Episode 05/13 Nachwehen

Welcome back again, omae!

Schön, dass Du auch heute wieder Zeit gefunden hast vorbeizuschauen. Der letzte Run war heftig und noch immer sind die Nachwehen zu spüren. Nicht alle, die vor wenigen Tagen aufbrachen, sind wieder zurück mit nach Seattle gekehrt. Zeit für Snowcat, das Erlebte zu reflektieren. Bist Du dazu bereit, omae?

Deine Kommentare zu diesem kleinen Text gehören unter "The Tale So Far, Part III" [LINK]

Snowcat saß barfuss, in Lederhose und T-Shirt auf dem Dachsims des mittleren Turms des verlassenen Southwind-Komplexes in Tarislar und beobachtete wie die Sonne aufging. Sie kam immer gerne hierher, um nachzudenken und Erlebtes zu verarbeiten.

Orange-Goldenes Licht schob sich über die Berge und dehnte sich aus. Die Baumwipfel der NAN schienen innerhalb von ein paar Sekunden Feuer zu fangen und die Gebäude der smaragdenen Stadt schienen zu glühen. Die Spitze der Needle wirkte, als wolle sie den Himmel entflammen. 

So plötzlich wie sie gekommen war, erlosch die Glut wieder. Ein neuer Tag in Seattle war angebrochen und dies auf eine Art, wie man sie hier nur extrem selten erlebte. 

Snowcat schloss die Augen und verinnerlichte dieses Bild. Sie würde es später irgendwann einmal auf eine Leinwand bannen und es so für eine kleine Ewigkeit festhalten.  

Wind kam auf und trieb Wolken vom Mount Rainier herüber. Auch heute würde es Regen geben. Das schneeweiße Haar der Elfe begann zu tanzen. Sie genoss den Duft der unberührten Morgenluft, die hier oben frisch und unverdorben war. Völlig schwindelfrei blickte sie nach unten, wo 100 Stockwerke tiefer der verwittere Asphalt des einstigen Parkplatzes lag. Gräser und Unkraut hatten ihn aufgebrochen und durchzogen gleich grüner Adern das helle Grau. 

Die letzten vier Tage seit ihrer Rückkehr aus dem Dschungel von Bogotá waren im Eiltempo vergangen. Snowcat hatte sich mit Gumshoe getroffen, um ihn über die Umstände von Sunrises Tod zu berichten. Sie hatte FTW dabei geholfen eine Wohnung zu finden. Gemeinsam mit Doc hatte sie sich darum gekümmert, einen Club für die Party heute Abend zu organisieren und als feststand, welcher angesagte Club es sein würde, hatte sie ein paar Einladungen verteilt, wobei sie das bei Nethertalk und Hellboy mit einem Treffen von Angesicht zu Angesicht kombiniert hatte.

Snowcat war regelmäßig bei Liam aufgetaucht, um Blackstone ein wenig von Sparky und Arcade zu erlösen. Die Zwillinge hatten unbedingt von ihm, Blood und Steel alles und zwar wirklich alles über den letzten Einsatz und den Dschungel wissen wollen, was in ein regelrechtes Verhör ausgeartet war. Schon allein um Blackstones völlige Genesung von seinen schweren Verletzungen nicht zu gefährden, hatte die Elfe eingreifen müssen. Erst auf ihren Wunsch hin hatte das Duo die orangene und grüne Schwesternhaube abgesetzt und eingewilligt, gemeinsam mit ihr andere Aufgaben zu erledigen. Snowcat schmunzelte bei der Erinnerung daran.

Sie hatte sich mit Average zum Brunch getroffen, um auch ihm ein Update über die vergangenen Tage zu verpassen. Der Mann war kurz ernst geworden, dann aber war ein breites Grinsen in sein Gesicht getreten, „Was für ein Glück, das ich dahin nicht mit bin. Die spinnen die Azzies.“

Sie hatte Jake besucht und bei ihm und seinem kleinen Zoo nach dem Rechten gesehen. 

Mit Doc, Mystère und Thunderstrike hatte sie nach einem neuen Safehouse gesucht und nachdem das gefunden war, hatte sie zusammen mit Thunderstrike, Mystique, Skark Finn, Sparky, Arcade und später Blood und Steel damit begonnen, das alte Safehouse aufzulösen und das neue umzubauen und einzurichten. 

