach Süden führte.

Harlequin, wie immer in Jeans, Cowboy-Stiefeln und T-Shirt, stopfte seine Lederjacke in seinen Seesack, der ziemlich abgegriffen und vor allem ziemlich leer aussah, zog eine Ukulele daraus hervor und begann darauf ein paar für Hawaii typische Melodien zu spielen. Tiernan griff das auf, baute auf die Schnelle seine Gitarre zusammen und dann ging der Flug musikalisch begleitet weiter. 

Fast neu Stunden waren wir nach dem Zwischenstopp auf Hawaii unterwegs gewesen, nun verkündete Liam, wir wären jetzt da und könnten unter uns New Ireland sehen. Irgendwo im Südpazifik, dicht bei Papua Neuguinea, lag also eine Insel, die man Neuirland nannte. 

Hier war heute bereits der 24. Dezember 2073 und gerade war es ziemlich genau 15.00 Uhr Ortszeit, wie mir mein Commlink netter Weise verriet.

Die Insel lag lang gestreckt im Meer und erinnerte von hier oben an eine Muskete. 

Liam erklärte, dass die Insel 47 Kilometer lang, an ihrer dünsten Stelle aber nur 10 Kilometer breit sei. Im Süden waren Berge zu sehen, von denen der höchste laut Liam über 2300 Meter hoch war. Das Wasser war von unglaublicher Farbe. Aqua-Blau, Türkis, sattes Himmelblau und hier und da ein wenig Grün. Der Strand war im Kontrast dazu so hell, dass er fast weiß wirkte. 

Genau meine Farben. 

Die dunkelgrüne Flecken-Fläche in der Mitte der Insel zeugte von einem tropischen Dschungel. Palmen standen am Strand. 

Palmen, Strand, Sonne und Meer, die perfekte Kombination.

Wir flogen auf die nord-westliche Ecke der Insel zu und gingen über einer Bucht tiefer, in der im stillen seichten Wasser mehrere Dutzend wunderschöne Holzhäuschen lagen, die über Stege mit einander verbunden waren. Links von der Bucht brachen sich große Wellen am Strand, dort würde man bestimmt gut surfen können. 

Etwas zurückgesetzt am Strand lag ein gewaltiges, langgezogenes, zweistöckiges Haus im Kolonial-Stil mit weiß getünchten Wänden, ausladenden Giebeln, Säulen, Balkonen und zwei kurzen Seitenflügeln. Auf das Dach stand, umflankt von zwei Kleeblättern ‚New Ireland Ressort‘ in hellgrüner Schrift geschrieben. 

Mehrere Holzwege führten entlang von Nebengebäuden tiefer in den Urwald hinein und mündeten schließlich an einem Hubschrauberlandeplatz. Links daneben gab es überdachte Stellplätze für Autos, zu denen eine breite, geteerte Strasse führte, die Richtung Süden in den Dschungel verschwand. 

Liam ließ den Hubschrauberlandeplatz links liegen und landete direkt am Strand. Knapp 20 Metamenschen unterschiedlicher Hautfarbe und ethnischer Abstammung, überwiegend Menschen, gemischt mit ein paar Orks kamen vom Haus herüber, um uns zu begrüßen. 

Selbstverständlich würden sie mit ihrem eigentlich Nachnamen alle O’Niall heißen, ich musste gar nicht fragen.

[Song 13: Destiny’s Child - 8 Days Of Christmas] Die hübschen Holzhäusern im Wasser waren die Luxus-Gäste-Zimmer des Ressorts. Eines davon hatten Kendra O’Niall, ihres Zeichens Eigentümerin der Anlage, Harlequin und mir zugewiesen. 

Der Sand des Strandes war weich und warm, das Wasser sauber und klar und das dunkel Holz des Appartements am Boden war so glatt geschliffen, dass man wie auf Seide lief. Schuhe würde ich hier wohl kaum brauchen. 

Lange Fensterfronten am Wohnzimmer ließen sich völlig öffnen und so wurde das Zimmer zu einer großen Terrasse. Das Badezimmer war hell und luxuriös. Das Schlafzimmer war mit modernster, umweltfreundlicher Technik klimatisiert und das große Bett war mit einem wunderschön bestickten Moskitonetz umgeben. 

So wie hier könnte es im Paradis aussehen.

Man hatte uns gesagt, dass wir uns erstmal in Ruhe frisch machen und dann im großen Saal des Haupthauses einfinden sollten.

Harlequin und ich nutzten die Dusche gemeinsam - und dann war da ja noch das große Bett. 

Kurz darauf gab es nur ihn und mich in unserem ganz eigenen Paradis.

Alles andere konnten warten.

❄❄

In der Zwischenzeit waren noch mehr O’Nialls auf New Ireland eingetroffen. Neben den Hawaiianer, die ich letzte Weihnachten kennen lernen hatte dürfen und mit denen wir ja gekommen waren, entdeckte ich ein paar weitere bekannte Gesichter. 

Zu einem war da die Waffenschmiedin Espada aus Toledo, die nachdem ich sie Harlequin als eine Waffenschmiedin vorgestellt hatte, in ihm gleich einen interessierte Gesprächspartner über Waffenstahl und Rapiere gefunden hatte. 

Zum anderen war da die Crew der Corc Cona’n. Sven, Oleg, Sören, Pjotr, Leika, Martin, Jim und Igor stürmten freudig auf mich zu und konnten mich nur nicht völlig umringen, weil Harlequin darauf achtete, dass mich niemand aus seiner Nähe fortreißen konnte.

„Wir hatten eigentlich gehofft, dich dies Jahr noch mal irgendwo in der Weltgeschichte umherfahren zu können.“, tönte Oleg, „Doch so ist es auch schön.“

Bald waren im großen Saal des New Ireland Ressort über 100 O’Nialls versammelt. 

Die Betreiber des Ressorts hatten das Hotelgeschäft kurzerhand geschlossen und ihre Anlage der Familienweihnachtsfeier zur Verfügung gestellt, wie ich nun hörte. 

Es kam, wer immer wollte. 

Letztes Jahr war eben Hawaii der Ort für die Feier gewesen und da waren automatisch viel mehr Hawaiianer aus der Umgebung mit samt ihren Familien erschienen. Während dieses Jahr dafür die jungen Wilden des Clans gekommen waren. Kaum Kinder, wenig Paare und hauptsächlich Menschen und Orks. Ich zählte nur drei Zwerge und neben Shark Finn nur einen weiteren Troll. Harlequin und ich blieben die einzigen Elfen. Eine Rolle spielte das jedoch für niemanden. 