Sie hatte stundenlang, teilweise bis in den frühen Morgen hinein mit Doc, Mystère und Mystique das Für und Wider abgewogen und das Wenn und Aber und zukünftige Möglichkeiten diskutiert. 

Jede freie Minute, die ihr all das noch gelassen hatte, hatte sie gelernt und gedanklich ein wenig an den Projekten zum Semesterabschluss gefeilt. Snowcat hätte liebend gern auf einige Stunden Schlaf verzichtet, um mehr Zeit für die Uniarbeiten zu haben, aber sie hatte es einfach nicht übers Herz gebracht, Henrys sanfte Hinweise in den Wind zu schlagen und wenn sie dann erstmal in dem von ihm so luftig aufgeschüttelten, überraschend angenehm kühlen Bett gelegen hatte, war sie jedes Mal sofort eingeschlafen. Auf den ausgiebigen Genuss der von Henry zubereiteten Snacks und kleinen Mahlzeiten, hätte Snowcat sowieso nie freiwillig verzichtet.

Zu guter Letzt hatte sie gestern Abend mit Neon gequatscht und hatte im Anschluss den Ancients einen Besuch abgestattet. Dort wurde sie irgendwann von Green Luzifer in dessen Büro zitiert, wo sie über eine Stunde einfach nur geplaudert hatten. Ein Umstand, den Snowcat immer noch nicht einzuordnen vermochte. Sie wollte das heute Abend unbedingt mit Doc besprechen. 

Snowcat gähnte ausgiebig und streckte sich, sie schaukelte eine Zeit lang mit den Beinen hin und her, dann zog sie sie hoch, setzte sich seitlich auf den Simms und umschloss ihre Knie mit den Armen. Die vorbeiziehenden Wolken trieben ihre Schatten über den verlassenen Platz unter ihr. Der Wind hatte weiter zugenommen.

Mit dem vergangenen Run hatte es das Team in die Nachrichten geschafft, natürlich ohne darin jemals aufgetaucht zu sein. Bereits Samstag Früh hatte es Sonderberichte gegeben, die gemeldet hatten, dass es amazonischen Special Forces gelungen war, die Gefangenen aus einem aztlanischen Kriegsgefangenenlager nahe Medellin zu befreien. Im Laufe des Tages waren dann Gerüchte über Folterungen und Misshandlungen durch aztlanische Soldaten aufgetaucht. 

Sonntag hatten die News dann Bilder von Folter, Tod, Verhören und Hunger gebracht. Bilder, die Snowcat und die Runner beschafft oder gar persönlich gemacht hatten. Die dort gezeigten Grausamkeiten hatten Horizon offenbar nicht ausgereicht, denn sie hatten das Material überarbeitet, bevor sie sie den Nachrichtensendern zugespielt hatten. Die Bilder waren noch schlimmer geworden. Snowcat hatte sofort Riven angerufen und nach ihrem Befinden gefragt, doch die schöne Frau hatte die Bilder der Nachrichten nicht gesehen. Diese hatte genug damit zu tun, sich auf die Suche nach einem Hexenzirkel zu begeben,  der ihr bei einem magischen Ritual helfen konnte. Magische Gruppen gleicher Tradition fand man leider nicht an jeder Ecke, nur, weil man sie brauchte. Außerdem traf Riven sich noch in irgendeiner Angelegenheit mit Starbuck, für Nachrichten hatte sie den Kopf also nicht frei. 

Sonntag Abend überschlugen sich die Meldungen bereits. Aztlan dementierte und versprach eine Überprüfung der Vorwürfe, die UCAS, CAS und PCP verlangten Aufklärung. Die UN kündigte eine Untersuchung an. Dann tauchte mitten in der Nacht ein Dokument des aztlanischen Militärs auf, in dem angewiesen worden war, alle Gefangenen, die nicht als Opfergaben an die aztlanischen Götter taugten, sofort zu exekutieren. Die Aufschreie und Proteste wurden lauter.