Ich hatte mein türkises, bodenlanges, weit-schwingendes Pfauenfederkleid [LINK] über meinen ebenfalls türkisen Bikini gezogen und war ansonsten barfuss gekommen. Dennoch störten mich die kalten Fliesen am Boden nicht. Mein mehr als hüftlanges Haar hielt ich mit zwei schmalen Zöpfen nach hinten zusammen gebunden. Den Nagellack im Weihnachts-Design hatte ich entfernt, die Nägel nicht neu lackiert, dafür aber etwas MakeUp aufgelegt. Bereist beim Bürsten der Haare war mir aufgefallen, was für eine Erleichterung und Bereicherung Moxi für mich war. Nicht, dass sie mir irgendwie fehlte, Tage auf einer Insel im Süd-Pazifik schrieen nicht gerade nach MakeUp, aber es fiel mir eben auf.

Harlequin trug eine verwaschene, unter den Knien abgeschnittene, ausgefranste Blue Jeans und dazu ein rotes T-Shirt, auf dem eine E-Gitarre und der Schriftzug ‚Summer Of 69‘ zu sehen war. Auch er war barfuss geblieben.

Noch war das Buffet leer. Auf kleinen Beistelltischen standen ein paar Snacks und Schnittchen. Drohnen schwebten umher und tonnenweise Getränke standen bereit, die man sich bereits von den Service-Drohnen bringen lassen konnte. 

Einen Großteil der Alkoholika hatte die U-Boot Crew das vergangene Jahr überall auf der Welt gesammelt, wie sie mir stolz erzählten.

6 große Gruppen-Tische für je 20 Personen waren aufgebaut worden. Der Saal mit den Fliesen im keltischen Knoten-Muster war auch sonst den besonderen Veranstaltungen vorbehalten. 

In der Mitte des Saals stand ein großer, ungeschmückter Weihnachtsbaum, der bis an die Decke reichte. 

Niemand hatte sich gesetzt. Alle standen in losen Grüppchen umher und überall hörte man Hallos und Alohas und große Wiedersehensfreude. 

Die Hawaiianer stießen zu Harlequin, Espada, der U-Boot Crew und mir. Sie schwärmten sofort von dem, was sie über die Wellen abseits der Bucht gehört hatten.

Liam kam auf uns zu und er hatte sechs hellblonde Hünen mit extrem heller Haut im Schlepptau. Fünf davon waren Männer und sie alle überragten Liam um gut 20 Zentimeter, obwohl nur einer von ihnen ein Ork und die anderen alles Menschen waren. 

Gunner in breit und mit Bart, schoss es mir als Erstes in den Sinn und das nicht nur, weil die Jungs alle mit freiem Oberkörper und Dreiviertel-Baggy-Pants unterwegs waren. Sie verfügten zwar nicht über ein ähnlich attraktives Gesicht wie Gunner, doch zwei von ihnen kamen zumindest nah dran. Auch die Frau war hoch gewachsen und ziemlich muskulös, wie man gut sehen konnte, da sie zu Shorts und Sandalen ein Bikini-Oberteil trug.

Alle Wikinger, denn das war der zweite Begriff, der mir sofort in den Sinn kam, grinsten breit und sie drängelten ein winziges bisschen.

Liam drehte sich um und sah zu ihnen auf, „Wenn mich einer von euch schuppst, könnt ihr das mit dem Vorstellen vergessen.“

Sie grinsten noch breiter, wagten es aber nicht zu schubsten.

Liam lächelte mich kurz an und sagte, „Das da sind Guƌrún, Jón, Einar, Bjarni, Magnus und Ágúst ein Teil der isländischen O’Nialls, die dich unbedingt kennen lernen wollten und natürlich bereits wissen, dass du Snowcat bist.“ 

Also wirklich Wikinger.

Liam drehte sich zu den Isländer um und meinte noch, „Benehmt euch anständig, sonst Kloppe.“, dann verschwand er wieder. Es war immer wieder erstaunlich, wie viel Respekt alle vor Liam hatten.

Wie es hier üblich war, begrüßte ich jeden mit einem Kuss auf die Wange und einer Umarmung. 

„Island. Wow, das ist weit im Norden. Es soll dort sehr schön sein. Erzählt davon,“ bat ich, „denn ich bin noch nie dort gewesen.“

„Echt nicht?“, meinte Einar, „Dann musst du unbedingt bald dorthin kommen. Erzählen kann man das nicht und du musst doch deinen Ursprung kennen lernen.“

„Meinen Ursprung?“, fragte ich neugierig nach.

Magnus, der einfach wunderschöne blaue Augen hatte - von der Farbe fast so schön wie meine -erklärte, „So wie du aussiehst, also bei der Haut, Haar und Augenfarbe, musst du einfach vom isländischen Zweig der Familie kommen!“

‹Ach so, Elfenmädchen. Ich dachte schon, das Rudel weiß etwas, was du nicht weißt.›, bemerkte Katze beiläufig und verschwand dann Richtung Küche.

Ich lachte perlend, hielt meinen Arm neben den von Magnus und sagte, „Ja, das klingt einleuchtend.“

Die Hawaii-Fraktion, die selbst Shark Finn als ihren ‚blassen Bruder‘ bezeichnete, baute sich auf. Sie waren im Durchschnitt einige Zentimeter kleiner als die Isländer, wirkten davon aber nicht weiter beeindruckt.

Als die Hawaiianer enger aufrückten, stellte sich Harlequin hinter mich und nahm mich in die Arme, damit wir weiter Körperkontakt halten konnten. 

„Meint ihr wirklich?“, begann Keanu, „Wir sind uns sicher, Snowcat stammt vom hawaiianischen Zweig der Familie ab. So wie sie surfen kann, liegt ihr das im Blut. Du, Einar und die komplette Bande bekommen ja nun schon seit Jahren nicht hin, mal auf einer Welle anständig zu reiten.“

Etwas was ich nicht beurteilen konnte. 

Ich wusste nur, dass ich gerne surfte und auch wenn ich immer behauptete, dass Wasser nicht mein Element sei, konnte ich an Orten wie diesem hier oder auf Hawaii gar nicht genug davon bekommen, darin zu toben. Die Farbe meiner Haut war allerdings sehr weit von der der Hawaiianer entfernt.

Die Isländer verschränkten die Arme, „Ach ja?“

Es kam ein bisschen Bewegung in die Gruppen und ein paar freundliche Pöbeleien, gemischt mit Argumenten, warum ich woher kam, wurden ausgetauscht.

Schließlich meinte die eher zarte Lulani bestimmt, „Wenn ihr das nicht einsehen wollt, können wir das gerne mal in der Grube klären!“

Ich hob eine Augenbraue und fragte, „Die Grube? Was ist denn bitte die Grube?“

Ágúst erzählte, „Die allgemeine Bezeichnung für eine Nahkampfarena bei uns. Wenn es zum Streit in der Familie kommt und man sich nicht einig wird, dann gehen die Kontrahenten in die Grube und klären das da. Der Sieger hat Recht und damit ist es dann geklärt und vergeben.“

Interessant, das war bestimmt mit ein Grund, warum der vielfältiger Clan sich so gut verstand.

„Klar, lasst uns so bald wie möglich in die Grube gehen.“, freute sich Magnus grinsend.

Pjotr vom russischen Teil der U-Boot-Crew meldete sich zu Wort, „Daas könnt ihr gerne mackän, doch es nüützt euch niichts. Jedär weiß, dass Snowcat hat russisches Herz und russische Seele. Sie kommt also von russische Teil der O’Niall.“ 

Wir lachten und als Espada meinte, „Lasst uns doch einfach froh darüber sein, dass Snowcat überhaupt eine O’Niall ist.“, waren alle einverstanden und wir tranken darauf.

Gewaltige Mengen Essen und Bier wurden angekündigt, doch bevor das Buffet eröffnet wurde, musste die Familie natürlich gemeinsam den Baum schmücken.

Kisten mit Lametta, Kugeln und anderen Arten vom Baumschmuck wurden herein gebracht.

Ich zog an Harlequin, „Komm mal schnell mit.“, flüsterte ich in sein rechtes Ohr.

Er hob kurz zwei mal hintereinander seinen beiden Augenbrauen, „Jederzeit und überall hin.“, verkündete er.

Wir verschwanden in unsere Hütte. 

Eigentlich hatte ich nur die Weihnachts-Kugeln holen wollen, die ich mitgebracht hatte. Doch Harlequin konnte mich problemlos davon überzeugen, noch für ein wenig Intimität Zeit zu finden.

Ich hatte die blauen und weißen Glaskugeln mit hawaiinischen Symbolen in weißen und silbernem Glitzerfarben selbst bemalt. Sie kamen sehr gut an und sorgten für den einen oder anderen Lacher und eine Menge Erinnerungen an das letzte Weihnachten.

Nach dem Schmücken wurden von vielen Händen zahllose Geschenke unter den Baum gelegt und erst im Anschluss wurde das Buffet aufgetragen.

Schüsseln mit dampfendem Reis, frischem Obst, exotischen Gerichten, klassischem Weihnachtsbraten, Soßen, Beilagen und Desserts standen dann bereit. Auf den einzelnen Tischen stapelten sich Brote und Krüge mit Wasser, Wein oder Bier. 

Feste Sitzplätze hatte keiner und die Auswahl war so groß, dass ich gar nicht wusste, was ich zuerst probieren sollte. 

Wie aßen, tranken, feierten und zum Glück kümmerten sich diverse Haushaltsdrohnen um das Abräumen und den Abwasch.

„Das erinnert doch schon stark an eines der großen Gelage beim Khan.“, kommentierte Harlequin zufrieden.

Nach dem Essen ging es raus an den Strand, der jetzt durch zahlreiche Fackeln und Lagerfeuer erleuchtet war. 

Wir quatschten, erzählten Geschichten, lernten einander kennen oder tauschten uns einfach nur aus

Ja, das hier war mit Sicherheit eine Form von Paradis.

❄❄

[Song 14: Hans Zimmer/Kung Fu Panda - Sacred Pool Of Tears] Das erste, was ich vor Sonnenaufgang vernahm, war die Mischung von sanften Wellenrauschen und Harlequins Atem, dicht an meinem Ohr. Natürlich war er bereits wach. 

Ich öffnete die Augen und fand ihn über mich gebeugt. Er küsste mich sanft auf den Mund und flüsterte, „Komm Liebste, viel Zeit ist nicht mehr bis Sonnenaufgang, lass uns an den Strand gehen.“

Ich zog einen Badeanzug an, knotete einen Sarong darüber und setzte einen riesigen Sonnenhut auf, dann griff ich nach meiner Strandtasche, in die ich vor dem Schlafengehen bereits die Geschenke für Harlequin gepackt hatte.

Wir liefen leisen Schrittes über die Stege und dann noch ein gutes Stück den Strand entlang, bis wir ein etwas Abseits liegendes Stück erreicht hatten, dass man nicht gleich einsehen konnte.

Ich warf meinen Hut in den Sand und begann nach einem langen Kuss pünktlich mit dem Ritual, um den neuen Tag zu begrüßen.

Nachdem wir uns zärtlich und schweigend gegenseitig mit dem Sonnenschutz eingecremt hatten, den die Einheimischen extra für uns anmischten, zog Harlequin, in ausgefranster Jeans, mit nacktem Oberkörper und Strohhut auf dem Kopf, eine Machete aus seiner Umhängetasche und teilte eine frische Kokosnuss, die wir dann frühstückten.

„Frohe Weihnachten,“ hauchte ich in sein rechtes Ohr und überreichte ihm die beiden Geschenke.

Höchst vorsichtig öffnete Harlequin zunächst das kleine, dünne Geschenk, in dem sich die von mir gezeichnete Fortsetzung des Comics befand, von dem er letztes Jahr den ersten Teil bekommen hatte. Er lass es in Ruhe durch, schmunzelte dabei und küsste mich danach lange zum Dank.

Dann kam das zweite Geschenk an die Reihe, die Bildrolle. 

Er stieß einen begeisterten Pfiff durch die Zähne aus.

Ich hatte ihm ein Burlesque-Ölbild gemalt. Von mir, nackt in einem Cocktailglas voller Champagner, mit hoch gestecktem Haar, roten Lippen und frech über den Glasrand guckend.