Montag tauchten dann die Bilder von einem aztlanischen Massengrab auf. Diese Bilder schlugen in der 6. Welt wie eine Bombe ein und sie ließen Snowcat das Blut in den Adern gefrieren. Nicht, weil ein Massengrab einfach grausam aussah, sondern weil sie in einigen der Leichen Gefangene erkannt hatte, die Riven und Thunderstrike geheilt hatten, die sie selbst noch versorgt hatte, damit sie den Transport überlebten. Es gab keine Zweifel, denn selbst wenn Snowcat kein eidetisches Gedächtnis gehabt hätte, so hätte sie doch die dankbaren Blicke der Befreiten niemals vergessen. 

Nach diesen Trideobildern war Snowcat auch klar geworden, warum die Zahl der Geretteten von Samstag zu niedrig gewesen war. Sie war nämlich genau um die achtzig Verletzten zu niedrig gewesen, die sie am Rendevous-Punkt an das medizinische Personal und den Agenten übergeben hatten. Snowcat war auf der Stelle übel geworden und da sie im Augenblick der Erkenntnis zu Hause gewesen war, hatte sie die Impulskontrolle aufgegeben und war ins Bad gelaufen, um sich zu übergeben. Henry war entsetzt neben ihr materialisiert, hatte ihr Haar für sie zurückgehalten und ihr im Anschluss kleine Schlucke von Eiswasser zu trinken gegeben. 

Krieg war ein verdammt schmutziges und widerwärtiges Geschäft. 

Snowcats Rulz Of Life No 10: Es gibt keine richtige oder falsche Seite, es gibt nur deine Seite und die andere.

Die nächste starke Windbö über dem Dach traf kühlend auf ihr Gesicht, weil ihre Wangen feucht waren. Snowcat wischte die Tränen beiseite. 

Gestern hatte es dann andere Neuigkeiten aus dem Kriegsgebiet gegeben. Die Berichterstattung erklärte, dass aztlanische Sondereinsätze, die eigentlich amazonischen Truppen hatten gelten sollen, ins Leere liefen oder ihnen sogar selbst zum Verhängnis geworden waren. Außerdem hatte die aztlanische Luftwaffe versehentlich eigne geheime Ziele bombardiert. Dieser Dienstag wurde zu einem der verlustreichsten Tage für die aztlanische Armee. Zum allerersten Mal wurde die Invasion in das Gebiet von Amazonien aufgehalten. Die von Starbuck eingespielten Daten hatten ihren Zweck also vollständig erfüllt und das Team wirklich eine Änderung des Kräfteverhältnisses der Fronten herbeigeführt. Die Waage schlug nun anders aus. Das Team hatte einen Preis dafür gezahlt. 

Wie es Twinbow wohl gerade erging? Die grausamen Bilder der Folter schoben sich Snowcat erneut in den Sinn. Die echten Bilder. Verschlimmerungen wären völlig unnötig gewesen. Unglaublich mit welcher Freude manche Metamenschen Folter und Verhör im Lager ausgeübt hatten und sie alle waren doch nichts gegen Ding Ramos, der Leidenschaft und Hingabe für Folter aufbringen konnten und dabei ein entsetzliches Mass an Fachkenntnis und Fantasie aufbrachte. Hoffentlich würde Twinbow nie in die Hände des Bosses vom David Kartell gelangen.

Es tat ihr wirklich leid für Twinbow. Snowcat wusste nicht, wie viel der blonde Elf mit dem einnehmenden Lachen auszuhalten vermochte. Sie wusste ja auch nicht, was er auszuhalten hatte. Sie hoffte nur, dass er einen Weg fand, damit umzugehen und sollte dieser Weg der Tod sein, dann hoffte sie, dass er auch diesem Weg gehen konnte. Diese Hoffnung war unabhängig davon, dass sie selbst Twinbow gern lebend wieder sehen würde.

Diese Hoffnung war völlig unabhängig davon, was Snowcat sich für Riven wünschte.

Es war klar, dass die letzten Ereignisse einfach schlimm für die schöne, zarte Hexe gewesen waren. Sie hatte soviel Macht und war im Augenblick nach der Entführung dennoch machlos und zur Untätigkeit verdammt. Es war so schwer für Riven gewesen, dem Dschungel den Rücken zu kehren und mit der Ungewissheit im Gepäck nach Seattle zurückzukommen. Hätte es eine andere, vielversprechendere Möglichkeit gegeben, Snowcat hätte nichts lieber getan, als diese aufzuzeigen. 