Ich konnte sehen, dass es ihm gefiel und zum Dank erhielt ich mehr als nur einen Kuss.

Ein kurzer Gang ins Meer hatte uns von Schweiß und Sand befreit.

Nach einer Verbeugung in bester Schausteller Manier sagte er, „Meine wunderschöne Liebste, kommen wir nun zu meinem Geschenk an dich. Hör die geheime Geschichte aus einem sagenumwobenen Land…“

Ich vergrub meine Zehen im Sand und freute mich auf das aufregende Spektakel, das dieser Geschichte folgen und mich mit Sicherheit zum Staunen bringen würde. 

„… mit dem schönen Namen Cathay5. Ein Land voller Exotik und Legenden und ein Land der Helden, dass der ehrenwerte Luung seine Heimat nannte.“

Aus der Ferne drangen leise Klänge asiatisch angehauchter Musik zu mir herüber. Nach und nach verschwanden Wasser, Strand und Dschungel und ich fand mich auf weiten Ebenen wieder. Ein Schatten huschte am Himmel über mich hinweg, doch ich konnte nicht erkennen, was ihn verursacht hatte. 

„Luung war mächtig und weise und er strebte nach der Vollkommenheit von Wissen.“

Harlequin zog ein langes rotes Seidentuch aus seiner Hosentasche und hielt es mir hin, doch als ich danach griff, verwandelte es sich in eine rote Orchideen-Blüte, die ich mir ins Haar steckte.

„Ganz besonders interessierten Luung die Geheimnisse der Magie und so sammelte und bewahrte er dieses Wissen. Wenn Luung nicht in Cathay und überall auf der Welt unterwegs war, dann lebte er auf dem heiligen Berg Xan in den Dragon Spine Mountains.“

Die weiten Ebenen verflüchtigten sich und es war als flöge ich auf einen Berg zu, der mich an einen erinnerte, den ich erst kürzlich besucht hatte. 

„Luung zeigte zudem Interesse für die Geschicke der Metamenschen und darum beschloss er, etwas von seinem unermesslichen Wissen mit ihnen zu teilen. Doch nur die, die sich des Wissen als würdig erwiesen, sollten es erlangen und  so gründete er die Mönche von Xan, die er selbst in seinen Lehren unterwies. Diese Lehren konnten zur kompletten Erleuchtung führen, doch bevor ein Mönch den Weg des Drachen gehen konnte, musste er zunächst die Vollkommene Beherrschung über Körper und Geist erlernen. Ein langer Weg mit vielen Stufen und so wählte Luung vier Tiere, denen die Mönche nacheifern sollten, den Tiger, den Panther, den Kranich und die Schlange.“

Die genannten Tiere sprangen, schlichen, flogen und schlängelten sich durch den Garten, in dem ich nun saß, um sich kurz darauf in einer leisen Farbwolke aufzulösen. 

„Nur wer diese vier Wege gegangen war, konnte den Weg des Drachen gehen und nur wenigen gelang es in ihrem Leben so weit zu kommen, doch auch alle anderen Mönche führten ein harmonisches Leben.“

Die Luft war nun von einem Spähren-Klang erfüllt und ich sah Mönche friedlich ihrem Tagewerk nachgehen oder im Kampf mit Stab oder bloßer Hand gegeneinander antreten. Schmetterlinge flogen im Garten umher und dann waren da erneut Schatten am Himmel. Ein Großer, der von einem weiteren, etwas kleinem Schatten begleitet wurde,

„Einst hatte Luung einen Schüler mit dem Namen Ri Mao. Ri Mao war beflissen und sehr talentiert, doch er war auch sehr ungeduldig und forderte bald schneller und mehr von der Weisheit Luungs in Erfahrung zu bringen.“

Irgendwie war es jetzt dunkler geworden. Es lag etwas Bedrohliches in der Luft.

„Luung erkannte, dass Ri Mao noch nicht bereit für das geforderte Wissen war und er bat seinen Schüler, sich zu mäßigen. Doch Ri Mao wollte das nicht und so verließ er den Berg Xan im Streit. Jahre vergingen.“

Grillen zirpten, Schmetterlinge flogen, die Sonne schien. Alles war gut.

„Ein Tempel wurde erbaut und weitere Mönche wurden ausgebildet.“

Nun zogen wirklich dunkle Wolken auf und ich vernahm das Getrampel von zahlreichen Schritten.

„Doch eines Tages kehrte Ri Mao zurück, um die Kontrolle über den Berg Xan an sich zu reißen und sich das Wissen Luungs mit Gewalt zu nehmen und er war nicht allein gekommen. Ri Mao hatte eigene Gefolgsleute um sich gescharrt und unter ihnen befanden sich mächtige Krieger und Adepten. Das Ganze eskalierte in einen Kampf.“

Der Himmel über mir war nun dunkelrot, ich hörte Schlachten-Lärm und roch Feuer und Blut. Halbdurchscheinende Armeen kämpften gegeneinander. Das erstreckte sich über mehrere Sekunden.

„Am Ende waren Luung und seine Mönche siegreich und Luung verbannte Ri Mao aus Cathay. Es heißt, Ri Mao floh gen Osten auf des Inselreich Jih’Po.“

Ein Schatten am Himmel verschwand Richtung Osten und einen Moment lang sah ich noch einen Tempel, den Berg, Mönche, Blumen und Schmetterlinge, doch dann zerfaserte alles und ich saß wieder im weichen Sand des Strandes. Voraus war wieder das wundervoll blaues Wasser und Palmen und ein Dschungel warteten hinter mir.

Harlequin setzte seinen Strohhut wieder auf und warf sich neben mich in den Sand.