Snowcat wusste nur noch all zu gut, wie es war, wenn man vor Kummer kaum zu atmen vermochte. Wie es sich anfühlte, wenn einem ein bestimmter Gedanke die Kehle zuschnürte, wenn dem Herz der Schraubstock umgelegt war und es weder Zeit noch Ort gab, sich vor dem Schmerz zu verstecken. Snowcat wusste, wie es war, wenn man plötzlich der Person beraubt war, die man liebte. Selbst die Erinnerung an das Gefühl, dass sie noch viele Wochen nach Cravens Tod gehabt hatte, tat weh. 

Ein kurzes Zittern durchfuhr die Elfe.

Dann kam die Erinnerung daran, dass Katze auch da stets bei ihr gewesen war und wie viel Kraft und Trost sie aus ihrer Gegenwart geschöpft hatte. Sie lächelte. Riven war mit einer so mächtigen Göttin an ihrer Seite gut bestellt. Snowcat war sicher, dass Riven aus ihrer Göttin genau soviel Kraft und Trost ziehen konnte, wie sie selbst aus Katze. Riven konnte außerdem noch etwas, was sie selbst damals nicht gekonnt hatte, sie konnte noch hoffen Twinbow wieder zu bekommen. 

Snowcat blickte nach oben. Am Himmel spielten die Wolken fangen und ließen nur hier und da ein Stück Sommerblau durchblitzen. Bald würde der Himmel sicher völlig zugezogen sein. Seattle war schon der richtige Ort für Sonnenscheues Gesindel. 

Die Elfe stand auf, balancierte mit den Fussballen auf dem Sims, hob die Arme und atmete tief durch. Der Wind ergriff ihr über hüftlanges, schneeweißes Haar und wirbelte es auf. Sie kostete das Gefühl aus, es war beinah, wie zu fliegen. Aber nur beinah. Fliegen war noch ein ganzes Stück besser. Fliegen war fast so gut wie Sex. 

Snowcats Leben war in den letzten Jahren rasant bergauf gegangen. In nur einer Woche würde sie ihre erste Semester-Abschluss-Arbeit am MIT&T schreiben. Sie hatte das große Glück gehabt in Ehran einen mehr als weisen Mentor zu finden. Sie hatte viel gesehen, erlebt und gelernt. Snowcat hatte eine Menge interessanter und auch mächtiger Metamenschen und Wesen getroffen. Jemand wie der mysteriöse, gefährliche, attraktive und aufregende Harlequin, war in ihr Leben getreten. 

Just waren Blood und Steel nach Seattle zurückgekehrt und noch überraschender, Starbuck war wieder da. Der Gedanke an ihn ließ Snowcat lächeln.

Inzwischen war es genau so gekommen, wie Katze ihr vor vielen Jahren vorhergesagt  hatte, niemand würde sie jemals wieder wie Abfall behandeln, niemand würde sie jemals wieder am Strassenrand aussetzen.

Katze sprang auf Snowcats Schulter und brachte die Elfe damit beinah aus dem Gleichgewicht, „Genau wie ich Dir versprochen habe, Elfenmädchen.“

Snowcat erwiderte nichts. Sie rieb ihre Wange an dem weichen Fell, trat rückwärts vom Sims zurück aufs Dach und gähnte erneut. Katze sprang von ihrer Schulter und jagte einer Blüte hinterher, die der Wind über das Dach tanzen ließ. 

Wenn Snowcat noch schlafen und das nicht hier oben tun wollte, musste sie jetzt wohl oder übel los. Heute Abend fand die Party mit der Gedenkfeier für Sunrise statt. Bis dann war noch genügend Zeit für viele Dinge, wir zum Beispiel etwas passendes zu Anziehen für heute Abend zu kaufen und auch für ein paar Stunden Schlaf in einem wundervollen, luftig duftendem Bett.

Erste warme Regentropfen fielen auf das Dach und zeichneten kleine Tupfen auf den Boden, die bald mit einander zu einer Einheit verschmolzen. Unter leichtem Nieseln zog Snowcat sich Socken und Boots an und bewegte sich dann Salto- und Radschlagend in Richtung Ausgang. 

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*