Ich brauchte noch einen Moment, bis ich mich gesammelt hatte, erst dann hauchte ich immer noch ergriffen, „Ich danke dir, MyKnight.“

Ein wenig später sagte ich, „Also liegt der Disput zwischen Lung und Ryumyo wirklich schon länger zurück.“

Harlequin sprang auf und bot mir seine Hand, um mich hochzuziehen, „Wie kommst du denn auf die? Ich habe doch überhaupt keine Großen Drachen erwähnt.“

Ich ließ mich hoch ziehen, legte den Kopf schief und grinste. „Also bitte, die Ähnlichkeiten der Namen war doch an diversen Stellen nicht zu übersehen.“

Harlequin tat überrascht, „Ach so, du meinst Luung ist der der heutig Lung und der Luung der Geschichte war somit ein Drache.“ Wir schlenderten Hand in Hand den Strand entlang. „Hmm, das könnte natürlich sein. Aber wie erklärst du dir dann, dass die Geschichtsschreibung mit keinem Wort ein Land namens Cathay erwähnt?“

Ich lachte leise, „Na du hast keine Jahreszahl genannt und von der Magie und den Manazyklen und den wirklich existierenden Drachen hat die Geschichtsschreibung der Menschen auch nichts erwähnt, bis die Magie dann erwacht ist. Ich nehme übrigens an, die Geschichte stammt mindestens aus der 4.Welt und sie ist dann so schätzungsweise zwischen 6. und 12.000 Jahren alt.“

„Ja, nach dieser Mana-Zyklen-Theorie könnte das wohl so sein. Aber Jahreszahlen sind ja nicht so wichtig, oder? Es ist doch nur wichtig, ob die Geschichte gut ist.“

Ich nickte, „Für mich schon. Geschichtsschreiber sehen das sicher anders.“

Nun nickte Harlequin, „Ja, ich kann mir vorstellen, dass dem alten Schwätzer Zahlen wichtig sind.“

„Ja.“, meinte ich amüsiert, „Meistens schon, jedenfalls wenn er doziert. Komischer Weise lässt er die Jahre und Zahlen aber auch immer weg, wenn er über Begebenheiten aus seinem Leben oder über so manches magisches Wissen spricht.“

„Siehst du, wenn selbst Ehran das sagt, ist es wirklich nicht wichtig.“

Ich nickte und als er hoffentlich schon nicht mehr damit rechnete knuffte ich Harlequin auf den Arm, „Du sollst meinen Meister doch nicht immer alten Schwätzer nennen.“

Harlequin grinste, hielt aufs Wasser zu und wir ließen das kalte Nass über unsere Füsse gleiten, „Wenn Luung wirklich Lung ist…“, begann er in Ehrans bestem Schulmeisterton, „ und wir dann davon ausgehen können, dass er die Mönche zumindest teilweise selbst ausgebildet hat und, dass die Mönche das Wissen weiter gegeben haben, als Lung schlief und …“, Harlequin holte lachend tief Luft, „dass Lung als Drache gleichzeitig nach treuen Dienern strebt, was heißt das dann wohl im Bezug auf Lin Yao Chang?“

Ich überlegte nur kurz, „Na, dass Lin Yao Chang ein direkter Nachfahre der ursprünglichen Mönche ist, der genügend Potenzial an den Tag gelegt hat, damit Lung ihn ausbildet.“

Harlequin nickte, „Doch wie stellt ein Drache wohl sicher, dass während seines Schlafs sein Wissen richtig weiter gegeben wird?“

Ich zuckte mit den Schultern, „Eher gar nicht. Er kann nur hoffen, dass es sich durchsetzt.“

„Wäre das nicht unbefriedigend?“, fragte Harlequin nach, „Wäre es nicht so, dass für ihn so etwas wie ein genetisches Gedächtnis erstrebenswert wäre, mit dem das richtige Wissen weiter gegeben wird?“

Ich nickte, „Ja. Und was dann mit der heutigen Techniken erst möglich wäre. In dieser Richtung würde er sicherlich forschen.“, mutmaßte ich. 

Wir philosophierten weiter darüber und ich konnte während des Gespräches folgende Schlussfolgerungen für mich treffen: 

1. Lin Yao Chang würde höchstwahrscheinlich ein gut geratener Nachfahre der ursprünglichen Mönchen sein. Bei ihm hatten sich die für Lung richtige Gene durchgesetzt. 

2. Lin Yao Chang hatte in den letzten Jahren wahrscheinlich mehrere Tier-Wege gemeistert, wenn nicht sogar alle vier und somit könnte er sich bereits auf dem Weg des Drachen befinden. Er war mächtig und gefährlich.

3. Für Lung würde es sich nun lohnen, sich diesen Vorteil zu erhalten. Er würde forschen, um weitere Lin Yao Chang zu bekommen. Ob nun geklont, mit Lins DNA gezeugt und genetisch bearbeitet oder wie auch immer. Außerdem könnte Lung daran Interesse haben, irgendetwas wie ein genetisches Gedächtnis zu erzeugen.

4. Konnten somit die Piraten Lin und Jin, als auch der verstorbene Chang, Ergebnisse dieser Forschung sein.

5. Gab es ferner keine Hinweise darauf, dass die Piraten eine ähnliche Geschichte wie Chang hatten, sie konnten also in Wirklichkeit auch Agenten von Lung sein. 

6. Sollten wir Lin oder Jin nicht ohne Weiteres bei unserer Suche nach dem wahren Wasser involvieren.

7. Mein inneres Verlangen einigen Großen Drachen loyal gegenüber zu sein, fast alle Großen Drachen treffen zu wollen, andere aber nicht, entsprang keinem genetischen Gedächtnis und hatte nichts mit meiner Herkunft zu tun, sondern lag einzig und allein an meinen persönlichen Vorlieben.

Mit jeder dieser Erkenntnisse wurde mir bewusst, wie wertvoll Harlequins Geschenk wirklich für mich war.

Einen weiteren langen Kuss mussten wir beenden und die Fortsetzung davon auf später verschieben. Wir hatten die Zeit vergessen und der O’Niall Clan wartete bereits in der Halle auf uns, damit man endlich mit dem Geschenke auspacken beginnen konnte.

[Song 15: The Surfers - Here Comes Santa In A Red Canoe] Der Weihnachtsbaum glitzerte und funkelte.

Da wir über Hundert Metamenschen waren, wuselten zunächst alle umher und schüttelten und rüttelten an den Geschenken, auf denen ihr Name stand und dann begann ein beinah ohrenbetäubender Lärm, als überall Geschenkpapier zerrissen wurde.

Die Luft war erfüllt von Ah und Oh und Jubelgeschrei. Ich hatte nur für ein paar der Hawaiianer eine Kleinigkeit dabei gehabt und ansonsten nur noch das PinUp für Liam unter den Baum gelegt. Bei ihm stand mein leicht bekleidetes ich vor diversen Explosionen unterschiedlichster Couleur. 

Doch ich selbst ging auch nicht leer aus, wie ich feststellte, als Shark Finn und die anderen hawaiianischen O’Nialls mit einem riesigen Paket auf mich zukamen, da ich unter dem Baum gar nicht erst nach einem Geschenk Ausschau gehalten hatte. 

Die Form und Größe des Geschenks verriet, was darinnen war. Dennoch war meine Freude groß, als ich mein erstes eigenes Surfbrett ausgepackte. Er war nicht nur perfekt an meine Körpergröße und Masse angepasst worden, es war auch wundervoll lackiert. Ein weiße Comic-Katze mit langen Wimpern und blauen Augen, ritt auf einer riesigen Welle.

Ich konnte es kaum erwarten, mein Brett auszuprobieren.

Ich hob meine geschlossene Faust, spreizte Daumen und Zeigefinger ab und sagte „Shaka.“

Shark Finn und die hawaiianischen Cousins und Cousinen johlten und jubelten und Keanu warf ganz kurz einen Blick in Richtung der Isländer, als wollte er sagen, „Seht ihr.“

Ich musste mich nicht lange gedulden, denn schon bald rief irgendwer zum Surfen auf und dann rannten wir los. 

Einige hatten ihre Bretter schon hierher mit in den Saal genommen, andere hatten ihre an den Strand gestellt und wieder andere nahmen sich eines der Bretter, die zum Ressort gehörten und dann stoben gut 100 O’Nialls zum Strand, wo sich ein Großteil von ihnen in die Fluten stürzte. 

Zwei der wenigen, die am Strand zurückblieben, waren Liam und Bubbles.

Auf den Wellen trennte sich schnell die Spreu vom Weizen oder besser gesagt, die Könner von den Anfängern. und ich war schon sehr stolz zu sehen, dass ich mich mit meinem wundervollen Brett im oberen Bereich bewegte und so einigermaßen mit den Zwillingen, Shark Finn und Harlequin mithalten konnte.

[Song 16: The Hooters (Live)- 25 Hours A Day] Auf dem Scheitelpunkt einer besonders schönen Welle rief ich laut, „Hey Chummers, könnt ihr mich sehen? Ich hab ein eignes Surfbrett!“

Katze beobachtete mich aus sicherer Entfernung vom Strand aus und kommentierte, ‹Ich hatte bereits befürchtet, dass dir so viel Wasser und Sonne nicht bekommen würde, Elfenmädchen.›

Ich lachte fröhlich.

Die nächsten Tage verbrachten wir fast ständig am Strand. Es wurde gegrillt, gesurft, Beach Ball gespielt und Jet Ski gefahren. 

Dabei wurde immer darauf geachtet, dass die mit heller, sonnenungewohnter Haut genügend Schutz auftrugen. 

Die Zwillinge und Bubbles waren mit ihren Sonnenhüten in Grün, Orange und Pink meilenweit zu erkennen. 

Jedes Mal, wenn Harlequin und ich auf Bubbles trafen, dann erzähle sie schwärmerisch davon, was die beiden Chamäleons in ihrer Holzhütte heute getan hatten. Liam hatte cleverer Weise dafür gesorgt, dass sie in ihrer Hütte waren, um die Insekten zu fressen.

Harlequin blickte Bubbles nachdenklich hinterher und sagte zu mir, „Ich habe noch nie eine Seele gesehen, die einen Angriff der Invae überstanden und sich danach selbst wieder so zusammen gesetzt hat.“

Ich nickte, „Wir recht du hast, MyKnight. Es ist, als hätte sie die Narben, die ihr Köper und ihre Seele tragen, bunt angemalt.“ 

A pro pos Zwillinge und Bubbles. Immer wieder verschwanden die drei samt Liam für einige Stunden und ich fragte mich, was sie wohl im Dschungel zu tun hatten?

Abends saß der gesamte Clan bis tief in die Nacht bei Cocktails, Bier und anderen Getränken an Lagerfeuern beisammen. 

Ja, alle O’Nialls waren trinkfest. Was defacto bedeutete, ihnen war egal, ob sie Wasser oder Wodka tranken und vom Geschmack her bevorzugten sie eben Wodka oder Whisky. Ich hatte das Gefühl mit dem, was hier weg gebechert wurde, könnte man ganze Kleinstädte an einer Alkoholvergiftung sterben lassen. Die Stimmung war ausgelassen und fröhlich. 

Zwei Streitigkeiten wurden bei einem Grubenkampf geklärt und es war tatsächlich so, dass danach alles vergessen war. 

Bereits am zweiten Weihnachtsabend kam Harlequin auf die Idee die diversen Trink- und Würfelspiele um eine seiner geliebten kleineren Herausforderungen zu erweitern. Da hier mehr Alkohol keine Punkte brachte, erhöhte er immer wieder den akrobatischen Schwierigkeitsgrad. 

Das gipfelte darin, dass er ein Surfbrett auf der Kante in den Sand stellte, darauf sprang, balancierte und seine Bierflasche in einem Zug leerte, ohne umzufallen oder auch nur einen Tropfen zu verschütten. Viele versuchten sich in den nächsten Tagen und Nächten daran und alle scheiterten. 

Ich mochte es, wenn er so etwas tat.

Wie sangen und musizierten auf vielfältige Weise, denn Harlequin und Tiernan waren nicht die einzigen, die ein Instrument spielen konnten. Tiernan verstand sich auch auf’s Fiddeln, wie er an den Abenden unter Beweis stellte. Selbstverständlich hatte er seine futuristisch aussehende Geige nur kurz vor dem Spiel aus Einzelteilen zusammen gebaut. 

Irgendwie hatte es Harlequin geschafft, sich auch eine Geige zu besorgen, vielleicht hatte er sie ja auch einfach aus seinem Seesack gezogen. Jedenfalls lieferten sich die beiden ab da immer mal wieder ein fiddelndes Duell - oder Duett, je nachdem, wie man es sehen wollte.

Die Energie, die wir gemeinsam dabei abgaben, legten sich astral in prächtigen Farben auf die Insel und sickerten wie süßer Honig in den Boden.

Neben der Familienzeit am Strand, genoss ich die Zweisamkeit mit Harlequin in der Luxusholzhütte und an unserem etwas abseits gelegenen Strand, an dem wir am Weihnachtsmorgen gewesen waren. 

In der Nacht zum letzten Tag des Jahres erzählte Harlequin mir die Geschichte von Que Quartzo6 und der Venus, wie er mir in einem Brief versprochen hatte. 

Wir saßen auf dem Steg, ließen die Füsse im warmen Wasser baumeln und blickten hinauf zum Mond oder sahen seiner sacht tanzenden Spiegelung auf der Meeresoberfläche zu. 

Harlequin hatte seinen Arm um mich gelegt und mein Kopf lehnte an  seiner Brust. „Weißt Du warum die Venus so einsam ist?“, fragte er.

Ich lächelte, „Nein, warum?“

Er küsste mich zart auf den Mund, „Sie ist einsam, weil sie früher einen Geliebten hatte. Sein Name war Que Quartzo und sie lebten gemeinsam in der Welt der Geister. Jeden Tag spazierten sie durch den Himmel, aber einer der anderen Geister war eifersüchtig. Der Schelm wollte die Venus ganz für sich alleine. Also erzählte er Que Quartzo, dass die Venus gern ein paar Blumen hätte. Er sagte ihm, er solle in unserer Welt ein paar Blumen für sie pflücken. Que Quatzo zog los, um seiner Liebsten den Wunsch zu erfüllen, aber er wusste nicht, dass wenn er die Welt der Geister einmal verlassen hatte, er nie mehr zurückkehren könnte. - Und so blickt Que Quartzo jetzt jede Nacht zur Venus hinauf und ruft traurig ihren Namen, denn er kann die Venus zwar sehen, doch nun nie wieder berühren und die Venus steht dort allein und einsam, denn keiner wird ihr jemals wieder so nahe sein, wie Que Quartzo. - Que Quartzo ist dir wahrscheinlich besser unter dem Namen Wolverine bekannt.“

Ich seufzte, „Das war eine sehr schöne, aber auch eine sehr traurige Geschichte. Ich hoffe, Que Quartzo findet eines Tages einen Weg zurück zur Venus.“

Wir küssten uns und beim anschließenden Liebesspiel fielen wir nicht vom Steg ins Wasser. Jedenfalls nicht aus Versehen.

Am Morgen des letzten Tages von 2073 stand ich kurz nach Sonnenaufgang am Stand und blickte aufs Meer hinaus. „Weißt du, MyKnight. Ich mag auch diese Insel richtig gern. Ich glaube, ich möchte später einmal eine eigene Insel haben. Auf die könnte ich mir dann auch eine Burg bauen lassen und mir praktischer Weise auch jeden Titel verpassen, den ich möchte, wie Countess oder Prinzessin oder Queen.“

Harlequin lächelte mich an, „Das klingt nach einer sehr guten Idee.“ 

Dann begann er damit, eine riesige, wunderschöne Sandburg für mich zu bauen. Nicht mit Magie sondern mit seinen Händen. Er war mehrere Stunden damit beschäftigt und so kam ich bereits noch vor 2074 zu meiner ersten eignen Burg, auch wenn die Insel, auf der sie stand, nicht meine war, war das etwas, an was ich mich immer erinnern würde.

„Vielen Dank, MyKnight.“, flüsterte ich in sein rechtes Ohr. 

Ich flüsterte immer in sein rechtes Ohr. Sein linkes Ohr hatte er einmal in einem Zweikampf mit meinem Meister eingebüßt. Ja, Ehran hatte es geschafft meinem überaus begabten Ritter in einem Fechtduell das Ohr abzuschneiden. Auch in Ehran steckte viel mehr, als ich im Moment zu ahnen vermochte. 

„Wie geht es dir eigentlich?“, fragte ich Harlequin, „Ich meine nicht jetzt. Jetzt geht es dir fantastisch, aber so generell?“

„Gut.“, lautete die knappe Antwort.

Ich zweifelte nicht daran, dass er es ernst gemeint hatte, dennoch sagte ich, „Du weißt, wenn du meine Hilfe brauchst, musst du nur Bescheid sagen.“

Er lächelte und nickte, „Ich weiß Liebste. Sag das bitte nicht immer. Es ist nicht an der Zeit für dich, mir zu helfen. Es ist an der Zeit für dich, die Welt zu entdecken.“ Sein Blick war voller Gefühl für mich gewesen, doch einige seiner Worte hatten harsch geklungen.

Für einen Augenblick sah Harlequin aus, als wäre er sehr alt und sehr weise aber auch voller Schmerz und Narben.

Ich küsste ihn und augenblicklich war jede Anspannung von ihm genommen. Ein Kuss in wahrer Liebe konnte so etwas vollbringen und ich liebte ihn und damit meinte ich nicht das, was wir im Anschluss an den Kuss am Strand taten.

Wir hatten auch in den vergangenen Nächten gefeiert, doch das war nichts gegen das gewesen, was in der letzten Nacht des Jahres abging. 

Da ich mit einer Feier am Strand gerechnet hatte, hatte ich ein graublaues, schulterfreies Bustier-Kleid mit einem mehrlagigen Chiffon-Petticoat-Rock, der bis zu den Knöcheln reichte, in meinen Koffer gepackt und trug es heute Abend. Ich blieb barfuss und band mein Haar zu einem simplen Pferdeschwanz zusammen. Als MakeUp trug ich das auf, was Moxi als das einfachste NoMakeUp bezeichnet und mir beigebracht hatte.

Laut dröhnte die Musik den Strand entlang und wir tanzten und sangen und genossen das Leben.

Nur wenige Sekunden nach Mitternacht entfachte über den Bergen der Insel ein gewaltiges Feuerwerk, das mehrere Minuten andauerte und schöner und bunter war, als man je glauben konnte. Nun wusste ich auch, was Liam, seine Nichten und sein Neffe so getan hatten, als sie in den vergangenen Tagen verschwunden waren.

❆❄

Neben zahlreichen Neujahrsgrüßen erreichten mich am Vormittag des 1. Januars 2074 auch schlechte Neuigkeiten. 

Bloody Guts hatte Bilder aus den Tiefen der Matrix gefischt, die zeigten, wie Drachen über GeMiTo auf Metamenschenjagd gingen, plötzlich herabstürzten, sich einen Metamenschen schnappten und auf der Stelle frassen. 

Sie machten keinen Hehl daraus.

Es war, als würden diese erwachsenen Drachen sagen, „Seht her, wir sind es, die das Sagen haben. Wenn wir es wollen, dann seid ihr nichts anderes als unser Vieh.“

Ich war betroffen. Die Bilder brannten sich tief in meine Seele. 

In den offiziellen Nachrichten fand man selbstverständlich nichts darüber. 

Natürlich war es genau so, Drachen waren groß stark und mächtig und es gab kaum etwas, was sie aufhalten konnte. Viellicht konnte das Militär oder auch ein gutes Shadowrunner-Team einen erwachsenen Drachen besiegen. Aber mehrere Drachen? Oder gar einen Großen Drachen? Das war unmöglich. Da brauchte es Armeen und jede Menge Magie. 

Außerdem war ich verwirrt und enttäuscht. Fragen schossen mir durch den Kopf. 

Würden die Metamenschen aufhören Tiere zu essen, wenn diese plötzlich reden könnten und sie darum baten? Konnte man so etwas vergleichen? Konnten uns Drachen gar nicht als ebenbürtig sehen? Wahrscheinlich nicht, denn wir waren es nicht. Das Schlimmste war für mich, würde ich Alamais - denn ich war sicher, dass er seine Klauen dabei im Spiel hatte - jetzt treffen, dann wüsste ich kein Argument, warum er das, was er tat, nicht tun solle. Wenn er sich nicht für die Belange der Metamenschen interessierte, dann hatten wir ihm auch nichts zu bieten. Natürlich sprach ein Großer Drache nicht für alle Großen Drachen, aber einer reichte, um das derzeit fragile Verhältnis zu den Metamenschen weiter zu erschüttern. Die Unruhen gegen Drachen würden weiter eskalieren und irgendwann musste eine Entscheidung getroffen werden. Die Metamenschen in GeMiTo waren für die Konzerne nur SIN-loser Abschaum, kein Wunder also, dass die Bilder nicht mal gezeigt wurden und nicht sofort für Zorn in der Öffentlichkeit gesorgt hatten. Doch wie lange würde und könnte man zusehen? Oder durfte man vielleicht nichts zeigen, damit die Unruhen eben nicht eskalierten? Wie lange würden die anderen Drachen zusehen oder wichtiger, wie lange würden sie darüber hinweg sehen? Ich befürchtete, dies war erst der Anfang einer abscheulichen Geschichte. 

Für uns Drakes war das in keinem Fall eine gute Entwicklung. Wir waren keine Drachen, aber wir sahen aus wie kleine Drachen und das würde einigen Metamenschen reichen, damit sie an uns ihren Zorn ausließen. Denn in ihren Augen würden wir Drache genug sein, die klein genug waren, dass sie etwas gegen sie ausrichten konnten. Wir würden in der nächsten Zeit unsere Drakegestalt einsperren müssen. Gleichzeitig würden die Metamenschen und ganz besonders Organisationen, wie die Black Lodge, weiter daran arbeiten, etwas gegen Große Drachen ausrichten zu können. Ich stand mit meiner Affinität zu den Drachen sowieso zwischen den Fronten. 

Ich bekam Kopfschmerzen und war den Tränen nah. Nein, verdammt, ich wollte nicht, dass es so ist. Ich wollte, dass Drachen und Metamenschen miteinander lebten und tief im Inneren fühlte ich mich, als wäre ich ein Kind beider Welten, auch wenn ich wusste, dass dem nicht wirklich so war. Es machte mich traurig und innerlich flossen bereits die Tränen.

Meine Tränen mochten nur innerlich geflossen sein, dennoch trat genau in diesem Moment Harlequin zu mir und nahm mich wortlos tröstend in den Arm.

‹Kopf hoch, Elfenmädchen.›, tröstete auch Katze. ‹Warte erstmal ab was geschieht. Jede Rasse hat nette und weniger nette Exemplare, das ist bei den Drachen nicht anders. Dass wir Alamais nicht mögen, wussten wir bereits. Es ist nicht deine Art, dich von jemandem runterziehen zu lassen, den du nicht einmal magst, Elfenmädchen.›

Ich lachte und wischte mir die inneren Tränen ab, ‹Genau Katze, wir mögen ihn nicht und werden ihn nie mögen und das hat er nun davon.›

Ich sprach mit niemand anderem über meine Gedankenspirale, ich erzählte nur einigen wenigen, was ich gehört hatte und, dass die Bilder mich erschrocken hatten.

Ich hatte plötzlich überhaupt keine Lust mehr schon heute Richtung Seattle aufzubrechen, zumindest das sagte ich genauso Harlequin.

„Na dann bleiben wir noch, Liebste.“, meinte mein starker Ritter sanft, „Und zwar solange, wie du magst.“

Was wir dann taten -und zwar alle. 

Der gesamte Clan blieb, einfach, weil wir es konnten.

Weitere volle Tage im Paradis gaben mir Kraft für das, was auch immer 2074 bringen würde.

Und hey, ich freute mich sogar darauf. 

Snowcat’s Rulz of Life No. 6: Jeder Tag den Du erlebst, ist irgendwie auch ein guter Tag.

❆❆❆ ENDE DES INTERMEZZOS ❆❆❆

Deine Kommentare zum Intermezzo passen am Besten unter A Tale So Far Part IX, [LINK].

Fussnoten:

1: Die Weihnachtsfeier wurde mit dem GM und den Spielern von Mr. Jack, Triple S und mir ausgespielt. Die Ereignisse um Chang wurden mit dem Spieler von Chang und dem GM abgesprochen; 

2: Lyrics by Avril Lavigne/Wish You Were Here; 

3:Lyrics by Ray Davies /You Really Got Me; 

4: Auld Lang Syne, der Text stammt von dieser Wiki-Seite [LINK] und dort finden sich auch Informationen zu dem Song; 

5: Der Name Cathay und die ursprüngliche Geschichte um Luung stammen aus dem Earthdawn Cathay Quellenbüchern von FASA; 

6: das Märchen stammt aus dem Film X-Men Origins: Wolverine, DVD und Blu-ray sind bei 20th Century Fox Home Entertainment erschienen; 

7: Dietware ist eine Form von Bioware, die verhindert, dass man zunimmt, egal wie viel man zu viel isst. 

8: Nur Charaktere deren Spieler anwesend waren, haben Fragen gestellt, bei mehr als 2 anwesenden Charakteren pro Spieler, wurde gewürfelt.

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*